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AmtMM für die Vmglichm und städtischen Behörden zu Freiberg und Braud Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. rMgerMzej^ UN-Tageblatt. —" > — — -—2 4«. Jahrgang. Erscheint jeden Wochentag Nachmitt.^Uhr für den I ^. . . L.»4. «A kLÄSSLL,VL I Sonnabend, de« 8. Oktober. Inserate werden bis Vormittag 11 Uhr angenom- mm und beträgt der Preis für die gespaltene Zelle 1 XX M oder deren Raum 1b Pf. W I Die Chikagoer Anarchisten. Vor einigen Tagen hielt der Präsident der nord amerikanischen Union, Cleveland, in der Börse zu St. Louis eine Rede, in welcher er auch den Prozeß der Chikagoer Anarchisten streifte und mit Denen übereinstimmte, welche an den Verurtheilten ein Exempel statuirt sehen wollen. Cleveland sagte, er wisse den Werth fleißiger, mäßiger und sparsamer Ausländer zu schätzen, welche das amerikanische Bürgerrecht zu erwerben suchen und sich mit der durch die Gesetze und Einrichtungen der Vereinigten Staaten gewähr leisteten Freiheit zufrieden geben. Zwischen solchen Leuten und den Einwanderern, welche nur nach Amerika kämen, um daselbst Ruhestörungen anzufachen, lasse es sich leicht unterscheiden. Man kann sich in der alten Welt kaum einen Begriff von der Tiefe des Unmuths machen, den die Amerikaner über das Treiben der von Europa eingewan derten Anarchisten empfinden, welche durch den Mißbrauch der freien Institutionen der Vereinigten Staaten das Gast recht so schnöde verletzten. Sowohl die republikanische als auch die demokratische Partei in der nordamerikanischen Union hat die Bekämpfung der anarchistischen Bewegung in ihr Programm ausgenommen und verlangt die rücksichts lose Bestrafung der sieben verurtheilten Anarchisten, welche an der am 4. Mai 1886 stattgefundenen entsetzlichen Er mordung zahlreicher Polizisten in Chikago die Hauptschuld tragen. Während aber die Sozialisten in Europa jede Gemeinschaft mit den Anarchisten abzulehnen suchen, ent- blöden sich die amerikanischen Sozialisten nicht, in ihrer Presse und ihren Versammlungen lebhafte Sympathien für die wegen jenes Verbrechens Verurtheilten zu bekunden und Himmel und Erde in Bewegung zu setzen, um einen Auf schub der Hinrichtung und eine nochmalige Revision des Prozesses zu erzwingen. Die Anarchisten, die das Leben so vieler im Dienste des Staates stehender Familieriväter so frevelhaft antasteten, klammern sich, nun es ihnen selbst an den Kragen geht, krampfhaft an das Leben und finden bei der sozialistischen Presse Beistand, welche das blutige Bild der in Erfüllung ihrer Pflicht hingemordeten Diener der öffentlichen Ordnung möglichst zu verwischen und die gerechte Bestrafung der Mörder als schreiende Willkür aus zumalen sucht. Wie aus einer New-Iorker Original-Korrespondenz der Wiener „N. Fr. Presse" zu ersehen ist, lautete die Ent scheidung des Obergerichtes in Ottawa, Illinois, der höchsten Jnstanzbehörde über die Appellation der zum Tode verur- thcilten sieben Anarchisten August Spieß, D. R. Parsons, Samuel Fielden, Michael Schwab, Adolph Fischer, Louis Ling und Georg Engel „daß das Urtheil des Superior Oourt vom Sherif von Cook County am Freitag den 11. November d. I., zwischen 10 Uhr Vormittags und 4 Uhr Nachmittags, zur Ausführung gebracht Werve." An dieser anscheinend endgiltigen Entscheidung dürften die anarchistischen und sozialistischen Proteste wenig ändern, wenn auch die Zeit bis zum 11. November lang genug ist, um alle möglichen Versuche zur Umstoßung des Urtheils zu machen. Das Gutachten, in welchem das Obergericht in Ottawa seine Entscheidung begründet, ist ungemein aus führlich und enthält eine