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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.09.1911
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1911-09-16
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19110916013
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1911091601
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1911091601
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Handelszeitung
-
Jahr
1911
-
Monat
1911-09
- Tag 1911-09-16
-
Monat
1911-09
-
Jahr
1911
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Bezug-.Preir m» »tei nah «Ke Lttvika »»» tjoeoet« durch unlee« Teöaee u«d Svedtteue« 2»»l täaltch „bracht:» yk. msuatl.. r.7Ü ««. drl. Lei u»I«e» ßiltalen ». >u- Ilen obaeboU: 78 Pf. mouatl., ».»SU. ourteltährl. T»»ch »t« W»Rr »»ueeftald reutschland, und der d«rtlch«n Kolonien vierteljahrl. 8.dll Mk., monatl. t.WMt. ou»lchl. Pos>b«!t«ll„ld Femer in Beliiun, i-änemaet, den Donauvaaren. Italien. Uuieinbuea, Ntederland«. Skor- »eaen. Leiter««»«Ungarn Rußland, schweben. Schwei» u Svanren. 2n allen übrigen Staaten nur direkt durch die Lelchästestell« de» Blatte» erhältlich. La» LtivMee Tageblatt «scheint Smal riglich. Sonn» u. Feiertag» nur morgen». iilbonnementr.Annahme 2»h«nni»galle 8. bei unleren Trögern, Filialen. Spebueuron und Lnnahmekellen. Sowie Ponamrern »ad Brieitragern. Morgen-Ausgabe riMgrrTWMaü » . l14«sr ta.chtm0ch-v Tel.-Anschl.< 148S3 ll4«4 Haudelszeitung. Amtsblatt des Nates rmd des Nokizeiamtes der Stabt Leipzig. 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Dss Wichtigste. * Am Freitag erfolgte in Danzig durch den Kaiser die Uebergabe der Leibhusaren brigade an den deutschen Kronprinzen. (S- den bes. Art.) * Auf die Borschläge der französischen Regierung in der Marokloangelegenheit wird eine deutsche Antwortnote erfolgen. * Bebel hielt am Freitag auf dem Parteitag in Jena eine große Rede über die Reichstags mahlen. (S. den bes. Art.) * Das Befinden Stolypins ist nach den letzten Meldungen nicht besorgniserregend. sS. den bes. Art.) * Die Schutzmächte haben beschlossen, den Posten eines Oberkommissars in Kreta nicht mehr zu besetzen. Deutlchlsnü unü üie kinmkche Frage. Die endgültige Einverleibung des Eroß- fürstentums Finnland in das russische Reich hat begonnen. Aus Gründen des guten Scheines nach außen bevorzugt man in Peters burg die weniger auffällige, dafür aber viel leicht schmerzhaftere Todesart des gliedweisen Verzehrens. Der Anfang ist mit der Abtren nung einiger Gemeinden des Gouvernements Wiborg und ihrer Anschließung an Ingerman land gemacht. Der Rest Wiborgs wird bald folgen. Längst wird darauf hingewiesen, daß dieses Gouvernement eine besondere Behandlung schon darum verdiene, weil es nicht mit dem übrigen Finnland zusammen durch den Krieg non 1808 erobert, sondern schon durch die Frie densverträge von Nystadt und Abo 1721 und 1743 erworben, 1808 dann durch einen besonderen Gnadenakt des Zaren mit dem neuerrungenen Hauptteile des Eroßfürstentums wieder ver einigt sei. Man braucht den „Enaden"-Lharakter jenes Ukases gerade nicht so stark zu unter streichen — die militärischen Erfolge gegen Schweden bedurften noch einiger Nachhilfe durch Schürung finnischer Unzufriedenheit gegen die germanischen Vorbesitzer des transbottnischen Landes —, um doch in diesem Falle die russische Begründung leidlicher zu finden als bei so vielen anderen Taten der Verrussung. Indessen zweifelt wohl niemand daran, daß in der dritten