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Donnerstag. Nr. 386. 7. Oktober 1852 , Wahrheit »ab «echt, Freiheit »ud Sesehl» Drei» fSr da» Viertel jahr I'/, Thlr. r jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Leipzig. Die Zeitung erscheint mit Ausnahme d«S F M sF' FU' V VF Dciitschc MMmc Zeitung Zu beziehen durch alle Poßilmter de» In- und Rutlandes, sowie durch die vrpektlion in Leipzig tQuerstraße Nr. 8). AnfertionggebÄH, für den Nau« einer Zeile 2 Ngr. Die Zollvereinsconferenzen in Berlin. *AuS Hannover, 4. Oct. Es ist ein beliebtes Experiment natur- historischer Studien, daß man Thicre tödlet und hinterdrein durch elektro magnetische Ströme Bewegungen derselben hervorzubringcn sucht. Ein ähn liche-Experiment scheint in diesem Augenblicke mit Harburg vorgenommen zu wrrden. Der Septembervertrag bestimmt, daß, sofern der Freihafen in Harburg nicht unter beiderseitiger Zustimmung fortbestehen kann, eine freie Niederlägeanstalt daselbst errichtet werden soll. Nun fehlt die beider seitige Zustimmung. Das preußische Ministerium behauptet, Stettin, Dan zig, Königsberg würden es sich nicht gefallen lassen, daß in dem Zollgebiete, welchem sie angehören, Freihäfen seien, während sie cs nicht sind, und daß Geestemünde nur aus geographischer Nolhwendigkeit als solcher zugelassen sei. Das hannoversche Ministerium bezieht sich auf das preußische. Nun ist es zwar unwahr, daß die Kaufleute der preußischen Ostseehäfen gegen den Har burger Freihafen Bedenken tragen oder Einwendungen machen; wäre dies aber auch der Fall, so würde die Berücksichtigung derselben von Seiten der Preußischen Regierung nicht konsequent sein. Es ist wol keinem Zwei fel unterworfen, daß die preußischen Ostseehäfen vorziehen würden, Frei häfen zu sein, und daß ihre Kaufleute wie Jedermann, der einen Begriff von der Wohlthat der Verkehrsfreiheit hat, am liebsten gar keinem wirk lichen Zoll-, sondern einem natürlichen Handelsgebietc angehörcn würden; es ist aber darin kein Grund zu sehen, daß sie einem mit ihnen^kaum concur- rirenden Hafen misgönnen sollten, was sie selbst wünschen. "Jedenfalls ist die cine Thatsache klar, daß, wenn die Negierungen des neuen Zollverban des meinen, Freihäfen seien vortheilhaftcr als Niederlagsanstallen, siedle ih nen anvertrauten Interessen auf das schwerste verletzen, wenn sie jene nicht gestatten, und daß, wenn sie glauben, solche Nicderlagsanstaltcn seien vor- theilhafter als Freihäfen, Preußen unmöglich aus Sondcrintcrcssen und um seine Hafen zu begünstigen Harburg verwehren kann, das schlechtere Theil zu wählen. Die Harburger haben eine ehrerbietige ^Vorstellung an die Berliner Zollconferenz gerichtet, und da diese faktisch nicht mehr besteht, hat die^mit der Ueberreichung beauftragte Deputation sich an das preußische Mi nisterium selbst gewendet, eine bestimmte beruhigende Zusicherung aber, wie man von Berlin schreibt, nicht erhalten. Der Entschluß scheint daher ge faßt, daß man Harburg die gegenwärtige Fähigkeit, mit Hamburg und Al tona in Concurrenz zu treten, entziehen und daß man es dann mit künstli chen Mitteln trösten, zuerst amputiren und ihm dann hölzerne Füße an sehen, zuerst todtschlagen und dann elektrisircn will. Hr. Klcnze hat schon einmal eine feierliche Rede in Harburg gehalten, durch welche er sofort eine halbe Million zu Docks von der Bürgerschaft votirt erhalten wollte. Die Zinsen dieser halben Million, welche übrigens zu Docksbauten noch lange nicht hinrcichen würde, würden mehr betragen als Harburgs Beitrag zu den Zolleinnahmen. Es ist daher nicht einzuschen, auf welchem Grunde jener Entschluß beruht, cs müßte denn der sein, daß man den durch den Tarif des ScptembcrvertragS so glücklich begünstigten Fabrikanten des neuen Zoll gebiets auch nicht