genaue Darstellung des Ver brechens, das in der inzwischen verstrichenen Frist von achtzehn Monaten beinahe dem Gedächtniß entschwunden ist. Der Sachverhalt war folgender: „Auf dem Haymarket in CH kago fand am Abend des 4. Mai 1886 eine angeb lich zur Besprechung der Acht-Stunden-Arbeitszeit berufene Massenversammlung statt, bei welcher die Anarchisten Spieß und Fielden ungemein aufreizende Ansprachen hielten. Die Polizei in Chikago war im Voraus davon benachrichtigt worden, daß die Anarchisten die Gelegenheit zur Anstiftung von Unruhen zu benutzen beabsichtigten. An der Spitze von 125 Polizisten forderte der Inspektor Bonfield die Menge vergebens zum Auseinandergehen auf. Urplötzlich wurden da von dem Wagen, auf dem die anarchistischen Redner standen, zwischen die zweite und dritte Reihe der Polizisten drei Bomben geworfen, welche die fürchterlichste Verheerung anrichteten. Drei Polizisten waren im buch stäblichen Sinne zerrissen. Statt darüber sich zu entsetzen, feuerten die Anarchisten in toller Wuth unter die übrigen Polizisten, die sich verzweifelt wehrten und zuletzt ihre An greifer zum Rückzüge zwangen. Von den bei diesem Kampfe verwundeten 52 Polizeileuten erlagen noch drei ihren schweren Verletzungen." Der darauf m Chikago eingeleitete Prozeß begann am 21. Juni 1886 und endete am 20. August desselben Jahres mit der Verurtheilung der gedachten sieben Anarchisten zum Tode. Gegen dieses Urtheil ergriffen die Anarchisten alle mög- j lichen Rechtsmittel, die jetzt erschöpft sind, da das Ober- zericht nach sorgfältigster Prüfung des Prozeßganges zu )er einstimmigen Entscheidung gelangte, daß kein etwa bei dem Verfahren vorgekommener Fehler eine Umstoßung des gefällten Urtheils rechtfertigen würde. Die Theilnahme der Verurtheilten an einer Verschwörung gegen die Polizei in Chikago war erwiesen und die Verantwortlichkeit derselben zweifellos dargethan. Wenn man auch den sieben Anar chisten nicht beweisen konnte, daß sie selbst die verhängniß vollen Bomben geworfen, ließ sich die Ermordung der Polizisten doch unzweifelhaft auf ihre dem Attentat un mittelbar vorausgegangenen Handlungen zurückführen. Die strengste Bestrafung einer derartig begründeten Mitschuld an einem Kapitalverbrechen entspricht in Amerika nicht nur den Rechtsgrundsätzen sondern wird auch von der öffent lichen Meinung gebieterisch gefordert. Dafür zeugt eine von dem erwähnten Berichterstatter der „N. Fr. Presse" gegebenen Zusammenstellung von Aeußerungen New-Iorker Blätter. Darnach sagt der „New-Iorker Herald": „Die Entscheidung des obersten Gerichtshofes in Illinois ist geeignet, jenem Theil unserer fremdgeborenen Bevölkerung, dem der Haß gegen jede Regierungsform eingeimpft zu fein scheint, in seiner tollen Laufbahn Halt zu gebieten. Wir erlauben jedem Bewohner unseres Bodens Redefreiheit bis zur Er schöpfung, aber wir dulden nicht, daß Dynamitbomben in die Reihen unserer Gesetzeswächter geschleudert werden." Die Zeitung „World" schrieb: „Die Sentenz wird eine dringend nvthwcndige Warnung für die gefährlichen Klassen in Europa und deren Sendlinge sein, die jetzt unser freies Land überschwemmen. Das Gesetz ist nicht grausam, die Gerechtigkeit nicht rachedürstig. Die Todesstrafe ist in diesem Falle die Maßregel, welche die Gesellschaft zu ihrem eigenen Schutze vollstrecken muß." Die „Evening Post" sagte: „Die öffentliche Meinung ist schon in hohem Grade nervös geworden durch die Verzögerung der Justiz in Chikago. Die geheime An fertigung mörderischer Geschosse, die gegenseitige Aufforderung zur Ermordung der Gesetzeshüter, die ganze Reihe von Verschwörungen, von den