Volltext Seite (XML)
Wöchentlich erschein,n drei Nummern. Pränumeration« Preit 22^ Siibergr. (f Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt ans diese« j-üeralur- Blatt in Berlin in der Crpeditivn der Allg. Pr. Ctaal«-Zeim»g (Jiiedrichs- Straße Nr. 72)t in der Provinz so wie im Auslände bei den WohUödl. Poll - Aemtern. Literatur des Auslandes. L3 Berlin, Mittwoch den I. Mai 1843. England. Ueber den jetzigen Zustand der Philosophie in England. Vom Pros. Beneke. Man hat es nicht selten, und gewissermaßen mit Recht, als eine höchst ausfallende und räthselhafte Erscheinung hervorgchoben, daß dasjenige Boll, welches der Philosophie im siebzehnten Jahrhunderte einen Baco, HobbeS und Locke, im achtzehnten einen Berkeley, Hume, Hutcheson, Fer guson, Adam Smith, Neid und so viele üeo-> müwrum gomium gegeben hat, gegenwärtig für diese Wissenschaft völlig erstorben zu ftpn scheint. Die Sache wird noch auffallender, wenn mau bedenkt, daß die Materialien für eine gesunde Philosophie, interessante und bedentcnve Bilder des geistigen Lebens, bis auf den heutigen Tag bei keinem anderen Volke in größerem Reichthuine und Mannigfaltigkeit, nicht nur für die unmittelbar frische An schauung, sondern auch, bei ausgezeichneten Geschichtsschreibern und natur- treuen Dichtern, in derjenigen Verarbeitung vorlicgeu, welche zur wissen schaftlichen Erkenntniß hinüberführt. Dessenungeachtet scheint seit Dugald Stewart'S Tode in England eine selbständige unb umfassende philosophische Forschung gänzlich aufgchört zu haben. Die seitdem erschienenen, einiger maßen bcmcrkenSwerthcn Werke, wie des berühmten Schottischen Leibarztes Abercrombie Inquirw.d eonverning rbe mteüwelual poeverk ans rlm !n- vc8lix-Uion ot'lnui, jltMlj. Herschel s I'rklinünarv üi^cunoo on ffw 8kmlv vs natural piülosopbv (1831), Whewell 6 l'iüjodupüz ol Uw nuluetivo Science« (1840), und früher Bentham s Werte über Rechtsphilosophie, sind gewissermaßen mehr gelegentlich von Männern ausgegangcn, deren Thätig- keit eigentlich anderen wissenschaftlichen Gebieten angehörte; was Männer von Fach herauSgegebcn haben, wie neuerlich William Hamilton'S (Professors der Logik und Metaphysik in Edinbnrg) „Philosophische Fragmente", ist, wie auch schon der Titel dieses Buches andeutet, von bruchstückartigem und wenig bedeutendem Charakter. Es fragt sich nun: wie haben wir diese auffallende Erscheinung zu erklären? Die Gründe können entweder in Demjenigen liegen, was neben der Philosophie gegeben ist, oder in der philosophischen Entwickelung selbst. Für daS Erstere hat man dreierlei angeführt: die fortwährende Spannung auf daS Politische, die überwiegende Richtung auf die Wissenschaften und Künste des Materiellen, und den beschränkenden Einstuß der herrschenden Kirche. — Ich will die Einflüsse dieser Ursachen keineSwegeS ganz in Abrede stellen; aber ich glaube nicht, daß eine von ihnen, oder daß selbst alle zu sammen, auch nur von weitem, hinreichcn, die angegebene Erscheinung zu erklären. Was zuerst die politische Spannung betrifft, so ist dieselbe doch in keiner Art gegenwärtig größer in England, als in früheren Zeiträumen, wo die Philosophie dessenungeachtet in Blüthe stand. HobbeS schrieb und erwarb für seine Forschungen allgemeines Interesse während der Unruhen unter Karl I. und Cromwell; Locke arbeitete sein unsterbliches Werk unter Karl II. und Iakob II., und während er dem Grafen von Shastesburp in die Verbannung gefolgt war. Wo nur sonst das Interesse sür philosophische Forschung nicht gehemmt ist, werden sich immer Solche finden, die durch ihre Eigenthümlich- kelt von den Stürmen draußen abgezogen und nur um so mehr auf die Be schäftigung mit dem eigenen Geiste konzcntrirt werden. Während das Inter esse für die Französische Revolution ganz Europa spannte, sind bei uns gerade die abstrusesten philosophischen Systeme entstanden. Eben so wenig aber genügt, zweitens, die vorherrschende Richtung auf die Wissenschaften vom Materiellen für die geforderte Erklärung. Denn warum sollten nicht beiderlei Wissenschaften neben einander in Blüthe stehen können? namentlich in England, wo ja bereits seit Locke als anerkannt fest- steht, daß die Philosophie nach derselben Methode wie die Naturwissenschaften zu behandeln sey, und also, wie zwischen den Naturwissenschaften unter sich, so anch zwischen diesen und den Wissenschaften von der geistigen Welt eder eine gegenseitige Förderung und Spannung zu erwarten wäre. Von weit bedeutenderem Gewichte ist allerdings der beschränkende Einfluß der Kirche. Je mehr die sonstigen Bildungsverhältnisse in der letzten Zeit demselben entgegengewirkt und die Interessen der herrschenden Kirche in Gefahr gebracht haben, um so eifriger, und gleichsam krampfhaft, haben die Mitglieder derselben an Demjenigen, was ihnen noch übrig geblieben war, und namentlich an den alterthümlicken Instituten der Universitäten