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NN- Tageblatt. Amtsblatt für die königlichen nnd Wüschen Behörden zu Freiberg «nd Brand. BrrsNtwortlich« Redakteur: Iuliu» vrauu ix Freiberg. "^ä^^vFv^^schrttttjckm«»ch^g«ächwU?^M^sLd« , 42-8«bra«a- Justrat, »rrdm bi« Vormittag 11 Uhr augm-m- «« 108. KLÄ,Freitag, dea 1«. Mai. -"-"'N1889 Brot «nd Spielt. Von dem römischen Volke schrieb einst Juvenal spottend: „VE taotum res rmxius optat, paveia et oiresvses!^ ,Es verlangt nur nach zwei Dingen, nach Brot und nach Spielen!" In dieser Beziehung gleichen die heutigen Franzosen den damaligen Römern vollständig; sie sind nur von Dem zu bemeistern, der ihnen Verdienst und Unter haltung schafft. Alle Gefahren, welche dec republikanischen Regierung drohten, sind wie durch Zauber verschwunden, seiwem das hundertjährige Jubelfest der Revolution und die Eröffnung der Weltausstellung die Pariser in einen Taumel von Freude, Stolz und Hoffnung versetzten. Das Interesse aller Franzosen wandte sich neuerdings ausschließ lich dem Glanze der Ausstellung zu, die ihnen schon in ihrem jetzigen unfertigen Zustande als das Schönste und Großartigste gilt, was menschliche Augen gesehen haben. Die Angehörigen der verschiedensten Parteien danken es dem Präsidenten Carnot und dem Ministerium Tirard, daß sie jene Ruhe erzwangen, welche die eindrucksvolle Feier des Revolutionsfestes und die pomphafte Weltausstellungs- Eröffnung ermöglichte. Frankreich ist jetzt nur von dem Wunsche erfüllt, dieser Ausstellung einen Riesenerfolg zu verschaffen, der dem ganzen Lande Ruhm und Geld, dem französischen Handel und Gewerbe einen neuen ungeahnten Aufschwung verleihen würde. Die Thatsache, daß schon jetzt der Fremdenverkehr in Paris ein außerordentlich lebhafter ist, die Nachrichten, daß Fremde aus allen Welttheilen nach Frankreich strömen, daß ferner auf den Schiffen, welche den Verkehr zwischen Amerika und Europa vermitteln, bis zum Monat August im Voraus jede Kabine vermiethet sein soll, erfüllen die Pariser mit freudigen Hoffnungen. Die dortigen Geschäftsleute, besonders die Gastwirthe, rüsten sich zu heißer, jedoch gewinnreicher Arbeit; die übrigen Bewohner der französischen Hauptstadt bewundern in frohester Stimmung den riefenhaften Eiffelthurm und alle die herrlichen Erzeug nisse der Technik, der Industrie und der Kunst, die auf dem Marsfelde vereinigt sind. Seit sich die Pforten der Ausstellung öffneten, ist die Streitaxt begraben und der politische Zwist scheinbar beendigt; zahllose Franzosen wür den Den zermalmen, der durch eine frevelhafte Stömng den Erfolg eines Unternehmens gefährden würde, auf das sie so große Hoffnungen setzen. Fast allgemein ist das Gefühl der Genugthuung, daß es der Republik vergönnt war, die jetzige Festzeit zu erleben, welche der inneren Ver söhnung in so vielfacher Weise Vorschub leistet. Je weniger es in den letzten Monaten den Anschein hatte, als sollte Frankreich die für dieses Fest erforderliche Ruhe finden, je näher die Gefahr eines Scheiterns der Ausstellung an den inneren Zwistigkeiten lag, desto inniger ist der Dank, den man jetzt dem Ministerium Tirard für sein kraftvolles Vorgehen gegen den BoulangiSmus zollt. Von dem Präsidenten Carnot geschickt unterstützt, hofft dieses Kabinet auch unter dem großen Eindruck des Erfolges der Ausstellung dem arggeschwächten parlamentarischen System wieder neue Kraft einzuflößen. Das mißglückte, vielleicht auch gar nicht ernstgemeinte Attentat des Magazin verwalters Perrin hat nicht wenig dazu beigetragen, das Interesse für die Persönlichkeit des Präsidenten Carnot