Etappe den Wiborgern eine Wiedervereinigung mit ihren finnischen Brüdern beschicken sein wird: nämlich unter dem beiden Landeshälften zuletzt gemeinsam auferlegten russischen Joche. Die politische Unmoral des russischen Vor gehens ist zu ost besprochen, als daß man bei seinen einzelnen Stufen ohne lästige Wieder holung des früher Gesagten länger verweilen dürfte. Ebensowenig braucht man nochmals an die Umstände zu erinnern, die auswärtige Unterstützungen der im Todeskampfe ringenden Nation ausschließen: daß Schweden zu schwach für einen Rückeroberungs-Versuch und Deutsch land nicht in der Lage ist, für die ihm selber und seinem Volkstum nur mittelbaren und sehr bedingten Interessen seines weitläufigen ger manischen Vetters das Schwert zu ziehen. Was ein unmittelbares deutsches In teresse an der finnischen Frage begründet, ist die Gefahr, daß Finnland auch wirtschaftlich auf dem Wege ist, seiner Selbständigkeit beraubt und in das russische Zollgebiet eingegliedert zu werden; das heißt also, daß unserem Handel eine neue Tür verschlossen werden soll. Daß solche Maßnahmen in der Richtung der russischen Politik liegen, ist durch den zweiten deutsch russischen Handelsvertrag klar genug gestellt, dessen eine Klausel ausdrücklich mit der Möglichkeit einer zollpolitischen Einverleibung rechnet. Vielleicht stand eine solche schon zu der Zeit, als der Vertrag geschlossen wurde, auf dem russischen Programme der allernächsten Zukunft, mußte aber damals hin ausgeschoben werden, weil in Rußland die Re volution ausgebrochen und dadurch überhaupt ein Stillstand, ja ein zeitweiliger Rückschritt in der Russtfizierung herbeigeführt war. Nachdem Stolypin die Revolution erstickt und die Duma zu einem bedeutungslosen Beiwerk der wieder hergestellten Autokratie herabgedrückt, hat die Beseitigung von Finnlands alten und neuer worbenen Privilegien doppelt schnelle Fort schritte gemacht; und daß der ständische Charakter de, Landtage« durch ein Wahlrecht nach den Herzen der Sozialisten ersetzt ist, war von vorn herein als Danatt-Geschenk gedacht: um nämlich bequeme Auflösungsgründe durch die Radikali sierung seiner Zusammensetzung zu gewinnen. Hand in Hand mit der politischen Annexion fängt man nunmehr an, auch die Zollselb ständigkeit zu ersticken. Finnland war bisher eines der Asyle, in das sich der aus Europas meisten Eroßstaaten wieder ausgetriebene Freihandel geflüchtet hatte. Die Zölle auf Rohstoffe waren außerordentlich niedrig ge halten, und die Freiliste sehr groß. Ganz be sonders Getreide und Mühlen-Fabrikate er freuten sich jenes Freibriefes, den ihnen die herrschende Doktrin der letzten Jahrhundert- Mitte auf den Weg gegeben hatte, seit Peels englisches Beispiel die Lehren von Adam Smith auch auf dem Festlande in die Praxis eingebürgert hatte. Finnlands selbständige Ge setzgebung wählte den Anschluß an das System der skandinavischen Länder, mit denen das Großfürstentum geschichtliche Erinnerungen zu verknüpfen fortfuhren, als schon die Zaren den staatlichen Verband mit dem schwe dischen Königreiche zerrissen hatten. Da das Moskowiter-Reich gleichzeitig seine Zollmauern zu immer schwindelnderer Höhe auf türmte, wurde der Unterschied beider in Per sonal-Union verbundenen Länder um so her vorstechender. Nun steht es ja mit dem Frei handelsgedanken so, daß auch seine grundsätz lichen Bekämpfer seinen Fortbestand bei den anderen gern sehen. Und Deutschlaud, dessen Handel hervorragend an der finnischen Einfuhr