Volltext Seite (XML)
Ar. 22. Friedrich Georg Wiecli's Deutsche Thüringens Indn st r i c. Eine Skizze von H. Schwerdt. lZortsegungO Von den Produkten des Thierreichs, soweit sie der In dustrie anheimfallen, erwähnen wir zunächst der geräucherten Fleischwaa reu, die sich unter dem Collectivnamen: „Gothaische Wurst" ein weitberühmtes Rcnommve erworben haben. Gotha, wo der Metzger Auerbach mit einer Dampfmaschine arbeitet, versendet davon jährlich über 5000 Centner. Dazu liefert Waltcrshausen, wo dieser Industriezweig wurzelt, eiucu sehr erheblichen Beitrag. Dort war der speculative Fleischer Johann Daniel Kestner seo. vor etwa 50 Jahren auf den Gedanken gekommen, seinem schwunghaften Ge schäfte eine größere Ausdehnung zu geben, und bezog mit seiner vor trefflichen Servelatwurst die Messen zu Leipzig, Frankfurt re. Jetzt exportirt sein Sohn — andere Fabrikanten mit mehr oder minder starkem Betrieb nicht zu gedenken — jährlich 800 Centner bis nach Frankreich, England, Nord- und Südamerika, Australien re.; obgleich in neuester Zeit die Trichinenkrankhcit diesem Erwerbszweig, der auch in Schmalkalden und Salzungen ziemlich schwunghaft betrieben wird, sehr empfindlichen Abbruch gethan hat. Bei der nicht unbedeutenden Schafhaltung, größtcnthcils von halbveredelter Züchtung, wird jährlich eine beträchtliche Quantität Wolle erzeugt und zunächst auf den Wollmärkten zu Weimar, Gotha, Arnstadt re. abgesetzt. Mit den Fabrikaten, welche daraus gewonnen werden, beherrscht Thüringen, wenigstens in einzelnen Artikeln, nicht blos den deutschen Markt, sondern kann auch fremder Concurrenz kühn entgegentreten. Die Strick-, Posamenttr- und Webegarne aus Langensalza, Stadtilm re., die Kammgarne aus Eisenach, Glücksbrunn re., die Streichgarne aus Mühlhausen, Arn stadt, Königsee, Ronneburg re. gewinnen den englischen Gespinnsten immer mehr Terrain ab. Namentlich sind die Kamm garn-Fabri- ken, welche Eichel-Cramer (Eisenach) und von Weiß (Glücksbrnnn), die zu den angesehensten und begütertsten Fabrikherren Thüringens zählen, im Gange haben, so bedeutend, daß sich ihr Absatz weit über den deutschen Zollverein hinaus (z. B. nach England) erstreckt. Auch in Stadtilm, wo 5700 Spindel» thätig sind, verarbeitet lediglich die Fabrik von Schmidt und Reichardt wöchentlich 7000 Centner Wolle zu Strickgarn. Langensalza, wo die Firma Weiß und Comp. ein jährliches Kapital von 100,000 Tbaler, umsetzen soll, zählt 13 Streichgarnspinnereicn u. s. w. — Mit dieser überaus regsamen Produktivität hält die Wollweberei gleichen Schritt. An einzel nen Orten ist dieselbe allerdings, sammt den uralten Industriezweigen der Wollcngarnhandspinnerei und Kämmerei, im Laufe der Zeit er heblich zurückgegangcn. Während sonst die Rasch- und Plüschmanu faktur z. B. in Eisenach und Lobenstcin so schwunghaft betrieben wurde, daß die Zunft der Tuchmacher und Tuchscheerer nach Hun derten zählte, so kommen diese jetzt nur noch vereinzelt vor. Dagegen find an die Stelle der Handstühle die Maschinen getreten, die auf einem kleineren Raume ungleich größere Massen bewältigen und vor zugsweise im Königreich Sachsen ihren Boden haben. Daher denn auch das benachbarte Ländchen Reuß-Greiz, wo neben 1200 mecha nischen gegen 10,000 Handwebstühle klappern, den sonstigen Distrik ten des Thüringer Zollvereins in diesem Industriezweige weit vor aus ist. Namentlich aber behauptet die Stadt Gera schon seit Ausgang des 16. Jahrhunderts in allen Arten der Wollzeug produktion den ersten Rang und setzt noch jetzt seine derartigen Erzeugnisse nach allen Himmelsgegenden ab, so daß sich der Morgen länder in die Stoffe kleidet, die in Thüringen gesponnen, gewebt und gefärbt werden. Abgesehen von den Kämmereien, Spinnereien, Färbereien, Druckereien, Appretur-Anstalten rc., welche dort im Gange sind, beschäftigen 11 große Fabriken in der Stadt und in den be nachbarten Orten über 4000 Webstühle und bei der ausgedehntesten Maschinenthätigkeit dock noch etwa 6400 Personen beiderlei Ge schlechts. Eine ähnliche Tkätigkeit, wenn auch in geringerem Maß stabe, entfalten die reußischen Städte überhaupt. Bei der dasigen Kammgarnstoff-Industrie behaupten die Thibets, mit deren Fabri kation gegen 6000 Stühle beschäftigt sind, den ersten Rang. Aber auch anderwärts, z. B- in Langensalza, Mühlhausen ic. stebt, wie die Kämmerei und Spinnerei, so auch die Weberei in reicher Blüthe. Die Langensalzaer Wollstoffe (Firma: Gräser u. a.) sind außer ordentlich gesucht, und in Mühlhausen, wo sich die Wcbstühle in Stadt und Umgegend bis zu 2000 vermehrt habe», werden haupt sächlich Lama- und Flancllstvffc oder Halbwolleuwaaren fabricirt, die gleichfalls einen starken Absatz haben. In Stadtilm wird die Tuch- und Buckskin-Weberei, statt der früheren Raschmacherei. von 180 Meistern betrieben. Die Fabrik bei Dörrfeld liefert jährlich 24,000 Ellen Tuch. In Blankenhain arbeitet eine Fabrik mit 100 Stühlen. Nicht minder legt Pößneck, ein Hauptsitz der Wollmanu faktur, ans diesem Felde eine ungemein große Thätigkeit an den Tag. — Dazu kömmt, daß die Fabrikation der thüringischen Wollstoffe