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Sonntag —— Rr. ExW- AMche Mai Preis für das Vierteljahr 1'/, Thlr.; jede einzelne Nummer 2 Ngr. Das Königthum in Belgien. ---Leipzig, 30. Aug. Die Feste zu Brüssel gaben uns unlängst Ge- legenheit, daS belgische Volk wegen der gedeihlichen Entwickelung seines Berfaffungslebens und der erfolgreich bestandenen Probe seiner jungen con- stitutiouellen Monarchie aufrichtig zu beglückwünschen. Wir haben heute eine erwünscht« Veranlassung, auf dies«- für alle Länder des europäischen Festlandes, und nicht am wenigsten für Deutschland, lehrreiche Thema zu rückzukommen. Professor Arendt in Löwen, ein Deutscher von Geburt, aber seit langem in Belgien einheimisch und Zeuge des Entstehens wie der Fortentwickelung dieser neuen "staatlichen Zustände seiner neuen Heimat, hat eine klein«, in hohem Grade interessante Schrift veröffentlicht: „Das Kö nigthum in Belgien"*), deren Zweck ist, im Hinblick auf eben jenes Re gierungsjubiläum Leopold's, „die Motive einer Bewegung näher darzu legen, welche eine ganz« Nation in einmüthiger Hingabe und Begeisterung um den Thron ihres Kürsten versammelt". Daß diese Skizze (nur als solche will sie ihr Verfasser betrachtet wissen) von Einem geschrieben ist, der dem König Leopold offenbar nahesteht und von Manchem vertraute Kenntniß hat, was für das größere Publicum lediglich Gegenstand der Ver- muthung oder Schlußfolgerung sein konnte, gibt derselben einen erhöhten Werth, und daß si« ein« unverkennbare Vorliebe und Hingebung für den Monarchen athmet, kann ihr umsoweniger den Vorwurf der Einseitigkeit oder Parteilichkeit zuziehen, als das diesen Gefühlen zugrunde liegende gün stige Urtheil über die Befähigung, den Charakter und die Leistungen Kö nig Leopold's soeben erst durch das in dieser Sache kompetenteste Tribunal der Welt, die einmüthige Stimme eines ganzen Volks, bestätigt worden ist, und als die Schrift selbst, ihrerseits, dem Volkselement in der Ent- Wickelung d«S belgischen Verfassungslebens nicht minder rückhaltlos Gerech- tigkeit widerfahren läßt. Wir wollen davon sogleich als Probe das Urtheil deS Verfassers über den politischen Charakter der belgischen Nation anführen, und wir thun dies um so lieber, da wir vollständig die Freude des Verfassers thrilen, ein Volk, welches nach der Revolution von 1830 von so vielen Seiten als unfähig zur Herstellung oder Erhaltung geordneter staatlicher Zustände verschriin ward, als das Gcgentheil davon durch eine 25jährigc Erfahrung bewährt und so den thatsächlichen Beweis geliefert zu sehen, wie ungerecht es ist, einem Volke die Befähigung zu verfassungsmäßiger Frei- heit und Selbstregierung von vornherein abzusprechen, und wie viel weiser, ein solches alle mal erst eine „ehrliche Probe" machen zu lassen, ehe man darüber abspricht, welches Maß von Freiheit es zu ertragen und zu seinem Heil zu verwenden fähig sei. Man hat oft den dynastischen Sinn der Belgier, ihre Anhänglichkeit an die monarchischen Einrichtungen bestritten, und doch war «S, wi« der Verfasser ausführt, gerade dieser dynastische Sinn, welcher dem neuen König, sobald nur die Nation ihn kennen ge lernt hatte, vertrauensvoll entgegen und bei der Ausübung und Befesti- gung seiner jungen Macht gar sehr zustatten kam. „Trotz des vielfachen Haders", sagt der Verfasser, „den die Belgier fast in allen Perioden ihrer früh«rn Geschichte mit ihren Fürsten gehabt haben, lebt in ihnen doch eine traditionell« Verrhrung