beteiligt ist, ist demzufolge ganz ausnehmend an der Erhaltung des dortigen Freihandelsystems beteiligt. Anderseits ist es natürlich nicht in der Lage, über fromme Wünsche hinaus für seinen Vorteil tätig zu sein. Das einzige, was es im Interesse seiner Kaufleute und Indu striellen gefordert und auch erlangt hat, war, daß Rußland sich verpflichtet hat, eine zoll politische Einverleibung Finnlands zwei Jahre vor ihrem Inkrafttreten in Berlin an zuzeigen. Auf die Erfüllung dieser Verpflich tung zu dringen, hat Deutschland allerdings ein Recht und eine Pflicht gegen seine Reichs bürger. . . ... Nun aber möchte sich die russische Regierung um ihre eingegangene Verbindlichkeit Herum drücken. Dazu scheint ihr ein geeignetes Mittel zu sein, daß sie wie die politische, so auch die wirtschaftliche Angliederung des Eroßfürsten tums schritt- und stufenweise vollzieht. Nicht mit einem Schlage, sondern nach und nach sollen die russischen Zollsätze eingeführt werden. Mit dieser Hinterhältigkeit glaubt man der Anzeigepflicht überhoben zu sein, gewinnt durch die Keberraschung ein gutes Stück Geld für die Staatskasse und fügt gleich zeitig dem verhaßten deutschen Wettbewerb einen tüchtigen Schaden zu. Gegen solche Versuche wäre denn doch ein kräftiges Einspruchswort am Platze. Ssiler unü Kronprinz in Danzig. Der Kaiser ist in Danzig am Freitag vor mittag um 11,40 Uhr cingetroffen. Zum Empfang war der Kronprinzauf dem Bahnhofe erschienen. Der Kaiser und der Kronprinz begaben sich im Auto mobil nach dem großen Exerzierplatz. Auf dem Wege bildeten Schulen, Vereine und Truppen Spalier. Bei Kleinhammerpark stiegen die Herrschaften zu Pferde. Der Kaiser und der Kronprinz, beide in Leib husarenuniform, trafen um 12 Uhr auf dem Exer zierplatz «in, wo öie Leibhusarenbrigade in geschlossenem Viereck Aufstellung genommen hatte. Der Kaiser ritt in die Mitte des Karrees, und der Thef des Militärkabinetts Frhr. v. Lyncker verlas die Kabinettsorder betreffend die Ernennung des Kronprinzen zum Kommandeur des 1. Leib husarenregiments. Der Kaiser hielt hierauf folgende Ansprache: Leibhusaren! Ich hab« dieses Regiment aus gesucht, um es den Händen meines Sohnes anzu- vertrauen. Das Regiment ist, wie die ganze Bri gade, «ine SchövfungdesgroßenKonigs, das vom ersten Augenblick feines Bestehens in treuer Pflichterfüllung, in unentwegter Tapferkeit, in verwegenem Husarenmut seinen Dank seinem großen König und Schöpfer abgetragen hat. Die hervorragende Geschichte de» Regiments, welches fast an allen Gefechten und Schlachten teilgenom men hat, die unter Sem großen König stattgefun den haben, hat auch späterhin dar Regiment immer wieder zu neuen Taten geführt, so daß es al, Auszeichnung in die Nähe Ler Person des König» von Preußen gerückt ist und al» Le i b- husarenregiment Er. Majestät in der Ar meeliste figuriert. Zn den schweren Zeiten vor hundert Jahren war es dem Regiment vergönnt, dem schwergeprüften König Friedrich Wilhelm Hl. «inen Strahl der Freude zu bescheren und ihm sogar feindliche Trophäen zu Füßen zu legen. Da» Regi ment hat in Krieg und Frieden danach gestrebt, und e» auch erreicht, die Zufriedenheit seine, aller- höchsten Kriegsherrn zu erwerben. Solange ich regiere, habe ich mit Stolz »nd Freud« eurellniform getragen, eine Uniform, die in hohem Ansehen steht in der ganzen preußischen - Armee. Ich habe dieses bevorzugte Regiment aus gesucht, damit es der zukünftige Erbe der Krone Preußens und des Deutschen Reiches als Reiter