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67. Jahrgang. AS 49S Sonnaben-, LS. November 1922 Gegründet 1886 DnchknIchrM, »,chktch»«i Dr»»»«». g«rnI»r»ch»r>Samm»lnumm»r SS 2.1 vük fttr 4>»chIg«IprSch«: 20011. , d»t >i>-,Nch»r guvaiun-, m Dr»»d«n «d»r durch dl» P«» monollich «I. 77»,—. -6^3^95'Wtzvul)k <ktnz»lnun»m»r IN. lA>—, Sko«»tas»au»sab» 5IN. 20,—. D>, I'paM,» 17 mm drei!» ?»«>» IN » —. aub-rkall S,ck:»n, IN.. Nami»e>>- ANIPIlllM-'lirplIt» ->n-»>-i»n >>nd W»!>N"«'uch» unl»r I?»-'«» I»d»n n>»u»r»» HobaN» IN. 7l>.—. Dvr »->»»>«>» lau^ Iar>>. «uiw'r l», Au'lr»-» e«a»n D«r«u»d»>odlun,. SchrMeNmi» und N»uvI,»I»M»>t»>«r !>Vi»»Ilr,N» SS/.O. Druck «. V«rla, von »psch. «»ichirdNn PelNchrck-AlmI, lOSS Dr»«»»». «achdn,» nur mH drullichrr vu«v»nan--«d, '.<rr»«»nrr Hnchr."> -,,l»Ma. - SchrütMIch» w»rd»n »Ich« mitd-w-IM. ^u§u5l I-ös8tss ^«üsel. Pianos I-vvmu (3s.) Vefk»uf8loksi: Di^oscjen-^., Waisenksussli-ske 8. Ken1nI-7t,es1es-pL88sgs Käst Du Augengläser nötig, gehe zu Gebrüder RoeMg. Das Programm Reichskanzler Cunos. Die Kanzlerrede im Reichstag. IDrabtucelduno unirrer Berliner Lchrililetiunii Berlin, 24. Nov- Vor übervollen Tribünen, vor vollzählig versammelten Hause. in dessen lUeihen der nun „einstige" Reichskanzler Dr. Wirth wieder den Pink eines bcicheUcncn Abaeordneten eingenommen bat, gab heute der neue Reichskanzler Tr. Cuno seine von der politischen Welt dcö In- und Auslandes mit so grober Spannung crivartetc programmatische Er klär n n a ab Ruhig und gleichmähig sprechend, nur dann und wann einen Blick aus sein Manuskript wcrsend, die Stimme nur dann hebend, wenn er von dem spricht, was alle» Arbeitern und Schwcrindnstricllen, Bcsi, enden und Darbenden gcmeiniaincs Leiden ist, gemeinsamer Trost und aemcinsnme Arbeit sein soll, macht er den iolanae entbehrten Eindruck des Mannes. der am Klange der eigenen Worte sich nicht berauscht, daS erreichbare Ziel sicht und weis,, wie z« ihm gelangt werden kann. Anerkennender Beisnll wird ihm zuteil. als er von der mühevollen Arbeit seine? Vor gängers spricht, der der Erfolg verwehrt war, stark und an haltend wird der Beifall, wenn er sich an das trotz allem noch vorhandene vaterländische Empsindcn seiner Zuhörer wendet, wenn er in kurzen Worten trcsscndc Bilder der jetzigen Laae Deutschlands gibt und betont, dah erst dem deutschen Volke Ernährung acsichcrt sein müsse, ehe die Reparationen zur Debatte stunden. Nur einige minder- wcrtiae Elemente ans den Bänken der Kommunisten können sich unparlamentarische Zurufe, nachdem sic das neue Kabinett bereits bei seinem Eintritt mit den Worten: „Auf- sichtSrat der StinneSrcpnblik" beariiht hatten, nicht ver sauen. Allseitiacr, von Herzen kommender Beifall, in den auch die Tribiinenbesuchcr einslimmen, wird Dr. Euno zu teil, als er sein Programm mit den Worten abschlies-t. das, nur das Deutschland verloren sei, das sich selbst ausgebe. * Reichskanzler Dr. Cuno begann seine Rede niit einem kurzen Rückblick auf seine Kabinettsbildung und führte weiter aus: Das Ncichsministerium für Wiederaufbau ist offen- gcbliebcn. Aus einer Fortdauer deSSchwebezustandcS ist eine Beeinträchtigung der sachlichcnArbeit nicht zu besorge». Ebenso iü der etatmähig vorgcsel cne Posten eines Ministers ohne Pvrtcseuillc lirgcnannler Sprcchminislcrj unbesetzt ge blieben. F-ür ihn kommt hinzu, das, ich die unmittelbare Zusammenarbeit der Ressortminister mit den Parteien dieses Hauses in keiner Weise unterbrechen lassen und praktisch znm Ausdruck bringen wollte, wie sehr mir in einer Zeit leben, in der gearbeitet und nicht geredet werden sollte. lBcisall.j Der Reichskanzler dankte sodann der früheren Regie