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Vor -er Entscheidung Die unmögliche Lage öer sozialdemokratischen Parieiminister iDrahl Meldung uiiserer Berliner Schrlstlcltung» Berlin, 18. Nov. Das Rcichskabincit ist heute vor mittag zu einer Beratung ziisamiiieiigetreteii. um über die an «tchaebcndcr Stelle nach wie vor als ernst betrachtete parla mentarische Lage abschließend zu beraten. Eine Klärung ist entgegen anderslautenden Meldungen als gegeben zu erachten, »icwohl der „Vorwärts" heute morgen bemüht ist. sich einer weniger ansgcrcgtcu Tonart zu befleißigen. Man mache sich doch noch einmal die Lage klar: Wir haben eine im wesentlichen sozialdemokratische NeichSregiernng. Die stärkste Partei dcS Reichstags, die Sozialdemokratie, bringt einen Antrag ein, gegen den sich neben dem NcichSwchrminister auch der Reichs präsident kategorisch ausgesprochen haben. Das Zentrum, das durch einen Minister im llabinctt mitvertreten ist, steht auf dem Standpunkt, daß die sozialdemokratischen Rcichsminister Uicht für diesen Antrag stimmen dürsen, der von einem Kabincttsmitglied abgelehnt wird. Die sozialdemokratische Fraktion bcschliestt daraus das (Gegenteil. Für die sozialdemo kratischen Ncichöministcr entsteht nun die Frage, was sie tun sollen, wenn der Panzcrkreuzcrantrag ihrer Partei abgclchnt »der angenommen wird. Für den gesunden Menschenverstand gibt es im AblchnnngSsalle nur einen AnSwcg: Rücktritt der sozialdemokratischen Reichsminister. Die aber wolle« nicht gern pp« de« Ministersesseln scheide« und klammern sich an - allerhand Ansslitchte. Krisen und Neuwahlen sind ihnen unbequem. Aber brausten lm Lande rebellieren die mit pazifistischem Gerede voll- gepnmpten Wählcrmassen und drohen zn den Kommunisten »»egzulaufen. Die sozialdemokratischen Führer haben sich also 1« Netz ihrer eigenen Agitation verfangen. Wer kan» genau voransschcn, wie sic sich da hcraussitzcn werden? ' Es gibt also zwei Mdglichkeitcn: Entweder der sozial demokratische Antrag ans Einstellung des Baues des Panzer kreuzers wird angenommen, dann tritt -er Reichswehr- minister zurück, nnd wahrscheinlich auch der Reichsverkehrs minister Gmrard vom Zentrum. Hieraus »nutz, da der Reichspräsident sich mit Grüner solidarisch erklärt hat, Hinden- burg eingreisen, denn die Ernennung neuer Minister steht ihm ans Vorschlag des Reichskanzlers zu. Es ist aber nicht anzunehmcn, dast in einen, solchen Falle der sozialdemo kratische Reichskanzler einen Mann nominiert, der ebenfalls ans dem Standpunkt des Reichspräsidenten steht, dast der Bau des Panzerkreuzers fortgesetzt werden müsse. In einem solchen Falle würde Hindcnburg immer wieder erklären müssen, dast ein solcher Rcichswchrministcr ihm nicht genehm sei. Die Folge müstte eine Krise des Kabinetts fein, Rück tritt des Reichskanzlers und im Anschlust daran Rcichstagsanslösung mit miserabel schlechten Mahl- propagandabedingungcn für die Sozialdemokratie. Oder die andere Möglichkeit, die zurzeit als die wahrschein lichere angcnoinincn wird: Der Panzcrkrcnzerantrag der Sozialdemokratie wird abgelchnt. Dann cnisteht eine un mögliche Lage für die sozialdemokratischen P a r t c i m i n i st c r, die mit einem noch weiter nm sich greifenden Krach in ihrer eigenen Partei rechnen müssen. Nun, die Sorgen der sozialdemokratischen Parteigröstcn sind nicht die unseren nnd man kann ruhig abwarten. wie sich die Dinge sür die Sozialdemokratie in einem solchen Falle entwickeln würden. Heute nachmittag 3 Uhr beginnt n»n die entscheidende Debatte. Es liege« vor: eiygrgl der sozialdemokratische An trag a»f Einstellung des Baues von Panzerkreuzern; in zwischen haben die Kommunisten eine Interpellation ein- gcbracht nnd einen ähnlichen