führer befehlige. Eurer Kaiserlichen Hoheit übergebe ich nunmehr das 1. Leib-Husaren regiment in der Erwartung, daß Eure Kai serliche Hoheit das Regiment in den be währte« Traditionen, in denen es bisher geführt worden ist, ferner führen werden, und. durch Beispiel anfeuernd wirkend, es als eine Säule preußischer Tradition des Ge horsams. der Hingebung bis zum letzten Atemzug und der Treue immer an der Spitze der Leistungen meiner Kavallerie halten werden. Ich übergebe Eurer Kaiserlichen Hoheit das Regiment mit dem Ersuchen, es zu übernehmen. Der Kronprinz erwiderte auf die Ansprache des Kaisers: Gestatten Eure Majestät, daß die Gefühle unwandelbarer Treue und Gehor sams, die mich und das Regiment bis zum Tode an Eure Majestät fesseln, ihren Ausdruck finden in dem Rufe: Seine Majestät der Kaiser, unser oberster Kriegsherr und erhabener Negimentschef: Hurra! Hurra! Hurra! Die Kapellen beider Regimenter spielten die Na tionalhymne. Nach Vorbeimarsch der Brigade, wobei der Kronprinz das Regiment führte- führte der Kaiser die Brrgade zum Kaserncment zu rück und nahm dort noch den Vorbeimarsch in Marsch kolonne entgegen. Es folgte ein Frühstück im Offizierskasino der Brigade- in dessen Verlauf der Kaiser auf den neuen Kommandeur des 1- Leibhusaren-Regiments und der Kronprinz auf den Kaiser trank. Um 3 Uhr verließen der Kaiser und der Kronprinz das Kasino, begaben sich zu der neuen Villa des Kronprinzen und besichtig ten diese. Die Fahrt wurde sodann zum Bahnhof Langfuqr fortgesetzt unter lebhaften Kundgebungen eines zahlreichen Publikums. Die Leibhusaren- brigade bildete Spalier. Der Kaiser reiste um 3'j. Uhr im Eonderzug nach Marienburg ab, von wo er sich im Automobn nach Tadinen begab. Zum Stteatrtt sus Stolypin. Wie wir bereif» in unserer gestrigen Abendaus gabe ausführlich meldeten, haben die Propagandisten der Tat am Donnerstagabend in Kiew während der Oper auf den Ministerpräsidenten Stolypin einen verbrecherischen Anschlag verübt. Der Täter, der aus einer Entfernung von zwei Schritten zweimal auf Stolypin feuerte, wurde verhaftet. Ueber seine Personalien kennt man vorläufig nur seine eigenen Angaben: er nennt sich Bagrow und bezeichnet sich als Rechtsanwaltsgehilfe. Glücklicherweise ist nach den letzten Meldungen der Zustand Stolypins nicht so ernst, wie man zuerst annahm, selbst eine Operation erscheint nicht mehr nötig. Stolypin steht erst im 48. Lebensjahr. Zm Jahre 1884 trat er in das Ministerium des Innern ein, 1889 wurde er Gouvernements-Adelsmarschall in Erodno und 1903 Gouverneur von Saratow. Im April 1996 wurde er zum Minister des Innern ernannt und trat am 21. Juni desselben Jahres als Nach folger Goremytins als Ministerpräsident an die Spitze des Kabinetts. Das Programm, Las er sich bei Uebernahme des Ministerium gesetzt, hat er — äußer lich wenigstens — erfüllt. Durch eine Methode, die abhold allen politischen Motionen und Abenteuern ist, hat er das durch den Russisch-Japanischen Krieg und die zwei Revolutionsjahre aufgewühlte Zaren reich nach und nach beruhigt und zu besseren Zu ständen zurückgeführt. Das ist sein großes, unbestreit bares Verdienst. Man könnte auch als sein Verdienst die Gewöhnung Rußlands an das Dasein eines Parlaments betrachten. Er liebt es, sich als „liberal" zu bezeichnen, macht allerdings oft genug der Reaktion bedenkliche Zugeständnisse. In den fünf Jahren seiner Ministerpräsidentschaft ist Stolypin nun zum zweiten Male das Opfer eines Anschlags geworden. Bei