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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations-Preis 22^ Silbcrgr. (f Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. füi das ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstraße Nr. 25), so wie von allen König!. Pofl-Acmtcrn, angenommen. Literatur des Auslandes. 4K 52. Berlin, Dienstag den :;o. April 1844 Frankreich. Die Erfindung der Guillotine. Es ist eine merkwürdige Thatsache, daß die Guillotine, die mit dem Blute so vieler unschuldigen Schlachtopscr besteckt ist und deren bloßer Name uns eine der grauscnvollsten Epochen der Weltgeschichte zurückruft — daß dieses Instrument von seinen Urhebern in einer menschenfreundlichen Absicht erfunden und vorgcschlagen wurde. Die Vorrechte, die der französische Adel über das Volk besaß, erstreckten sich zur Zeit der Revolution selbst auf die Todcöart — der bürgerliche Verbrecher wurde gehängt, der adlige aber ge köpft. Als man anfing, auf die Abschaffung aller Privilegien zu dringen, ließ man auch dieses nicht unangetastet, so wenig beneidenswcrth es seyn mochte — warum, hieß cS, sollte der Edelmann ans eine andere Weise sterben als der rotm-mr? — Mit dieser Frage verband sich eine zweite, deren Lösung die öffentliche Meinung noch mehr beschäftigte — eS war dies die Ausrottung des VorurtheilS, welches die Schande des Verbrechers auf seine unschuldige Familie zurückfallcn läßt, und welches man für höchst unphilosophisch und den Menschenrechten entgegen erklärte. °) Zu den Verfechtern dieser Ansichten ge hörte ein Arzt, Doktor Guillotin, der, obgleich ein Mann von sehr be schränkten Fähigkeiten, sich durch einige kleine Schriften zu Gunsten des dritten Standes eine gewisse Popularität erworben hatte, so daß die Stadt Paris ihn zu einem ihrer Deputirten bei der National-Versammlung erwählte. Be müht, sich auch hier auszuzeichnen, schlug er mehrere Verbesserungen in Bezug auf das Sanitätswesen und die öffentliche Moralität vor, worin man ihm einige Sachkenntniß einräumen mochte, und welchen sich die Erörterung der Todesstrafe anschloß. Er entwickelte zuerst den wohlgemeinten, aber utopischen Plan, das Vorurtheil gegen die Angehörigen der Verbrecher durch legislative Maßregeln auszurotten, trug dann auf Gleichstellung der Todesstrafe für alle Klaffen der Gesellschaft an und behauptete endlich, das Hängen sey eine lang same und folglich unmenschliche Hinrichtungsart, während der Tod durch das Schwert ein augenblicklicher seyn müsse. Kleine Umstände mischen sich oft in große Resultate. Am 9. Oktober 1789, als die National-Versammlung in Folge der gezwungenen Abreise des HofeS aus Versailles sich nach Paris zu verfügen beschloß, hielt eS Doktor Guillotin in der Eigenschaft eines Abgeordneten der Hauptstadt für nöthig, seinen Patriotismus und seine Thätigkeit zu zeigen, um sich bei seinen Kon stituenten einer guten Aufnahme zu versichern. Er gab daher seine Absicht zu erkennen, eine Reihe von Propositionen einzubringen, die er den Tag darauf (am lOten) wirklich vorlcgte. Sie lauteten wie folgt: I) Verbrechen gleicher Art werden auf gleiche Weise bestraft, welches auch der Rang des Verbrechers seyn möge- 2) Die Todesstrafe ist in allen Fällen von gleicher Art; sie findet durch Köpfen statt und wird vermittelst einer Maschine (an simple meckimisme) bewirkt. 3) Da das Verbrechen persönlich ist, so verursacht die Bestrafung eines Verbrechers, welcher Art sie auch seyn möge, seiner Familie keine Schande. 4) Es wird streng verboten, einem Bürger die Bestrafung eines seiner Verwandten vorzuwerfen. Wer es zu thun wagt, erhält von dem Richter einen Verweis, und dieser Verweis wird nicht nur an die Thür des Delinquenten, sondern auch drei Monate lang an den Pranger ge heftet. 5) Das Vermögen eines Hingerichteten wird in keinem Falle konfiszirt. K) Die Körper der Hingerichteten werden auf Verlangen ihren Familien übergeben. Sie werden stets auf die gewöhnliche Weise begraben, und die TodeSart wird im Register nicht angeführt. Diese jedenfalls unzeitigen Vorschläge wurden, wie es scheint, fürs erste vertagt; am l. Dezember brachte der Doktor sie aber von neuem vor. Der erste Artikel wurde nach geringem Widerstande genehmigt, lieber den zweiten erhob sich eine Diskussion, bei welcher der Abbe Maury sich mit prophetischem Scharfblick gegen die allgemeine Annahme der Enthauptungs- strase aussprach — „man würde", sagte er, „das Volk