deS Souveräns, die, unter allen Classen der Na tion verbreitet, in den Mittlern und unt«rn von dem Hauche des modernen Jndisserrntismus, der in so vielen altmonarchischcn Ländern über die Ge- simmngen gefahren ist, sich freigehalten hat." „Aber freilich", setzt derselbe sogleich hinzu, „um dies Gefühl, das, wenn der Fürst seine Stellung zur Nation falsch auffaßt, leicht verletzt wird, ja momentan in sein Gegentheil Umschlagen kann, in seiner ganzen Stärk« zn entwickeln, bedarf es vor allem: Achtung der Rechte des Volks und seiner Eigenthümlichkeiten, leut seliges Wesen und strenges Einhalten des gesetzlichen Ganges in der Ne gierung." Ein ebenso ehrendes Zeugniß für die belgische Nation hat der Verfasser in den darauf folgenden Betrachtungen niedergelegt, wenn er sagt: „Die moralischen Eigenschaften der Nation, die man im Auslande solange verkannt hat, waren überhaupt für die neue Negierung ein HülfS- mittel von einem Werthe, der nicht hoch genug angeschlagen werden kann. ES gibt wenig« Länder, in denen der Sinn für Gesetzlichkeit, die Achtung verfassungsmäßiger Rechte größer wäre als in Belgien. Die althergebrachten Gewohnheiten der Arbeitsamkeit, Sparsamkeit, Ordnung, das praktische Geschick, der auf nutzbringende Thätigkeit auf allen Gebirten gerichtete Sinn, die mit dem ganzen öffentlichen Wesen tief verwachsene Achtung vor den Rechten Anderer, mit dem strengen Halten am eigenen Recht Hand in Hand gehend, daS sind Eigenschaften, die daS Regieren in Belgien un endlich erleichtern und aus denen der Fürst, der sie zu würdigen und zu benutzen versteht, für die Lenkung der öffentlichen Angelegenheiten die größ- ten Vorlheilc ziehen kann." '*) Brüssel und Leipzig, bei Karl Marquardt. 204. — 31 August ISS«. Zu beziehen durch alle » d Postämter des In- und n s M Auslandes, sowie durch die MlNk MiNM L « Jusertionsgebühr «Wahrheit und Recht, Freiheit und Ersetz!» für den Raum einer Zeil- Dieser rückhaltlosen ehrenden Anerkennung der guten Eigenschaften des belgischen Volks steht dann ganz billigerweise eine ebenso rühmende Erwäh nung der hohen Fähigkeiten und Tugenden desselben gegenüber, welchem es, im Verein mit der Nation, gelang, in dem tieferschütterten, unter schweren Kämpfen und vielfältigen Hindernissen um seine äußere Unabhän gigkeit und seine innere Umgestaltung gleichzeitig ringenden Staate das Kö nigthum, auf der breitesten Basis von Volksfreiheiten, die anderwärts un erhört und unmöglich geschienen hätten, zu begründen, zu erhalten und dergestalt sowol in Institutionen als in den Gemüthern des Volks zu be festigen, daß der gewaltige Sturm von 1818, der so viele alte, selbst die ge- wattigsten Throne erschütterte, an diesem jüngsten so gut wie spurlos vor- überbrauste. Ein Theil der großen Eigenschaften König Leopold's hatte seine wichtigste Bedeutung in jener ersten drangvollsten Zeit, wo der von ihm regiert« Staat erst seine Stelle unter den europäischen Staaten sich er ringen und sichern mußte. Diesen Bedürfnissen des Moments kam des neuen Herrschers hohes diplomatisches Talent, sein Eingewohnt- und Ein geweihtsein in die Regionen der hohen Politik, mit denen es damals seine Regierung täglich zu thun hatte, seine Vertrautheit mit den Ansichten wie mit den Persönlichkeiten, von denen dort die letzte Entscheidung abhing, die Sicherheit seines Blicks und die Kraft seines Entschlusses trefflich zustat ten. Aber wichtiger für das hier in Frage stehende Verhältniß: die Be festigung