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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PränumeraüonS- Preis 22j Sgr. THIr.) vierteljährlich, 3 Thaler für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. a g a für die Man prLnumerirt auf diese« Beiblatt der Allg.Pr. Staat«- Zeitung in Berlin in der Expeditton lMohren - Straße Nr. 34); tn dec Provinz s» wie im Auslande bei den Wohllöbl. Post-Aemtern. Literatur des Auslandes. 143 Berlin, Freitag den 29. November 1833° Frankreich. Ueber Scribe's neuestes Drama „Bertrand und Raton". Die entschiedensten Bewunderer Les Herrn Scride haben zuwei len bedauert, daß ein so au«gezeichneie« dramalisches Talent sich in dem beschränkten Kreis des Vaudeville'« gleichsam in Scheidemünze zersplitterte. Aber die Baudeville's des Herrn Scribe verhalten sich zu fünsakligen Dramen, wie ein Genre-Bild zu einem großen histo rischen Gemälde; die Genre-Bilder eines großen Meisters gehören auch der Kunst an, und wir kenne» Leute, welche den Mazarin oder den Richelieu des Herrn Paul Delaroche seiner Elisabeth und seiner Johanna d Arc verziehe». Man muß daher hier Herrn Scribe nicht mit sich selbst und nicht etwa Bertrand und Raton mit seinen Baudeville's vergleichen. Wenn man aber dieses Drama dem größten Theil derer zur Seite stellt, welche wir seit eini ger Zeil aus dem Thcatre Fraugais gesehen haben, so muß man sagen: Hier ist endlich ein Werk, welches der Aufmerksamkeit der Kritik würdig ist; hier ist der Ton der wahren Komödie; hier ist Kraft ohne Ueberlreibung; hier ist Gczst und,Geschmack. Und weil es Herr Scribe ist, dem wir die Rückkehr aller dieser Vorzüge ver danken, so ist cS billig, ihm einige Sunden und unter Anderem auch: „Jehn Jahre aus dem Leben einer Frau" zu vergeben. Das Drama Bertrand und Raton hat eine politische Jn- trigue zum Stoff, und in dieser Beziehung bleibt es etwas hinter dem Meisterwerk de« Herrn Lemercier zurück. Wenn mau aber mit Recht den Charakter des Pinto bewundert hat, so muß man einräu- men, daß der Charakter de« Grase» Bertrand von Rantzau nicht weniger ausgezeichnet ist, und daß es weit schwieriger war, die Scene fünf Akte hindurch mit einer schlauen Person zu beleben, die gegen Freund wie gegen Feind beständig aus ihrer Hut ist, als mit einem so hitzigen Verschwörer wie Pinto, dessen Enthusiasmus jeden Augen blick loszubrcchen droht- Dieser Charakter des Rantzau ist mit äu«- gezeichneirr Kunst angelegt und entwickelt; cs ist das Portrait eines Meisters, in welchem die Vollendung der Details noch die Wirkung des Ganzen erhöbt. Wir mache» gleich vo» Hause aus aus dcnscl- hen ausmcrksam, weil er für uns das ganze Stück ist. Ein Roman, der viel Glück macht, und noch kürzlich ein Melo drama haben da« Theater-Publikum mit den Namen Struensee'«, de« König« Christian VII. und der Königin Mathilde bekannt ge macht. Weder der König, noch Mathilde, noch Struensee erschei nen indessen in Bertrand und Raton; aber an da« dramatischste Ereigniß ihrer Geschichte knüpft sich der ganze Fade» der Jnlrigue. In den ersten Scenen bat Herr Scribe geschickt die respektive Stel lung der verschiedenen Ehrgeizigen zu erklären gewußt, welche sich tim Struensee bewegen, die Line», nm seinen Fall zu beschleunige», die Andere», um ihr Glück an das scinige zu knüpfen. Es