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Wochenblatt Fernsprecher: Amt Siegmar Nr. 244. für Rcichcnbmnd, Siegmar, Neustadt, Rabenstein und Rattlnff. As 32. Sonnabend, den 13. August 191V. Erscheint jeden Sonnabend nachmittags. «»zeigen werden in der Expedition Meichenbrand, Nevoigtstrahe 11), sowie von den Herren Friseur Weber in Reichcnbrand, Kaufmann Emil Winter in Rabenstein und Friseur Thiem in Rottluff entgegen- Senommen und pro Ispaltige Petitzeile mit 10 Pfg. berechnet. Für Inserate größeren Umfangs und bei öfteren Wiederholungen wird entsprechender Rabatt, jedoch nur nach vorheriger Vereinbarung, bewilligt. Anzeige«-A«nahme in der Expedition bis spätestens Freitags nachmittags 5 Uhr, bei den Annahmestellen bis nachmittags 2 Uhr. Bereinsinserate müssen bis Freitags nachmittags 2 Uhr eingegangen sein und können nicht durch Telephon aufgegeben werden. Nachdruck verboten. Roman von Ludwig Blümcke. (Fortsetzung) h Ta steht ein großer Mann in grauem Kittel mit grünen Aufschlägen vor ihr. Er trägt einen Hirschfänger an der ^ite und eine Büchse über der Schulter. Aber — was 'ft das? Blendwerk der Hölle oder Wirklichkeit? . Ilse stößt einen gellenden Schrei aus, denn sie erkennt «ein Mann ihren Retter wieder. Und des Mannes Ueber- Mung ist nicht minder groß, nur weiß er sie besser zu "^bergen, und sich schneller zu fassen. . „Mein Fräulein," spricht er fetzt, nachdem Barry sich z^uhigt, „geschehen denn wirklich Wunder auf Erden?" Sie A, und ich war noch vor wenigen Minuten so fest über- fugt, Sie nie wieder zu sehen. Darf ich fragen, was Sie diese Einsamkeit geführt?" ., „Mein Herr," stotterte Ilse jetzt über und über errötend, A sind unser neuer Oberförster, nicht wahr. O, ich bin so glücklich, daß ich das Versäumte nachholen kann. Ich ^?be mir so bittere Vorwürfe gemacht, weil ich Ihnen gar Mt gedankt für Ihr edles Rettuugswerk. Vielleicht stände M jetzt hier nicht in der Heimat, wenn Sie —" y. „Aber ich bitte Sie mein gnädiges Fräulein, wegen der Agatelle bedarf es doch keiner Worte mehr. Ich habe also, N ich jetzt vermuten darf, die Ehre mit Comtesse Ilse von Mldengrund." Dabei verbeugte er sich und suchte seinen Mg, der im wilden Forst etwas in Unordnung geraten, ^glichst instand zu setzen. ^„„Jch bin Ilse von Waldengrund," antwortete das holde Mägdlein. Das Sprechen wurde ihr plötzlich wieder schwer, sie schaute verlegen zu Boden. „ Aber auf dem glühenden Gesichtchen strahlte es hell und Mbar von Glück und nie geahnter Wonne. Und nun saßen die beiden Menschenkinder eng beieinander A dem Opferstein und plauderten, als hätten sie bereits A Jahr und Tag innige Freundschaft geschlossen. Ilses Schüchternheit war mehr und mehr geschwunden, denn in Nen ehrlichen blauen Augen lag so etwas, das ihr zu diesem Aanne unbedingtes Vertrauen einflößen mußte. Der treue Mry streckte sich beruhigt zu ihren Füßen aus — die ganze Alt war so still und so friedlich, wie wenn über ihr ein Kiger Sonntag angebrochen wäre. , Gott Amor aber war eifrig am Werke, zwei Menschen- Azen mit nie zerreißbaren Rosenketten an einander zu Miieden, nachdem sein scharfer Pfeil sie getroffen, daß sie Merstandslos in seinen Händen lagen. „Schon zwei Uhr?" rief Edgar aus. „Wahrhaftig, die Rindeglocke läutet auf dem Schloß. Die ist auch mein ^beitssignal. In fünf Minuten muß ich im Holzschlag sein." . „Und haben nichts zu Mittag gegessen, Herr von Erlen- ks?" fragte Ilse mitleidig. „Aber dafür einen köstlicheren Genuß gehabt." Mit herzlichem Händedruck trennten