mitternäcd:lichen Versammlungen der Mörder bis zur Targödie auf dem Haymarket, ist eine Kette von Schuldbeweisen. Wenn solche Handlungen un gestraft begangen werden könnten und wenn z. B. nur Derjenige strafbar ist, der die todbringende Bombe warf, dann wäre die Gesellschaft den Anhängern Johann Mösts auf Gnade und Ungnade überliefert." Die New-Aorker „Staats-Zeitung" schloß einen längeren Artikel mit den Worten: „Keine Berufung auf weltbeglückende Theorien, die in den verdrehten Köpfen der Anarchisten spuken mögen, soll sie gegen die Folgen eines solchen Attentats schützen. Können sie das amerikanische Volk zu ihren Theorien be kehren, so liegt ihnen dabei nichts im Wege, wollen sie demselben aber ihre Theorien aufzwingen, so wird man mit ihnen fertig zu werden wissen, wie man mit Spieß und Genossen fertig geworden ist. Von sozialistischer Seite werden dagegen die sieben Polizisten-Mörder zu Märtyrern gestempelt und die ameri kanischen Arbeiter zu lärmenden Agitationen angespornt, die kaum die Stimmen der Besonneneren übertäuben, wohl aber den verleiteten Arbeitern schweres Unheil bereiten werden. Bei einer solchen sozialistischen Kundgebung ist es bereits am 2. d. M. in emer Versammlung bei Hoboken zu einem heftigen Zusammenstoß zwischen den Theilnehmern an der Versammlung und den einschreitenden Polizisten ge kommen, wobei einige Personen schwer verwundet wurden. Durch solche Auftritte wird der Unmuth aller ordnungs liebenden Bürger der Vereinigten Staaten nur noch größer und wird deren Verlangen erklärlich, daß dem zuchtlosen Treiben der meist aus Europa eingewanderten Sozialisten und Anarchisten auf amerikanischem Boden energisch Einhalt gethan werde. Die strengste Handhabung der amerikani schen Gesetze dürfte aber die für Europa wenig erfreuliche Folge haben, daß diese anarchistischen Elemente nach der alten Welt zurückströmen und dort den Kampf gegen Gesetz und Ordnung fortsetzen. Tagesschau. Freiberg, den 7. Oktober. In ihrem Antwortschreiben auf die Geburtstags-Glück wunsch - Adresse der Berliner Stadtverordneten dankt die deutsche Kaiserin herzlichst und wünscht, daß cs ihr ver gönnt sem möge, auch fernerhin an der Seite Sr. Majestät des Kaisers ihre Kräfte der Pflichterfüllung ihres Berufes zu widmen. Die empfangenen Beweise der Anhänglichkeit seien ein guter Vorbote des beginnenden Lebensjahres, da- sie mit der Hoffnung auf eine glückliche Wiedervereinigung mit den Ihrigen dankbar antrete. —Gestern nahm der K a i s e r in Baden-Baden daS Diner mit der Kaiserin ein. Abend waren zum Thee die Großherzoglichen Herrschaften, sowie die Prinzen Ludwig und Rupprecht von Baiern geladen, welche Letztere heute nach München abreisen. — Der deutsche Kron prinz hat sich gestern mit der kronprinzlichm Familie nach Mailand begeben, wo er Nachmittag- eintraf und im „Hotel Milano" abstieg, während seine Familie die Reise nach Arco und Baveno fortsctzte. — Der Statthalter, Fürst von Hohen lohe, ist gestern wieder in Straßburg eingetroffen. — Auf seinem Gute Moholz bei NieSky verstarb der General Graf Hugo Ewald von Kirchbach in Folge eine- Schlaganfall-. In warmen Worten feiert die offiziöse „Nordd. Allg. Z." die Zusammenkunst deS italienischen Ministerpräsidenten CriSpi mit dem deutschen Reichskanzler als einen neuen Be weis der alterprobten, zwischen den beiderseitige« Herrschern und Völkern bestehenden Freundschaft und ihrer friedlichen Bestrebungen. Der Besuch CriSpis habe dir volle lieberem- stimmung der beiden Staatsmänner in ihrer Entschlossenheit ergeben, im Verein mit Oesterreich den Frieden zu erhalten, einen europäischen Krieg nach Möglichkeit zu