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Nr. LS« — «. Jahrgang Dienstag den S. Juli 1VLV Erscheint täglich »ach«, mit iluknahme der Sonn- und Festtage. »gab« 1., Mit .Die Zeit in Wort und B»d» viertelsithrlii- 8,1« In Dresden durch Boten S,4V In ganj Deutschland stet Hau» »SS M«rgab«».! Ohne illustrierte Beilage diertelj. 1,80 I» Dresden d. Boten »,IV In ganz Deutschland frei Haus »,«r -r. - «inzel-Nr. 10 4 - L-Uung,Preis!. Nr. «888. Unabhängiges Tageblatt für Wahrheit, Recht und Freiheit Inserat« werden die «gespaltene Petitzeile oder deren Raum mit IS ^.Reklamen mitS« i die Zeile berechnet, bei Wiederholungen entsprechenden Rabatt. Buchdruckerei, Redaktion und lSeschästKftellei Dr«Sd«n, Ptllniqer Strafte 4». — Fernsprecher 1»«« gürRUckgabr unverlangt. SchriftstUike keine Berbi«dltchk«tt Redaktions-Sprechstunde: 11—1» Uhr. ^i'fs'isQksncj uncj labsnc! H)»'6^0-^i8>J66l'6l'l I^unci 15 I^fsnnigs. läerÜli^ 8, flocksiroß, Oresäen. dilsrlsnlstzdi In nllsn SdsttttsIIsn. lilk Die Finanzen des Reiches. Der englische Finanzminister hat soeben sein neues Budget dem Unterhause unterbreitet. Er selbst lobt es in allen Tonarten s denn er hat glücklich einen Ueberschuß von 17 Millionen Mark herausgerechnet. Mit Stolz weist er Sann darauf hin, daß England alle seine großen Flotten ausgaben aus laufenden Einnahmen gedeckt habe, während andere Mächte zu Anleihen gegriffen hätten. Dieser Seitenhieb ist auf Deutschland berechnet: cs ist ja zuzugeben, daß bei uns für die Flotte viel zu sehr auf Pump gebaut wird. Bis 1900 wurden nur fünf Prozent der Flotte abgeschrieben und zwei Drittel der Armierungskosten auf Schulden genommen. Damals erreichte dann Zentrum, daß die Armierungskosten ganz aus l-.-. i- senden Einnahmen bestritten wurden und daß sechs Prozent zur Abschreibung gelangen. Das Zentrum hat überhaupt immer den Grundsatz vertreten, daß die Bau kosten für unsere Linienschiffe aus laufenden Einnahmen bestritten würden. Im Jahre 1908 schlug es beim damaligen Flottengesetz erneut vor, daß mindestens alle Ersatzbauten im ordentlichen Etat zu decken seien. Die Neubauten könne man noch eher auf Anleihe nehmen, da sie eine Vergröße rung des Wertes der Flotte darstellten. Gegen diesen sehr begründeten Antrag sprach sich aber der Bundesrat ebenso aus, wie alle Blockparteien. Es waren namentlich die libe ralen Abgeordneten, die von diesem Antrag gar nichts wissen wollten. Es wäre daher eigenartig, wie gerade liberale Blätter sich jetzt auf das englische Budget berufen können; denn ihre Partei hat es vereitelt, daß das Reich dem eng lischen Beispiele folgt. Mit der Herrlichkeit des ganzen englischen Budgets ist cs überhaupt nicht weit her. Der dortige Schatzsekretär Loyd Georgehat zunächst die Einnahmen über alles Maß hoch gestellt, dann aber hat er 80 Millionen Mark Neste aus dem Vorjahre in den neuen Etat übernommen. Rechnet man diese einmalige und schwankende Einnahme ab, so hat der englische Etat einen Fehlbetrag von 32 Millionen Mark. Tie deutschen Finanzen sind also mindestens ebenso gut wie die derzeitigen englischen Finanzen. Es muß also als eine ganz haltlose Behauptung bezeichnet werden, daß Deutsch land erneut zu einer Reichsfinanzreform greifen müsse, wenn man sich an das im Jahre 1909 vereinbarte Programm hält. Sobald nicht neue unverwartetc Ausgaben dem Etat aufgebürdet werden, dann sind unsere Finanzen in Ordnung. Das Gerede einer neuen Reichsfinanzreform tancht allerdings auch in konservativen Blättern auf. So schreibt der Reichsbote: „Die nächsten Tatsachen scheinen auf dem Gebiete der Finanzreform zu liegen, weil die Resultate der Finanz reform für die Bedürfnisse des Reiches nicht ausreichen." Der konservative Schriftsteller Nordhausen spricht im „Tag" bereits von einem Defizit von 180 Millionen Mark und er meint, daß das neue Ministerium Bethmann Hollweg „das Kriegsministerium gegen die Uneinigkeit der