die Ausbeutung der Bewohner unsers kleinen Elbhafens entziehen will. Wäre die Frage, ob das neue Zollgebiet einen Freihafen an der Elbe haben solle oder nicht, an und für sich auch nicht von der Be deutung, die sie für dieses Zollgebiet hat, so müßte doch jener einzig denk bare Grund der ungünstigen Beantwortung schon zu ernsten Betrachtungen Anlaß geben, denn er deutet die Richtung an, welche künftig maßgebend sein wird. Sie ist eine entschieden schutzzöllnerische, so schuhzöllncrisch, wie sie nur gedacht werden kann, um in Wien angenehm zu sein und die soge nannte österreichische Zollcinigung zu begünstigen. Diese Thatsache, welche durch keine preußische Circularnoten und keinen Bruch mit der Coalition ausgewogen wird, setzt dem Mitleid für die staatsmännisch ruinirten Har burger noch die ernstesten Besorgnisse für die Wohlfahrt unsers ganzen Lan des zur Seite. Bisher stützte man immer einige Hoffnung auf den Art. 14 des Septemhervertrags, man glaubte hier und da, der Schutzzoll sei nur vorübergehend und mit Rücksicht auf die süddeutschen Staaten in die- sein Vertrage zugelassen; nachdem die Rücksichten gegen diese aufgegeben sind, ist aber ein solches Zeichen schuhzöllnerischen Geistes das Ende jener Hoffnungen, und wir müssen nicht allein für unsere Schiffahrt auf das Schicksal der preußischen, sondern wir müssen auch auf das Anwachsen des Proletariats, auf das Stocken unsers Bodenwerthes rechnen. Dann ist der Septembervertrag für Hannover der Anfang des Endes. — DaS Dresdner Journal kommt bei seiner gegen das Expose der Preußischen Zeitung (Nr. 384) gerichteten Auslassung jetzt in dem gestern ver sprochenen zweiten Artikel, nachdem es im ersten die formellen Ursachen des Ab bruches der berliner Verhandlungen beleuchtet hatte, auf die materiellen Ur- fachen dieses Abbruches zu sprechen und sagt in dieser Beziehung: „Die erste und oberste dieser materiellen Ursachen war keine andere als der Ab schluß des Scptembervertrags; die zweite und letzte dagegen die geringe Gencigtheit der preußischen Negierung, den dadurch, wie wir jederzeit an erkannt haben, unabsichtlich hervorgebrachten Riß im Zollverein durch Ge währung billiger Zugeständnisse an die übrigen VcrcinSregierungen zu schlie ßen. Diese Betrachtung führt uns unwillkürlich auf den unS vorliegenden Artikel der Preußischen Zeitung zurück. Die in dieser Darstellung enthal tenen Widersprüche sprechen beredter, als wir eS zu thun vermöchten, für die Richtigkeit der eben ausgestellten Behauptung über den Scplemberver- trag. «Indem Preußen«, heißt eS daselbst, «den Vertrag als vollendete That sache verlegte, war es weit entfernt, irgend einen moralischen Zwang au»- üben zu wollen.» Gleich darauf sagt uns die Preußische Zeitung: «die unwiderrufliche Gültigkeit des Vertrags habe erst durch die Genehmigung der betreffenden Landcsvertretungen, d. h. der preußischen, hannoverschen und oldenburgischen Kammern sichergestcllt werden können.» Weiterhin aber er wähnt die Preußische Zeitung, wie die preußische Regierung «die Erledigung dieser Erfodernisse abgewartet, bevor sie die Verhandlungen über die Neugestal tung des Zollvereins mit den übrigen ihr zollverbündeten Staaten eröffnete». Also, und diese historische Entwickelung ist vollkommen wahrheitsgetreu, legte die preußische Regierung ihren Zollvcrbündeten einen unwiderruflich gültigen Vertrag vor. Was blicb also den Zolloereinsstaaten übrig, als den Vertrag an- zunehmcn, wenn sie nicht, nach dem einmüthigen Ausspruche der aufgeklärten Presse, den Zollverein «sprengen» wollten? Von moralischem Zwange war da nicht die Rede; behüte! denn, wie uns die Preußische Zeitung belehrt, «schnitt ja die Einladung zu gemeinsamen Verhandlungen jeder Voraussetzung, als ob ir gend eine