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und Tageblatt TageSschsm. Freiberg, den 2. August Einer Einladung des deutschen Kronprinzen folgend, fuhr der augenblicklich in Berlin anwesende chinesische Bot schafter Marquis Tseng am Sonnabend Mittag nach dem Neuen Palais in Potsdam und nahm dort auch an der um 2 Uhr stattfindenden Tafel Theil. Am Abend kehrte der Marquis Tseng mit seinen Begleitern nach Berlin zuäiL — Gestern Abend trat der deutsche Kronprinz von Potsdam aus seine Reise nach Heidelberg an, begab sich jedoch zunächst erst nach Bayreuth, wo seine Ankunst heute früh gegen halb 9 Uhr erwartet wurde. Von Bayreuth dürfte sodann der deutsche Kronprinz heute Abend um 11 Uhr wieder abreisen und am 3. August früh in Heidelberg ein treffen, woselbst derselbe im Schlöffe Wohnung nimmt. — Im Auftrag des Großherzogs von Baden wurde auch der deutschen Kaiserin von der bevorstehenden Jubelfeier des sünshundertjährigen Bestehens der Universität Heidelberg Anzeige erstattet und das zu dieser Feier im Auftrag der Uni versität und mit Unterstützung der grobherzoglichen Regierung durch Hofrath Professor vr. Winkelmann in Heidelberg heraus- gegebene Urkundenbuch überreicht. Die Kaiserin hat hierauf mit einem an den badischen Ministerpräsidenten Nokk gerichteten Schreiben herzlich gedankt. In diesem Schreiben heißt es: „Deutschland wird stolz dieser friedlichen Erfolge auf einem Gebiete gedenken, auf dem alle Nationen sich begegnen und die würdige Stätte, auf welcher so Hervorragendes geleistet worden ist, gereicht dem schönen Lande zur Ehre, mit dem feste Bande mich innig verbinden." — Ein Zeichen der Zeit ist sicher auch die Entsendung eines außerordentlichen Vertreters des Papstes zu den Heidelberger Jubiläums fest lich leiten. Heidelberg ist nicht nur eine entschieden prote stantische Universität, sondern auch eine Pflanzstätte derjenigen nationalen Gesinnungen gewesen, die Deutschlands Einigung unter Preußens Führung angestrebt haben. Indem der Papst zur Jubelfeier dieser Universität einen besonderen Abgesandten schickte, bekundete er eine auerkennenswerthe religiöse Duldung und sagte sich zugleich offenkundig von derjenigen Richtung los, die innerhalb der römisch-katholischen Weltkirche der Grün dung des neue» deutschen Reiches feindlich gegenübersteht. Als Kennzeichen der Wandlung, die sich hinsichtlich der Beziehungen zwischen dem deutschen Kaiserreich und der Kurie vollzogen hat, wird man diesem Schritt eine Bedeutung zuerkennen müssen. Der Festschmuck in' den Straßen der Stadt Heidelberg ist vollendet; der Eindruck ist ein großartiger, das Straßenbild äußerst interessant. Seit Sonnabend Mittag bringen die Eisenbahnzüge aus der Nachbarschaft Tausende von Fremden, die durch die Stadt wogen. Fcstgäste zählt man bereits saft Tausend, meist ehemalige Studircnde der Heidelberger Univer sität. Unter den Fremden weist die zur Ausgabe gelangte erste Liste u. a. Rohlfs und Du Bois-Rcymond aus. Die Festhalle entspricht selbst hohen Ansprüchen, überhaupt ist für die Ver pflegung das Acußerste ausgeboten worden. Für nächsten Donnerstag ist dem Vernehmen nach ein Fest für eine beschränkte Zahl von Gästen im Karlsruher Schlöffe in Aussicht gestellt. — Der deutsche Reichskanzler hat mit der Fürstin Nachbestellungen aus die Monate August und September werden zum Preise von 1 Mk. 50 Pf. von allen kaiserlichen Postanstatten sowie von den be kannten Ausgabestellen und der unterzeichnete« Expedition angenommen. Expedition des Freiberger Anzeiger. Amtsblatt für die königlichen nnd städtischen Behörden zn Freiberg nnd Brand Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freiberg. ———— SS. Iatzrgaoq. - > Dienstag, den 3. August Inserate werden bis Vormittag N Uhr men und beträgt der Preis für die gespaltene Zeile H -»XlH oder deren Raum IS Pf. M.W V Handel und Vertragspolitik. Der große Einfluß, den die Agrarier in den letzten Jahren im deutschen Reiche errungen hatten, sowie die mächtige schutzzöllnerische Strömung, die, von Oesterreich ausgehend, sich rasch über Deutschland verbreitete, trugen viel dazu bei, über die Stellung des Handels in der Kultur entwickelung der Nation ganz merkwürdige Ansichten auf tauchen zu lassen. Nicht selten wurde mehr oder minder laut geäußert, der Kaufmann habe kein anderes Ziel vor Augen als den Gewinn und die Ausbeutung fremder Arbeits kraft, der von allen Fesseln befreite Handel keinen anderen Zweck als daS wirthschaftliche und industrielle Wohlergehen des Volkes zu Gunsten der Bereicherung Einzelner zu benach- theiligcn. DaS Verdienst, welches sich Derjenige erwirbt, der einem irgendwo im Ueberfluß erzeugten Produkt Ab nahme an Orten verschafft, wo dasselbe gar nicht vorhanden