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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 13.03.1912
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1912-03-13
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19120313024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1912031302
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1912031302
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1912
-
Monat
1912-03
- Tag 1912-03-13
-
Monat
1912-03
-
Jahr
1912
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Abend-Ausgabe 114882 Tel.-Auschl.j 14 SSL > 14894 , s 14 832 lN°cht„!chl»»Z Tel.-Anschl.! 14 «93 f 14 894 Amlsvlalt des Rates und des Noki.reiamtes der Ltadt Leipzig. iWigerTagMM Handelszettung BezugS-Vreit Ur k«1p,ia >»d P.rorte durch mrkr, »ckaer uud Epedtteur« r»al täglich t», hau» grdracht: » Vt- monatl., L7d Ml. »ierieliahrl. Vet unlern Filialen «. Un- »hmeftellen adacholt: 7S PI. monatU, L»M». vierteljährl. Durch dl« Putz: tunihalb Deuiichland, und der deutschen Kolonien vlerteljöhrl. L.SU Ml., monatl. ILl Ml. auojchl. Poftdeftellaeld. Ferner in Belgien, Dänemark, den Donauftaaten. Italien, Luremdura, Niederlande, Nor wegen, Oesterreich »Ungarn, Nuhland, Schweden, Schweiz u. Spanien. In allen übngen Staaten nur direkt durch di« lbelchäftoftell« d«, Blatte» erhältlich. Da» Leipziger Tageblatt erscheint 2 mal täglich. Sonn» u. Feiertag» nur morgens. Ldonnement»»Nnnahme: 2»ha»ni»ga8« 8» Lei unseren Trägern, Filialen. 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DS8 Wichtigste. * Während in den Bezirken Dortmund, Hamm und Herne drei Viertel der Arbei ter streiken, hat sich die Streiklagc in den Ge bieten Essen, Gelsenkirchen und Ober hausen nicht verändert. (Siehe bes. Bericht.) * Die Tarifbewegung der Leipziger Bauklempner ist beendet. (S. Leipzig u. Umgeb.) * In Leipzig starb der Geheime Hofrat und außerordentl. Prof, der Universität Dr. Schreiber, der Direktor des Städtischen Mu seums. (S. Leipzig.) * Bei einer Explosion an Bord eines englischen Dampfers in der Nähe von Bom bay fanden zahlreiche Menschen den Tod. (S. Tageschr.) Dev Bergcrrbeiterstreik. vorläukg keine Gntlenüurrg von Militär ins Ruhrrevier. (Don unserem Spezialberichter st alter.) XX Düsseldorf, 13. März, vorm. 10 Uhr. Die Meldung verschiedener Blätter, wonach Mili tär in die besonders bedrohten Gegenden (also nach Hamborn und Dortmund) geschickt werde, wird uns von der KöniglichenRegierungzuDüssel- dorf dementiert mit dem Bemerken, daß eine derartige Absicht vorläufig noch nicht vorliege, viel mehr seien in den gefährdeten Revieren die Schutz - Mannschaften erheblich verstärkt und angewiesen worden, schärfer als bisher bei Unruhen und Ansammlungen vorzugchen. In denjenig n Re» vieren, wo dieser Schutz ausreichend ist, zeigt sich auch heute morgen keine Aenderung. Nunmehr haben sämtliche Zechen nur ein« ein- zigeTagesschlcht. In den unruhigeren Re» vieren, wie in Dortmund, ist der Schachtansang auf 3 Stunden (um 7, 8 und 9 Uhr vormittags) verlegt worden, damit die dortigen Schutzmannschaften die einzelnen Einfahrten zu jeder Stunde bester über wachen können. Infolge dieses späten Schachtanfangs sind Angaben über die Zahl der Ausständigen erst später als sonst zu machen. Schwere Ausschreitungen bei Hamborn. Hamborn, 13. März. Gestern abend kam es