des Königthums und des monarchischen Geistes in Belgien, war daS Verhalten Leopold's in den innern Angelegenheiten des Landes, in den Verfaffungs- und Gesetzgebungsfragcn. DaS Geheimniß des entscheidenden und wvhlthätigen Einflusses, den er hier übte, ist einfach; es faßt sich zu sammen in dem Worte: Aufrichtigkeit, d. h. Erfassung und Durchführung der Rolle des constitutionellen Herrschers ohne Hintergedanken, ohne Rück- Halligkeit, ohne ein scheues oder lästiges Zurseiteblicken, vielmehr offenen Blicks auf das allein richtige Ziel der constitutionellen Negierung: Ermit telung, Läuterung und Ausführung des wahren Willens der Nation. So hat König Leopold seine Aufgabe vom Anfänge an erfaßt, so hat er sie, ehrlich und fest, biSjetzt durchgeführt, — daher der ungeheure, einstimmige Enthusiasmus seines Volks,, daher das Unerhörte, in der Geschichte viel- leicht noch nicht Dagewefene, daß ein König mitten unter den Erschütte rungen einer europäischen Revolution, ohne daß aber ihm selbst nur im entferntesten Zwang angcthan oder ein solcher Entschluß nahegelegt worden, freiwillig seinem Volke die Niederlegung seiner Krone und die Zurückgabe der von demselben empfangenen Vollmacht anbot und daß die öffentliche Stimme laut und zweifellos die Beibehaltung der Krone von ihm erbat! Mit welcher Genugthuung muß jeder Freund der constitutionellen Monarchie, ebenso sehr der, welcher den Accent auf das: monarchisch, als welcher ihn auf das: constitutionell legt, die folgende Charakteristik König Leopold's in Bezug auf seine innere Negierung lesen, welche der Verfasser gibt: „Wenn man fragt, was die innere Regierung König Leopold's am meisten und wesentlichsten charaktrrisirt, so kann die Antwort nicht einen Augenblick zweifelhaft sein. Es ist die vollkommene, im Großen wie im Kleinen gleich sorgfältige Gewissenhaftigkeit, womit der Fürst den Eid, den er bei Ueber- nahme des Regiments leistete, gehalten hat, seine absolute Verfassungstreue unter allen Lagen und Verhältnissen. Es gibt keinen Staat in Europa, in dem die Verfassung so ohne allen Rückhalt, in ihrem ganzen Umfange, ohne aü«S Deuteln an ihrem echten Sinne und Geiste, mit allen ihren ra tionellen Consequenzen, eine Wahrheit geworden wäre wie in Belgien. Der König hatte sie mit allen ihren Folgen, ihren Vortheilen und Lasten über- nommen, er hat sie stets ohne Zaudern und redlich durchgeführt; seine Re- gierung ist die legalste, im strengsten Sinne verfassungsmäßige, welche die neuere Geschichte kennt." DaS sind die gesegneten Früchte einer Politik der Ehrlichkeit und Ver fassungstreu«. Deutschland. Wie man der Hamburger Börsen-Halle aus Berlin schreibt, läßt sich voraussehrn, daß auf der gegenwärtigen Zollconf«renz zu Eisenach nur etwa einige klein« Erleichterungen in den LebenSmittelzöllen die allge meine Zustimmung erhalten werd«n; an eine definitive Aufhebung der Ge- treidezöll« sti für jetzt nicht zu denken. Ueberhaupt sei durch den Zollverein selbst in seinem jetzigen Bestand« durchaus kein« gründliche Reform im Sinne der freien Entwickelung der Handels- und VerkehrSverhältnisse her- brizusühken, weil di« schutzzöllnerischen Tendenzen bei einzelnen Regierungen, wie namentlich bei der würltembergischen, so eingewurzelt seien, daß nur durch einen Act der Centralgewalt hier geholfen werden könnte. Bei Preußen dagegen walte «ine entschwden« Abneigung gegen Erhöhung der Tarifsätze vor, freilich verbunden mit dem Bestreben, jede Quelle der Ein-