sich Edgar und Rse. — . „Aber Kind, ich war wirklich in Sorge um dich," sagte AGraf, als sein „Wildfang" jetzt mit glühenden Wangen N ihm in sein Arbeitszimmer eilte. Ilse mochte vor ihrem Mer keine Geheimnisse haben, darum schüttete sie ihm denn "ch ihr ganzes Herz aus. Nur, daß sie zwei volle Stunden Herrn von Erlenhns Seite gesessen, erwähnte sie nicht. , Ein Glück, daß der Graf so wenig Menschenkenner war, Ut hätte er wohl gemerkt, daß mit seinem Töchterchen eine Mame Veränderung vor sich gegangen. Unschwer war es Meldungen im Fundamt Rabenstein. Gefunden: 1 Kissen. Ar Gemeindevorstand zu Rabenstein, am 12. August 1910. Rabenstein. Am 31. Juli und 1. August feierte der Männer- Mngverein „Doppelquartett" hier dasFest seines 25jährigenBestehens. »Nier Teilnahme einer großen Zahl hiesiger und auswärtiger Vereine Aüef der Kommers am Sonntage in der befriedigensten Weise. Die Ochste Ehre und Freude empfand der festgebende Verein sowohl über Anwesenheit vieler Ehrengäste, unter denen der 1. Gemeindeälteste, Fabrikbesitzer Eugen Merkel in Vertretung des Gemeinde- "Wandes den anwesenden Fremden herzliche Worte der Begrüßung Md dem Iubelverein markige Worte der Anerkennung widmete, als M über die vielen und kostbaren Geschenke, die ihm an seinem Mtage von vielen Vereinen übermittelt wurden. Am Montage fand 'd Vormittage im Vercinslokale „Kühn's Restaurant" Frühstücks- Mel statt, zu der sich auch die Sänger aus Stolpen i. Sa. einfanden, „'e einen Besuch erwiderten, den ihnen und ihrem Dirigenten Herr Ärer Merz (früher hier) das Doppelquartett im Sommer vorigen ^hres abgestattet hatte. Beide Festtage wurden durch einen gediegenen All beschlossen, der den Teilnehmern mit ihren Frauen noch viele Mußreiche Stunden gewährte. in ihren Augen zu lesen, was da drinnen im jungen Herzen geschrieben stand. Aus den Augen leuchtete das Feuer, das da drinnen lichterloh brannte. „Kind, wie bist du heiß ge worden vom schnellen Laufen," sagte er nur, Ilses glühende Wangen streichelnd. „Merkwürdiger Zufall allerdings, daß der Mann aus der schmutzigen Gasse gerade hierher ver schlagen werden sollte. Was hatte er übrigens als Mann von Stand und Adel dort zu tun?" „Das kann ich dir ganz genau sagen, Papachen. Es steht da zwischen all den schmutzigen Häusern ein nettes, sauberes, in dem mau um ein sehr Geringes logieren kann. Tas hatte ein Bekannter Herrn v. Erlenhus gesagt, und da er fast keinen Schilling in der Tasche trug, so entschloß er sich, dort einzukehren. Wie gut, sonst hätte es mir schlecht ergehen können." „Ja, ja, mit seinen Finanzen muß es nicht berühmt sein," meinte der alles von der materiellen Seite betrachtende Papa. „Kein Wunder! Sein Vater war Forstmeister und Major. Weil er sich auch für die gute Sache begeisterte, setzten die ungerechten Dänen ihn einfach ab und verweigerten ihm die Pension. Nun sitzt er da mit seiner Familie. Mir tun die armen Leute in der Seele leid. Die Erlenhuser sind übrigens ein altes, berühmtes Adelsgeschlecht. Edgars, ich meine unseres Oberförsters Großvater, war General in schwedischen Diensten." „So, er scheint dir bei der flüchtigen Begegnung ja allerlei erzählt zu haben." Ilse schaute, um ihre Verlegenheit zu verbergen, zum Fenster hinaus, als sehe sie draußen etwas ganz Merkwürdiges. „Nun ja, Papachen, was man so spricht. — Ich finde, wenn der Herr doch aus altadliger Familie ist, so müßtest du dich seiner auch gesellschaftlich ein wenig aunehmen. Sieh, du verkehrst mit von Böckeritz, der doch eigentlich gar