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Amtsblatt für die königliche« und städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand. Berautwortlicher Redakteur Iuliu» Brauu iu Freiberg. In Vertretung: Ernst Mauckisch. ^S138. gz. Jahrgang. — Erscheint jeden Wochentag Abend-S Uhr für den !s , , -,, - andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 25 M., zweimonatlich 1 M. SO Pf. n. eimnonatl. 75 Pf. VvtttiUUrllN, Inserate werden bis Vormittags 11 Uhr angenom men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile oder deren Raum 15 Mennige. 1881. Wetter-Prognose für Sonnabend, dm 18. Jnvi: Keine wesentliche Amdernug in den bestehende« Wittervngsverhiiltutsseu zn erwarten. Sriefe vom Reichstage. XVI. A. Berlin, 16. Juni. Der Reichstag ist geschlossen, nachdem er genau vier Monate beisammen gewesen ist. Es hat wohl noch kein Reichstag mit größerer Unlust gearbeitet als der jetzige, und doch war gerade er vcrurtheilt, in einer vcrhältniß- mäßig langen Session die angestrengteste Thätigkcit zu entfalten. Als die Frage der Verlängerung der Legis laturperioden im Reichstage diskutirt wurde, da wurde zu Gunsten dieser Maßregel angeführt, daß bei dreijährigen Wahlperioden immer die erste und die letzte Session unter dem Einflüsse der Wahlen ständen, daß also diese beiden Sessionen von vornherein zur Arbeit nicht so geeignet seien als die in der Mitte liegende. Merkwürdigerweise hat aber der Reichstag, dessen Mandat am 30. Juli ab läuft, gerade in seiner mittelsten, der vorjährigen Session sehr wenig gearbeitet. Auf alle Weise versuchte er damals, sich der ihm obliegenden Verpflichtung, die ihm gemachten Vorlagen zu berathcn, zu entziehen. Die wichtigsten Gesetzentwürfe blieben nach der ersten Lesung liegen oder wurden in Kommissionen begraben, der Gesetzentwurf über die zweijährigen Budgetperioden konnte nicht einmal der Ehre einer ersten Berathung thcilhastig werden, und ehe seit der Eröffnung drei Monate ins Land gegangen waren, mußte der Reichstag geschlossen werden, weil er sich zu ermüdet fühlte. Der Reichskanzler that damals dem Reichstage den Gefallen, ihn zu entlassen, ehe er auch nur einen erheblichen Theil seines Pensums aufge arbeitet hatte. Dafür hat der Reichstag in der ver flossenen Session, die wegen der bevorstehenden Wahlen für ernste Arbeit angeblich nicht sehr geeignet war, trotz seiner entschiedenen Unlust um so fleißiger arbeiten müssen. Allerdings waren gerade die bevorstehenden Wahlen der Grund, die den Fürsten Bismarck veranlaßten, mit Entschiedenheit darauf zu dringen, daß der Reichstag zu den wichtigen Gesetzvorlagen ein klares und deutliches Ja oder Nein sagte. Denn bei den Wahlen soll die Bi lanz gezogen werden, da sollen die Wähler entscheiden, mit wem sie in den nächsten drei Jahren gehen wollen, mit dem Fürsten Bismarck oder mit den Parteien, die sich entweder geweigert haben, seine Politik zu unter stützen, oder wenigstens viele der von ihm gebrachten Vor lagen, auf die er den größten Werth legte, auf das Un barmherzigste verstümmelten. In der That sind die Früchte der vicrmonatlichen an gestrengten Thätigkcit des Reichstags nicht gerade der art, daß sie der Reichskanzler besonders schmackhaft finden könnte, und ein weniger selbstbewußter, dem Zauber seines Namens weniger vertrauender Staatsmann würde wohl mit Herzklopfen den Wahlen entgegenschen. Denn un leugbar war der