Volltext Seite (XML)
Nummer 180 — 2«. Jahrgang Erscheint «mal wöchentlich «It den illustrierten «rali»vetlagen .Di» Weit' und .Für unsere Nelnen Leute", sowie de» Leil- öeUagen .llntcr-altun- und vtssen", .Kirche und Welt", .Dt« Weil d»r Krau", .«erzNicher «aigeder", .Literarisch» Beilage", .Ftlmrundschnu". Monatlicher Bezug-Preis S.- Mk. einschl. Bestellgeld. Einzelnummer 1t» Sonntagnummer K« 4- Hauptschrtstleiter- iv».«. L»«e»hk, Dresden. LüchMe Sonnabenv» -en «. August 1927 Auzeigeupr.ts«! Die tgespaUene PeNtzrite!»« 4. Familie», an,eigen und Stellengesuche St» Die Petitreklamezelle, 89 Millimeter breit, 1 Ostertengebühr L» 4, bet Ueder- sendung durch die Post außerdem Portozuschlag. Im Fall« HSHerer Gewalt erlischt sede Berpstichtung auf Lieserung sowie Ersüllniig v. Anzeigen-«»flrSgen u. Leistung v. Schadenersatz, «rschlistlicher Teil: «rtu» Lenz. Dresden. oolrsseuuna «eschäftSstell», »ruck».«erlag, Germania.«^«, sllr «erlag und Druckerei, Filiale Dresden, DreSden-A. l. Pollerstratze t7. Fernruf 3WI2. Polticheckkonto Dresden tNos. Bankkonto: Gtadtbank »reSden Rr. S17IS Für chrtfkttche Polittk uni» Kultur Stedakttou der Sächsisch«« «alkSzettuug LreSden-Altstadt 1. Polterstrabe 17. Fernruf SMU und ,1012. Der Unsinn der Listenwahl Von Oberregierungsrat Dr. A. Klörster, Berlin Wir geben dies» Ausführungen be» bekannten Zen- trumspslttiker» wieder, ohne uns mit allen Schlußfolge rungen einverstanden zu erklären. An einzelnen Stellen scheint uns Dr. Klöcker die Verhältnisse der Zentrums diaspora nicht genügend zu würdigen. Die Redaktion. Non den 483 Mandaten, die der jetzige Reichstag zaylr, find nicht weniger als 78 Reichslistenmandate, alw 14,8 Prozent oder mehr als der siebente Teil aller Abgeord neten. Dis Sozialdemokraten erhielten davon 9 oder 4,6 Prozent ihrer Gesamtzahl, das Zentrum 7 oder 10,1 Proz., die Bayerisch« Volkspartei 2 oder 10,5 Proz., der Land, bund 1 oder 12.5 Proz., die Deutschnationalen 15 oder 14,6 Proz., die Deutsche Volkspartet 10 oder 19,6 Proz., die Kommunisten 9 oder 20 Prc^., die Demokraten 9 oder 28.1 Proz., die Wirtschaftspartei 7 oder 41,2 Proz. und die Nationalsozialisten gar 5 oder 50 Proz. ihres gesamten Mandatsbesitzes. Nimmt man nun naturgemäß auch die Mandate hinzu, die ihre Existenz lediglich aus der Verrechnung der Rest, stimme eines Wahlkreises für den Nachbarwahlkreis mit ganz anderen Bewerbern herleiten, so ergibt sich, daß so, yar 27 Proz., also mehr als ein Viertel aller Abgeordneten indirekt gewählt wurden, nämlich 133. An dieser Zahl sind beteiligt: die Bayerische Volkspartei mit 2 oder 10,5 Prozent ihrer Fraktion, die Sozialdemokraten mit 16 oder 12.2 Proz., die Deutschnationalen mit 19 oder 18,1 Proz., das Zentrum mit 15 oder 21,7 Proz., der Landbund mit 2 oder 25 Proz., die Deutsche Volkspartei mit 18 oder 88.3 Proz., die Kommunisten mit 17 oder 37,8 Proz., die Demokraten mit 20 oder 65,7 Proz., die Wirtschaftspartei mit 13 oder 76,5 Proz. und die Nationalsozialisten mit 11 oder 78,6 Proz. ihres Mandatsbesitzes. Es liegt auf der Hand, daß die Wählerschaft der ver schiedenen Parteien ganz ungleich durch die indirekte Wahl benachteiligt wird. Während die Anhänger der Bayeri schen Volkspartei immerhin nur zu 10,5 Proz. ihr Wahl- recht aus dem eignen Wahlkreis verschieben lassen mußten, hat die Zentrumswählerschaft zu 21,7 Proz. das Recht, direkt den Wahlkreiskandidaten zu wählen, verloren. Bei den Nationalsozialisten kann man überhaupt nicht mehrvon direkter Wahl