ist einer seits die Königin Marie Juliane, welche, ohne es besonders zu ver bergen, danach strebt, dieft'ouvcramc Gewalt über einen König wie der zu erlangen, der durcb seine früheren Ausschweisungen zu entnervt ist, nm etwas Anderes als das Spiclwerk in der Hand Ariderer zu sepn; e« ist ferner rin außer Aktivität gesetzter Offizier, der Oberst Göhler, der sich bemüht, der Verschwörung die Dienste zu verkau fen, die von der Regierung zurückgewicscn worden sind, wobei er sich stillschweigend vorbchält, die Verschwörung zu verrathcn, wenn die Rückkehr'zur srukeren Fahne ihm mehr Vortbcil verspricht; — es ist endlich der Gras Bertrand von Rantzau , ein alter Hofman», dessen ganz diplomatischer Ehrgeiz nur immer ein sicheres Spiel spie len will, der alle Chancen berechnet, sciucn geringsten Worten einen Doppelsinn gicbl, der das Gehcimniß Anderer zu erforschen weiß, aber da« seinige niemals verräch, nur Andere der Gefahr aussctzt und nur für sich arbeitet. Eine Verschwörung ist für den Grafen ein Spiel, welche« seine Regeln hat, wie eine Partie Schach. Einem solchem Politiker sind alle Instrumente recht, und die am wenigsten intelligenten sind ihm die liebsten. Auch weiß er bald den mißver gnügten Oberst und die Verwittwcte Königin von sich abhängig zu machen, ohne daß Beide noch wissen, ob sie auf ihn rechnen dürfen. Ein zufällige« Zusammentreffen gestaltet ihm endlich noch,' die abge schmackte Eitelkeit eines Seidenhändler«, der die Krankheit bat, den Staatsmann spielen zu wollen, für seine Zwecke zu gewinnen, und der geschickte Diplomat wxiß sogar der blinden Lerzwcislung eine« zwanzigjährigen,Verliebten, des Sohnes eben jene« Kaufmann«, der die Tochter eines vornehmen Herrn liebt und von einem Nebenbuh ler beleid gt worden ist., der ihm seine« bürgerlichen Staude« wegen Genugthuung verweigert, eine Rolle anzuweiscn. Königin, Oberst, abgeschmackter Bürger, sprudelnder Hitzkopf sind nur Springfcderw für den Grasen von Rantzau, der sie sämmtlich für seine Pläne zu vereinigen und zu benutzen weiß. So überredet er die verwittwcte Königin, daß ihr kein anderes Mittel mehr bleibt al« die Kühnheit; den Obersten, daß der Umsturz der Regierung ihm den GeneralS- Titel verschaffen wird, und den Kausmann, daß er, in seiner Frei heit bedroht, das Volk zusammenrollen müsse; dem Sohn endlich ver spricht er eine Lieutenants-Stelle, wodurch er sich die unbedingte Hin gebung des jungen Verliebte» sichert. Andererseits sehen wir, um diesen verschlagenen Verschwörer zu bekämpfen, nur einen seiner Kollegen im Ministerium, der um so weniger auf seiner Hut gegen Rantzau ist, als er sich selbst damit beschäftigt, ihn zu stürzen, und ihn ganz zu täuschen glaubt. Ein kurzsichtiger Politiker ohne Menschenkcuulniß, von den Ereignissen beherrscht und einem kleinlichen Ehrgeiz stöhnend, will der Graf von Falkenried sich durch Familien-Verbindungen vergrößern und be festigen, indem er seine Tochter mit dem Baron von Koller zu ver mählen sucht, einem jungen Stutzer, der bi« jetzt noch kein andere« Talent als das eines guten Tänzer« gezeigt hat, den er aber zuerst in den Rath und dann in da« Ministerium an Rantzau « Stelle zu bringen hofft. Seine Tochter hat diesen Liebhaber besser beurtheilt; allerdings hatte sic auch schon dcni vormaligen Sccrctair