Antrag wie die Sozialdemo kraten. Erst heute im Reichskabinctt wird sich entscheiden, ob der Reichskanzler sür die Negierung eine Erklärung for mellen Anhalts vortragen wird. NcichSwehrmiiiister Grüner wird seine Gründe für die Ablehnung des Antrages Vor bringen. Für die Sozialdemokratie spricht der Parteiführer Wels, sür die Dentschnationalen der Abg. Trevira« ns. für die Vokkspartei wahrscheinlich Admiral Brüninghaus sür die Demokraten Dr. Haas. Der Zentrumsredncr steht noch nicht fest. Man rechnet mit einer Debatte, die bis morgen lausen wird. Am Lause der Nachmittagöstunden am Frci- t a g wird dann die Absti m mnng erwartet. Zur Kriegsschuldfrage Von Staatsiniinster a. D. v. Seydewitz Der frühere englische Außenminister Lord Greg hat sich i» dem Vorwort zu der neuen Auslage seiner Erinne rungen in bemerkenswerter Weise zn dem Kriegsschnldartikcl im Versailler Fricdenödiktat geäustcrt. Er bezeichnet die Ausnahme dieses Artikels als bedauerlich, weil cs keinen moralischen Wert habe, die Unterzeichnung von Schuld bekenntnissen zu erzwingen. Hiermit hat er zwessellos recht. Wenn er aber sorlfährl, der Artikel sei zur Stützung des Anspruches ans Reparationen nicht crsvrderlich. weil Repara tionen von einem geschlagenen Feind gewöhnlich als Selbst verständlichkeit gefordert werden, so ist dieser Hinweis hier völlig fehl am Platze. Denn cs handelte sich bei den Forde rungen des F-ricdensdiktales keineswegs um Kriegs entschädigungen der sonst üblichen Art. sondern um ganz anstcrgewöhnliche Leistungen, nnd zwar grösttenteils um solche, die mit den vor Abschlnst des Waffenstillstandes vom II. November lülll ans Grund des bekannten Wilson-Pro gramms in der Note vom 5. -November feierlichst zu- gesagten Bedingungen in kci n er Weise z n vereinbaren waren. Zur Rechtfertigung dieses fla granten Rechtsbrnchs bedurfte cs allerdings eines besonderen Rcchtsbodens nnd diesen sollte Artikel 231 des Diktats liefern, worin gesagt wurde, dast Deutschland als Urheber sür alle Verluste und Schäden verantwortlich sei, die den assoziierten Regierungen und ihren Staatsangehörige» infolge des Krieges, der ihnen durch den Angriff Deutschlands ausgczwnn. ge» wurde, erlitten haben. Nur ist der fehlende Rcchtsbode» damit in allerwege nicht gewonnen worden, da die dort ans- gestellte Behauptung von öer Schuld Deutschlands am Kriege mit der Wahrheit in vollstem Widerspruche steht. An der Hand der im Juli 1!>14 geführten urkundlich fest, gestellten Korrespondenzen und nach der Reihenfolge der da. maligen Vorgänge ist nicht nur von deutscher Seite, sondern anch wiederholt von anderer Seite einwandsrei nachgewicsen worden, dast eS die Alliierten waren, denen -er Ausbruch des Krieges z u r Last fällt, — vergleiche als erste entscheidende Kriegshandlnng die russische Mobil, machung —, während die deutschen Organe — der Kaiser vcr- eint mit dem Kanzler — bis Anfang August unablässig aus das eifrigste bemüht waren, den Frieden zu erhalten. Für jeden denkenden Beobachter aber ergibt sich die Be antwortung der Kriegsschuldfrage weiter noch mit zwingen, der Notwendigkeit aus der damaligen politische» Lage der beteiligte» Grvstmächte: Deutschland war, nachdem es das widerrechtlich geraubte Elsast-Lothringen zurückerhalten hatte, wie man zu sagen pflegt, saturiert, c s h a t t e k c i n e n st i ch. haltigen Grund zur K r i e g s s ü h r u » g; eS wollte d c u K r i c g n i ch t u n - c S 5 o n n t e ihn gar nicht wollen, cs war zufrieden, wenn cs seine Machtstellung behielt und wenn es seine Bevölkerung weiter zum Wohlstand führen konnte. Ganz anders aber die Alliierten: Frankreich wollte Elsaß-Lothringen wiederhaben, Rußland strebte nach dem Besitz von Kvnstantinopcl