Ord nungsparteien" die Aufgabe habe, noch in diesem Reichs tage die Mittel so zu beschaffen, „daß die Mehrheit der vaterländisch Gesinnten damit einverstanden ist". Einen verhängnisvolleren Ratschlag kann man dem neuen Ministerium gar nicht geben. Es wird nämlich hier vor eine Aufgabe gestellt, die es praktisch gar nicht lösen kann. Eine neue Steuerreform vor den neuen Reichstags wahlen würde der größte Gewinn für die Sozialdemokratie sein. Die Erbitterung würde in allen Kreisen der bürger lichen Parteien anwachsen; das Schlußresultat wäre der Kampf gegen alle zum Gaudium der Roten. Wer soll denn die neuen Steuern machen? Die Reichstagsmehrheit, welche die Mehrheit von 1909 schuf, kann ein Bedürfnis für neue Steuern nicht anerkennen. Sollten aber solche Vorschläge kommen, so würde es das einfachste sein, wenn man wieder die Kotierungssteuer aus der Versenkung herausholen würde, wenn man der Regierung erklären würde, daß für diese Besteuerung eine große Mehrheit vorhanden sei. Dann würden die Liberalen sich auf den Kopf stellen, der Hansa- bund und die Börse mit. Will die Regierung aber eine Erbschaftssteuer auf Gatten und Kinder Vorschlägen, so be deutet das eine Kriegserklärung an die konservative Par tei. Bei einem jeden solchen Versuche muß daher die Un einigkeit unter den bürgerlichen Parteien wachsen. Wie schwer es ist, eine Mehrheit für Steuern zu finden, das hat man bei den jüngsten Beratungen im Reichsschatzamt ge sehen. Die Wehrsteuer hat gewiß viele Freunde im Volke und im Reichstage, und doch ergab sich am Schluß der viel» stündigen Debatten, daß selbst eine Mehrheit für diese Wehrsteuer nicht zu finden ist. Wie soll es nun erst bei anderen Steuern sein? Wenn die Not es allerdings gebieten würde, neue Ein nahmen zu ßbaffen, so müßte das geschehen. Aber wir können ein Bedürfnis hierfür nicht erkennen. Zunächst hat das Jahr 1909 mit einem Ueberschutz von rnnd 90 Millionen Mark abgeschlossen. Diese Tatsache wird in der liberalen Presse wissentlich verschwiegen. Man kann aber doch dem Reichstage nicht zumuten, das Volk er höht zu belasten, wenn der Abschluß des letzten Jahres einen solchen Ueberschuß über den Etat ergibt. Der am 1. April d. I. verabschiedete Etat ist vollkommen im Gleich gewicht. Aus den Einnahmen der beiden ersten Monate dieses Etatsjahres kann ein Schluß auf das Gesamtergebnis nicht gezogen werden. Vor den: Ausfall der diesjährigen Ernte kann überhaupt kein Mensch annähernd sagen, wie die Einnahmen dieses Jahres sich entwickeln werden. Es verrät eine gewisse Nervosität und übertriebene Aengstlich- keit, wenn man aus einem kleinen Teilergebnis schon Schlüsse für dieses Jahr und die Notwendigkeit neuer Steuern für das nächste Jahr folgern will. Die neuen Steuern können und sollen noch gar nicht so fließen, daß sie ihren Höchstbetrag erreichen. Dieser ist erst für das Jahr 1913 vorgesehen. Das Jahr 1911 wird nur deshalb ein besonders schwieriges, weil zunächst noch die Flottenkosten um 20 Millionen Mark anwachsen und weil andererseits aus der Blockliquidationsmasse 80 Millionen Mark an Schulden zu bezahlen sind. Würde das letztere nicht der Fall sein, dann müßte der Etat sogar mit einem Ueber schuß abschließen. Die liberale Presse hat also allen Grund recht vorsichtig und ruhig zu sein, damit sie nicht immer wieder an die Sünden der Vergangenheit erinnert. Unsere Reichsfinanzen sind geordnet und bleiben in Ordnung, solange die Negierung ihre feierlich gegebene Zusage nur einhält. Diese Zusage lautet Sparsamkeit. Jeder Kenner unseres Reichsetats mutz zugeben, daß Millionen erspart werden können, wenn man nur will. Wir greifen nur den einen Punkt Reisekosten heraus. Warum ist die neue Reisekostenordnung mit ihrer großen Ersparnis noch nicht in Kraft gesetzt? Das Gesetz in Preußen ist be reits verabschiedet: das Reich kann also jeden Tag mit seinen Ersparnissen beginnen, aber die Verordnung