ihre« Ba ler«, Erich Burgerstaff, dem Sohn de« Seidenhändlers, dessen Ver dienst in den Augen der Tochter ihm die Ungnade des Vaters zuge- zogcn hatte, den Vorzug gegeben. Der Vergleich fiel in allen Punk ten vortheilhast für Erich au«. Der Baron ist nicht allein ein Narr, ein Geck, der Verstand zu haben glaubt und e« laut ausspricht, son der» auch ei» Feigling. Der Kontrast ist sogar in dramatischer Hinsicht zn stark. Nicht als ob e« nicht in der Klasse, zu der der Baron gehört, wie in allen anderen Klassen, so nichtige Leute gäbe; aber man hat damit aus dem Theater zu viel Mißbrauch getrieben, und es ist in der Thal schon etwas Abgeschmackte« geworden, einen jungen interessanten Bürgerlichen einem geckenhaften und feigen Mar quis gegenüber zu stelle». Die beiden ersten Akte setzen alle jene Charaktere in'« Licht; der erste bereitet zu gleicher Zeit die Handlung vor, welche im zweiten beginnt. Von dem Hofe werden wir in den Lade» de« Herrn Raton Burgerstaff geführt. Wir machen hier die Bekanntschast zweier ncuet Personen; zuerst die der Madame Burgcrstaff, einer Frau von ge sundem Verstände, die nur den Ehrgeiz ihre« Stande« Hal und die Unbesonnenheiten und da« Geschwätz ihres Gatten keineswege« billigt; übrigen« eine gute Gatlin und zärtliche Mutter, die mit Bcsorgniß bemerkt hat, daß ihr Sohn nicht glücklich ist, und die ihm über sei nen Kummer sanfte Vorwürfe macht. Dann kommt Jan, der La-^ dendiencr, ei» sehr komischer Tvpu« jener jungen unruhigen Köpfe ohne Bosheit, die den Lärm aus der Straße wie ei» Schauspiel lieben, an einer Erneute wie an einer Lustparlic Theil nehme», und eine Revolution hervorbringen helfe», ohne c« zu ahne». Ja» reibt sich beule vor Freude» die Hände: er hat lebhafte Gruppen in den Straßen und auf den Plätzen gesehen; ec hat aufrührerische Reden gehört; er weiß zwar nicht recht, in welchem Sinne, aber sein Instinkt als Lärmmachcr sagt ihm, daß cs einige Unruhen geben, und daß man wenigsten« die Laten schließen wird. Madame Burgcrstaff im Gegentbeil erschrickt über alle jene Anzeichen de« Tumultes: und da der Graf von Rantzau dem jungen Erich freundlicherweise die Nachricht mitgetheilt hat, daß c« auf die Freiheit seine« Vater«, gegen den er indirekterwcise selbst den Verdacht der Behörde rege gemacht, abge sehen sep, so bestimmt man de» leichtgläubigen Kaufmann, die Flucht zu ergreift» und sich, von dem treuen Jan begleitet, bei einem Freunde zu verbergen. Unterweges begegnen dem Herrn Raton zwei Polizei-Agenten, die ihn höflich ersuchen, sich mit ihnen zu dem Richter zu begeben. Herr Raton war geneigt, diesem mit so vielem Anstande crtbeilten Bcschi Folge zu leisten; aber nicht so Ja», der ansängt zu rufen: ,,Zu Hülse, zu Hülse'. Man verhaftet memen Herrn! Mau will ihn ins Gcsängniß werfen!" Da« Volk rottet sich zusammen; da« Alarm- Geschrei läuft von Viertel zu Viertel, und mit einem Male ist Herr Raton ein Martprer, dann Held de« Volke« und dann sein Anfüh rer; denn iiian bcfteit ihn, man führt ihn nach seinem Ho.usc zurück, inmitten eines Tumulte«, der alles beschimpft, wa« wie -i» Borneb- mer auSsicht. Dieser Ausstand hat da« Fräulein von Falkenried, die Tochter de« Minister«, gezwungen, sich in den Laden de« Herrn Ra ton zu flüchten, und Euch erschein', gcradc im rechten Augenblick, um