rung, insbesondere dem Reichskanzler Dr. Wirth siir die Hingebung, mit der er in all der schweren Zeit dem Vater land«! diente, dnrch nichts beirrt, was an Enttäuschungen vom Auslände, wie leider an unberechtigter Anzweis- lnng feiner besten Absichten im Innern ihm ent- gkgentrat. Die neue Reichsrcgicrung steht nicht aus der breiten parlamentarischen Basis, wie ich auf Eirund des zu erörternden Programms, zu dem fünf Frak tionen dieses Hauses einheitlich Stellung genommen hatten, erwarten durste. Meine Mitarbeiter und ich bedauern dies aus das lebhafteste, weil wir der Nebcrzengnng sind, dah in den nnS bevor stehenden Zeiten nur eine völlig einheitliche Zusammenfassung aller Kräfte »ns vor allem schweren Unheil bewahren kann. Dazu berufen, aus dem durch die Verfassung gegebenen Boden der republikanischen Staatsfvrm die Ne gierung des Reiches zu führen, hätten wir es begrübt, wenn Mitglieder der gröhtcn Fraktion dieses Hauses sich zur aktiven Mitarbeit am Kabinett bereit gesunde« hätten. Das ist uns versagt geblieben. Unser Deutschland, das der Menschheit so viel an höchsten Werken der Gesittung und Gesinnung und der Ausprägung besten Menschentums ge geben hat, soll im Umkreise gleichberechtigter Völker wieder ein sich selbst bestimmen der. aus eigener Kraft und eigenem Rechte leben der Staat werden, nach auhen in jenem Einklänge des nationalen Seibstbeskirnmungsrechtes mit dem gleichen Rechte der anderen Völker, das allein den in den Herzen gegründeten und daher dauernden Frieden der Menschheit verbürgt, nach innen ein Staat einer auf Leistung gegründeten Wohlfahrt, guter deutscher Gesittung und Kultur, des sozialen Friedens und der Freiheit des religiösen Bekenntnisses. (Beifall.) Der Weg zu diesem Ziele ist weit, viel weiter, als er drängender Ungeduld crschcinon läsit. Lassen Sie mich dazu in kurzen Zügen ein Bild -es heuttgen Deulfchlands geben: In allem stehen wir im Slaatslcbcn und in der Wirtschaft unter dem Zeichen des verlorenen Krieges. Als die im Vertrag von Versailles — einem Vertrage, der mit einem rechtsgültig geschlossenen Vorverträge nicht im Einklänge stand — unS auferlcgtc Leistungspslicht vor ilL Jahr in London, ohne das, Deutschland Einblick in die Berechnung gegeben worden wäre, festgesetzt wurde, begann der Streit um die Politik der Vrsiillun6, der seither vielfach, zum Schaden für den innerpolitischen Frieden, aus einer Frage nüchterner wirtschaftlicher Ab wägung zu einer Frage der Gesinnung wurde. Heute ist die Frage der Erfüllung und ihrer Grenzen geklärt: In Eaiincs, in Genna und später überzeugten sich die in der Neparationökommission vertretenen Mächte, das» die Für Deutschlands Recht und Wiederanslieg. DaS Programm, daS der Reichskanzler Enno in der heutigen Sitzung des Reichstags den Parteien vvrtrug, ist in allen seinen Teilen vom ernsten Willen des klarblickenden Wirtschaftlers beherrscht, Deutschland aus dem Strudel deS Verfalls zu erretten, zugleich aber ist eS auch beseelt und gelragen vom warmen, hingebcnden Gefühl clncS Mannes, der sein Vaterland ln Not weih und der den lebendigen Drang in sich spürt, seine ganze Kraft ln den Dienst dieses bedrückten Landes und aller seiner Volksschichten zu stellen und ihm zu Helsen, und zwar mit solchen Mittel» zu helfen, Sie nag, Mcnschencrmessen einen wirklichen Erfolg verbürgen werden. Diese beiden bestimmenden Momente, die unbe dingte Anerkennung der wirtschaftlichen Notwendigketten und der sich daraus ergebenden Folgerungen, sowie daS scharf hervvrgehobene Bekenntnis zum nationalen, zum deutschen Standpunkt begleiten die Ausführungen des neuen Kanz ler- vom ersten bis zum letzten Wort und geben die