nnd wünschte eine Demütigung des benachbarten Oesterreichs, England aber wollte sich de» in der Sccgeltnng und im Wirtschaftlichen äußerst unbequemen dcnlschen Kvnlurrenten vom Halse schasse». Aus dieser ge- mciiisamc» Gegnerschaft gegen Deutschland basierten die schon seit Jahren geführten, in erster Linie von Frankreich in spirierten diplomatische» Verhandlungen, deren Erfolg die Einkreisung Deutschlands durch die sogenannte Entente mar. Danach wäre cs ein unverständlicher und von ihrem Stand punkt aus unverzeihlicher Fehler gewesen, wenn die am Ruder befindlichen Staatsmänner der Fcindmächte nicht die durch den Mord von Sarajewo und seine Folgen gebotene Gelegenheit benutzt hätten, in gemeinsamem Kampfe gegen das lästige Deutschland vorzugchcn. Nicht also Deutsch, lanö trägt die L H n l ö am Kriege, sondern das Z u s a m m c n st c h e n der alliierten Großmächte. Bei den bevorstehenden Verhandlungen über eine Neu» regelung der Reparationslasten wird die KricgSschnldsrage, mit der nach einer früheren Acnsternng von Llvnd George der Versailler Frieden steht oder fällt, eine wichtige Rolle zn spielen haben. Ta sie der einen Seite zur Stützung hoher Forderungen dient, muß sie von der anderen Seite zur Er mäßigung unmäßiger Ansprüche ins Feld geführt werden. Es empfiehlt sich daher ans das dringendste, daß sich die deutsche Ocsfentlichkeit und insbesondere die deutschen Ver- treter eingehendst mit den einschlagenden Gesichtspunkten vertraut machen; und hierbei dürsten die vorstehenden Ans. fnhrnngcn wohl besondere Beachtung verdienen. Das Totenschiff „Beftris" Schon vor dem Krieg seeuntüchtig Hamburg, 18. Nov. Ucbcr die Ursache der Katastrophe des englischen Dampfers „Vcstris" äußert sich der Kapitän eines Hamburger Ucberscedampfers, der über die Struktur des DampfsrS „Vcstris" genau unterrichtet ist. Dieser Sach verständige lehnt die bisherigen Angaben, daß das Schiff in folge einer Verschiebung der Ladung und der daraus ent standenen Schlagseite den Stürmen zum Opfer gefallen sei, ab. Er glaubt vielmehr, daß die „Vcstris" an ihrer eigenen Sceuntüchttgkcit zugrunde gegangen war. Das Schiff habe schon seit über zehn Jahren nicht mehr zur Lloydklassc la ge hört. Er habe gerade in der letzten Zeit viele Leute, darunter anch Deutsche, gesprochen, die auf der „Vcstris" gearbeitet hätten. Alle diese hätten übereinstimmend ausgesagt, daß das Schiss „ein klappriger Kasten" sei. Wiederholt seien auf ihren letzten Fahrten neben aus gedehnten Maschinenschäden ttndichtnngen entstanden, die teilweise unter der Kiellinie lagen. Die Schifssplanken seien alt und vielfach zerbrechlich gewesen und hätten selbst einem mätzigen Sturm nicht widerstehen können. Schon vor dem Krieg habe das Schiss einmal infolge einzelner Undichtig keiten nur mit Mühe nnd Not einen Hafen erreiche« könne«. Partkibesthl an den Kanzln Dir sozialdemokratischen Minister müssen gegen den Panzerkreuzer stimmen Reue Beratung des Zentrums Berlin. 14. Nov Die sozialdemokratische Reichs- tagsfraktion hielt am Mittwochabend eine Sitzung ab, in der nach einem Referat des Reichskanzlers Müller be schlossen wurde, daß alle Mitgliedcrdcr Fraktion, einschließlich der Kabinetts Mitglieder, dem Antrag aus Einstellung des PanzcrkrenzcrbaucS zuzustimmen haben. * Unsere Berliner Schristleitnng meldet noch: Der Abg. Wels, der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Partei, wird den Antrag der SPD. aus Einstellung des Panzer- krenzerbaues, von dessen Bansiimme in Höhe von AI Millionen 88 Millionen Reichsmark aus Arbeitslöhne entfallen, begrün den. Wels wird nur das wicdergebcn. was seit Wochen in der sozialdemokratischen Presse vvrgcbracht worden ist. Der N e i ch s w c h r