zu vermehren. Wenn irgend etwas im Stande war, die Volks- thümlichkeit dieses Staatsoberhauptes noch zu vermehren, so mußte es der Edelmuth sein, mit dem sich Carnot gleich darauf der darbenden Familie Perrins, jenes Elenden an nahm, der das Mordgeschoß nach ihm gerichtet hatte. Der begeisterte Empfang, der dem Präsidenten auf der Hin- um> Rückfahrt bei der Eröffnung der Ausstellung von der herbeigeströmten zahllosen Menge zu Theil wurde, war aber nicht allein diesem Umstande zuzufchreibeu, sondern wohl auch ein Anzeichen der Gesundung der allgemeinen Stim mung. Die Erkenntniß, daß die Feinde der Verfassung nicht die Macht hatten, die jetzigen Festlichkeiten zu beein trächtigen, daß nach der Rede des Bischofs von Versailles auch die französische Geistlichkeit trotz der boulangistischen Lockungen fest zu der jetzigen Regierung steht, gab zahl reichen Franzosen die Gewißheit, daß nur der Sinn für Gesetzlichkeit und Ordnung, sowie eine aufrichtig fried fertige auswärtige Politik ihrem Staate die frühere Welt stellung und dem Lande die frühere Wohlfahrt wieder verschaffen können. Angesichts des sich allenthalben kundgebenden Stimmungswechsels des französischen Volkes mußte es dm Boulangisten ernstlich bange werdm. Man fürchtet im Hauptquartier des Generals mchts so sehr, als daß er in Vergessenheit gerathen könnte, weshalb von seinen Freunden sogar die Nothwendigkeit der Rückkehr des Gmerals nach Paris, mit der ausdrücklichen Absicht, sich verhaften zu lassen, in Erwägung gezogen wurde. Die Rückkehr sollte nach dem Plane der Freunde Boulangers gelegentlich des Leichenbegängnisses des jungen Rochefort erfolgen, aber dieselbe ging vorüber, ohne daß sich Boulanger zeigte, der die Freiheit in den glänzendm Londoner Salons seines amerikanischen Freundes, des Millionärs Mackay, doch behaglicher fand, als die dumpfige Lust einer Ge- fängnißzrlle im Heimathlande. Was die Pariser so lange vermißten, Verdienst und unterhaltmde Zerstreuung, was viele derselben von dem Gelingen der imperialistischen Pläne Boulangers erhofften, das ist ihnen jetzt durch das republikanische Ministerium Tirard ohne vorhergegangene gefährliche Umwälzung in reichem Maße geboten worden. Dies versetzte die Menge in eine so gemüthliche Stimmung, daß es am 6. Mai, dem glänzend verlaufenen ersten Ausstellungstage in Paris fast nirgends zu Ausschreitungen kam. Trotz des Zusammen strömens von etwa 500000 Menschen vor der Ausstellung, in der an diesem Tage fast 150000 zahlmde Besucher Einlaß erlangten, fanden selbst bei dem unbeschreiblichen Gedränge keine erheblichen Unglücksfälle und nur mehrere Verhaftungen von Taschendieben statt. Ganz Paris war am Montag Abend der lichtstrahlende Schauplatz eines riesigen Volksfestes. Der Ausstellungsplatz war prächtig mit elektrischem Lichte und mit Lampions beleuchtet und von einer fröhlichen Menschenmenge durchwogt. Die Gärten, die Springbrunnen und eine Reche großartiger Etablisse ments in glänzender Beleuchtung boten einen außerordent lich erfreulichen Eindruck. Man glaubte sich in rin mär chenhaftes Zauberland versetzt und wurde erst an die Wirk lichkeit gemahnt, als man in den Restaurants keinen Platz finden konnte, und als daselbst der Zudrang so groß war, daß alle Lebensmittel, namentlich Brot, ausgegangen waren. Der Eiffelthurm zeigte sich zuerst nur mit Glaslampions beleuchtet, die sich wie Perlen ausnahmen. Plötzlich schien der Thurm wie Eisen zu erglühen und war derselbe bis zum ersten Plateau förmlich in rothen Dampk einge hüllt. Die Menge schrie in Bewunderung dieses impo santen Schauspiels laut