nichts ist -" „Nun halte ein, mein Kind, das nennt man naseweis! Komme mir nicht mit solchen Geschichten. Darin handle ich, wie ich will!" — Das klang hart und bestimmt, war aber zu Ilses größter Freude nicht so gemeint, denn schon am nächsten Tage lud der Papa den Mann, um den sich ihr ganzes Sinnen und Denken drehte, in eigener Person zum Tee eiu. Mit ungestümem Herzklopfen sah das liebende Mägdlein dem Kommen des Geliebten entgegen. Ja, sie liebte Edgar mit ganzer Seele, das gestand sie sich, da sie auch gegen sich selber stets ehrlich war, ohne Widerrede ein. Sie, die Spröde, liebte und zwar mit der ganzen Kraft eines unverdorbenen Herzens. Nun saß von Erlenhus gemütlich plaudernd da am grünen Tisch in dem traulichen, etwas altmodisch aber dennoch sehr geschmackvoll ausgestatteten Gesellschaftssalon. Jedes Stück der goldverzierten, soliden Möbel hatte seinen Kunstwert außer dem reellen. Der Graf behandelte den Oberförster heute ganz und gar als Gast und seinesgleichen. Darum war die Unter haltung zwanglos und gemütlich. Beide Herren waren ja Freiheitskämpfer. Da lag es natürlich nahe, daß von Krieg und Militär am meisten die Rede war. Der Graf sprach von Leipzig, Waterloo, Paris usw., Edgar erzählte von Jdstadt und Kolding, von Jammer und Elend in seinem unterdrückten Vaterlande. „Aber so bleibt es nicht, wir haben die Hoffnung nicht verloren. Ich weiß nicht, ob den Herrschaften unser Schleswig- Holsteinlied bekannt ist. Man hat es uns zu singen verboten, und dennoch ists in aller Herzen und in aller Munde." „Ich hörte von dem Liede," sagte Ilse jetzt. „Sie sind doch musikalisch, Herr von Erlenhus? Würden Sie nicht die Güte haben, uns das Lied einmal mit Gesangbegleitung auf dem Flügel vorzutragen?" Edgar verbeugte sich und sagte: „Ganz, wie gnädigste Comtesse befehlen." Und mit seiner klaren, volltönenden Stimme sang er am Klavier das schlichte, ihn aber stets aufs neue mächtig er greifende Volkslied, das da einen schönen Morgen dem be drängten Volke prophezeite. Die letzten Strophen brummte der alte Herr mit, so gut er es vermochte. Dann schüttelte er dem Schleswig-Holsteiner die Hand und sagte mit flammen den Blicken: „Kamerad, dieselbe Hoffnung beseelte auch uns Deutsche einmal, nach den Tagen von Jena und Auerstädt. Sie hat sich herrlich erfüllt. So wird auch Ihr Gebet erhört werden." Der alte Herr hatte, wie er es, wenn auf die große Zeit der Freiheitskämpfe die Rede kam, so gerne tat, dem edlen Burgunder weidlich zugesprochen. Und in der Wein laune zeigte er deutlich genug, daß er wohl eine kerndeutsche Natur, aber kein Barbar war. Ilse war überglücklich, daß ihr Vater sich so anfreundete mit dem geliebten Mann, der ihr heute in seiner kleidsamen Uniform, die Orden auf der Brust, noch weit ritterlicher vorkam, als bisher. Er sah wirklich schön aus, dieser blonde Recke mit dem gebräunten interessanten Gesicht, den Hellen blauen Augen und dem martialischen Schnurrbart, der fast dem Knebelbart des Vaters gleichkam. Und diese Augen konnten einen so sanften Glanz annehmen, wenn sie den ihren begegneten, was fast zu häufig geschah. Ach, das könnte nicht Lüge sein, sagte sich Ilse, was ihr da entgegenstrahlte. Auch er müßte sie lieben, er, der erfahrene, wettergeprüfte Mann, sie das törichte Kind. Die Unterhaltung war jetzt lebhaft und interessant für alle drei geworden, sodaß es Niemand auffiel, wie da beständig eiu Lauscher hinter der nur augelehnten Tür zum Anrichtezimmer stand. Ottos Freund, der Diener Süßmann, war es. „Wird noch