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Dienstag. Leipzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags -1 Uhr auS- gegebe». Hteeia filr das Viertel jahr Dhlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. 22. Mai 18SS DkuWt Mgcmmt Zeitung «Wahrheit und Recht, Freiheit und TeschI» Zu beziehen durch all« Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Ärvcdition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). lFnfertionsgebühr für den Raum einer Zeile 2 Ngr. Nr 117. . ii Die Aktenstücke der Wiener Conferenzen. v. Die sechs« Conferenzsitzung am 26. März führte zu Vorbesprechungen über den dritten Punkt. Derselbe bezieht sich bekanntlich auf die Revision des Vertrags vom 13. Juli 1841, welche zum Zweck haben soll, das Be- stehen des osmanischen Reichs vollständiger an das europäische Gleichgewicht zu knüpfen und der Uebermacht Rußlands im Schwarzen Meere ein Ende zu machen. Graf Buol fand eS angemessen, zunächst an die praktische Lö sung der letzter» Aufgabe zu gehen, und meinte, daß nichts leichter zu der gewünschten Verständigung führen dürfte, als wenn die Bevollmächtigten Rußlands ihre Ansicht in Betreff der anzuwendenden Mittel darlegten. Die russischen Bevollmächtigten fanden sich jedoch nicht in der Lage, von der ihnen zugewiesenen Initiative Gebrauch zu machen, erklärten sich aber be reit, den Vorschlag reck rekersnäuin zu nehmen und die Entscheidung ihres Hofs darüber baldigst mitzutheilen. Graf Buol machte den vom Fürsten Gortschakow unterstützten Vorschlag, in den nächsten Sitzungen einstweilen eine Vorbesprechung über den vierten Punkt zu beginnen. In der siebenten Sitzung am 29. März theilten die Vertreter der Wtstmächte mit, daß die eingetroffcnen Instructionen ihnen nicht gestatteten, auf die Berathung über den vierten Punkt vor Erledigung des dritten ein» zugthen. Auf die Bemerkung der österreichischen und der russischen Bevoll mächtigten, daß man die Zwischenzeit bis zum Eintreffen der Antwort aus Petersburg doch zur Prüfung der auf den vierten Punkt bezüglichen Vor fragen benutzen könnte, ohne einen präjudicirenden Beschluß zu fassen, ver sprachen die Abgesandten Frankreichs und Englands, auf telegraphischem Wege die Erlaubniß ihrer Regierungen einzuholen. Dieselbe wurde jedoch nicht gewährt und die Bevollmächtigten der Westmächte sahen sich daher gcnöthigt, in der Sitzung vom 2. April jede Theilnahme an einer Vorbe- rathung über den vierten Punkt zu versagen. Sie hielten eine Vertagung der Berathungcn um so eher für gerechtfertigt, als binnen kurzem die An kunft der auswärtigen Minister Frankreichs und der Pforte zu erwarten stände. Infolge dessen wurden die Conferenzen für acht Tage unterbrochen. In der Sitzung vom 9. April fand die Einführung der inzwischen an» gekommencn neuen Bevollmächtigten statt, worauf man die Conferenzen bis zum Eintreffen der erwarteten russischen Instructionen vertagte. Bei Eröffnung der zehnten Sitzung am 17. April theille Fürst Gor tschakow die Entscheidung seines Hofes über den gestellten Antrag mit. Sie lautet dahin, daß Rußland nicht gemeint ist, von der ihm überwiesenen Initiative Gebrauch zu machen, und wiederholt nur die seinen Vertretern gegebene Ermächtigung, mit Ernst und aufrichtigem Wunsche nach Vetstän- digung auf die Prüfung der vorzuschlagenden Maßregeln einzugehen, soweit dieselben nicht eine Verletzung der Souvcränetätsrechte des Kaisers von Ruß land auf seinem eigenen Gebiete in sich schließen. Hr. Drouin de Lhuys sprach sein Bedauern aus über den Zeitverlust von 18 Tagen, der um so beklagenswerther sei, als die Verbündeten nicht vorbereitet seien, sofort ihre Anträge vorzulegen. Die Vertreter derselben müßten daher über diese Frage erst in Berathung treten. Zugleich stellte er, mit Rücksicht auf den Vor behalt des russischen Bevollmächtigten, die Frage, ob Rußland seine Sou- veränetät als verletzt ansehen