auf und brach in mdlosen Beifall aus. Bald darauf wurden alle Punkte besetzt, von denen aus man die leuchtende Flotille auf der Seine sehen konnte. Die mit Lampions behängten Schiffe sahen wie riesige lichtfarbige schwimmende Blumenkörbe aus. Gegen 10 Uhr wurde auf der Spitze des Eiffelthurmes ein Feuerwerk ab gebrannt, was das Signal war für das allgemeine Ab brennen von Raketen und Lichtgarben, die prasselnd und donnernd gegen den Himmel flogen, der sich wie bei einer Feuersbrunst glühend roth färbte Um 11 Uhr zogen Massen von Menschen vom Schauplatze der Festlichkeiten ab, doch hatten sich in den Vorstädten ambulante Musik banden auf Plätzen aufgestellt und nun wurde noch bis 2 Uhr Morgens getanzt. Die folgenden Tage trugen natürlich wieder das Gepräge des Werktages, aber die Fest- taasstimmung wirkt zu Gunsten des jetzigen Regierungs systems noch jetzt derartig nach, daß alle gegnerischen Ver suche, an dem Erfolge der Ausstellung herumzumäkeln, un beachtet bleiben. Paris ist zufrieden — es hat Brot und Spiele! Tagesschau. Freiberg, den 9. Mai. Bei der vorgestern Abend in Kiel stattgehabten kamerad schaftlichen Bereinigung der Offiziere in de« Festräumen der Marine-Akademie brachte Prinz Heinrich «inen Trinkspruch auf den deutsche« Kaiser au», welchen Allerhöchstderfelbe mit einem Hoch auf den Prinzen Heinrich erwiderte. Um 10 Uhr Abende gab die im Hasen ankernde Flotte nochmal» dm Katsrrsalut, während der Hafen von der Barbarossa Brücke au» elektrisch beleuchtet war. Die Abrrife Er. Majestät von Kiel erfolgte vorgestern Abend unter lebhaft« Hoch» der zahlreich zusammeu- geströmten Volksmenge. Der Bürgermeister von Kiel erließ eine Bekanntmachung, in welcher dem Danke de» Kaiser» an die Bürgerschaft Kiel» weg« de» übrrau» festlichen Empfange» und der herzlich« Befriedigung über den Verlaus der Fest tag« Ausdruck gegrbt» ist. Auch die Saiftrin hob drm Bürger- meister gegenüber ihre Freud« hervor, welche sie au der wunder voll geschmückten Stadt, wie au der prächtigen Beleuchtung gehabt habe. Gestern früh S^/, Uhr traf der Soifer wieder in Berlin «In «nd erledigte dort im Köuigl. Schlöffe fvfor einige Regierungrangelegmheiten. Bald nach 8 Uhr begab fich der Monarch nach der Kaserne de» 1. Garde-Dragonrr Regiment», stieg dort zu Pferde und begab fich nach drm Tempelhofer Felde, um den Truppenübung« beizuwohnm. Nach Beendigung derselben nahm der Kaiser mehrere militä rische Meldungen entgegen und kehrte alsdann nach de« Schlöffe zurück. Dort arbeitete er längere Zeit mit dem Ehef de» Zivil-Kabinet», Wirkt. Grhrimm Rath vr. v. Lucaou», und nahm einige Vorträge entgegen. Nachmittag» empfing der Kaiser den in Berlin elugetroffmm Fürsten Leopold von Hohrnzolleru und begab sich um 4^ Uhr nach dem Offiziers« Kasino de» 3. Garde-Regiment» zur Mittagstafel. Der deutsch« Reich »tag setzte gestern die zweite Berathung d«» Alter»- und Juvaltdttät»ges«tze» bei dem § 18 fort. Abg. Graf Mirbach wiederholte, daß ihn dte durch daS Gesetz herbetgesührtr Belastung der Grundbesitzer verhindere, für da» Gesetz zu stimmen. Angesicht» der gegenwärtigen llnterstützuug»woh»fitzvrrhältniffe sei die Last erst rrcht uner träglich. Er würde persönlich die Opfer gerne bringen, wenn er glauben könnte, daß da» Gesetz zur Lösung der sozialen Frage beitragen könnte, aber die kleinen Besitzer sei« nicht im Staude, die Lasten zu übernehm«. Die kleiner« Arbeit geber sähen fich mehr und mehr gezwungen, nach Amerika au»zuwandern. Die Landwirthschaft habe für diese Gesetz gebung durchau» kein Bedürfutß; wolle man sie aber wegen der Industrie mit