m i n i st c r wird sich dann mit dem sozial demokratischen Verlangen auSeinandersctzen. Es heißt, anch der Reichskanzler werde das Wort nehmen, um der kommunistischen Interpellation gegenüber den KabinettS- beschluß aus Jnangrissnahme des Baues zu rechtfertigen. Von den demokratischen Ministern weiß man noch nicht, wie sic sich verhalten werden. Die demokratische Reichs- tagsfraktivn wird die endgültige Entscheidung erst am Donnerstag vor der Plenarsitzung trcssen. Da die Deuts ch- nationalen dem Reichspräsidenten versichert habe» sollen, gegen den TPD.-Antrag zu stimmen, und die Demokra ten sich aller Voraussicht »ach wohl der Stimme enthalten werden, so wäre die Ablehnung des Antrages sicher und damit das ganze Panzcrkrcuzcrzwischcnspicl erledigt gewesen. Run aber ist eine neue Schwierigkeit entstanden. Zu dem Beschluß der sozialdemokratischen Fraktion, daß sich -er Reichskanzler für de» Antrag seiner Partei aussprechen muß, also aus diese Weise einen Ressortminister, Grüner, dcS- avouieren soll, wird mit vollem Recht von Zeutrnmsscitc erklärt, daß eine solche Haltung des verantwortlichen Leiters des Kabinetts eine Unmöglichkeit sei, die man nicht so ohne weiteres hinnchmen könne. Bei Verhandlungen, die am Nachmittag zwischen Vertretern des Zentrums und der Sozialdemokratie stattsande». wurde zwar von seiten dcS Zentrums betont, daß es nicht die Sprengung der Koalition beabsichtige, aber gleichzeitig sehr scharf erklärt, baß der Be schluß der S. P. D. jeden inneren Zusammenhalt des Kabinetts niedcrrcißcn müsse. Die gleiche Ansicht teilen anch die Deutsche nnd die Bayrische Vvlkspartci. Das Zentrum hat nun erklärt, daß sich durch den S.-P.-D.-Beschluß eine ganz neue Lage ergeben habe, die man erst eingehend prüfen müsse. ES tritt daher am Donners tag nochmals zu einer Sitzung zusammen. Das Kardinal- problem der ganzen Panzerkreuzcrangelegcnhcit ist nun die Frage, ob cs noch eine Möglichkeit zur Befreiung des sozial demokratischen Reichskanzlers von dem Beschluß seiner Fraktion gibt. Jedenfalls werden alle Einsichtigen dem Zentrum darin bc«Pflichten, daß cs jedes Vertrauen zur Ncichsregierung erschüttern würde, wenn der Kanzler, der im August für die Bewilligung der ersten Bauratc sich anSsprach, nun den Ressortminister desavouierte. Man wird gespannt sein können, ob es im Laufe des Donnerstag nnd des Freitag gelingen wird, aus der reichlich verworrenen Lage, die sich jetzt ergeben hat, einen Ausweg zu finden. Fcstzustcllcn ist jedenfalls, daß sich im Reichstag eine gewisse Krisenstimmung unver kennbar bemerkbar macht. Recht interessant ist übrigens auch die Tatsache, daß der Reichskanzler nicht damit gerechnet hatte, von der Fraktion tu der nun erfolgten Weise fcstgclcgt zu werden. . Sie Sewrckschasten lehnen die BorWüae »er Mustrtellen ad Berlin, 18. Nov. Zu den Vorbesprechungen der Parteien im Eisenkonflikt wird gemeldet: Von Arbeitgcbcrseite ist ein Vorschlag auf Abänderung des Lohnschicdsspruches gemacht worden, wonach die Stundcnlvhnerhöhnng von ü Pfennigen nicht allgemein gewährt werden soll, sondern nur einem ge- wissen Teile der Arbeiterschaft. Diejenige» Facharbeiter, die bisher bereits einen Stnndcnlvhn von 8>> Pfennigen hatten, sollen danach einen Lohnzuschlag von nur drei Pfennigen er halten. Die Gewerkschaften haben diesen Vorschlag abgelehnt und halten an dem Lvhnschiedssprnch in unveränderter Form fest, sollen aber bereit sein, in der Arbeitszeitfrage Zugeständ nisse zn machen. Dr. v. Neurath lehnt den Moskauer Notschastcrposten ab. Botschafter Dr. v. Neurath hat aus persönlichen Gründen gebeten, von seiner etwaigen Ernennung nach Mos kau Abstand zn nehmen und ihn aus seinem römischen Posten zn belassen. . . -