in Obermarxloh zu schweren Ausschreitungen. Als eine Anzahl Arbeits wütiger von einem Polizeiaufgebot nach ihren Woh nungen begleitet wurde, entwickelte sich ein Kampf zwischen Streikenden und den Polizeimannschasten. Die Polizei wurde mit Steinenbeworfen. Aus d«n Fenstern der Häuser wurden ca. 290 Schüsse auf sie abgegeben. Die Ladenbesitzer waren ge zwungen, ihre Läden zu verbarrikadieren. Der Mob zertrümmerte die Straßenlaternen. Eine Laterne wurde umgeworfen und das ausströmendr Gas an- gezündet. Erst nach mehreren Zusammenstößen gelang es der Polizei, die Ruhe wiederherzustellen. Viele Polizeibeamte, darunter zwei Kommissare, wurden durch Steinwürfe erheblich verletzt. Unter den Verletzten befindet sich auch ein zehnjähriger Knabe. Am Nachmittage weilte Regierungspräsident Dr. Kruse aus Düsseldorf auf dem Kampfplatze der vorgestrigen Krawalle. In einer außerordentlichen, dringenden Stadtver ordnetenversammlung wurde beschlossen, zu gestatten, daß für die Dauer des Streiks auf de: Gewerkschaft „Deutscher Kaiser" eine Schutzwehr von 52 Mann und auf der Zeche Neumühl eine solch« von 22 Mann eingerichtet werde, welche aus Beamten der Gewerk schaft „Deutscher Kaiser" gebildet werden solle. Die Schutzwehren haben Polizeirechte und werden mit Pistolen und Polizeiknütteln ausgestattet. Ihre Aufgabe ist, die Zechenanlagen und Arbeits willigen zu schützen, doch sollen sie nur mit Polizei» beamten auftreten. — Nachmittags wurden wiederum zahlreiche Verhaftungen vorgenommen. Das erste Todesopfer des Ausstandes. (Von unsrem Spezialberichterstatter.) XX Herne, 13. März, mittags. Als heute vonnittag bei der Anfahrt auf Zech« Julia (Harpener Bergwerksgesellschaft) die Schutz leute für die Arbeitswilligen Ordnung schaffen wollten, wurden sie mit Steinen beworfen und auch vereinzelt beschossen. Als dann die Polizei» Mannschaften unter Führung eines Kommissars nach einer benachbarten Zeche marschierten, um auch dort für die Einfahrt Ordnung zu schaffen, stellte sich ihnep unterwegs ein Trupp Str «ikender. hauptsäch lich jüngere Burschen, entgegen und griffen die Be amten an. Daraufhin befahl der Kommissar, von der Schußwaffe Gebrauch zu machen. Es wurde nur aus einem Karabiner auf den Anführerder Bande geschossen, der durch den Kopf getroffen tot nied er fiel. Infolgedessen flohen die übrigen An greifer. Der Getötete ist ein 17jähriger Zechen arbeiter, der einer Familie entstammt, von der zahl reiche Mitglieder wegen Raubes und gefährlicher Körperverletzung langjährige Gefängnisstrafen er litten haben. ' Oie Grütze ües Streiks sm KUttworkurtttsy. (Don unserm Spezialberichterstatter.) XX Düsseldorf, 13. März, mittags 12 Uhr. Es stellt sich immer mehr die Tatsache in den Vordergrund, daß in den ruhigeren Revieren. in Esten, Gelsenkirchen und Oberhausen, der Streik in normalen Bahnen verläuft und knapp di« Hälfte der Bergarbeiter umfaßt, wogegen in den gefährlicheren Revieren, wie Dortmund, Hamm und Herne, ungefähr drei Viert«! der Arbeit«! streiken. Auf einzelnen Zechen des Oberhausener Reviers hat sogar die Zahl d«r Arbeitswilligen zugenom men. Auf der Zech« „Rheinpreußen" arbeiten sogar 70 Prozent der Bergleute. Die Folgen ües Berasrveiterltreiks. (Don unserem Spezialberichterstatter.) Aus den Kreisen der weiter verarbeitenden Eisen industrie wird uns darüber Klag« geführt, daß