Richt linien der kommenden Ncgicrnngspvlitik an, die sich crotz der von Euno bcrvorgehobcncn, in gewissen Punkte» vorhan denen llkbereinstimmung put dem Willen und den Plänen de- verilolsencn Kabinetts scharf von der Wirklichen Politik unterscheiden dürfte, wenigstens von -er Politik, die der bisherige Kanzler bis zur 'Rote vom 18. November an die Neparationskommission vertreten hat. An diese letzte Phase der oiihenpolllische» Stellungnahme der Negierung Wirth, die leider viel zu spät in Erscheinung trat, an diese aktive, schassende, wirkende Politik wird die Negierung Eur.v an- knüpfcn. Das vielgenannte Wort des früheren Kanzlers: Erst Brot, dann Reparationen! wird -te Brücke bilden »wischen der vergangenen und der neuen Acra. Ab^r auch nur die Brücke,- denn auf dem einen tlfcr da wird daS Wort, auf dem andern, dem zu erstrebenden und dem er strebten, dir Tat stehen. „Unser Deutschland. daS der Menschheit soviel an höch sten Werten der Gesittung und der Gesinnung und der Aus prägung deS besten Menschentums gegeben bat. soll im Kreise gleichberechtigter Völker wieder ei» sich selbst be stimmender. ans eigener Kraft und eigenem Rechte lebender Staat werden!" Das ist der leuchtende Ziel- und Endpunkt, mit dem der Kanzler seine und seines Kavinettö Absichten in wohltuender Weile gekennzeichnet hat. Nack, auhen soll dieses Ziel durch die Wiedererringiing deS akcichcn Ncchlcs für Deutschland erstrebt und erreicht werden, des Rechtes, da- unS feierlich vor Krieasichiuh versprochen »nd bis heule vorenthalten wurde und daS allein einen dauernden Frieden gewährleisten kann. Mcae die dahin führen und die der Kanzler gleichfalls ln seiner Rede behandelt, sind die Klarstel lung der KrleaLschuldsrage. der endlich, endlich eine deutsche Regierung hilfreiche Hand z» bieten verivrickit, »nd die Durchführung deS Programms. daS Deutschland ln der er wähnten RrparationSnote ausgestellt hat. Die NevarationS- fragr, dlr „Schicksalsfrage der deutschen Wirtschaft", für deren Lösung iene Note einen gangbaren AuSwea ze gt. soll künftig von deutscher Seite so gchandhabt werden, dasi alles, wa» nach Deckung deS deutschen Bedürfnisses geleistet wer- den kann, den gegnerischen Aiisbauplänen zur Verfügung gestellt wird. aber, wie gesagt, erst nach Deckung der deut schen WirtschastSnotwrndigkeiten. Dabei hält Enno an der Forderung de» deutschen ReparatlonSplaneS vom 18. No vember nach LeistiinaSfrelhelt ans drei bis vier Jahre un bedingt lest. Wenn demgemäsi ln Zukunft gehandelt wird — «nd eS besteht kein Grund deS Zweifels, dah da» nnter CunoS Leitung nicht der Füll ist — dgnn könnte dieses heikelste aller Probleme in letzter Stunde einem gütlichen Ende zugelührt werden. Dle Wege, die das neue Kabinett innenpolitisch zu gehen gedenkt, gipfeln in dem Gedanken einer „aut Leistung gegründeten Wohltat,rt". Der Niedergang unserer Wirtschaft, dessen Gründe natürlich ln der Hauptsache aus auhrnvolitischem Gebiete liegen, ist ganz zweifellos auch aus sene tief einschneidenden nachrcvoluttonären, dle Arbeitsleistung beeinträchtigenden Mahnahmcn sozialistischer Kabinette »urückzusührrn. Wir haben einen mlhverstande- «rn Achtstundentag, wir haben einen den Zcitverhältntsicn widersprechenden Ausbau der soziale» Gesetzgebung, deren vrlnztpiellrr Wert nicht bestritten zu werden braucht. In dlrsen Zusammenhängen verspricht da» Kabin.lt Cuno. Reue» »u leisten. ES beweist mit vielen Stellen seiner Erklärung »lesgrhcndc» Verständnis für alle Schichten, für dir notleidenden besonders. Aber gerade aus diesem liefen Verständnis heraus wird es sich nicht dazu bcrgebcn. weiter hin Mahnahmen »u trelfen. die den Malten zunächst