am 30. Juli 1878 gewählte Reichstag der gefügigste von allen, die seit Gründung des nord deutschen Bundes existirt haben. Unter dem frischen Eindruck der Attentate waren die Konservativen in früher nie dagewesencr Zahl gewählt worden, die Nationalliberalen, die zwar im entscheidende« Mo mente nie ihre Dienste versagt hatten, aber doch immer durch Kritteln und Nörgeln unbequem gewor den waren, hatten viele Sitze eingebüßt, die Fortschritts partei war auf ein lächerlich kleines Häuflein reduzirt. In der ersten Session hatte eine konservativ-national- liberale Majorität dem Fürsten das Sozialistengesetz be- scheert, in der zweiten votirte eine konservativ-klerikale! Majorität den Zolltarif und erfüllte damit einen längst' gehegten Herzenswunsch des Reichskanzlers. Aber schon in der dritten Session zeigte sich der Reichstag remtent. Die nationalliberale Partei war im Zerfall begriffen, das Zentrum hielt, nachdem cs die Schutzzölle erlangt hatte, eine weitere Unterstützung des Fürsten ohne Gegenleistung auf dem kirchenpolitischcn Gebiete nicht für nöthig. Die Samoavorlage fiel damals gegen die Stimmen der Kon servativen und der Minderheit der Nationalliberalen. In der letzten Session haben sich aber sogar die Freikonser vativen, von denen man immer geglaubt hatte, daß sie den Stamm der neu zu gründenden Partei Bismarck Siws xbrass bilden würden, als unsichere Kantonisten ge zeigt. Sie haben die Jnnungsvorlage durch Ausmerzung des Lchrlingszwangcs beinahe werthlos gemacht, sic haben bei der Börsensteucr die Verwerfung des Werthstcmpels durchgesctzt und damit das Prinzip der ausgleichcuden Gerechtigkeit aus dem Gesetze herausgebracht, sie haben bei der Frage der kaiserlichen Hauptzollämtcr in den Hanse städten gegen den Kanzler Partei ergriffen, sic haben endlich aus dem Unfallvcrsicherungsgcsctzc den Staatszu schuß climiniren helfen. Die Natwnallibcralcn find fast stets in der Opposition gewesen und das Zentrum hat sich nur dann entschieden auf die Seite der Regierung gestellt, wenn es sich um die Durchführung seiner eigenen reaktionären Prinzipien handelte; im klebrigen hat cs, von kleinen Geschenken abgesehen, wie die Votirung der Miethsteuervorlagc war, sich seine Unabhängigkeit nicht nur zu wahren gewußt, sondern auch bei jeder Gelegenheit gezeigt, daß seine Unterstützung nur gegen schwerwiegende Konzessionen auf dem kirchcnpolitischcn Gebiete zu haben ist. So sind denn jetzt, am Schlüsse der Legislaturperiode, die Deutschkonscrvativen die Einzigen, die sicher sein können, von dem Reichskanzler das Abgangszcugniß Nr. 1 cum lauäs zu erhalten. Wer wird es aber für möglich halten, daß diese Partei beim nächsten Reichstage die Majorität bilden könnte? »Gerade diese Partei gedeiht nur in sehr wenigen Gegenden des deutschen Reichs, der günstigste Boden für sü sind die Sand- und Moorcbcncn der nordöstlichen Provinzen Pommern, Brandenburg, allenfalls auch Ost- und Westprcußcn, soweit dort nicht Fortschrittspartei und Polen ihr das Terrain streitig machen, und allenfalls auch Mecklenburg, wo aber auch erst 1878 zwei Wahlkreise der Fortschrittspartei abgc- rungen worden sind. Die vier Sachsen Ackermann, Frcgc, Grützner und Reich und der Badenser Freiherr v. Mar schall gehören zwar dem Fraktionsverbandc an, sind aber kaum als ihren preußischen und mecklenburgischen Frak tionsgenossen durchaus homogen zu bezeichnen, wie auch keiner