jenem ersten Bomben attentat in seinem Hause am 25. August 1996 ver loren 28 Personen ihr Leben, Stolypins Tochter wurde schwer verwundet, er selbst war, entgegen der Erwartung der Mörder, nicht anwesend. Wenn Stolypins Name in der späteren Geschichtsliteratur auch nicht wegen seiner politischen Großtaten an her vorragender Stelle stehen wird, so wird man ihn doch immer mit rein menschlicher Teilnahme nennen müssen, schon wegen des Unglücks, das politische Gegner durch verwerfliche Anschläge über seine Familie gebracht haben. Ueber die näheren Umstände, unter denen der An» schlag gegen den Ministerpräsidenten Stolypin aus geführt wurde, wird noch gemeldet: Während Stolypin im zweiten Zwischenakt der Oper „Zar und Sultan" von Rimski-Korsakow an die Rampe gelehnt und das Gesicht dem Publikum zukehrend, mit den ihn umstehenden Personen sprach, näherte sich ihm «in junger, im Frack ge kleideter Mann, der aus einer Entfernung von zwei Schritten zwei Schüsse aus einem Browning gegen ihn abgab. Stolypin fuhr mit der Hand gegen die Brust und kiel in seinen Sessel zurück. Die Umstehenden trugen den verwundeten Minister präsidenten zum Ausgang, während das Publikum in Entrüstungsrufe ausbrach und die Na tionalhymne forderte. Nachdem der Vorhang aufgegangen war, kicherte sich der Kaiser der Logenbrüstung und die mitwirkenden Künstler sangen kniend di« Nationalhymne. Da» ganze Theater erzitterte unter den dem Kaiser dar gebrachten Kundgebungen, bi» dieser seine Loge verlassen hatte. Stolypin wurde bei vollem Bewußtsein in di« Privatheilanfialt des Dr. Makowski gebracht. Die Kugel hat ihn in die Brust, unter der linken Brustwarze, getroffen. Der Täter ver suchte nach dem Anschlag durch einen S.'itenaus- gang zu entfliehen, wurde aber von Offizieren c r - griffen. Man fand Dokumente bei ihm, die auf den Namen des Rechtsanwaltsgehilfen Bagrow lauten. — Eine zweite Kugel, die den Minister präsidenten an der Hand streifte, traf den im Or chester befindlichen Konzertmeister Bergler unü verwundete ihn am Fuße. Nach den letzten Mel dungen hat der Ministerpräsident vier St u n - den geschlafen. Sein Puls ist normal. Die Aerztc sind zu einer Beratung zusainmengctrcren. Die Vorgänge im Theater. Petersburg, lö. September. sEig. Drahtm.) Nach dem Attentat wurde das Theater von der Pa lizei umzingelt. Das Publikum wurde erst nach Legitimierung jeder einzelnen Person heraus gelassen, lieber den Täter fehlen offizielle Nachrich ten. Nach Prioatmeldungen heißt er Bagrow unü ist der Sohn eines Kiewer Grundbesitzers. „Now. Wr." bezeichnet ihn als „getauften Juden". Ehe er die Tat beging, sprach er Stolypin an Auf welche Weise er sich Zutritt zum Theater verschalfrn konnte, wo nur geladenes Publikum eingelassen wurde, ist unaufgeklärt, doch wird aus guter Quelle mitgeteilt, daß er unter der Maske eines Agenten der politischen Polizei Einlaß sand. Durch einen der Schüsse, die er abgab, wurde auch ei n Akusiker im Orchester verwundet. Zum stellvertreten den Ministerpräsidenten wurde Finanzminister Ko- kowzew ernannt. Der Zustand Stolypins. Kiew, 15. September. lEig. Drahtm.) Der Zu stand Stolypins ist sehr befriedigend. Die Blutung ist unbedeutend. Puls 70. Eine Operation erscheint nicht nötig. Der Schuß scheint die Leber nicht vc- rührt zu haben. Der Petersburger Chirurg Zeidler ist in einem Sonderzug nach Kiew abgereist. Russische vlätterstimmen. Petersburg, 15. September. sEig Drahtm.) In folge des späten Eintreffens der