fest gehalten. Schon seit geraumer Zeil wird nicht nur an den Englischen, sondern selbst an den Schottischen Universitäten kaum irgend eine Professur, selbst von der Theologie ganz zur Seite liegenden und neutralen Wissenschaften, anders als mit Geistlichen besetzt, auch wenn dieselben ankeren Bewerbern bei weitem nachstehen; und es leuchtet auf veu ersten Anblick ei», wie dies am verderb lichsten gsrade ans diejenigen Wissenschaften rinwirken muß, welche mit der Theologie am nächsten zusammengräuzeu und kollidiren. Von jeher Hal es in England nicht an Zeloten gefehlt, welche selbst die Philosopbie Locke's (in kessen Werken dock Kommentare über die Paulinischen Briefe einen nicht un bedeutenden Theil eiunehmenj als der Theologie feindlich zu unterdrücket! ge sucht habe»; und noch entschiedener sind dieselben der Humcsckrn Skepsis eutgcgengetreten. Diese Feindseligkeit gegen die Philosophie bat fick in der neueren Zeit immer mehr gesteigert. °j Will man hiervon ein augenfälliges Bild, so lese man die Schilderung, welche von dem Einflufle des Puscyts muS, den man gewissermaßen als die Blütbc der Englischen Kirche anseheu kann, in dem diesjährigen Januar-Hefte der kümburpü Ke vier« entworfen ist. „Die Früchte (heißt es Hierl, welche die neuerlich ausgekommcnc Sitte, wissenschaftliche Bestrebungen nnd selbst bloße literarische Studien als un würdig, frivol und gefährlich zu verschreie», getragen hat, liegen in schrecken- erregender Weise in dem jetzigen Zustande von Orford vor. In dieser Beziehung wenigstens wird man uns kaum widersprechen können. Es ist allgemein bekannt, wie die Vorlesungen über Wissenschaften, welche nicht geradezu von den Universitäts-Gesetzen cingeschärft find, immer mehr nnd mehr verlassen werden. Der gänzliche Mangel alles Forschungsgeistes irgend einer Art, die polemische Theologie und ein oder zwei untergeordnete schön- wissenschaftliche Fächer ausgenommen, ist sogar in Orford selbst Gegenstand allgemeiner Klage. Bon den Naturwissenschaften, während sie von Allen geringgeschätzt werden, scheu wir Mehrere geradezu abmahnen aus ähnlichen Gründen, wie diejenigen, aus welchen der verstorbene König von Neapel die Geldbewilligungen sür die Auswickelung der Herkulanischen Manuskripte zu verweigern pflegte — nämlich daß darin etwas entdeckt werden könnte, was die christliche Religion über den Haufen würfe, und dann würden Seine Majestät keine Absolution erhalten. Mit dem historischen Studium scheint es gänzlich zu Ende zu seyn, das einzige Gebiet der kirchlichen Antiquitäten aus genommen: wie denn ein Schriftsteller der Orfordschen Schule neulich scharf sinnig bemerkt hat, alle Geschichte sey gefährlich und müßte nach kirchlichen Prinzipien »mgeschriebcn werden. Ja, selbst die Studien, welche den noch nicht Graduirten vorgeschrieben sind, werden bereits nicht mehr mit dem Geiste und Eiser früherer Zeiten getrieben, selbst die Beschäftigung mit den alten Klassikern nimmt ab" rc. °°) In derselben Zeitschrift findet sich ein Werk über christliche Sittenlchre von W. Sewell, Professor der Moralphilosophie zu Orsorv, angezeigt, in welchem geradezu der Satz ausgestellt wird, daß die Wissenschaften, welche fick auf die materielle Welt beziehen, eben sowohl, wie die auf das Geistige sich beziehenden, nach Prinzipien und Methoden der christlichen Religion abgesaßt werden müßten. °°°) Aber haben wir nun wohl hierin eine vollständige Lösung deS vorliegenden Problems? — Ich glaube, keineSwegeS. Baco war Jurist und Staats mann; Locke war Arzt; Hume, nachdem er der gerichtlichen PrariS, zu welcher ihn seine Familie bestimmt hatte, glücklich entgangen war, verwaltete eine Zeit lang den Posten eines Gesandtschafts-SccretairS und schrieb seine Untersuchung des menschlichen Verstandes, welckc nicht nur in seinem Vater lande höchst bedeutend sortgewirkt, sondern auch unserem Kant den Anstoß zu seiner Kritik der Vernunft gegeben hat, ungeachtet die Geistlichkeit von Schottland seine Bewerbung um die Lehrstelle der Moralphilosophie zu Edin- burg scheitern gemacht hatte. Wo nur ein reger geistiger Trieb vorhanden ist, wird die philosophische Erkenntniß auch gegen den Willen einer herrschenden Kirche und ohne Professuren Fortschritte machen. Es muß also in England an diesem regen geistigen Triebe schien und die gerügte Erstorbenheit, wenigstens großenthcils, nicht iu dem neben der Philosophie Gegebenen, sondern in der Philosophie selbst ihren Grund haben- Und allerdings läßt sich hierfür Manches anführen, namentlich die „Berufung aus den gesunden Menschenverstand", wie sie in der von Thomas Reid gestifteten und später durch Dugald Stewart vertretenen soge- 'j Ein Beispiel, bi« zu weicher Höhe mm dieselbe namemlild in Bezug aus ff »nie gemeben Pu!, werden wir späm noch beizubringen Veranlassung babeu. "i Ptw ksiukurg» U-vierv , di. 13«, Sknuarv 1843, 378 ,, ebendas., z>. 4vv.