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AK» LMBkilU zu AWen NMszeilW A 299» zn Nr. 30 des HanptblatteS. 1.926. Beauftragt mit der Herausgabe Regierungsrat Brauße in Dresden. Landtagsvcrhandlimgkn. 187. Sitzung Donnerstag, den 4. Februar 1S28. Präsident Winkler eröffnet die Sitzung 1 Uhr 13 Min. nachm. Am Regierungstisch Ministerpräsident Heldt, die Minister Bünger, vr. Dehne, Elsner, Müller (Chemnitz), Müller (Leipzig), sowie eine Anzahl Regie rungsvertreter. Punkt 1: Anfrage des Abg. Böttcher u. Gen., Freisprechung des wegen Überschreitung des Züchtigungsrechtes angeklagten Volksschul lehrers Rudolph in Zwickau-Marienthal betr. (Drucksache Nr. 1639.) Die Anfrage lautet: Das Oberlandesgericht Dresden hat in einer Be- rufungsverhandlung den Bolksfchullehrer Rudolph in Zwickau-Marienthal freigesprochen. Der Lehrer hatte eine Klasse von 10jährigen Knaben. Beim Turnen erreichten 10 Schüler das Ziel im Stangenklettern nicht. Er ließ sie Stabübungen zur „Muskelstärkung" machen. Zwei Schüler weigerten sich, die Strafe auszuführen und verlangten, an der Fortsetzung des Turnunterrichtes teilzunehmen. Daraufhin ver abreichte der Lehrer dem einen Schüler eine Ohrfeige, dem anderen Stockschläge. Das Amtsgericht sprach den Lehrer frei, das Landgericht ebenfalls, obwohl es feststellte, daß N. gegen landesgesetzliche Bestimmungen verstoßen habe. Wenn das Schlagen der Schüler verboten sei, habe der Lehrer dies zu unterlassen. Trotzdem kam auch das Oberlandesgericht zur Freisprechung des prügeln den Lehrers. Die Richter, die die Befolgung der Gesetze über wachen und die Übertretungen der gegebenen Gesetze bestrafen sollen, tun das Gegenteil. Sie schützen die Gesetzesbrecher und reizen zu Verbrechen an. In der Schule fordern sie zur Prügelstrafe auf. § 28 des säch sischen Schulbedarssgesetzes, der besagt: „Bei Hand habung der Schulzucht ist jedes Mittel zu vermeiden, das den Zwecken der Erziehung zuwiderläuft. Körper- liche Züchtigung der Schüler ist unzulässig", existiert für diese Richter nicht. Diese Rechtsprechung beseitigt den Artikel 2 der sächsischen Verfassung, in dein es heißt: „Die Staatsgewalt geht vom Volke aus" und macht den sächsischen Landtag, der vom Volke als Ge setzgeber gewählt worden ist, zum Gespött der ganzen Welt. Was gedenkt die Regierung zu tun, um die Richter für ihr konterrevolutionäres Verhalten zur Verant wortung zu ziehen? Was gedenkt sie zu tun, um den von dem sächsischen Landtag erlassenen Gesetzen Geltung zu verschaffen? Abg. Lieberasch (Komm.) führt zur weiteren Be gründung der Anfrage noch die Schule in Falkenstein an, wo die Kinder von ihrem Lehrer blutig geschlagen und ihnen die Sachen vom Leibe gerissen wurden, und beschwert sich dann über das Vorgehen gegen die Kinder, die den kommunistischen Kindergruppen an gehören. Er behauptet, daß 50 Proz. aller Lehrer in Sachsen die Prügelstrafe in der Schule anwenden, und schließt mit der Forderung, daß die sächsische Verfassung, die die Prügelstrafe in den Schulen verbiete, von den sächsischen Lehrern und Richtern respektiert werden müsse. Ministerialdirektor vr Wulffen: Meine Damen und Herren! Die Anfrage Nr. 1639 beantwortet das Justizministerium folgendermaßen: Der der Anfrage zu grunde liegende Vorfall hat sich nach den Feststellungen der Strafkammer des Landgerichts Zwickau folgender maßen zugetragen: Der Angeklagte ist an der Volksschule in Zwickau- Marienthal — an der Paulusschule — vom Staate an gestellt und erteilt Turnunterricht in verschiedenen Klassen dieser Schule. Eines Freitags im Oktober 1924 hatte die Klasse 5», die aus zehnjährigen Knaben bestand, bei ihm Turnstunde, und es wurden dabei Kletterübungen an den Kletterstangen ausgeführt. Das Eillettern der Stange bis zur vollen Höhe gehört zum Klassenziel Von den Schülern erreichten etwa zehn den oberen Tei der Stange nicht, darunter befanden sich auch die Schüler