reden; denn wenn nur 21.4 Proz. ihrer Abgeordneten in dem Wahlkreise gewählt wurden, der die Bewerber ausgesucht hat, so kann von einer das unerläßliche Vertrauensverhältnis begründenden Verbindung von Wählern und Gewählten nicht mehr ge sprochen werden. Wenn es noch eines weitern Beweises bedürft hätte für die Zerschlagung des Grundbegriffes des Volksvertreters durch die Listenwahl, daß er nämlich mit dem Volke in engster Beziehung bleiben müsse während der ganzen Legislaturperiode, so liefert ihn die Tatsache, daß die gewählten Nationalsozialisten noch niemals einig waren, sondern in steter Umgruppierung sich befinden. Was an den Zahlen aber am meisten auffällt, das ist di« Tatsache, daß gerade die radikalsten Parteien und auch jene, die mit Absicht nicht als Volksparteien, sondern als Interessengruppen ohne allge- meines politisches Programm auftreten, aus der durch die Listenwahl veranlaßten Reststimmenverrech nung Nutzen ziehen, ja dieser ihr Dasein verdanken, die Nationalsozialisten, die Wirtschaftspartei, die Kommu nisten. Wer im ganzen Deutschen Reiche oder in großen Teilen des Reichsgebietes schimpfend und kritisierend und wunderversprechend umherziehen muß, um 60 000 Stimmen zusammenzusuchen, dem fehlt aber auch alles, was zum Volksvertreter gehört: er ist ohne allgemeines politisches Programm, erwartet sein Teil einzig und allein von der Unzufriedenheit, die er schürt, aber zu heilen verspricht, ohne sie auch nur um ein Prozent mildern zu können; er muß sich als Vertreter von Svnderinteressen gebärden, die oas höchste Parlament des Volkes nur im Rahmen der allgemeinen Politik lösen darf; er hat keine geflossene Wählerschaft hinter sich, der er verbunden ist, und die ihn stets zur Verantwortung ziehen kann. Was ihn im tiefsten Gründe charakterisiert, das ist der Geist der Zwie tracht und Zersplitterung, die er züchtet; denn täte er es nicht, würde er den Ast ablägen, auf dem er sitzt. Und weil es die Listenwahl ist, die in Verbindung mit rein formalistischer Auffassung der Verhältniswahl die Verrechnung der Reststimmen erforderlich macht, so ist diese der Todeskeim für das politische Reichs. Parlament. Sie fördert das Aufkommen von Zwerg parteien und einseitig eingestellten Jnteressenvertretern, löst den Abgeordneten völlig los von dem wählenden Volke, das bet der Bewerberauswahl kaum noch Einfluß besitzt, und dem sie die Stimmen raubt, damit Egoismus, persön- licher Ehrgeiz und Ueberhebung sich sättigen können. Di« Dl« heutig« Rümmer eut-itlt die Beilage „Die Well »er Ara«-. W«r -es MW-WEs Frankreichs Forderung nach Fnveiligailon — Eine autzenpottlilche Aktion der Neichsregierung? Parts, ü. August. Die Pariser Presse veröffentlicht in großer Aufmachung «in Schreiben Briands vom 22. Juli an den Völkerbund, die Vollmachten der Botschafterkonferenz, soweit sie die Kon trolle der deutschen Abrüstung betresfen, dem Völkerbund zu übertragen. Die Veröffentlichung wird von einer Reihe von Zeitungen durch folgende, anscheinend halboffizlöse Bemerkung eingeleitet: „Die neu« von Deutschland eröffnet« Kampagne, durch die es vermelden will, daß die Alliierten oder der Völkerbund zu einer Nachprüfung der Entwaffnung des Deutschen Reiches schreiten, insbesondere soweit sie die Küstenbesestlgungen Deutschlands betrtsft, erscheint unangebracht. Die kiirzllchen Enthüllungen über den Umweg, aus dem Deutsch land sein« Armee zu vermehre,, beabsichtige, beweisen, daß eine Kontrolle durchaus notwendig Ist. Selbst