hinein zwing«, dann solle man weuigstev» nur eine Lohuklasse und «in« EivhritSrrnte geben. Daß die Aussicht aus die Erlangung einer höher« Rente den Anreiz biete zur Auswanderung, halte er aufrecht. WaS die von ihm gewünschte Beseitigung der Arbrtterbetträgr b«- treffe, so b«d«ut« da» natürlich, daß der Arbeitgeber d« gesammteu Brittag übernehme. — Staotgsrkretär v. Bötticher betonte, daß e» unmöglich sei, etwa» zu mach«, wa» all« Jnterrfftnttu befriedig«. Man «äffe nur dazu brtttagm, da» gerständoiß de- Gesetze» zu erweitern, welche» auch bet dm Landwtrthm in Ostpreußen noch nicht tn gewünschtem Maß« vorhanden sei. Bom sozialpolitischen Standpunkte könnte er dte Einheltlrrnte billigen, aber die Wünscht der b«ffer gelohnten Arbeiter «nd der diese beschäftigenden Arbeitgeber ordern «tue Abstufung nach Lohnklaffen und die Regierung mbe sich dieser Forderung auch nicht verschließ« können. Die damit verbundenen Schwierigkeit« würde» sich überwiu- >m lassen. Dte Angaben über dte uuerschwingltchr Belastung >er Landwirthschaft sei« übertrieb«. Wa» Graf Mirbach wolle, frt nichts al» «tue verbesserte Armenpflege unter Aufficht staatlicher und kommunaler Armeninspek tor«. Wer da» befürwort« könne, habe die Botschaft von 1881 uoch sicht verstände». Eine Steuer zur AuS« ühruug diese» Gesetze» etuzuführ«, wäre «tu sozial« ikmokattschrr Weg. — Abg. Rickert rriuuerte a» dte Aeußeruug d«S Staatssekretärs, daß dte Rrgteruug «tue Qutttuug auf ihre Borlage haben wolle. St« werde diese Quittung bekommt» und zwar, wie er fürchte, in bejahendem Sinne. Die dem Gesetze zu Grunde gelegten Zahle» würdm ich tn der Praxi» ganz ander» gestalten und auch di« Arme»« »flege nicht inseitigen. Die Stimmung im Lande sei dem Ge rtz« gar nicht so günstig, wir «S drr Staat»srkrrtär darstellte. Sollte da» Gesetz abgelrhut werden, so würde nach süuf Jahr« schon Niemand mehr daran denken. Gegen dm Will« >e» Volke» dürsr man solche Gesetze nicht machen. Der Redner bemängelte daun dte zu grrtnge Höhe der Renten, durch wrlLe weder dte Armenpflege noch dte Erbitterung im Volke werd« nsrittgt werden. Dabei zwinge mau Persoo« tn da» Gesetz jtnrtu, dte wte dte Frauen, gar keinen Borthrtl von dem Ge rtz« hättm. Da» Gtsttz köuu« «bm Ntrmaud btfrirdigru. VaS dm Rrich»zuschuß anlangr, so rutstrhe di« Frag«, wrr ditsen bezahl« solle. Er hoffe, bei drr dritte» Lesung noch einmal au»«iuander setz« zu können, welche Anforderung« >ie» Gesetz au dir Bevölkerung stelle. Der Redner schloß mit den Worten: »Die Anhänger de» verstorben« Kaiser» Wil helm thun seinem Andenken kein« Gefallen, wmn sie diese» o maugrlhastr Gesetz grg« dm Willen drr Mrhrhrit dr» deutschen Volke» durchzudrücken such«. Unter solche» Um stände» wird dir Maßregel eine Gesahr sür da» Land und sür dir Monarchtr werden." (Beifall link».) — Abg. v. Frrge sagte: „Dir Fürsorge für die Ausführung der Kaiserlich« Botschaft folltr der Vorredner doch dm Instanzen überlast«, welche dte Verantwortung für den Erlaß derselben trag«. Dieser Reichstag ist wesentlich aus Grund deS sozialpolitisch« Programms gewählt worden. (Widerspruch links; Zuruf: Melinitbombe I) Mit dem Graf« Mirbach bin ich tn dtesrm Falle nicht einverstanden. Dir Landwirthschaft hat am aller wenigsten Ursache, der Sozialpolitik feindlich grgmüberzuttetm. Drr Zug der Zeit geht dahin, daß die jungen Leute nament lich et» ungebundenes Leb« führe» wolle»; deshalb kann dte Landwtrthschaft keine jungm kräftigen Arbeiter mehr find«; deshalb muß dir Landwirthschaft darauf dring«, daß sie w Bezug auf dte Jnvaltdmversicher»»» der Industrie gletch-