von ihnen sich Hal entschließen können, bei dem Unfallversicherungsgcsctz für den Staatszuschuß zu stimmen. Die Session wäre wohl noch nicht so schnell zu Ende gegangen, wenn nicht im Kreise der Abgeordneten die leb hafteste Furcht geherrscht hätte/ noch mit dem Vertrage über den Zollanschluß von Hamburg sich befassen zu sollen. Solange ein Parlament beisammen ist, findet sich auch immer Stoff, und in einem großen Theile der Presse wurde beständig angekündigt, daß sich der Reichstag mit dem Hamburger Vertrage noch zu beschäftigen haben würde. Dem war nur dadurch zu entgehen, daß der Reichstag eher auseinandcrging, als die Hamburger Bürgerschaft ihren Senat zur Ratifikation des Vertrages ermächtigte. Gestern sollte die Hamburger Bürgerschaft die entscheidende Sitzung halten, gestern mußte die Session geschlossen werden. Der Reichstag hielt es demgemäß für gcrathen, die noth- wendigsten Sachen in thunlichster Geschwindigkeit zu er ledigen. Ein Versuch, ihn mit noch anderen Dingen zu beschäftigen als mit den dritten Lesungen der schon früher in zweiter Berathung erledigten Vorlagen, wurde siegreich abgeschlagen. Der Attentäter war diesmal Herr v. Kleist- Retzow, der eine umfassende Agitation gegen das Zivil- ehege setz in Szene gesetzt und als deren Frucht etwa 600 Petitionen eingcreicht hatte. Die Petitionskommis- ion hatte zu seinem größten Bedauern diesen Petitionen eine Gerechtigkeit widerfahren lassen, sie beantragte den Uebergang zur Tagesordnung. Gleichwohl, oder vielleicht eben deswegen, drängte es Herrn v. Kleist-Retzow, vcn Gegenstand zur Verhandlung im Plenum zu bringen, um daran eine fulminante Rede zu knüpfen, die vielleicht für die Wahlen ihren Eindruck nicht verfehlt hätte. Seine Genossen ließen ihn aber im Stich. Zwar fand er eine Anzahl Verbündete, die gleich ihm ein großes Interesse daran hatten, die Sache zur Verhandlung zu bringen; aber es waren gerade die Freunde der Zivilehe, die dar auf brannten, für die Wahlen klarzulegen, daß cs mit der Zivilehe gar nicht so schlimm sei, als es Herr v. Klcist- Rctzvw glauben machen wollte. Das Zentrum hatte an der Verhandlung ein Interesse überhaupt nicht, da das Zivilchcgcsctz der katholischen Kirche keinen Schaden gc- than hat, und die Konservativen schienen der Meinung zu sein, daß ein Beschluß des Reichstags, über die Petitionen zur Tagesordnung überzugehcn, ihrer Sache keineswegs besonders förderlich sein könne. So stellten sich bei der Abstimmung über die Frage, ob die Petitionen auf die Tagesordnung gestellt werden sollten, auf die Seite des Herrn v. Kleist-Retzow nur die Fortschrittspartei, die Se- zessionistcn und die Sozialdemokraten. Die erste That des Reichstags in der letzten Woche seiner Existenz war die Votirung des Reichsstempel- gcsetzes. Wie nach dem Ausfall der zweiten Lesung nicht anders zu erwarten war, entbrannte der Kampf zwischen Wcrthstcmpel und Fixstempcl, zwischen den Prinzipien der ausgleichcndcn Gerechtigkeit und der praktischen Brauchbarkeit auf's Neue. Nach einem kurzen Redckampfe fiel der Wcrthstcmpel mit Stimmengleichheit, 126 er klärten sich dafür, cbcnsoviele dagegen. Hätte der bairische Bierbrauer Brückl, ein im Verborgenen blühendes Zentrums- Veilchen, nicht in seiner Hcrzcnsunschuld gerade zu der Zeit, wo im Reichstage die Abstimmung stattsand, in dein gegenüberliegenden Leipziger Garten seinen Schoppen Bier getrunken, dann hätte