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Wöchentft» »schein«» drei Nummern. Prinumeraftons-Preis 22j Silbergr. (r THIr.) vlerteljShrli», Z THIr. für tos ganze Jahr, ahne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von feder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Camp., Jägerstraße Nr. 25). so wie non allen König!. Poff-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 102 Berlin, Dienstag den 26. August 184S. England. Briefe von der Reise. ix. Englische« Gerichtsverfahren, spaß- und ernsthafte«. — Eine Gardinenpredigt der MrS. Caudle. — Ein Abend in der Richter- und Geschwornen-Gesellschaft. — Mr. und Mrs. Candie vor Gericht. — Herr Jenkins, der fromme Mitarbeiter der hlorotag - po-t. — Verhandlungen in einem Kriminalgerichtshofe. — Die strafende Gerechtigkeit und die freisprechcnde öffentliche Meinung. Ich habe mir vorgenommen, heute etwas über meine Beobachtungen in englischen Gerichtshöfen zu schreiben, doch um zu diesem ernsten Gegenstände zu gelangen, erlauben Sie mir, mit etwas Spaßhaftem zu beginnen. MrS. Caudle soll mir den Weg bahnen zu den offenen Schranken der englischen Tribunale und zu den Männern, welche geschworen, „zwischen unserer souvc- rainen Frau, der Königin, und dem angeschuldigten Gefangenen die Sache gut, treu und gewissenhaft auszumachen und ein wahres Verdict, den Beweis stücken gemäß, abzugeben." °) Dem Ihnen in meinem letzten Briefe crtheilten Versprechen zufolge, will ich Ihnen zuvörderst noch Einiges über jenen jetzt in ganz England gekannten und hier überall populär gewordenen Namen, nämlich über Mrs. Caudle, sagen. Ich glaube, diesem Versprechen nicht besser nachkommen zu können, als indem ich eine der „Gardinenpredigten" übersetze, deren Heraus- geber Punch ist, dem sie von Herrn Caudle selbst mitgetheilt worden, der seinerseits am Schluffe jeder Predigt eine kurze Randbemerkung hinzugefügt hat. ES müssen wohl diese Gardinenpredigten (Lurlain-^ectureti) aus dem Leben gegriffen, es muß der Charakter der MrS. Caudle ein TppuS des weib lichen Pantoffelregimentes in England sepn, da sie sonst schwerlich so viel ge- lesen, kommentirt und nachgeahmt werden würden. Sie mögen also sür sich selbst sprechen. Mrs. Caudle hält diese Predigten beim Schlafengehen und kurz vor dem Einschlafen; die Bemerkungen und Erwiederungen, die ihr Ge mahl etwa zu machen hat, wenn er überhaupt zu Worte kommen kann, nimmt sie in ihren Tert mit auf, indem fie seine Worte stets wiederholt und auf der Stelle widerlegt. Ihre sechzehnte Predigt handelt davon, welcher Name wohl ihrem neugebornen Kinde und welche Pathen ihm zu geben sepn möchten. Sie beginnt also: . - „Nun, lieber Mann, laß uns über des Kindes Namen sprechen. Das Püppchen ist drei Monat alt, und noch hat es keinen Namen, bei dem man es nennen kann. Da willst du nun schon wieder einmal nicht hören! Ich soll morgen darüber sprechen. Nein, heute will ich's noch. Am Tage bist du ja kaum zu einem Wort heranzubekommen — hier aber kannst du mir nicht entschlüpfen. O pfui, du meinst, es wäre besser, wenn du es könntest; pfui, Caudle, das ist unfreundlich und nicht so, wie eine Frau — und besonders eine solche Frau wie deine — behandelt zu werden verdient. ES kömmt ja nicht oft vor, daß ich spreche, aber mir ist, als wünschtest du nie auch nur den Ton meiner Stimme zu hören. Deinetwegen hätte ich eben so gut taubstumm zur Welt kommen können! „Ich denke, unser Kleiner muß einen Pathen haben, und wenn dem so ist, Caudle, wen? Wer, denkst du, wird wohl im Stande sepn, das Meiste für ihn zu thun? Nein, Caudle, nein; ich bin keine egoistische Frau — nichts der Art -- aber ich hoffe vaS Gefühl zu haben, das eine Mutter haben muß: und waS nützt mir ein Gevatter, der dem Kinde weiter nichts als seinen Namen giebt? ES wäre fast eben so gut, wenn das Kind gar nicht getauft würde. Also wer soll eS sepn? Was sagst du? Irgendjemand? Schämst du dich nicht, Caudle? Hast du denn gar nicht die Besorgniß, daß dir etwas zustößt, wenn du so sprichst? Ich weiß wirklich nicht, wo du solche Grund- sätze her hast. Während ich mir den Kopf darüber zerbreche, wer wohl unter unseren Bekannten sepn mag, der am meisten für das liebe Kind thun kann, sagst du: Irgendjemand! Caudle, du bist ein wahrer Heide! „Da ist z. B. Wagstaff. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er jemals heiraten werde, und kleine Kinder hat er gar zu gern. Er hat Geld vollauf, Caudle, und ich glaube, daß er'S annimmt. Ja, kleine Kinder, du kannst es mir glauben, kleine Kinder find seine schwache Seite. Wäre cS nicht ein Segen Gottes, wenn sich unser Kleiner einmal in seinem Testamente bedacht ») Die Geschwornen leisten auf die Bibel den Eid, „veil ans tru!