will nicht kommen. Wie man hört, soll sie erst am 1. Oktober in Kraft treten. Warum denn diese auffallende Ver schleppung? Gerade jetzt im Sommer, wo die Beamten und Offiziere so viel reisen, wäre es doppelt angezeigt, mit der Ersparnisaktion hier einzusetzen. Also nicht mit neuen Steuern möge man kommen, sondern mit der Einlösung des gegebenen Wortes auf Sparsamkeit. Eine solche Politik kann die Parteien weit mehr einigen, als eine neue Steuer- Vorlage, welche geradezu als Sprengpulver wirken müßte. Politische Rundschau. Dresden, den 4. Juli 1S10. — Kaiser Wilhelm soll am 20. und 21. September als Gast Kaiser Franz Josephs in Schönbrunn weilen. — Der Reichskanzler hat wegen der Veröffentlichung deS Gesetzentwurfes über die Schiffahrtsabgaben in der Kölnischen Zeitung eine Disziplinaruntersuchung gegen den schuldtragenden Beamten verfügt. Diese Veröffentlichung stelle sich als grobe Indiskretion dar. nachdem der Bundes- rat auf Antrag Preußens beschlösset» hatte, die Materie vorläufig geheim zu halten. Die Kölnische Zeitung hat auf eine Anfrage erklärt, sie müsse jede Auskunft ablehnen. — Lermiuderung de» Gewinne» der Diamautenregie. Nach den unter Dernburg genehmigten Satzungen in der Diamantenregie hätte diese im laufenden Jahre 180 bis 200°/<> Dividende verteilen können. Der Reichsanzeiger teilt nun eine Abänderung des Statutes der Regie mit. wonach die Gewinne auf 10°/g beschnitten werden. Sind die Einnahmen höher, Abschreibungen und Rücklagen er- folgt, ein Beitrag zum Schutz der Diamantengewtnnung geleistet, so fließt der verbleibende Rest de» UeberschusseS in einen Dispositionsfonds, der dazu bestimmt ist, in schlechten Zeiten Diamanten aufzukaufen, damit die Schürf- tätigkeit regelmäßig vor sich gehen kann. Man wird diese Beschneidung des Berliner Großkapitals allseitig nur be grüßen können. — Hamburg in Deutschland voran! Wir haben vor einiger Zeit berichtet, daß in der Hamburger Bürgerschaft ein neuer Vorschlag auf Verschärfung der Strafbestimmungen gegen unsittliche Schriften gemacht wurde. Die praktischen Hamburger kommen aber schon teilweise mit dem bestehenden Gesetze au». Auf Veranlassung des Bürgerschaftsmitgliedes Münkrberg hat die Polizei in einer Kunsthandlung eine größere Anzahl von Bildern als unsittlich beschlagnahmt. ES handelt sich fast durchweg um Bilder, die schon im SimPlizissimuS abgedruckt worden sind. Man kann den Hamburgern zu diesem scharfen Vorgehen nur gratulieren. In der freien Republik Hamburg beschlagnahmt man die Bilder, die in der Hauptstadt de» „klerikalen" Königreich- Bayern hergestellt werden! — Zum Kompromiß über die ReichSversicherungS- ordnung wissen die Blätter viel zu erzählen. Die „Kreuz- Leitung" erklärt nun auch, daß ein solcher Kompromiß nicht abgeschlossen sei, daß vielmehr in der Kommission bisher Zentrum und Konservative sehr oft gegeneinander gestimmt hätten. Das konservative Blatt ist aber der An sicht. daß ein Zusammenwirken von Konservativen, Natio nalliberalen und Zentrum absolut notweltdig sei, wenn das ganze Gesetz zustande kommen soll. Das ist auch unsere Ansicht, nachdem der Freisinn erklärt hat, daß er das Ge setz nicht machen wolle und nach den ganz unannehmbaren Anträgen der Sozialdemokratie bleibt ein Drittes gar nicht übrig. Es ist daher bezeichnend, daß die sozialdemo kratische Presse bis zur Stunde nicht den Mut gehabt hat. ihren Lesern den horrenden Antrag mitzuteilen, welchen sie in der Kommission für die sozialdemokratischen Agi tatoren, welche bei der Krankenkasse angestellt werden wollen, cingebracht hat. Wi» besprachen ihn in Nr. 147 vom 1. Juli. Man wird dieses Schweigen verstehen: denn selbst der rabiateste Sozialdemokrat wird es nicht ver stehen. warum er für einen Lumpen, der im Gefängnis sitzt, Gelder in Form von Krankenkassenbeiträgen aufzu bringen hat. Der „Vorwärts" spricht immer nur an deutungsweise von diesem Anträge; er