die Syndikate und Verbände die Rohstoffe (Halbzeug und Walzdraht usw.) nicht mehr in den vertraglichen Mengen liefern. So werde z. B. Wa lz- draht nur für den täglichen Gebrauch geliefert, und zwar mit der Begründung, daß man «ine Schiffs ladung für das Ausland fertigstelle. Die Drahtwerke meinen aber wohl mit Recht, daß der Verband zu nächst einmal oas Inland genügend versorg«, eh« das Ausland mit größeren Mengen bedacht werd«. Ferner muß sestgsstellt werden, daß die Kohlennoi tat sächlich schon zu Betriebseinschränkungen in der Eisenindustrie zwingt, namentlich fangen die kleineren Betriebe, die keine größeren Kohlenvorräte haben, an, mit Einschränkungen zu arbeiten. Einzelne Werke müssen bereits zur Kün digung von Arbeitern übergehen. So wird uns be richtet, daß zwei größere Zementwerke zahlreichen Arbeitern gekündigt haben, weil die Fabriken nur einen Kohlenvorrat für 14 Tage haben. Die Kün digung tritt nur dann in Kraft, wenn der Berg arbeiterstreik länger als 14 Tage dauert. Weiterer Rückgang de» Ruhrzecheuversaude,. (Bon unserem Spezialberichter st alter.) XX Essen. IS. März. Nachdem am Montag der Versand der Ruhrzechen an Kohlen, Koks und Bri ketts Mit-der Eisenbahn von- 246 84a auf 169 270 Tonnen zurückgegang«n war, betrua er am gestrigen Dienstag, am zweiten Tage des Ausstandes, nur 121 600 Tonnen. Er beträgt also noch nicht ein mal die Hälfte des Versands in normalen Zeiten vor dem Streik. Ein« weitere Abnahme wird in Len nächsten Tagen eintreten. Im nachstehenden können wir die Aeußerungen einzelner Bergwerksverwaltungen über die Zahl der Arbeitswilligen mitteilen. So schreibt uns die Gelsenkirchener Bergwerksgesellschaft, daß zu der heutigen (Mittwochs-) Schicht ungefähr 50 Proz. angefahren sind und Ausschreitungen nicht vorkamen. Die Har, pener Bergbaugesellschaft erklärt uns, daß auf ihren sämtlichen Zechen die Zahl der Strei kenden ungefähr dieselbe wie gestern geblieben war. Dagegen ist eine Zunahme zu verzeichnen beim Aplerbecker Aktienoerein, wo von 1056 Arbeitern nur 146, auf Zeche Ewald, wo von 6666 nur 1548, ans Zeche Consolidation, wo von 4368 nur 2358, auf Zech« Pluto, wo von 4344 nur 931, auf Zeche Zentrum, wo von 4179 nur 1607 und auf Zeche Viktor, wo von 4771 nur 1841 Mann erngefahren sind. Die Besprechung der Zentrumsinterpellation über den B e r g a r b e i t e r st r e i k im Ruhrgebiet wird, wie aus Berlin gemeldet wird, voraussicht lich am Donnerstag oder Freitag im Reichstag« statt» finden. * Die Lage in England- Die Londoner Presse äußert sich heute optimistisch über d>c Aussicht auf Beilegung des Ausstandes der Kohlenarbeiter. „Daily News" legen Gewicht darauf, daß auf der gestrigen Konferenz eine Unterkommission von Grubenbesitzern und Bergleuten eingesetzt wor den ist, die die M i n i m a l l o h n sä tz c erörtern soll. Nach der „Times" hat gestern ein Mitglied des Kabinetts privatim erklärt, die Mehrheit der Grubenbesitzer und der Bergleute könne sich binnen 48 Stunden über die Ariedensbcdingungen einigen, wenn die jetzigen Verhandlungen fortgesetzt würden. Der Serresetst IS 12. Von Generalmajor z. D. v. Loebell. Der Heercsctat bringt, da er sich genau an das Quinquennatsgesetz hielt, wenig Neues. Er enthält außer der Einrichtung einer Lehr-- und Versuchsanstalt für das Militärflugwesen nicht einmal die erwarteten großen