Meldun gen über das Kiewer Attentat lassen sich heut« nur erst zwei hiesige Blätter darüber aus. Die reaktio näre „No-w. Wr." äußert Len Wunsch, daß der bi s herige Kurs der inneren Politik beibehal ten bleiben möge, das Kadettenblatt „Retsch" er klärt, es habe zwar die Politik Stolypins bekämpft, müsse aber das in Kiew begangene Verbrechen, das das politische Leben von den normalen Bahnen ablenkt, aufs entschiedenste ver urteilen. Kiew, 15. September. sEig. Drahtmeld.) Nach dem Stolypin in das Krankenhaus gebracht war, bat er, dem Kaiser zu unterbreiten, daß er gern bereit sei, für ihn zu st erben. Dann ersuchte er, seine Gemahlin zu beruhigen und ihn, einen Priester zu schicken. Berlin, 15. September. sEig. Drahtmeld.) Der Reichskanzler und der Staatssekretär o. Kiderlen-Wächter statteten heute vormittag auf der russischen Botschaft einen Besuch ab, erkundig ten sich bei dem Geschäftsträger o. Schebeko nach dem Befinden des Ministerpräsidenten Stolypin und drückten ihre herzliche Teilnahme aus. Petersburg, 15. September. sEig. Drabtmeld.) Heute vormittag wurde folgendes amtliche Bulle tin ausgegeben: Bei Stolypin wurden zwei durch die Feuerwaffe verursachte Wunden festgestellt, eine an der rechten Brustseite und eine an der rechten Hand. Die Eingangsöffnung der ersten Wunde be findet sich zwischen der sechsten und der siebenten Rippe innerhalb der Papillarlinie. Eine Ausgangsöffnung ist nicht vorhanden. Die Kugel wurde unter der zwölften Rippe in einer Entfernung von drei Zoll vom Rückgrat sondiert. In den ersten Stunden nach der Verwundung trat große Schwäche bei hef tigen Schmerzen ein, die der Minister mit Gleichmut ertrug. Den ersten Teil der Nacht verbrachte der Minister unruhig, gegen Morgen trat jedoch eine Besserung ein. Temperatur 37, Puls 92. Die erste Unterreüung nach Ler Meilen Paule. Der französische Botschafter Eambon hatte sich für Freitag nachmittag 5 Uhr beim Staats sekretär vonKiderlen-Wächterzur Besprechung angesagt. Die „Frankfurter Zeitung" stellt interessante Be- trachtungen über die gegenwärtige Marokkolage an, die vermutlich auf offiziöse Inspiration zurllckgehen: Die künftigen Verhandlungen sollen angeblich aus- schließlich in Berlin stattfinden, und das wird sich ia leichter als bisher durchführen lassen, nachdem man hüben und drüben schwarz auf weiß die gegenseitigen Forderungen und Zugeständ- nisse besitzt. Etwaige Differenzen, zu deren Beilegung Herr Tambon nicht ermächtigt sein sollte, werden sich auch auf telegraphischem Wege erledigen lassen. Wenn man den Versiche rungen der französischen Zeitungen glauben dürfte, so wäre mit der nach Berlin übermittelten Antwort alles im rechten Gleise. Aber man weiß bei der Lektüre der französischen Blätter nicht, wie weit ihre Mitteilungen Indiskretionen oder Kombinationen sind, die auf Stimmungsmache hinzielen und eine zuverlässige Kontrolle der französischen Preßmittet, lungen ist der deutschen öffentlichen Meinung nicht möglich, da die deutsche Regierung sich konsequent in Schweigen hüllt. Es wird heute nur versichert, daß der vom „T em ps" veröffentlichte Entwurf eines Marokko« statut» nicht authentisch sei. Das ist wohl ohne weitere» anzunehmen, denn er läßt den Punkt der Garantien zur Durchführung der wirtschaftlichen Gleichberechtigung in Marokko ganz fehlen. Eine Abmachung, wie sie der.Demo«" veröffentlicht, wäre nichts weiter^ al» eine Erweiterung.der Algeciras-
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