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Lien-tag. 21. März 1911. Ilttv 4000 ntiuki Ur. SS. sechster Jahrgang 5luer Tageblatt und Anzeiger Mr das Erzgebirge mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Äuer Sonntagsblatt. »»»«»07^ ,»r die Inserat« verantwortlich - » W b. H. Matt«» Nr»«». Spr»chsdmd, d« Reaktion mit Nuinahm« d« Sonntag« nachmittag» von 4—» Uhr. — Trlegramm-Sdreff«: Lag«blatt Nne«zg«birge. — F«rntz>r»cher »». Seide in Aue i. Lrzg«b. Für onvrrlangt «ingesandt« Manuskript« kann Gewähr nicht geleistet werden. Bezugspreis: Durch unsere Boten frei ins ksan, monatlich »o vfg. Bei der Geschäftsstelle abgeboltmonatlich40 pfg. und wöchentlich lo pfg. — Bei der Post bestellt und selbst abgeholt vierteljährlich i.soMk., monatlich so Pfg. — Durch den Briefträger frei ins Hau» vierteljährlich t--2 Mk., monatlich «4 pfg. — Einzelne Nummer t<> Pfg. — Deutscher Postzeitungskatalog. — Erscheint täglich in den Mittagsstunden, mit Ausnahme von Sonn- und Leiertagen. 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'M Der russische Ministerpräsident Stolypin hat demissioniert, sein Nach fol ge r wurde der bisherige Finanzminister Kokozen». (S. Tel.) In Petersburg ist da» Gerücht eingetroffen, dah der russische Geianote in Peking ermordet worden sei. China überreichte Rußland die Antwort auf di« russische Note vom 14. März, di, in freundlichsten und versöhnlichsten Ausdrücken gehalten ist und Rußland das Recht gewährt, einen Konsul in K 0 bd 0 zu «rennen. Der sterderrde Reichstag. >0? Nach den nunmehrigen Vereinbarungen wird der Reichs tag am 6. April in die Ferien gehen, die bi» Anfang Mai dauern sollen. Er hat also bis dahin nur noch zwei Wochen für die Beratungen zur Verfügung und nach dem bisherigen Tempo der Verhandlungen sieht es nicht so aus, al» ob in dieser Ciu Unglück kommt selten allein. Humoreske von Alfred Mann». (Nachdruck verboten^ Willibald Meier», erster Kassierer bet der Vor. und Nach- schußbank, hatte sich im Geschäft wegen Unwohlseins entschuldigen lassen. Welcher Art dies« Unpäßlichkeit war, hatte er indessen seinem Direktor wohlweislich verschwiegen, denn der würdige, alte Herr würde sich sicherlich stark aufgeregt haben, wenn er erfahren hätte, daß sein Kassierer an Magenmigräne und Gor- gen litt. Es war zehn Uhr morgen». Willibald hatte seinen Kaffe getrunken. Voll Abscheu ruhten seine Blicke auf den frischen essen und vertragen können. Seine Mienen nahmen jetzt den Ausdruck eines Mannes an, der irgendein Daseinsrätsel zu er» Semmeln, er begriff nicht, wie er je so etwa» hatte mit Appetit gründen sucht, und dann murmelte er ebenso verzagt wie über zeugt: Mir ist grundübel I Da» machen nur di« Sorgen. Deut lich habe ich'» gespürt. Je anspruchsvoller di« Ine» Tarmencita wurd«, desto weniger Sekt durst« ich meinem Magen anbteten, und jetzt verträgt er schon so gut wie nicht» mehr. O Ine» Tar mencita, du bist mir teuer zu stehen gekommen. Mein Herz hast du zerquetscht und meinen Magen hast du stark geschädigt, ebenso die Vor- und Nachschußbank; und pur» noch all«, kommen mag, wer weiß e», denn Direktor Heinemann ist apoplektisch. In diesem Augenblick« klopft« es. „Herein,* ries Wtllivald, der mit dem Rücken nach der Wr zu sah. „Wa» haben St« nun schon wieder, Frau Zupke? St« wissen doch, ich fühl« mich . . .