resümiert auch darüber, daß das Zentrum ihn nicht angennommen habe, aber er teilt nicht den Wortlaut desselben mit. Es darf heute schon als selbstverständlich angesehen werden, daß dieses skandalöse Verhalten seine Folgen im Gesetz haben wird, — Die natioualliberale Wetterfahne ist wieder furchtbar in Bewegung und verursacht Kreischen und Lärm. Al dis Minister Dallwitz und Schorlemer ernannt wurden, da kam die gänzliche Absage der Nattonallibeialen an den Reichskanzler. Seitdem der Magdeburger Oberbürger, meister seine Wohnung im Kastanienwäldchen aufschlagen darf, zeigt man ein freundliches Gesicht. Die parteioffiziöse Korrespondenz hat sogar den erfreulichen Eindruck ge- I Wonnen, „daß die Quellen, die bereits für immer verschüttet schienen, wieder entdeckt worden seien". Diese Bekehrung ist furchtbar schnell erfolgt. Wenn der Reichskanzler sich also weiter als Quellensucher betätigt, schließlich gar noch Bassermann, Friedberg und Schiffer findet, dann kann er in die geöffneten nationalliberalen Arme fliegen. Eine Partei aber, die sich dergestalt benimmt, braucht sich nicht zu beschweren, wenn sie so behandelt wird, wie sie es ver- dient. — Bassermauu auf der Mandatssuche. Baffermann verliert seinen ostelbischen Kreis und sucht ein neues Mandat. In Osnabrück holt er einen Korb, in Freiburg i. BreiSgau wollen ihn die Liberalen selbst nicht, da hofft er in Saar brücken an Stelle des alten Boltz anzukommen, aber die Großindustriellen dieses Bezirks Röchling und VopeliuS haben sich gegen ihn ausgesprochen, und so muß er weiter ziehen. Welcher Kreis würdigt sich endlich der Ehre, den Führer der Nationalliberalen durchfallen zu lassen? — Al» eine natioualliberale Kriegserklärung bezeichnet der „Vorwärts" die von uns gekennzeichnete Stellungnahme des nationalliberalen Reichstagsabgeordneten Dr. Weber Der „Vorwärts" ist allerdings von derselben nicht über rascht, findet aber die Form unanständig und hat da daS Wort Verleumder parat liegen. Solche kleine Raufereien müssen von Zeit zu Zeit Vorkommen, damit die Oeffent- lichkeit nicht sobald merkt, wohin die nationalliberale Wählerschaft geführt werden soll. In den mehr ländlichen Kreisen kann man sich dann auf Dr. Weber berufen, in mehr städtischen Kreisen geben dann Fuhrmann, Paasche und Bassermann den Ton an. — Eine derbe Abfertigung bereitet die Kreuzztg. der Deutsch-Evangelischen Korrespondenz. Sie gibt ihr folgende treffende Charakterisierung: „Die treuen, deutschen Protestanten, als deren un berufene und absolut ungeeignete Wortführerin die Deutsch- Evangelische Korrespondenz sich aufwirft, sind es wahrlich nicht, denen unsere Betrachtungen galten, sondern eben die tendenziösen Schürer des konfessionellen Haders, die nichts als liberale Parteiinteressen im Auge haben, wenn sie an geblich in Sorgen um die Wahrung der protestantischen Interessen aufgehen. Die Art und Weise, mit der die Korrespondenz unsere Ausführungen „frisiert", um unser nationales Pflichtgefühl und evangelisches Ehrgefühl zu verdächtigen, grenzt nahe an Fälschung. Warum getraut sich da» Blatt nicht, wenigsten» einige Sätze auS unseren Ausführungen wiederzugeben? Offenbar fürchtet sie davon einen Eindruck auf ihre Leser, der ihrem weiteren Schüren abträglich sein würde. Weshalb geht die Korrespondenz nicht auf unsere Frage ein. ob es denn im nationalen oder auch im evangelischen Interesse liege, den Erfolg, den Preußen-Deutschland nach zahlreichen (nicht bloß sozial demokratischen) Zeugnissen verständiger und objektiv urtei lender Männer und Zeitungen, zweifellos beim Papst davongetragen hat, zu verkleinern und die Sache so dar- zustellen, al» wenn der Papst eigentlich gesiegt und Preußen düpiert hätte? Auf diese Frage eine Antwort zu geben, ist allerdings schwieriger, al» zu fälschen und zu schimpfen. Aber — evangelisch ist das nicht." Dieser gerechten Verurteilung haben wir nicht» hinzu- -»fügen.