verständlich ist es der Völkerbund, dem setzt die Kontrolle zufällt.'' Der „Matin" erinnert daran, dotz die Botschasterkonfe- renz nicht in der Lage sei. Deutschland die erwünschte Quit tung für seine Abrüstung auszustellen, bevor nicht in allen strittigen Fragen (wke die Küstenbefestigungen und dos Poll- zeistatut) endgültige Klarheit geschaffen sei. Die betreffenden Nachprüfungen mutzten nunmehr gemäß dem Brief Briands durch die zuständige Kommission des Völkerbundes durch geführt werden. Havas meldete heute morgen aus London, dort herrsche einiges Erstaunen darüber, daß Deutschland den in Berlin weilenden Experten keine offiziellen Kontrollbefugnisse zuge stehen wollte und auch darüber, daß Deutschland angeblich die Ausübung einer Bölkerbundsinvestigatlon ablehne. * Hierzu wird von unterrichteter Seite bemerkt, dotz die englische Regierung ihre Ansichten nicht durch Havas, sondern durch Reuter bekanntzugeben pflege. Ferner wird darauf hin gewiesen, daß den Experten laut dem am 16. Dezember 1926 in Genf abgeschlossenen Protokoll keine Kontrollbefugnisse zu stehen. Zu einer Völkerbundslnvestigation liegt kein Anlaß vor, da Deutschland bisher sich keinerlei Verletzung der Ent- waffnungsbestimmungrn hat zuschulden kommen lassen Berlin, 5. August. Infolge der Zuspitzung der außenpolitischen Lage, die sich vor allem in der auffälligen Versck)ärsung des Pressefeld zuges zeigt, der sowohl von Paris als auch von London aus vor allem in derEntwaffnungs- und Kontroll frage gegen uns geführt wird, gewinnt die für den 10. August in Aussicht genommene Ka b i n e t t s s i tz u n g erhöhte Bedeutung. Es wird sich dabei nicht mehr nur um eine allgemeine Aussprache über die Außenpolitik und eine Vorbereitung der Genfer Septembertagung handeln, sondern angesichts der Erfahrungen der letzten Tage und Wochen liegt es durchaus im Bereich« der Möglichkeit, daß da« Kabinett Erwägungen über ein« neue außenpolitische Aktiv» anstelle. Diese würde das Ziel verfolgen müssen, di« Zusam menhänge und di« Tragweite der Paris«, und der London«»! Angriffe zu klären, um einem weiteren Fortschritten dieser, unliebsamen Entwickelung vorzubeugen. Ob man sich dafür entscheiden iverde, eine diplomatische Demarche durch unsere Botschafter unternehmen zu lassen oder ob eine Fühlung, nähme der Außenminister der Lokarnomächte zum Zweck er- neuter Vorstellungen angeregt werden soll, wird natürlich da hin gestellt bleiben, bis vom Kabinett überhaupt eine grund sätzliche Entscheidung in dieser Angelegenheit getroffen morden ist. Die Notwendigkeit und die Wahrscheinlichkeit eines solchen- Schrittes werde jedoch in politischen Kreisen schon jetzt in steigendem Maße anerkannt. Ein halbamtliches Lommunlquö zum Wster- Artikel. Gestern wurde deutscherseits folgendes halbamtliche Commu- niquS verbreit«»: Di« in Wiesbaden erscheinende Zeitung „Air Mensch heit" hat an» 28. Juni Uber angebliche Besprechungen, di« zwischen Angeftörige,, des Rcichsivrhrministeriums, insbesondere dem Rittmeilter Freiherrn von Freyberg-Allmen dingen und verabschiedeten Offizieren unirr Führung des Majors a. D. von Stephani im Flugvcrbandhaus in Berlin stattgesunden haben sollen, Mitteilungen oeröspntlicht, die sich aus keinerlei Beleg stützen und sich nach Wort und Inhalt ohne weiteres als lreie Erfindung kennzeichnen. Da indes die französisch« Presse, und zwar zum Teil in sen sationeller Abmachung, diese Veröffentlichung der „Mensch heit" nicht nur abgedruckt, sondern zum Anlaß der