immer schöner," sagte dieser Spion zu sich selber, „den Oberinspektor, den Rentmeister und den alten Oberförster lud er nur einmal im Jahr zum Jagddiner ein. Und dieser Kerl sitzt heute schon da, als wäre er ein lieber Vetter. Was der Mensch sür verliebte Augen macht. Der hat wahr und wahrhaftig, vor der Comtesse den Kopf zu verdrehen. Ebenso wie er vor hat, dem Otto den Kopf umzudrehen. Aber warte nur, Meister, Grünschnabel, es ist noch nicht aller Tage Abend." Damit schlich der Getreue wieder für ein Weilchen in die Küche, um eine kleine Herzstärkung zu sich zu nehmen. Die Annaliese war dort in ihrem Element. „Das lobe ich mir," sagte sie," die Weiße Schürze glatt streichend, „daß so ein Mann, der Recht und Gerechtigkeit liebt, hier im Schloß zu Ehren kommt. Ohne ihn säße der Müller jetzt im Loch." „Ihr Frauensleute scheint mir ja alle mächtig in das schmucke Kerlchen verliebt zu sein," entgegnete Süßmann mit schwerer Zunge. „Ja, ja, so ein bischen schlanke Taille und ein grüner Rock, das mögt Ihr." „Gewiß, aber vor allem eine anständige Gesinnung" er widerte die Magd schnippisch, denn sie wußte, daß sie damit den widerlichen Diener am meisten kränkte. Es war lange nach Mitternacht, als Edgar in glücklichster Stimmung heimkehrte. O, wie liebte er dieses Engelsbild, wie hatte dieses süße Mägdlein sein ganzes Herz gefangen genommen. Nur von ihr träumte er die Nacht, und sie war sein erster Gedanke, als er fröhlich erwachte. Der Diener Süßmann hatte am nächsten Tage nichts eiligeres zu tun, als seinem Freunde und Gesinnungsgenossen Otto alles Wort für Wort zu berichten, was er gestern Abend erlauscht. „Paß auf, der Kerl wird noch mal des verrückten Alten Schwiegersohn und Herr von Waldengrund. Die Comtesse ist verliebt in ihn, das habe ich wohl gemerkt. Und da wäre er doch dumm, wenn er nicht zugreifen wollte." Damit schloß Süßmann seinen Bericht und machte ein recht saures Gesicht. Aber der Fuchsbart lachte nur höhnisch, und meinte, bis dahin müßte noch mancher Tropfen zu Tal laufen. Des Grafen Gunst wäre sehr wetterwendisch. In den nächsten Tagen machte Edgar auch dem Ober inspektor der gräflichen Diener und dem Rentmeister seinen Besuch. Jener, Herr Amtmann Müller, empfing ihn sehr kühl, da es ihm nicht recht war, daß der Oberförster vom Grafen bevorzugt wurde. Der Rentmeister Schneider da gegen, der sich sehr gut zu verstellen verstand, war, trotzdem er dem Neuling erst recht nicht gewogen, die Liebenswürdigkeit selber. Er hatte durch Sparsamkeit, vielleicht auch durch glückliche Spekulationen, ganz gewiß aber durch manche Un redlichkeit ein großes Vermögen erworben. Man hielt ihn für wohlhabender, als den Herrn Grafen selber. Alle Ge schäftsleute, als Kornmakler, Wollhändler, Viehkommissionäre usw. buhlten um seine Gunst. Warum, das wußte Niemand genau. Doch vermutete man hie und da, daß übergroße Menschenfreundlichkeit und Klugheit nicht allein die Beweg gründe wären. Durch Schneiders Vermittelung war übrigens der Revierförster Otto seinerzeit in gräfliche Dienste gelangt. Der war ihm bis heute treu ergeben und das war sein Schaden nicht. Herr Schneider war Witwer und hatte zwei Kinder, einen Sohn und eine Tochter. Jener war Kaufmann in Ostindien, diese führte den Papa die Wirtschaft. Aurora hieß das überspannte und recht klatschsüchtige, nicht mehr ganz jugend liche Fräulein. Man nannte sie einen Blaustrumpf, denn sie hatte einen wunderbar schön eingebundenen Gedichtband mit dem goldstrotzenden Titel „Waldrosen" verfaßt und auf