Kopp und Rauch. Der für die Erreichung des Klassenziels verantwortliche Angeklagte ordnete nun an daß die Knaben, die nicht die ganze Stange erkletter hatten, zur Stärkung ihrer Armmuskeln Übungen mit Eisenstäben, wie sie sich in jeder Turnhalle vorsinden, machen sollten. Nebenbei hegte er aber noch den Ver dacht, daß einige von diesen 10 Knaben nicht aus Mangel an Kräften oder aus Ungeschicklichkeit, sondern nur aus Trägheit nicht weitcrgeklettert waren, und daß eS ihnen bloß an gutem Willen gefehlt habe Dies nahm er besonders von den Schülern Rauch und Kopp an, denn Rauch gehörte immer zu den guten Turnern der Klasse und Kopp war von den Schülern einer der kräftigsten. Beide haben in den folgenden Turnstunden jedesmal ohne besondere Anstrengungen den oberen Teil der Kletterstange erreicht. Während die 10 Knaben die Übungen nut den Eisenstäben »nachten, beschäftigt der Angeklagte die übrigen mit Bockspringen. Darüber ärgerten sich Rauch und Kopp. Rauch ließ zuerst seinem Arger freien Lauf. Nach etwa 3 bis 4 Minuten nach Beginn der Stabübungen ließ er, um den Angeklagten vor der Klasse lächerlich zu machen, um ihn zu verhöhnen und um sich vor seinen Mitschülern groß zu tun, den Eisenstab mit lautem Gepolter zur Erde fallen und sagte in trotziger Weise zum Angeklagten, und zwar so laut, daß es die ganze Klasse hörte, daß er nicht mehr mitmachen (Hört, hört! rechts), sondern auch am Bockspringen teilnehmen wolle. Der Angeklagte war über das freche Benehmen Rauchs sehr empört, ließ einen Rohrstock holen und versetzte dem Rauch zur Vermeidung von Wieder holungen und zur Wahrung der Stellung des Lehrers und zur Aufrechterhaltung der Schulzucht mit dem Stocke auf jede Hand einrn Schlag. (Bravo! b. d. Dtschnat., Zuruf: Viel zu wenig! — Lebhafte Gegeurufe b. d. Komm.) Auch Kopp benahm sich trotz des Zwischenfalles mit Rauch, der ihm hätte zur Warnung dienen müssen, dem Angeklagten gegenüber höchst ungehörig. Nicht weil ihn seine Kräfte im Stich ließen, sondern um vor der Klasse den „Hanswurst" zu spielen und um ebenfalls den Angeklagten zu verhöhnen und seine Anordnungei» ins Lächerliche zu ziehen, hörte er jedesmal mit den ge botener» Stabübungen auf, wenn der Angeklagte den Rücken kehrte, oder wenn er glaubte, daß dieser nicht hinsah. Mehrfache eindringliche Vermahnungen durch den Angeklagten waren ohne Erfolg. Deshalb gab dieser ihm, als er ihn wieder erwischte, zur Vermeidung von Wiederholungen eine Ohrfeige, die, ebenso wie die Stockichläge bei Rauch, nur leichter Art war und keinerlei nachteilige Folgen hinterlassen hat. Beide Knaben haben durch ihr Verhalten die Klassen zucht schwer geschädigt und ihre Mitschüler zum Lachen heransgefordert, sie auch von der nötigen Aufmerksam keit in der Stunde abgelenkt. Ihr Betragen ließ auch vnst manches zu wünschen übrig. Besonders gilt aber Rauch als rüpelhaft. Er sollte im sittlichen Betragen als Osterzensur die Nole 2 erhalten. Der hier in Frage ommende Vorfall in der Turnstunde verschlechtert die Betragenszensur des Klassenlehrers auf 2 b. Der wegen dieses Sachverhaltes zur Verantwortung gezogene Lehrer ist vom ^Amtsgericht in Zwickau frei- zesprochen worden. Auf die Berufung der Staats anwaltschaft hat die 2. Kleine Strafkammer des Land gerichts Zwickau zwar die Begründung des erstinstanz- ichen Urteils fallen lassen, die Berufung aber aus andere»» Gründen verworfen. Die von der Staats anwaltschaft hiergegen eingelegte Revision ist vom 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts verworfen worden. Das Berufungs- und das Revisionsgericht haben bei der rechtlichen Würdigung des dargelegten Sach verhaltes zunächst festgestellt, daß dem Angeklagten in seiner Eigenschaft als Lehrer ein Züchtigungsrecht nach 8 28 Abs. 1 des sächsischen Schulbedarfsgesetzes vom 31. Juli 1922 nicht zustand, und daß deshalb seine Handlungen au sich den Tatbestand des § 340 