* „Ich bin nicht Frau Zupke," rollt« eine fette Männerstimm« von der Wr her. Mit einem Satz war Willibald-och. Rein, fein« Wirtin war da» in derTat nicht. Ihm schwindelt«, und e» wurd« ihm blau von den Augen, woraus «r mit gutem Recht« schloß, dah der Inhaber der Stimm« rin Schutzmann sei. Da es Willi- bald ersichtlich wenig darum zu tun war, «in« Unterhaltung mit dem Angekommenen in Gang zu bringen, so begann dieser: «Ich hab' een' Auftrag von Herrn Richter Nebig, und Herr RiHer läßt Ihnen sagen, heut« nachmittag um fünf möchten Sie Lei ihm sein." Dies« Wort« Härten pch für Willibald an, al» ob der Erzengel in Echutzmann»untform in der Wr stände und so eben in die Baßklartnette des jüngsten G«rtchts gestehen Hao«. ,,Wa» soll ich denn?" würgte Willibald mühsam -«vor. „Darü ber kann ich Ihnen nicht» sagen, Herr Meters, komm«« möchten Sie um fünf, weiter hat Herr Richter Rebtg mir nicht« mitg«. Zett gar zu viel fertig werden könnte, vor allem hat es nicht den Anschein, al» ob der Etat -i» zum 1. April oder vielleicht überhaupt bi» zum Ferienbegtnn fertiggestellt werden wird, so daß man sein« Zuflucht zu «inem Notg«setz wird nehmen müssen. Die parlamentarische Arena soll ja den Resonanzboden für die Dolksstimmung abgeben. Aber die Vertreter de» Volke» müssen hierbei auch mit d«n gegebenen Umständen rechnen und sich sagen, daß sie di« Gesetzeiarbeit in einer Weis« zu erledigen haben, daßkeineStockungen eintreten. Man wird nicht behaupten können, daß der Zustand, wie er gegenwärtig im Reichstag« sich offenbart, ideal sei. Im Gegenteil, bei der Etat. Liatung, bei der man von je au» dem Hundersten in. Tausendste kam, ist nqch nie so gesündigt worden, wie diesmal. Besonder» beim Etat de, Reich»amt» des Innern macht sich diese üble Gepflogenheit in der unerquicklichsten Weise breit, mit dem Erfolge, daß die Erledigung der parlamentarischen Geschäfte eine beträchtliche Hemmung erfährt. Wo soll es hinführen, wenn über die verschiedendsten, ost herzlich unbedeutenden Gegenstände in der breitesten Ausführlichkeit gesprochen wird, w«nn ein Red- ner nach dem anderen fa st dasselbe sagt, nur damit die ein zelnen Parteien zeigen, dah sie zur Stell« sind und für di« Inter- essen ihrer Wähler energisch eintreten. Diese Wahlreden, die sich jetzt ganz besonder» bemerkbar machen, find in der Haupt- sache an diesen Stockungen Schuld und e» ist im hohen Maße be dauerlich, daß da» Plenum de» Reichstages für derartige Zwecke benutzt wird. E» wäre dringend zu wünschen, dah di« einzelnen Partei«» einmal ihren eigenen Angehörigen nahelegten, nur unter wirk lich zwingenden Umständen zu sprechen, geschweige denn, daß, wie öfter» schon verzeichnet worden ist, «in und derselbe Redner mehr- fach zur selben Sache da« Wort ergreift. Ebenso müßten die Fraktionen durch gegenseitige Vereinbarungen, wie «» ja durch den Seniorenkonvent vorgesehen ist, unbedingt eine Eini- gung darüber herbeiführen, um derartigen ausgedehnten De batten «in Ende zu bereiten. Was hat es denn für einen Zweck, im Parlamente Binsenwahrheiten zum besten zu geben und sich in langatmige akademische Erörterungen einzulassen? Denn er- reicht wird damit ooch nicht», höchsten» eben daß die Geschäfte hintangehalten werden. In der Beschränkung zeigt sich der Mei ster — das. müßte auch im Parlamente die Parole sein. Ange sicht» der ganzen Geschäftslage ist es völlig ungewiß, welchen teilt. Morj'n, Herr Meiers." Willibald vergaß die Höflichkeit zu erwidern. Nebig ist Un. tersuchungsrichter, murmelt« er tonlos, und al» sein« Gedanken ihren wilden Veitstanz beendet hatten, kam er zu dem Entschluß, dah zurzeit eine Reise nach Holland oder Belgien weit interessan ter und auch wichtiger sei, al» sämtlich« Erörterungen und Be sprechungen mit Richter Nebig. ,Hrau