dadurch entsittlichen, indem man es an den Anblick dcS Blutes gewöhnte." Die Einwürfe Maury'ö 's Schon im I. I78j wurde dieses Thema von dem akademischen Verein in Metz zum Gegenstand einer Preisfrage gemacht. Unter den Bewerbern um diesen Preis findet fich zum erstenmal der Name RobeSpierrc. blieben unbeachtet; wer konnte cs sich damals träumen lassen, daß die nächste Zukunft sie auf eine so schauderhafte Weise rechtfertigen werde? — An dem selben Tage machte aber Guillotin selbst den Debatten durch eine unbedacht same Aeußerung ein Ende; nachdem er die Einwendungen gegen den zweiten Artikel beantwortet und das Hängen als ein langwieriges und qualvolles Verfahren dargestellt hatte, rief er in triumphirendem Tone: „Mit meiner Maschine schlage ich Ihnen dagegen den Kopf in einem Augenblick herunter (je vous f<üs sauber tu rete äaus un elin ü'oeil), ohne daß Sie es einmal fühlen." — ES erhob sich ein schallendes Gelächter, mit welchem sich die Verhandlungen schloffen — von den Lachern aber waren nicht wenige be stimmt, binnen kurzer Frist als Schlachtopfer der noch ungeborcncn Veran lassung ihrer Heiterkeit zu fallen! Obgleich Doktor Guillotin mit solcher Zuversicht von seiner Maschine sprach, so scheint es doch nicht, daß er bisher auch nur ein Modell derselben verfertigt hätte, und es ist so gut als erwiesen, daß er an der drei Jahre später stattgcfundcncn Ausführung seines Plans keine» weiteren Antheil nahm. Jener unglückliche Ausbruch seines philanthropischen Enthusiasmus hatte aber die Folge, daß die von ihm vorgeschlagene Maschine mit seinem Namen be legt wurde — und zwar noch ehe sie eristirte. Das bekannte royalistische Journal: l es .4eres (les ^patres, welches unter der Leitung von Peltier, Rivarol und Anderen die Revolution mit großem Eifer und vielem Witz be kämpfte, machte jene Phrase Guillotin'S zum Gegenstand eines LiedeS, in welchem das künftige Schreckenswcrkzeug seine Taufe erhielt. Es lautet wie folgt: Auf die unnachahmliche Maschine des Arztes Guillotin, die zum Kopsabschneiden bestimmt ist und nach ihm Guillotine genannt wird. OinIIodin, ImÄxiuv, nu Ireau luntlu, Hu« penllre esili iutiuiuaiu Lti jtcn patrioti^ne. Il lui fitil Ouillotino! Dieses Lied ist schon dadurch merkwürdig, daß es dem Instrument drei Jahre vor seiner Existenz seinen zu trauriger Berühmtheit gelangten Namen gab; es knüpfen sich daran aber noch andere bcmerkcnswerthe Umstände. Barn ave und Chapclier gehörten zu den heftigsten demokratischen Mit gliedern der Rational-Versammlung und hatten einigermaßen zu den ersten Mordscenen der Revolution beigetragen; Coupetete war ein gewisser Jour- dain, der seinen Titel dadurch verdient hatte, daß er den beiden Gardes-du- Corps, Des-GutteS und Varicourt, die am 6. Oktober in dem Palaste zu Versailles ermordet wurden, die Köpfe abschnitt, und der in der Folge durch seine Theilnahme an den Metzeleien von Avignon einen noch schändlicheren Ruf erwarb. Und diese selben Blutmänner — Barnave, Chapelier und Coupetete — fielen alle drei unter dem Beil der Guillotine: Barnave, durch aufrichtige Reue gesühnt, am 29. November 1793, Chapelier am 17. April 1794 und der vom Blute menschlicher Hekatomben triefende Jourdain am 27. Mai 1794. Die Benennung der Guillotine, die man dem Instrumente auf diese Art im voraus gegeben hatte, blieb, so zu sagen, an ihm haften, obgleich man den Versuch machte, eS nach dem Herrn Louis, Secretair des Kollegiums der Wundärzte, Louison zu nennen, indem Letzterer wirklich die Aufsicht über die Verfertigung der Maschine sühne, die von Guillotin nur projektirt worden war. Anfänglich gebrauchte man den Ausdruck meistens spottweise, und wir lesen im Boniteur vom 18. Dezember 1789 einige „Bemerkungen über den Antrag des vr. Guillotin in Betreff einer Maschine, welche Thiere in einem Augenblick enthauptet", worin der Leichtsinn getadelt wird, mit welchem einige Zeitungsschreiber diesen Gegenstand behandelt hätten. Dieses war ohne Zweifel eine Anspielung auf das oben mitgetheilte Lied, das man im Publikum mit vielem Beifall ausgenommen hatte. Das Instrument, welches so durch einen bloßen Zufall den Namen der Guillotine erhielt, war keincswegeS eine ganz neue Erfindung. Spuren eines ähnlichen Apparats finden sich schon im tüten und 17ten Jahrhundert, und zwar in mehreren europäischen Ländern — in Schottland, England, Deutschland, Italien und sogar in Frankreich selbst. ES erhellt aus Puysegur's