verhindern, sowie im Falle der Nothwendigkeit gemeinsam abzuwenden. Diese Ausgabe sei keiner schwebenden Detailfrage untergeordnet, auch nicht der Ausfluß vorübergehender persönlicher Stimmungen, sondern daS Ergebniß der Gesammtintereffen der beiden Völker, welche gewillt seim, nach der Herstellung der nationalen Ein heit, sich der Pflege der damit errungenen Güter zu widmen. Der friedliebende Bürger, der jedes neue Pfand zur Be kräftigung des Friedens freudig begrüßt, werde, wie auf den Besuch Kalnokys, so auch auf den Besuch CriSpis mit Genug- thuung Hinblicken. Diejenigen ausländischen Stimmen, welche ihr Mißfallen über den Besuch ausdrücken, zeigten dadurch, daß sie nicht der größeren Mehrheit der europäischen Bevölke rung angehören, welche den Frieden wolle, sondern der kleine« Anzahl derer, welche die Kalamität eines großen Krieges über Europa herbeiführen wollte. — Die Hamburger Handels kammer richtet eine dringende Eingabe an die Deputation für Handel und Schifffahrt, worin gebeten wird, die Reichsregie rung niöge uiit thunlichster Beschleunigung ersucht werden, der spanischen Regierung gegenüber die Deutschland auS dem Meistb^ünstigungSvertrage zustehenden Rechte dahin geltend zu ML^en, daß entweder dem aus Deutschland kommenden, in Hamburg hergestelltcn, resp. rektifizirten Sprit keine weiteren Beschränkungen auferlegt werden als dem aus anderen Länder» kommenden, oder daß dieselben, dem deutschen resp. Hamburgi schen Sprit auferlegten Beschränkungen in gleicher Weise gegen die Einfuhren anderer Länder, namentlich Schwedens, ange wandt werden. — Die in Hamburg stattgefundene General versammlung der Packetsahrt-Akliengesellschaft genehmigte die Erhöhung des Aktienkapitals auf 5 Millionen, sowie die Auf nahme einer Prioritätsanleihe von 10 Millionen. Von der Letzteren werden vorläufig nur 6^/. Millionen ausgegeben. Das Gesammtgeschäft im Betrage von 11^ Millionen über nahm eine Gruppe der Englisch-Deutschen Bank, der Dresdner Bank, sowie der Firma Erlanger u. Söhne. — Der Finanz ausschuß der bairischen Abgeordnetenkammer hat gestern ein stimmig auf 2 Jahre die Weitererhebung deS erhöhten Malz ausschlags genehmigt. — Das Mittwoch in Mainz verkündete Urtheil des dortigen Landgerichts erachtet sämmtliche acht au geklagte Sozialisten der geheimen Verbindung, sechs außerdem der Verbreitung verbotener Druckschriften schuldig. Die Strafen bestehen in ein bis sechs Monaten Gefängniß; der Landtagsabgeordnete Jöst erhält sechs Monate. Der Kaiser von Oesterreich reiste gestern Nachmittag mit seinen fürstlichen Jagdgästen von Neuberg nach Eiseney. — Für die österreichische Regierung ist die Fortdauer des natio nalen Streits zwischen Deutschen und Czechen sehr peinlich. Vor Kurzem hat vr. Rieger, der Führer der Altczechen, welche mehr als die Jungczechen zur Versöhnung neigen, die Schäden, welche aus diesem Streite entspringen, lebhaft beklagt. Darauf antwortete der deutsche Abgeordnete v. Plener anläßlich der Denkmal-Enthüllung in Eger in einer großen Rede, daß nicht eher von Frieden und Versöhnung die Rede sein könne, al- bis die deutsche Sprache wieder als Staatssprache zur Aner kennung gelangt und in den zweisprachigen Landestheilen deutsche Gerichte neben den böhmischen eingerichtet sein würden. Ziemlich gereizt wird ihm nun von den Altczechen erwidert, daß unter solchen Bedingungen der Friede unmöglich sei. Regie rungsseitig wird ebenfalls den Deutschen zu verstehen gegeben, daß man ihre Forderungen nicht billige. Die deutschen Or gane antworten darauf, daß man dann dem böhmischen Land tage auch für die Folge noch sern bleiben wolle. So bleibt