Mehrfordcrungen auf diesem Gebiet. Diese wie die anderen be kannten notwendigen Forderungen enthält die sehnlichst erwartete Wehrvorlage. Lo vermögen die Franzosen noch eine Zeitlang von dem Un tergang des Deutschen Reiches zu träumen und die Vernichtung der Armee vermittelst französi- scher fechtender Flicgerdctachemcnts zu prophe zeien. Bedauerlich bleibt die französische Ueber- legenheit auf diesem Gebiete unter allen Um standen, fest aber auch unsere Zuversicht, sie bald ausgeglichen zu haben. Wenn man auch in deutschen Armeekreisen den Wert der Flug zeuge nicht überschätzt, so sind sie doch ein wert volles .Hilfsmittel zur Aufklärung. Frankreich richtet alle seine Bestrebungen auf die Vorbe reitungen eines Krieges und dürstet nach Her beiführung der Abrechnung, so schreibt die „France militaire", und danach handelt die fran zösische Armeeverwaltung. Wir haben daher alle Ursache, stets von neuem Umschau zu halten, um festzustellen, ob auch wir zum Kriege gerüstet sind. Da ist vor allem anerkennend hervor zuheben aus dem Heercsctat 1912, daß der Pferdebestand der Fcldbatterien, freilich in sehr geringem Umfange, um je zwei Zugpferde erhöht werden soll; auch die Trainbalaillone erhalten je 20 Reitpferde mehr und die vier Funken^ kompagnien der Telegraphenbataillone erhöhen ihren Pferdebcstand um je 14 Reit- und 20 Zug pferde, außerdem werden 5 Bespannungsabtei» lungcn für die Fußartillcrie neu errichtet. Es handelt sich demnach um eine starke Vermehrung der Dienstpferdcetats. Leider bleiben wir aber Line Stunüe zu spät. 2) Roman von A. von Liliencron. (Nachdruck «erboten.) Die beiden Freunde bogen jetzt soeben um eine Straßenecke, als sie nicht weit vor sich einen Knaben fallen, der mit beiden Armen ein kleines Mädchen umklammerte, das sich heftig wehrte. Kerkau eilte hinzu. „Losgelassen, du Schlingel." rief er. In der Dämmerung konnte er nichts Genaues unterscheiden und glaubte nur. es handle sich um eine knabenhafte Noheit. Der Junge fuhr erschrocken zusammen und diesen Augenblick benutzte die Kleine. Geschmeidig w-e «ine Eidechse entschlüpfte sie und eilte auf Kerkau zu. Der fing das Kim» in den Armen auf. „Er will mir das Taschentuch wegnehmen, das du mir geschenkt hast," schluchzte Bärbchen, „aber ich gebe es nicht, ich gebe es nicht. Das Geld hat er mir schon weggenommen." Siersbeck hatte bereits den Missetäter beim Kra gen gefaßt und schüttelte ihn derb. „Warte, 'ch werde dich lehren, der Kleinen noch einmal zu nahe kommen. Sofort gib das Geld heraus!" Heulend holt« der Junge das Verlangte hervor; dann wurde er mit einem kräftigen Denkzettel auf den Weg gebracht. „Wo bist du zu Hause, Bärbchen?" fragte Kerkau. Das Kind nannte ein Gäßchen am Küstriner Tore, und ihr Beschützer meinte, zum Freunde ge wandt: „Komm, Siersbeck. wir woÄn das Kind nach Hause bringen; wer weiß, ob ihr der Schlingel nicht auflauert." Plaudernd schritten die Freunde die Richtstraße hinab, das Kind immer hinter ihnen her. „Da ist dein Haus," sagte Kerkau; „nun lauf und bringe deiner Mutter deinen Schatz." Zn seine herabhängende Hand schoben sich «in paar kleine Finger. „Ich danke dir auch schön," flüsterte Bärbchen ihm zu, und in scheuer Zärtlichkeit drückte sie einen Augenblick ihre Wange an seine Hand. Er streichelte ihr 5>aar. „Wo ist denn in dem Hause eure Wohnung?" Die Kleine