Zupke," rief er zur Wr hinau», worauf dies« Dam« erschien. ,Frau Zupke, bringen Sie mir schnell meins beiden großen Koffer, ich muh auf ein paar Lage verreisen. Ein« Tante von mir in Treuenbrietzen ist recht krank, «« steht nicht unbedenklich." „Ach du liebe Güte," meint« Frau Zupke und rang zum Zeichen aufrichtiger Teilnahme ihr« dicken Hände, dann machte sie Anstalten, Willibalds Wunsch zu entsprechen. Doch weil sie da» Gefühl hatte, daß ihr Zimmerherr einige Worte des Trostes von ihr erwart«, dreht« sie sich in der Mr noch einmal um und sagte sanft: Sterben müssen wir alle, Herr Meier». Dann ging Frau Zupke und holt« die beiden großen Koffer. Willibald begann nun zu packen, oder besser gesagt, er ent leert« sein« Schubladen in den einen Koffer, bi» dessen Fassungs vermögen versagte — der andere war für die Garderobe bestimmt. Gerade war Willibald damit beschäftigt, di« OLerfläche der wil- den Mischung glatt zu streichen, al, sich nach kurzem Klopfen di« nur ang«l«hnte Tür öffnet«. D«r H«rr, der jetzt die Schwell« über- schritt, hieß Herr Rotbart. Er war -writer Kassierer Lei der vor. und Nachschußbank. „Guten Tag, Herr Meier»," sagte er, ohne einen tieferen Sinn in den Tonfall dieser Worte zu legen, doch tauchten seine Blick« in dem Meer von Gebrauchsgegenstän- den unter, di» der Koffrrdeckel noch nicht di»kr«t verhüllte: aber nur «inen Augenblick; dann saust« der Deckel herab. Fall» Willi- bald über den Besuch seines Kollegen erfreut war, so sah man es ihm nicht an, «r vergaß sogar, den Gruß zurückzugeben und sagt» nur: .Herr Rotbart" — Fragezeichen. ,Ö, ich will nicht stören. Der Thef schickt mich nur. Ich soll mich nach Ihrem Befinden er- kundigen, ich selbst war auch besorgt, dah etwq» Ernstliche» — doch wie gesagt, ich will nicht stören —,Hat nicht» zu sagen," log Willibald, „«in bischen nervöse« Magenleiden, dazu di« Auf- regung wegen meiner Tante, di« schwer erkrankt ist. Ich bin! wi« Ei« fthen, auf dem Sprung«, zu ihr zu r«isen, nach Treu«». brt«tz«n. Urlaub hach« ich schriftlich etngereicht. Mein Zug fährt schon in fünf Viertelstunden." Herr Rotbart beteuerte nochmal», daß er nicht stören wolle; und mit den wünschen für «in« baldig« - Wiederherstellung Willibald» und seiner Frau Tante, verli«h er Gang die Ding« nehmen werden, wann man eigentlich 8 chluh mqchen will, weiß ni«mand, wahrscheinlich auch di» Re- gterung nicht einmal. Wie soll man so umfangreiche und so hochwichtige Vorlagen wi« di« Reichsversicherungs- reform und die Strafprozeßnovelle in einer Som- mertagung erledigen und überdies soll tatsächlich auch noch di« PrtvatLeamtenverstcherung dem jetzigen Reichstag« zugehen I Man wird eoentuell, wenn man wirklich diesq drei großen Entwürfe nach durch diesen Reichstag verabschieden lassen will, zu einer Herbsttagung greifen müssen. Aber wi« lange dies« sich unter solchen Umständen auSdehnen könnte, läßt sich schwer voraussagen. Es liegt aus der Hand, daß diese Arbeit kurz yor dem Ende leicht überhastete und wenig ersprießliche Re sultate liefern würde. So sehr es auch zu bedauern wär«, wenn man bet den großen Vorlagen noch einmal von vorn anfangen müßt«, so wäre ein baldiger Schluß doch da» beste und ratsamste. Es würde dann sehr wohl angeheu, den neuen Reichs tag möglichst früh einzuberufen, um Zeit für die kommenden Arbeiten zu gewinnen. Ob man sich regierungsseit» dazu ent schließen wird, wer weih es? S Man kennt di« prächtig« und phantastisch« Wüsten, «rscheinung, wenn zumeist auch nur vom Hörensagen. Plötzlich sieht der müd« Reisend« in nicht