^ to try, soll true öeliverüno« to betören our «overeixa Ilie Hueea üuü tlie priiooer wlwm tke^ lu»vs la eliLrxo, «uü « truv veräiet to xlv» »ceorälux to tlie evlseoee." fände? Nun, warum sprichst du nicht ? Wahrhaftig, Caudle, du scheinst dich um das Kind gerade so viel zu kümmern, als ob eS einem Fremden angehörte. Wer Kinder nicht lieber hat, wie du, der sollte eigentlich gar keine haben! Du kannst Wagstaff nicht leiden? Nun, ich auch nicht sonderlich; aber was hat das damit zu thun? Wer sür Familie zu sorgen hat, der muß nicht an seine Gefühle denken. Ich kann ihn auch nicht leiden, aber ich bin Mutter und liebe mein Kind! Du willst Wagstaff nicht, und das rund heraus gesagt? O Caudle, du bist — ja du bist wirklich, wie kein anderer Mensch, für diese Welt nicht gemacht. „Was meinst du zu PugSby? Ich kann zwar seine Frau nicht aus- stehen, aber das thut nichts zur Sache. Ich weiß, was ich meinem Kinde schuldig bin, und wünschte, daß andere Leute dies auch so wüßten. WaS sagst du? Pugsby ist ein schlechter Kerl? Ja, das fieht dir recht ähnlich: immer Schlechtes von anderen Menschen behaupten. Wir müssen nicht immer glauben, waS die Welt sagt, Caudle; als Christen müssen wir das nicht. Ich weiß bloß, daß er weder Kind noch Kegel hat, und außerdem ist er sehr stark bei den Armee-Lieferungen betheiligt; also, wenn Pugsbp — Nun, nun, thu' doch nicht so ungemein verächtlich gegen den Mann! Caudle, du solltest dich waS schämen. Du kannst an Niemandem ein gutes Haar lassen. An wen denkst du denn aber? „WaS sagst du zu SnigginS? Na, wirf dich doch nicht so auf die Seite; es dringt ja zu viel kalte Luft ein. Was hast du gegen SnigginS? Du möchtest ihn um Alles in der Welt nicht um einen Gefallen bitten? Nun, da ist eS gut, daß jemand Anderes für das Kind sorgt: ich werde eS also thun. WaS sagst du? Ich soll nicht? Doch, doch; freilich werde ich! SnigginS hat außer einem guten Herzen auch eine sehr gute An stellung beim Zollamt, und da giebt eS immer etwas zu erhaschen, wenn man eS nur gescheidt anzufangen weiß. ES nützt dir nichts, Caudle, daß du dich von der einen Seite auf die andere wirfst — gar nichts. Ich habe nicht Lust, meinen Kleinen eben so hinzugeben, ja zu opfern möchte ich sagen, wie seine Geschwister. Was ich unter opfern verstehe? O, du weißt recht gut, was ich meine. Was hat Eines von ihnen von seinen Gevattern je bekommen, außer einem geschliffenen Bierglase, einem Messer und Gabel und Löffel und einem lumpigen Rock, der noch obendrein — was ich ganz sicher weiß, da ich den Laden kenne, wo man ihn kaufte — nicht mehr ganz neu war? Da ist außerdem noch die Frau deines lieben Freundes Hartley — waS hat fie unserer Karoline geschenkt? WaS? eine unechte Blondenmütze — o, ich werde über und über roth, wenn ich fie in dieser Mütze sehe. WaS sagst du? ES war die beste, die sie anschaffen konnte? Nun, dann hatte fie kein Recht, Pathin zu sepn für das Kind. Leute, die so gestellt find, sollten eS doch lieber Anderen überlassen, Gevatter zu stehen. Wahrlich, eS ist schlimm, wenn man so wenig weiß, was man der Welt schkldig ist! „Nun gut, Caudle; aber gegen Goldman hast du doch nichts einzu- wenden? Ja, allerdings?! Ist mir wohl jemals so ein Mann vorge kommen! Warum, weshalb? Er ist ein Wucherer und ein Filz? Nun, Caudle, du taugst wahrhaftig sür diese Welt nicht; du hast ja eine so vornehme Denkart, daß man dich nicht zu begreifen vermag. Ist der Mann nicht so reich als die Bank? Und was seine Wucherei betrifft, ist diese nicht ein Gewinn für diejenigen, die nach ihm kommen? Ich denke doch, es sep gut, daß eS auch Leute in der Welt giebt, die Geld sparen, da so unzählige Andere cs auf die Straße hinauswerfen. Du aber bist der seltsamste Mensch auf der Welt! Ich glaube wirklich, du hältst Geld für eine Sünde, statt für den größten Äegen; ich brauche nur Jemanden aus unserer Bekanntschaft zu nennen, der reich ist, so hast du auch gleich etwas gegen ihn zu erinnern. Um dir zu gefallen, muß man Nichts haben; ein Lump muß man sepn, um deine Freundschaft zu genießen, Ach, obwohl du mein Mann bist, so muß ich doch sagen, daß du ein Mann von sehr gemeiner Denkart bist, Caudle. Die einzige Hoffnung, die ich habe, ist, daß von unseren Jungen keiner seinem Vater nachgerathen werde. „Und ich möchte nur wissen, was eigentlich gegen Goldman einzuwenden ist? Das Einzige wäre allenfalls sein Vorname. Ich gestehe, daß ich den Namen Lazarus nicht leiden kann: er ist gemein und klingt nicht hübsch, nicht im Mindesten respektabel. Aber nachdem er für das Kind gestanden und gethan, was recht und billig ist, kann dieses ja den Lazarus leicht in Lawrence verwandeln. Ich höre, daß dergleichen oft genug vorkömmt. Nein, Caudle, sage das nicht; ich bin keine gemein denkende Frau, gewiß nicht; ganz im Gegcntheil: ich bin bloS voll Liebe für meine Kinder, und ich muß sagen — ich wünsche, daß Jedermann so fühlte wie ich.