wies auf ein erleuchtetes Fenster. „Da unten im Keller, wo die Lampe steht." Kerkau warf einen Blick hin. Das Haus sah zer fallen aus. der Hof daneben schmutzig, und in dem bezeichneten Fenster war «ine Scheibe mit Pavier verklebt. Sein stark ausgeprägter Schönheitssinn fühlt« sich peinlich berührt. Ein« Frau steckte den Kopf aus dem Kellerfenster. Scharfe Züge, ein schmaler, harter Mund, und unruhig flackernde Augen. Das Licht, das sie in der Hand hielt, ließ das genau erkennen, auch den verwilderten Zustand ihrer schwarzen Haare. „Die Mutter!" sagte Barbara ängstlich; „sie wird böse sein, daß ich so spät komme." Wie ein Schatten huschte sie davon. Kerkau nahm den Arm des Freundes. „Das ist also di« Mutter, der schwarze Rabe zur weißen Taub« — nun verstehe ich. wie ein paar freundliche Worte das Kind so beglücken konnten." Zweites Kapitel. Am nächsten Tage war das Wetter schwül; die Sonne stach, und wenn sie sich auch einmal hinter Wolken verbarg, so strahlte sie doch auch hinrer diesem Schleier brennende Glut aus. Kerkau saß an seinem Arbeitstisch«, Bücher und dicke Bände um sich herum, alles in erreichbarer Nähe aufgestapelt, und vor sich einen Bogen Papier, über den er di« Feder 'N raschen Zügen gleiten ließ. Er arbeitete, und zwar mit dem Ernst und dem Eifer, die er auf jede Sach« zu wenden pflegte, die «r in die Hand nahm. Doch heute lähmte die Nachmittagsschwüle seine Spannkraft und er schwerte ihm das Denken; wiederholt ließ er die Feder ruhen und sah traumverloren aus dem Fenster, aber immer von neuem versuchte er, die Arbeit wieder aufzunehmen. Endlich gab er dem inneren Drängen nach, schob die Schreiberei weg und stützte den Kopf in die Hand. Seit gestern abend verfolgte ihn «ine Weise; sie gaukelte um ihn her wie ein neckischer Schmetter ling und er meinte, jetzt könnte er sie fassen, dann zerfloß sie. um bald wieder aus weiter Ferne aufzu tauchen. klingend und tönend, winkend und lockend. Vergebens hatte er sich seitdem gequält, di« Weise, die ihn wie ein Irrwisch umkreiste, auf der Geige zu spielen. Sie ließ sich durchaus nicht sesthalten. In brütend heißer Stille lag alles um ihn her; nur «in paar Fliegen summten am Fenster, und di« alte Uhr tickte schwerfällig. In sein« Erinnerungswelt versunken, sah er Tannenwald« vor sich austauchen. Dort sah er unter der Linde, die Geig« im Arm. und vor ibm stand lein blondlockiges Schwesterchen; si« versuchte, mit Heller Stimme das Lied zu singen, das er spielte. Er hatte die schwermütige Weise einmal gehört, aber wo, dessen erinnerte er sich nicht mehr. Junge Burschen hatten sie auf der Straße gesungen, und von da ab war sie ihm nachgegangcn. Die Worte hatte er da mals kaum beachtet, nur der Schlußreim war ihm im Gedächtnis haften geblieben, jetzt aber ebenfalls ent schwunden. Er wühlte in seinem Haar, als wolle er das Der- gessene aus dem Kopfe herausgraben. „Mondelang — lehnsuchtskrank; süße Pein — denk ich dein", mur melte und summte er dabei. „Ja, so war es. aber wie weiter?" Er sprang auf. ging «in paarmal rasch im Zimmer auf und ab, nickte und lächelte. Und dieses Lächeln wurde immer Heller, immer siegesfroher. „Endlich habe ich's", rief er, griff nach der Geige, öffnete weit die Fenster und atmete auf, wie von einer Last befreit. „Stilles Glück. Komm zurück. Ich bleib dein, Wie du mein" flüsterte