allzuweit« Firn« da» «Mich«. Bild von «in« Oase oder einer Stadt und freut sich, zütN Ab«nd endlich ein« erquickend» Ruhestätte zu finden. Wer, steh« da, plötzlich ist da» Mn« Bild hinweggewcht, « wandert w«it«r und weiter in der Einöde, k«in vaum, kein Strauch, k«in Hau» — «in« Fata Morgan« hat ihr Gauk«nspi«l mit ihm g«trteb«n. Eine solch« Fata Morganq ist auch di« Fri«d«n»id«», di« Tausenden al» ein heiß ersehnte» Zi«l erscheint, da» sich wi« «ine Luftspiegelung vor ihnen aufbaut, da» st« aber nie und nimmer erreichen werden. Einen aussichtsreichen Weg glaubt man ver schiedentlich durch die Institution der Schiedsgerichte ge funden zu haben und tatsächlich hat dieser Gedanke bet minder. Lcheutenden Zwistigkeiten in di« Tat umgesetzt auch gute Erfolge- gezeitigt. Neuerdings hat diese Schiedsgerichtstdee entgegen «inem früher eingenommenen Standpunkte merkwürdigerweise auch an maßgebenden Stellen lebhaften Anklang gefunden und da» Zimmer. Der Empfänger dieser Wünsch« sah recht leidend au», al» er dem teilnehmenden Kollegen nachblickte. Dann ging er zum Büfett und nahm dort drei Normalkognak» ein. Während Willibald da» PackgSschäft beendete, wiesen die drei Kognak» die streikenden Nerven langsam und mit Erfolg zur Ruhe. Es schlug halb zwölf. Der Kölner Zug -war soeben in der Bahnhofshalle eingelaufen und Willibald desgleichen. Ein vil- lett Li» Köln hatt« er sich von «in«m Dienstmann lösen lassen. Al» er sich zum Zuge Legeben wÄlt«, sah er auf dem Bahnsteig et- was Blaue» auf und ab gehen. Es war der Schutzmann, dessen Physiognomie und vollend» dessen Organ ihn vorhin fo üb«rau» unsympathisch berührt hatten. Willibald traut« s«tn«n Nerve« heute nicht so ganz, deshalb sah er geflissentlich nach der anderen Richtung und beeilt« sich, einzustetgen. Da berührt« ihn jemand am Arme. »Herr Meiers!" Willibald fuhr herum und blickt« in da» Gesicht «ine» Unbekannten. Wenige Schritt« zurück stand der Mann, der nicht Frau Zupke war. „Wollen Sie mir bitte fol gen!" sagte der Unbekannt«, weniger in der Frag«sorm al» im Imperativ. „Aber wie komm« ich denn dazu?" «rwiderte Willi bald stöhnend. ,M«ine Tante in Treuenbrietzen —„Muß warten," unterbrach ihn der ander«. „Ich bin Kriminalbeamter. Sie müssen mir -um Untersuchungsrichter folgen." „Aber ich bin doch erst auf fünf Uhr zu H«rrn Nebig bestellt," sagt« Willi- bald, den di« Verzweiflung gedankenlos macht,. Der Kriminal- beamt« lächelte dünn: „Herr Richter Nebig ist jetzt in der Zivil abteilung, Untersuchungsrichter ist H«rr «kn«. Ast'» nun ge- fällig?" Willibald folgte, aeLrochen und resigniert: O In« Tarmencita — murmelt« «r dumpf. Am Abend desselben Tage» sah Willibald Meiers, ehemals erster Kassierer der vor. und Nachschußbank, in einer Zell« d« Untersuchungsgefängnisse« und hielt sich folgenden Monolog: Wenn mich ein Esel jetzt für seinesgleichen hält, dann darf ich mich stark geschmeichelt fühlen, halte ich aber «inen Esel für mH. n«gleichen, so kann er mich mit Erfolg «Magen. Au» allem ist zu «ntnehmen, dah d«r Berdqcht d« Thef» heut« morgen gan^ minimal war, Li» ihm der «hrgeizige Koller Rotbart von m«i- ner kranken Tante in Treuenbrietzen erzählte. WtlltbaL» Mi nen nahmen den Su»druck finsteren Weltschmerz« an. Jetzt fitz« ; ich drin. Und »«halb? weil Richter Nebig, Abteilungschef in ErSfchastssachen, mir Mitteilen wollt«, daß m«ine kürzlich ver» ftorben« transatlantische Tante Hulda mir 10000 Mark vermacht hat. Und das für Ines Tarmencita vermittelt« Darlehen L«t d«r vor- und Nachschußbank betrug nicht mehr al» 1ö 000.