würde, wenn es die Befugniß aufgäbe, eine unbeschränkte Anzahl von Kriegsschiffen im Schwarzen Meere zu halten. Fürst Gortschakow erwiderte, Rußland werde nicht zugebcn, daß die Stärke seiner Flotte durch Vertrag oder in anderer Weise auf eine bestimmte An zahl von Schiffen beschränkt werde. Der übrige Theil der Sitzung verfloß in Erörterungen über die Absicht der Verbündeten, die Vorschläge zur Ent wickelung des dritten Punktes in einer gemeinsamen Vorberathung festzu- stellen. Hr. de Bourqueney und die übrigen Vertreter der verbündeten Re gierungen hielten an der Ansicht fest, daß jeder Bevollmächtigte zwar in den Conferenzverhandlungen seine Meinungsfreiheit bewahren könne, daß jedoch infolge des Vertrags vom 2. Dec. die Verbündeten die Gemeinsam keit der Ansichten ihrem gemeinschaftlichen Widersacher gegenüber anstrcben müßten, eine Aeußerung, welche Hrn. v. Titow Gelegenheit gab, dagegen Verwahrung einzulegen, daß Rußland ein Gegner Oesterreichs sei. Der selbe Bevollmächtigte meinte, daß es nach Lage der Sache am abgemessen sten wäre, wenn das türkische Cabiuet di« Initiative ergriffe, worauf Hr. Drouin de Lhuys bemerkt«, daß die Verbündeten in der beabsichtigten Vor berathung der Initiative der Pforte volles Gewicht beilegen würden. In der elften Sitzung am 19. April begannen die Verhandlungen über den dritten Punkt auf Grund der von den Abgesandten der verbün deten Mächte aufgestellten Anträge. Dieselben finden sich in folgendem Ent würfe zusammengestellt: Vorschläge der verbündeten Mächte In Bezug auf den dritten Punkt, betreffend die Revision des Vertrags vom 13. Juli 1841. Art. I. Von dem Wunsche geleitet, raß die Hohe Pforte an den Borthriien des durch das Völkerrecht zwischen den ver schiedenen Staaten Europas eingeführten Systems theilhabe, verpflichten sich die hohen contrahirenden Theils einzeln, die Unabhängigkeit und Gebietsintegrität des osmani schen Reichs zu respectiren, verbürgen ln ihrer Gesammtheit die strenge Beobachtung dieser Verpflichtung und werden demgemäß jede Handlung oder jedes vreigniß, die sw verletzen könnten, als «ine Krage europäischen Interesses betrachten. Art. 2. Wenn zwischen der Pforte und einer der contrahirenden Parteien ein Misverhältniß entstehen sollte, so sollen Liese beiden Staaten, bevor sie zu Gewaltmitteln schreiten, die andern Mächte in eine Lage versetzen, diesem äußersten Verfahren durch friedliche Mittel vor- zubeugvn. Art. 3. Se. Maj. der Kaiser aller Reußen und Se. Hoheit der Sultan, in dem Wunsche, sich gegenseitig einen Beweis ihres Vertrauens zu geben und den Ausdeutungen vorzubeugen, die eine übermächtige Entwickelung ihrer Seemacht im Schwarzen Meere Hervorrufe» könnte, verpflichten sich gegenseitig, in diesem Meere nicht mehr denn vier Linienschiffe und vier Fregatten nebst einer verhältnißmäßigen Zahl kleiner und ausschließlich für den Truppentransport eingerichteter unbewaffneter Schiffe zu halten. Art. 4. Der in den Vertrag vom 13. Juli 1841 niedergelegte Grundsatz der Schließung des Bosporus und der Dardanellenenge soll, mit den in den folgenden Artikeln specificirten Ausnahmen, in Kraft bleiben. Art. fl. Jede der con trahirenden Mächte, die kein Secctabliffcment im Schwarzen Meere haben, soll auf vorgängige fünftägige Notifikation durch einen Ferman des Grohhcrrn ermächtigt wer de», eine Anzahl Schiffe gleich der Hälfte derjenigen, welche die beiden Uferftaaten kraft Art. 2 hakten dürfen, in jenes Meer zu bringen. Art. 6. Zu keiner Zett sollen Kriegsschiffe fremder Nationen, mit Ausnahme der schon bisher zugelaffenen, den Ge sandtschaften gehörenden kleinern Schiffe, im Goldene» Horn ankern dürfen, und in Friedenszeiten soll Vie Zahl der Linienschiffe der contrahirenden Mächte, welche kein Marineetablissement im Pontus haben, in ihrer Passage von den Dardanellen zum Schwarzen Meer und vom Schwarzen Meer zu den Dardanellen, nicht mehr als vier