StGB, erfüllen. Das Berufungsgericht ist jedoch zur Frei sprechung gelangt, weil der Angeklagte in Notwehr gehandelt (Lachen links) und die in Frage kommenden Handlungen in Ausübung des sogenannte»» ab geleiteter» Züchtigungsrechts vorgcnommen habe, und das Revisionsgericht hat unter Ausschaltung der Frage des abgeleitete»» Züchtigungsrechtes Anwendung der Notwehrbestimmungen gebilligt. Irgendein Anhaltspunkt dafür, daß die beteiligten Berufsrichter und Schöffe»» bei diesen U»teilen ihre richterliche»» Pflichten verletzt hätten, ist nicht gegeben und wird auch in der Anfrage nicht angeführt. Außer im Falle einer Pflichtverletzung können aber Richler kraft der verfassungs- und gesetzmäßig gewährleistete»» Unabhängigkeit der Gerichte wegen der Urteile, an denen sie mitgewirkt haben, nicht zur Verantwortung gezogen werden. Die Regierung ist daher nicht in der Lage, in dieser Hinsicht irgendwelche Schritte zu tun. Die Regierung verkennt nicht, daß die Frage des Verhältnisses der Notwehrbestirnmungen des Straf- gesetzbull.es zu dein Verbot der körperliche»» Züchtigung im Schulbedarfsgesetz von Bedeutung ist. Die Staats anwaltschaften s»nd daher angewiesen worden, sobald als möglich einen geeigneten Fall zur Entscheidung vor das Reichsgericht zu bringen, damit durch dessen Urteil in dieser Frage die erforderliche Klarheit herbeigeführt werden kann. (Zuruf b. d. Komm.) Abg. Grellman»» (Dtschnat.): Als seinerzeit das Schulbedarfsgesetz beraten wurde, standen wir auf dem Standpunkte, daß zunächst einmal der § 28, der das Züchtigungsrecht in dieser Materie regeln will, überhaupt nicht in den Rahmen eines Schulbedarfsgesetzes hinein gehört. (Sehr richtig! b. d. Dtschnat.) Wir haben bedauert, daß die Mehrheit dieses Hauses sich damals anders entschieden hat. Ich möchte heute das Kultus ministerium vor» dieser Stelle auS herzlich bitten, wenn es nicht anders geht, wenn es sonst den Mut nicht ausbringt, endlich unseren Antrag, der in dieser Richtung geht, der die Wredereinführung des Züchtigungsrechtes als letztes Mittel in der Schule vorsieht, durchzuführen. Erlassen Sie doch einmal eine Rundfrage draußen an die Bezirkslehrervereine und lassen Sie dort eine geheime Abstimmung von statten gehen, Sie werden Ihr blaues Wunder erleben, wie heute die Mehrzahl der Lehrerschaft über die Wiedereinführung des körperlichen Züchtignngs- rechtes denkt. Ich bin ausdrücklich, ich kann wohl sagen, von mindestens 100 Lehrern, die nicht meiner Partei angehören, erst gestern wieder und in den letzten Tagen gebeten worden, dafür zu sorgen, daß den Lehrern wieder irgendein Schutzmittel gegen derartige radikale Rüpel, die es heute leider in der Schule gibt, in die Hand gegeben wird. (Sehr richtig! b. d. Dtschnat.) Ich möchte die Kollegen der Linken, namentlich die Ver treter, die hier besonders für die Beseitigung des Straf rechtes eingetreten sind, die Kollegen Arzt und Weckel, fragen, was sie dazu sagen, wenn hier behauptet w»rd, die Volksschullehrer hätten die Kinder blutig geschlagen und hätten ihnen die Sachen vom Leibe gerissen. Da bei weiß man doch, daß das Lehrerkollegium in Falken stein, das ganz besonders unter diesen Rüpeleien zu leiden hat, nicht deutschnational eingestellt ist. Soweit ich weiß, ist der Schulleiter, der hier verunglimpft worden ist, meines Wissens Sozialdemokrat oder steht wenigstens der Sozialdemokratischen Partei nahe. (Zuruf b. d. Soz.: Das stimmt nicht!) Ich weiß es nicht genau, vielleicht wissen Sie es besser. Jedenfalls ist er nicht deutschnational. Man will uns nun weißmachen, in diesen kommu- nistischen Kindergruppen, wo die Jugend in un erhörter Weife gegen die Autorität, gegen die Lehrer aufgehetzt werden, werde Kulturpolitik getrieben. Mir geht von dort die Nachricht zu, daß in dieser Schule von diese»» radikalen kommunistischen Kindergruppen folgendes Gedicht verbreitet worden ist, das für diese Art