Beeinträchtigung des freien Selbstbestimmungsrechts der übrigen Mit glieder beabsichtigt sein könne, von vornherein den Weg ab». In der That haben die übrigen Regierungen dieser Voraussetzung nicht Raum gegeben und daher in der bescheidensten Form ihr «freies Selbstbestimmungsrecht» zur Geltung bringen zu dürfen geglaubt, sie haben aber leider erfahren müs sen, daß auch dieser «Voraussetzung» von vornherein durch Präjudicialfragen «der Weg abgeschnitten wurde». Durch die Preußische Zeitung erfahren wir nun zwar ferner, warum Preußen nicht den unstreitig höchst zweckmäßigen und allein korrekten Weg einschlug, alsbald nach dem Abschluß des September- Vertrags eine Zollconfercnz einzuberufen. Die «nach den Umständen wohlbe gründete Hoffnung, damit zu einem allseits befriedigenden Resultate zu gelangen», mußte «zum Opfer gebracht werden», weil man -in einer Ange- gelegenheit von so großer Bedeutung nicht Vorgehen konnte, ohne der Zu stimmung des eigenen Landes versichert zu sein»! Mit diesem Geständnisse wird die Nichtigkeit der in dem bekannten Schreiben des Hrn. Staatsmini sters v. Beust an den Baukdirector Poppe aufgestellten Behauptung vollstän dig anerkannt, daß man die Negierungen sowol als die Kammern der Zoll- vcreinsstaaten den preußischen Kammern untergeordnet habe. Warum in aller Welt mußten denn die preußischen Kammern zuerst und hinterdrein die verbündeten Regierungen befragt werden? Ist es im constitutioncllcn Eng land, ist es in Frankreich, als dasselbe noch ein konstitutionelles Land war, einem Ministerium je eingefallen, vor einer Verhandlung mit andern Staa ten den abzuschließcnden Vertrag «unwiderruflich» mit der Volksvertretung festzustellen und sich von ihr eine gemessene Vollmacht ertheilen zu lassen? Wir haben nicht danach zu fragen, warum dieses in den Annalen des con- stitutionellen Lebens neue Verfahren eingeschlagen wurde. Genug, daß eS eingeschlagen ward und daß infolge dessen von einer freien Verhandlung mit den Zollvereinsregierungen nicht mehr die Rede sein konnte, sondern diesen die Alternative zwischen Annahme oder Trennung von Preußen gestellt wurde, mithin der moralische Zwang in der höchsten Potenz vorhanden war. Der Septembervertrag war, was auch die Preußische Zeitung dagegen sagen mag, allerdings ein «5io volo, sie juboo» und keineswegs ein «Gegenstand freier Vereinbarung». Wir fühlen wahrhaftig wenig Neigung, auf diese sattsam besprochenen Verhältnisse znrückzukommcn. Jene in der That leichte und sich von selbst aufdringende Kritik des Manifestes der Preußischen Zeitung beweist aber zur Genüge, wie gerechtfertigt die Besorgnisse der zu einer Verhandlung mit freier Selbstbestimmung eingcladenen Negierungen waren und wie sehr sie an ihre zukünftige Stellung im Zollvereine denken mußten, wobei es sich keineswegs blos um politische Eifersucht, sondern ganz besonders um die selbständige Vertretung ihrer kommerziellen und industriellen Interessen handelte. Die preußische Negierung dürfte sich daher billigerweise der Einsicht nicht verschließen, daß auf Seiten ihrer zcitherigen Mitvcrbündeten das ernste Be- dürfniß vorhanden sei, eine beruhigende Genugthuung zu erlangen. Hierzu hätte eine Modifikation des Septembervertrags in wesentlichen Punkten des selben, welche den materiellen Interessen der bisherigen Zollvercinsstaaten fühlbare Opfer ausinncn, ein geeignetes Mittel darbieten können, wenn nicht eben der Vertrag nach der Erklärung der Preußischen Zeitung ein «unwi derruflicher» gewesen wäre. Das Resultat einer längern Verhandlung über diesen Gegenstand war ein durchaus unbefriedigendes und konnte auch kein anderes sein, nachdem bereits bindende Verpflichtungen von der einen Seite eingegangen waren und von der andern Seite geringe Geneigtheit gezeigt