auf einmal vor Konstantinopel betragen. Art. 7. Im Falle, was Gott verhüte, der Sultan von einem Angriffe bedroht sein sollte, behält er sich das Recht vor, al len Streitkräfte» seiner Verbündeten die Passagen zu eröffnen. Art. 8. Die beiden- Nfermächte des Schwarzen Meeres verpflichten sich, um den andern hohen contrahi- rendeu Theilen ihren Wunsch für die Erhaltung der freundschaftlichsten Beziehungen mit denselben zn bezeugen, in allen Häfen des Schwarzen Meeres die Konsuln znzu- lassen, welche die letztem dort einzusetzen nützlich erachten möchten. Art. S. Se. Mai. der Kaiser aller Reußen und Se. Hoy. der Sultan versprechen, zu», Zeugniß der sie beseelenden hochherzigen Gesinnungen, allen Bewohnern und Bcanitc» in den Provin zen, welche der Kriegsschauplatz gewesen find, eine volle und vollständige Amnestie. Keiner von ihnen soll wegen seiner Gesinnungen, Handlungen, wegen seines Verhal tens während des Kriegs oder der zeitweiligen Besetzung der Provinzen durch die resp. Truppen der Kriegführenden belästigt oder verfolgt werden. Die Bewohner der ÄlandS- inseln werden der Wohlthat dieser Bestimmung theiihaftig. Art. 10. Se. Maj- der König von Sardinien wird in den gegenwärtigen Frieden cingeschlossen. Die Handels und andern Beziehungen zwischen diesem Königreiche und den, russischen Kaiserreich werden auf denselben Fuß wiederhergestellt, wie sie vor der Kriegserklärung waren. Deutschland. Preußen, k Berlin, 20. Mai. In mehren Blättern wird behaup tet, daß zwischen Oesterreich und Frankreich die lebhaftesten Unterhand lungen in Betreff des Durchzugs französischer Hülfstruppen durch österrei chisches Gebiet gegenwärtig in einem den Wünschen Frankreichs entgegen kommenden Sinne seitens des wiener Cabincts gepflogen würden. Wie wir vorgestern bereits hervorgchoben haben und wie wir der Wichtigkeit der Sache wegen nochmals wiederholen, will man hier wissen, daß von einem sölchen Dürchzuge französischer Hülfstruppen auf den entschiedenen Wunsch Oesterreichs in der Militärübereinkunft Abstand genommen worden ist. — Nach hier angelangtcn Schreiben aus Paris hat der Kaiser der Franzosen den Vertreter Preußens bei der dortigen großen Ausstellung, Geh. Ober- finanzrath v. Viebahn, sowie die beiden demselben zur Seite stehenden preu ßischen Cvmmissare, NegierungSrath Stein und Generalsekretär Dielitz, in sehr freundlicher Weife empfangen und feine besondere Freude über die so rege Becheiligung Preußens bei der besagten Weltausstellung ausgesprochen. Mit der Angabe, daß Preußen der Staat sei, welcher in Paris von der kaiserlichen Gcneralcommission für die Ausstellung zuletzt bedient worden sei, dürften diese zuverlässigen Nachrichten im Widerspruch stehen, weshalb sie hervorzuhebcn sind. ^Berlin, 20. Mai. Die Friedenshoffnung der Börse hat nicht den geringsten thatsächlichen Halt. Unterhandelt wird freilich nach allen Seiten hin, aber Rußland denkt nicht an den Frieden, wie directe sichere Nachrichten aus Petersburg beweisen. Auch auf den Conferenzen war es nur darauf bedacht, durch scheinbare Wahrung sogenannter deutscher Inter essen, bei welchem Manöver es auf die Connivenz des neutralen Lagers rechnete, sich der deutschen Neutralität zu vergewissern. Das war ziemlich leichte Mühe. Der Westen hatte einerseits die Conferenzen nur Oesterreich al- ein« neue, vermeintlich letzte Frist bewilligt. Es ist aber damit wenig erlangt worden. Oesterreich glaubt äußerlich noch immer an den Frieden, Übersicht den ihm vergebens ins Gedächtniß zurückgerufcncn geheimen Ar tikel des Dccembervertrags und sichert Rußland durch hartnäckig fortgesetztes Unterhandeln den kostbarsten Bundesgenossen, die Zeit nämlich. Von dem Resultat seiner Besprechungen nach der deutschen Seite hin wird die Frage des MobilisiruugSantrags beim Bunde abhängen. Aber ein Neutralitäts- Vertrag oder Dergleichen steht nichtsdestoweniger keineswegs in Aussicht