Kulturpolitik sehr gekennzeichnend ist. Ta heißt es: Brüder, wir stehen geschlossen Auf Leben und Tod wie ein Mann, Wir stehen im Kampf als Genoffen, Die Fahne, die rote voran. Und trifft dich ein Schuß, »nein Getreuer, Ein Schuß von dein Feinde, dem Hund, Ich trag' dich heraus aus dem Feuer Und heil dir mit Küsse»» die Wund'. Und bist du gefallen, ein Toter, Die Augen, die lieben, in Nacht, Bedeckt dich die Fahne, die rote, Ich folg' dir in blutiger Schlacht. (Lachen rechts) Das ist die Kulturpolitik, die diese Leute mit diesen 6, 7, 8, 9 und 10jährigei» Lansejuvgen treiben. Es ist bedauerlich, daß das Volksbildungs ministerium ans diesen Vorkommnissen nicht endlich einmal die Konsequenzen zieht. Wenn das Bolksbilvungs- ministerium auf dem Verordnungswege nicht dazu kommen kann, werden wir darauf drängen, daß unfer Antrag endlich behandelt und erledigt wird, damit draußen im Lande die Ruhe wieder einkehrt und der Volksschul- lehrer sieht, daß er wieder Schutz bei dem zuständige»» Ministerin»»» findet. Abg. Voigt (Dtsch. Vp.): Daß die kommunistische Anfrage nicht allzu ernst gemeint sein kann, geht schon aus den zahlreichen Wendungen hervor, mit denen sie bepackt, und die sehr deplaziert sind, wofür Redner Bei spiele anführt. Es darf angenommen werden, daß die Aktion, die die kommunistische Kindergruppe, gestützt und gewollt von der Kommunistischen Partei, unter den Schulkindern eingeleitet hat. doch nicht die erwar- teten Erfolge zeitigt, und es soll durch Anfragen, wie die gegenwärtige, nachgeholfen werden. Der Herr Abg. Lieberasch hat die Behauptung auf gestellt, daß 50 Proz. der sächsischen Lehrer gegenwärtig von der Prügelstrafe Gebrauch machen. Wenn das so ist, dann ist durch die praktische Entwicklung der Nach weis erbracht, daß die Auffassung des § 28 des Schul- bedarfsgefetzes falsch ist. (Sehr richtig! rechts) Dann muß er beseitigt werden. Wenn den Kindern Kleider vom Leibe gerissen worden im Zusammenhänge mit der körperlichen Züchtigung, so sind das natürlich Dinge, die wir ver urteilen, wie ich übeihaupt für meinen Teil zum Ausdruck bringen möchte, daß wir nicht wünschen, daß auf diesen» Gebiete wieder Verhältnisse eintreten, wie sie vor Jahrzehnten gewesen sind. Ich darf den Wunsch an das zuständige Volksbildungsministerium richten, darauf Bedacht zu nehmen, daß Vorgänge, wie sie sich vor nicht langer Zeit in Dresden ereignet haben, mit alle»» Mitteln unterdrückt werden. Da hat ein Lehrer einen Schüler von den Mitschülern über den Tisch legen lassen, da er sich geweigert hat, sich zu bücken und die richtige Haltung einzunehmen, und dani» hat er ihn richtig durchgeprügelt. Aber das war nicht ein Gesinnungsgenosse und Parteifreund des Herrn Grell mann, auch nicht einer von der SPD, sondern ein politischer Anhänger der Antragsteller, der kommu nistischen Partei. (Hört, hört! rechts) Es war der Lehrer und Stv. Zincke in Dresden. Will man die Dinge in die richtigen Grenzen zurückschrauben, dann, meine Herren von der Kommu- nistischen Partei, erwachen Sie im eigenen Lager und halten Sie den sächsischen Landtag nickt auf, sonst machen Cie ihn zum Gespött der ganzen Welt ' Mmisterialdirektvr vr. Wvelcker: Meine sehr geehr te»» Damen und Herren! Für das Bolksbildungsmini- sterium und die Lehrerschaft ist lediglich die gesetzliche Bestimmung »naßgebend, die die körperliche Züchtigung aus der Schule beseitigt hat. Wenn de» Landtag diese Bestimmung ändern will, so ist es wohl zunächst bei ihm, auf die weitere Behandlung des dahin abzielenden, vorliegenden Antrages einzugchen. Jtdenfalls können für uns nur die gesetzlichen Bestimmungen maßgebend sein. Wir haben in» vorigen Jahre die Arbeitsstunden cingesührt, die im gewisse»» Umfange einen Ersatz für das frühere Züchtigungsrecht bieten sollten. Es ist uns noch nicht in so überwäliigendcr Weise, wie »na»» das nach den Worten des Herrn Abg. Grellmann annehmen