sich die Sache ganz anders gestaltet, dann wäre die Börse heute mit einem Werthstempel be lastet, der, wie von verschiedenen Seiten überzeugend dar- gelcgt wurde, nur dazu hätte führen können, daß die Börse auf die schriftliche Fixirung ihrer Geschäfte über haupt verzichtet hätte. Aber Brückl zechte — und so mußte der Wcrthstcmpel ins Grab steigen und cs wurde nun mehr mit großer Majorität eM''Fixstempel angenommen, der etwas höher bemessen war, als man in der zweiten Lesung beschlossen hatte. Schlußnotcn über Comptant- geschäftc und Rechnungen werden mit einem Stempel von 20 Pfennigen belastet werden, Schlußnoten über Zeit geschäfte mit einem Stempel von I Mark. Für die Ge schäfte, welche die Börse abschlicßt, wird diese Summe kaum ins Gewicht fallen, denn gerade bei den Zeitgeschäften, die zu einem großen Theile Hazardspiele sind, wird man die eine Mark' nicht achten, wenn man hoffen kann, in einigen Wochen Hunderte, ja Tausende einzustccken, und das solide Geschäft wird die Abgabe von 20 Pfennigen neben der Kourtage des Maklers und der Provision des Bankiers kaum merken. Auf alle Fälle erwächst den Einzel- staatcn, denen die Steuer zu Gute kommen soll, eine nicht zu verachtende Einnahme. Die Gefahr der Defraudation, die beim Werthstempel sehr nahe gelegen hätte, ist beinahe ganz beseitigt, weil sich der Makler für seine Schlußnoten, der Bankier für seine Rechnungen gestempelter Formulare bedienen wird und die Mühe der Stempclbercchnung, auf welche die Börse bei ihrem hastigen Treiben mehr Werth legt als auf die paar Pfennige Stempel, ganz wcgsällt. Die Handelsverträge mit Ocsterrcich-Ungarn, der Schweiz, Belgien und Rumänien, die unter anderen Um ständen vielleicht eine große Debatte über Zoll- und Wirth- schaftspolitik veranlaßt hätten, wurden unter dem Drange der Geschäfte beinahe ohne Debatte erledigt. Eine kleine zollpolitische Debatte fehlt zwar nicht, sie wurde an die Mchlzollvorlage geknüpft und die Abgg. Rickert und Richter (Hagen) bemühten sich wacker, die Frage, ob Schutzzoll, ob Freihandel, möglichst klar zu stellen. Aber sie fanden wenig Gegenliebe. Von Seiten der Schutz zöllner vermied man es, die Debatte weiter auszudehnen, und so blieben die freihändlcrischen Reden in der Haupt sache Monologe. Mit Recht, denn wer sich in den letzten drei Jahren über diese Frage noch nicht klar geworden ist, der wird in seinem ganzen Leben zu dieser Klarheit nicht gelangen. Allerdings läßt sich die Befürchtung nickt unterdrücken, daß diejenigen Wähler, die in dem Kampfe der Argumente und Gegenargumente Klarheit nicht haben erlangen können, die Mehrheit bilden werden. Die letzte Arbeit des Reichstags bildete, nachdem über die Novelle zum Gcrichtskostcngesetz durch Verzicht auf die für die Regierungen unannehmbare Ermäßigung der Gcneralkosten ein Einvcrständniß erzielt worden war, die dritte Lesung des Unfallversicherungsgesetzes. Bevor dieselbe begann, waren mannigfache Gerüchte durch die Presse gegangen. Darnach sollte der Reichskanzler sich geneigt gezeigt haben, auf den Staatszuschuß zu verzichten, sobald die Zahlung der ganzen Prämie dem Betriebs- Unternehmer auserlegt würde, statt, wie in der zweiten Lesung beschlossen worden war, zu zwei Dritteln dem Betriebsunternehmer, zu einem Drittel dem Arbeiter. Um diese Mehrbelastung einigermaßen auszugleichen, sollte die Last auf der andern Seite etwas vermindert werden durch