al» rin Geschenk erscheinen, die ihnen letzten Endes aber doch schweren wirtschaftlichen Schaden zusügcn. So wird der Achtstundentag Nvrmalarbcitszeit bleiben, seine Schabloin- sicrung aber wird abgebaut werden, ebenso wie die nach der Revolution stark betonte Schematisierung der Leistung und LetsuingSbeivcrtung abgebaut werden wird und muh. Mit diesen Gedanke» und Plänen zeigt sich daS neuc Kabinett und sein Führer als im weiteste» Sinne des Wortes wirklich volkSsreundlich und volkstümlich, und eS wäre anzunchmen und zu wünschen, dah alle Schichten des Volke» und alle Parteien sich ihm gegenüber in lnmpathisch ster Weise verhielten. Zur Stunde ist eS allerdings noch nicht völlig klar, ob diese Snmpalhicn sich bei der Abstim mung über das Vertrauensvotum ungeteilt ans leine Seite stellen werden, da die Sozialdcmvkra'ic sich über ihre Stellungnahme noch nicht endgültig cnlschiedc» hat. Die sozialistischen Vvrstöhe gegen den neuc» Eriiähruiigsmiiiister Müllcr-Bonn wegen angeblicher 'eparalistischer Betäti gung im Rheinland, wie auch die Vvrcingenom» enhelt der Sozialisten gegen den WirtschaftSwinistcr Bccker-Hesscn lassen um so mehr eine ablehnende Haltung gegen die neuc Regierung vermuten, als sich ihr Sprecher, der frühere Un abhängige Dr. Brcttschcid, nicht enthalten konnte, der Regie rung die schärfste Opposition anznkllndlgcn. Immerhin ist noch nicht lcdc Hoffnung geschwunden, dah die Partei sich tatsächlich an die Richtlinien ihres BerltneS Organ- hält »nd keine „Bvshcitspvlittk" treibt, lo.idern der Einsicht Raum lässt, dah CunoS Prrgramm tatsächlich da» BolkS- ganze. das Wohl der deutschen Nation und nicht zuletzt ihrer Dollar (ämllieri): 7062,30 Im ^rslvvestsste ckdvnck» 6 Uste: 7L00 arbeitenden Schichten >m Auge hat. Dieie Rücksicht aus daS Vvlköwvhl aber müsste die Partei aus die Seite EunoS führen. Von den übrigen Parteien, selbstredend mit AuS- nähme der Kommunisten und d:c Gruppe Ledebour. dülste sich kaum eine dem Kanzler und seine» neuen Männern, ihren Zielen und Plänen cnigegcnstellcn. Wir werden damit zum ersten Male seit dem Kriege eine Regierung bauen, die sich auf einer breiten Volksbuüs erhebt, ohne eine direkte Parte»- oder besser Koalitionsregierung zu sein. An sich dürste man erwarten, dah eine solche Negierung im Ausiande den Eindruck erwecken »nd die Anerkennung finden würde, die ihr tatsächlich gebührt. Die Aussichten, die sich hierfür eröffnen, sind allerdings bedauerlich schlecht. Frankreich, dessen führende Männer noch unlängst cs mit einem deutschen Wirlschastskabinctt zn tu» haben wollte», lehnte das neue Kabinett noch vor der Erklärung im Reichs tage ab. Es erwartet von ihm ntchtö weiter, als dah cö ln seiner Eigenschaft der Vertretung des deutschen Kapitals dieses umgehend sür ReparativnSzwcckc flüssig macht. Eng land hält hinter dem Berge. Es schweigt zu Euno und seinen Männern. Aber der fühlbare Umschwung, der in England sich hinsichtlich der Reparationösragc geltend macht, deutet auf nichts Gutes hin. lind Italien unter Mussolini ist dentschcnfrclserisch geworden, wie in den Tage» seines Eintrittes in den Weltkrieg. Man wird also mit ziemlicher Sicherheit die neue Negierung und ilne Pl仫 bei unseren Hauptgegnern ablehnen: man wird ihr Schwlc» rlgketten zn bereiten suchen mit Drohungen und Gewalt» alten. Da ist eS unbedingt erforderlich, dah weder Euno noch einer feiner Minister sich etiischüchlcrn lauen, das, sie fest stehen, fester alö Wirth und alle seine Vorgänger. Unter dieser Voraussetzung, aber nur unter dieser, wird sich ihre Politik der „Selbsierhaltung der Nation", diese neue deutsche und rinzlg richtige Politik, durchsetzen können.