er, sich auf den nächsten Reim besinnend. Nun setzte er den Bogen an. Nicht mehr zaghaft und tastend suchte er die Weise, sondern in vollen Strichen klang und sang die Geige. Draußen erschollen Wagenrollen und Pferde- getrappel. Bruno beachtete es nicht; er blickte erst auf. als seine Tür mit einer gewissen Hast geöffnet wurde. Auf der Schwelle stand, streng nach der fran zösischen Mode gekleidet, «in Herr, dessen wohlge- pflegtes Gesicht eine Perücke umrahmte. „Mein Vater!" murmelt« Bruno, brach das Lied jäh ab und legte die Geige weg. „Ich hatte nicht erwartet, daß mich solch« Musik hier empfangen würde," so redete der Kammerherr von Kerkau seinen Sohn an. Der ging ihm zögernd entgegen, und das Blut stieg ihm heiß in die Schläfen. „Ihre Gegenwart allein genügt, um meine Geige sofort zum Schweigen ?u bringen, entwortete er. Der alte Herr zeigte mit dem goldenen Knopf seines langen spanischen Rohrs auf den Arbeitstisch des Sohnes und bemerkte, indem er auf die Bücher blickte, in wohlwollendem Tone: „Wenigstens scheint doch auch da, Studium zu seinem Rechte zu kommen." „Um zu studieren, bin ich auf der Universität. Sie dürfen gewiß sein, mein Vater, daß ich diesen Zweck nia au, dem Lug« lasse." Recht herb und gemessen klang diese Erwiderung. Der Kammerherr, ein vornehmer Lebemann, dabei rasch aufbrausend, und herrisch in seinem Wesen, konnte sich schlecht in die Eigentümlichkeiten des Sohnes finden. Es ärgerte ihn, daß dieser fo wenig Verständnis für Genüsse hatte, die ihm. dem Vater, noch immer begehrenswert erschienen. Heute war er gekommen, um einen Zukunftsplan einzuleiten und dem Sohne diesen seinen Lieblingswunsch mund gerecht zu machen. So willkürlich auch der Kammer herr in seiner Familie herrschte, so wußte er doch, daß sei"e Wünsch« bei dem Sohn« nur bis zu einer ge wissen Grenze durchzusetzen waren. Er mußte also, wenn er sein Ziel erreichen wollte, vorsichtig zu Werke gehen. Behaglich ließ sich der Kammerherr auf den ein zigen bequemen Stuhl nieder, den das Zimmer auf wies. und den der Sohn ihm hinschob. „Du hast recht, mein Junge", sagte er; „was du einmal anfängst, das willst du auch durchführen. Du wirst es auch mit dem Studium schaffen. Aber du weißt, das Gequieke auf der Geige kann ich nicht leiden." „Ich denke, wenn ich sonst meine Pflicht tue. könn ten Sie mir diese Liebhaberei zugute halten." Der alte Herr spielte nachlässig mit seinem Stocke. „Wenn ich nun aber doch, kraft meiner väterlichen Gewalt, die Auslieferung der Geige verlangte?" „Mein Vater", erwiderte Bruno laut, „ich bin kein Knabe, dem man nach Willkür ein Spielzeug wegnimmt." Der Kammerherr sah ihn scharf an. eine Falte zwischen den Brauen. Dann warf er den Kopf zurück und lachte hell auf. „Kindskopf! Daß du auch keinen Spaß verstehst? Ich weiß ja. daß du das Fiedeln nicht lassen kannst, also ich streiche die Segel vor dieser Grille meines Sohnes und wünsche nur. mit dem Zuhören verschont zu bleiben. Einverstanden?" „Vollkommen!" Ein Donner rollte in der Ferne und vereinzelte schwere Tropfen schlugen in das geöffnete Fenster herein. Bruno schloß eilig die Fensterflügel. „Mein Kutscher hält vor der Tür: sage ihm. er soll nach der Ausspannung an der nächsten Ecke fahren", rief ihm der Vater zu. (Fortsetzung in der Morgenausgabe >
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