seltsamsten politischen Betrachtungen genommen hat, erscheint es angezeigt, aus Grund der an den beteiligten Amtsstullen elngezogcnen Erkundigungen sestzustellen, daß der Rittnwtster (jetzt Majors Freiherr von Freyberg-Attmendingen an emer derartigen Zu sammenkunft aiemalsteilgenomme-n und sich auch an anderer Stell, über die angeführten Themen nicht geäußert ha« und daß ihm »er Major a. D. von Stephani überhaupt nicht bekannt ist. Diese Feststellung genügt, um den sogenannten „Verhand- lungsbericht" der .Menschheit" als das p« krnnzeichnen, was e, ist, nämlich »ine glatte Fälschung. Es erübrigt sich des halb, aus di« Einzelheiten dieses Berichte, einzugehcn. Es sei lediglich da«n erinnert, daß in UebereinBmmung mit drn de« Botschastrrt-nserenz bekannten dentDben Bestimmungen keinerlei Beziehungen »wisch»» Reichswehr und Stahlhrlm oder ähnliche« Verbänden bestehen. Auch wird an zuständiger Stell« mit aller Entschiedenbeit betont, daß di« Be hauptungen der Menschheit" über PlDne oder Borbe reitung»» de« Reichswrhrmtntsteriums völlig aus der Snft grgrtssen sind. Listenwahl mit ihrer Stlmmenverrechnung durch das ganze Reich ist folglich auch der geborene Feind der Volksparteien mit umfassendem Programm und der innern Verpflichtung zur Verantwor tung. Sie lenkt im Wahlkampfe die Aufmerksamkeit ab von den Kernfragen der politischen Gegen wart und lenkt sie hin auf Nebensächlichkeiten, nimmt damit der Wahlbewegung und der Entscheidung des Volkes den großen Zug, unterbindet ruhiges Ueberlegen. streut Sand in die Augen. Und nach dem Wahlkampfe ist es gerade die große Zahl der kleinen Parteien, die die Regierungsbildung beeinträchtigt und Be rücksichtigung verlangt in einem Maße, das im umgekehr ten Verhältnis steht zu der Bedeutung, aber im geraden Verhältnis zu ihren törichten, nur zu gern geglaubten Versprechungen. Man spricht so viel vom Versagen des deut schen Parlamentarismus und übersieht dabei völlig, wohl auch geflissentlich, daß ihm noch immer die Aktionsfähigkeit fehlt, und daß man zunächst ein wirk liches Volksparlament schaffen muß, in dem resolut politische Koalition mit resolut politischer Oppo sition di« Kräfte mißt, in dem aber kein Platz ist für unnvlitilch« Dbltruktto» und »in aaltatorffch« Der» nelnung. Wer mityilft, die Listenwahl auszurotten, der hilft die Verfassung lebendig machen, der verbindet Volk- und Parlament, hebt wahrhafte Staatspolitik auf den gebührenden Platz. Man frage einmal die reinen Destruktionspolitiker und Vertreter von Sonderinteressen, was sie von der Listenwahl halten. Sie werden sie in den Himmel erheben und erklären, daß sie allein das Wohl des Volkes ver bürge. Denn nur durch sie könnten die alten historischen Volksparteien zernagt und zerbrochen werden, käme jeder Stand, jeder Beruf, auch der zahlenmäßig unbedeutendste, wieder zur Geltung. Der Abgeordnete des Volkes dürfe nicht mit den Wählern verbunden und ihnen verantwort lich sein. Wenn er di« Stimme des Volkes einmal er halten habe, müsse er frei Icbalten und walten können. Mit dem Akte der Stimmabgabe seien das Recht und das Interesse des Wählers an der Politik erloschen und aus den Abgeordneten Ubergegangen. So müßten ehrlich alle sprechen, di« nur der Listenwahl ihr Mandat verdanken, die also darauf rechnen, daß nur übelberatene Unzufrieden heit oder das hohe Ansehen der Spitzenkandidaten auf den Vewerberlisten iynen zu dem Mandate verhelfe. Man frage aber auch die Staatsmänner und Lübrer der politischen Fraktionen, ob