oder doch sehr selten ist, wurde in den letzten Jahren selbst von Leuten verkannt, die sich volkswirtyschaftlicher Kenntnisse rühmten. So lange irgend eine Produktion nur in sehr kleinen Verhältnissen vorhanden ist, kann der Er- zeuger seine Waare allerdings sehr leicht selbst vertreiben, der Selbstvertrieb wird aber demjenigen Produzenten zur drückenden Last, dessen Produktion eine großartigere ist und seine volle Thätigkeit beansprucht. Der Letztere bedarf des Händlers, welcher zwischen den Erzeuger und Verbraucher als Mittelsperson eintritt und für Mühe und Risiko eine mäßige Entschädigung erhält, welche beide Theile um so eher zahlen können, als sie ohne diese Zwischenperson gar nicht zusammengekommen wären, oder doch erst nach Auf wendung von Zeit, welche der Produzent vortheilhaster auf die Vervollkommnung seiner Erzeugnisse verwenden kann. Der Handel macht es sich zur vornehmsten Aufgabe, den jenigen Konsumenten aufzusuchen, der die Ergebnisse der Produktion am besten und vortheilhaftesten verwenden kann, oder er bildet auch häufig erst zu diesem Zweck den geeigneten Konsumenten heran. Dazu hat der Produzent entweder nicht die erforderlichen gar nicht zu unterschätzenden kauf männischen Kenntnisse, oder nicht die schwer zu erwerbende Bekanntschaft mit dem Kundenkreise oder auch nicht das flüssige Kapital, um dem Abnehmer jene längere Zahlungsfrist zu gewähren, welche in vielen Fällen erst das Geschäft ermöglicht. Sehr viele Keine Fabrikanten, welche sich ein ganz falsches Bild von dem angeblich ungeheuren Nutzen machen, den die Grossisten bei dem Zwischenhandel nehmen, versteifen sich deshalb darauf, den Konsumenten selbst auf- zusuchen und mit demselben direkt zu arbeiten. Die Folge davon ist, daß sie monatelang erst ihr Kapital in der Waare stecken haben, bis diese verkaufssähig wird, dann wieder monatelang, bis dieselbe einen Abnehmer findet und abermals monatelang, bis von diesem baare Zahlung ein geht. Ist schon dieser Zinsverlust bei den direkt gemachten Geschäften ein sehr bedeutender, so kommen noch oft andere große Verluste hinzu, welche den Fabrikanten dadurch er wachsen, daß sie, minder vertraut mit den Verhältnissen der Kundschaft als der kaufmännisch gebildete Grossist, häufig aus zahlungsunfähige oder chlkanirende Abnehmer stoßen, die ihre mangelhaften Handelskenntnisse gewissenlos ausbeulen. Der Versuch vieler ungarischer Grundbesitzer, sich von den ihnen lästigen Zwischenhändlern loszumachen und ihr Getreide und Vieh direkt nach Pest und Wien zu liefern, hatte in den meisten Fällen keinen anderen Erfolg, als daß sie auf den großen Märkten gar keine Abnehmer fanden oder solche, welche im allergunstigsten Falle sich damit begnügten, den bisherigen Nutzen der Zwischenhändler in ihre Tasche zu stecken. Eine volle Beweisführung für die Existenzberechtigung des Handels würde zu weit führen; tatsächlich hat jedes Volk, dessen wirthschaftliches Leben im Aufschwung begriffen war, sich nach der helfenden Hand des Kaufmannes umgesehen, welcher den Ueberschu ihrer Arbeit auf geschickte Weise nutzbar zu machen wußte A/F ü Erscheint jcdm Wochentag Nachmitt. S Uhr für den -HO I / L . andern Tag. Preis vierteljährlich 2 Mark 2S Pf., " zweimonatlich I M. SO Pf. und cinmonatlich 7d Pf. Es versteht sich von selbst, daß eine derartige ver mittelnde kaufmännische Thätigkeit ein doppeltes Vertrauen owohl von Seiten der Produzenten wie der Konsumenten voraussetzt, daß der Mißbrauch dieses Vertrauens möglichst verhindert, beziehentlich bestraft werden muß. Je mehr man aber dem rechtschaffnen und in seinem Fache tüchtigen Kaufmann Achtung zollt, desto bessere Elemente werden sich diesem Stande zuwenden, während die Verkennung der kulturbedeutung des Handels und seines großen Nutzens ür die Gesammtheit nur die Wirkung haben kann, das moralische Niveau dieses Standes herabzudrücken. Das legitime Geschäft bedarf der allgemeinsten Förderung und verdient dieselbe in hohem Maße. Zudem ist gerade in neuester Zeit der Nutzen des Zwischenhändlers durch die ungemein gestiegene Konkurrenz so herabgemindert, daß der Kunde bei demselben ebenso billig oder noch billiger als in der Fabrik selbst kauft, die dem Zwischen- Händler bei Abnahme größerer Massen gegen Baarzahlung selbstverständlich niedrigere Preise stellen wird als dem ein maligen Abnehmer emer kleineren Quantität. Dasselbe Verhältniß herrscht auch bei dem Verkauf landwirthscyaft- licher Erzeugnisse, so daß der Konsument in großen Stapel plätzen des Handels, z. B. in Paris und Berlin, Obst, Geflügel, Eier, Butter und dergleichen mehr bei gleicher Qualität fast immer billiger erlangt, als Derjenige, der in den Orten selbst wohnt, von wo die Großhändler diese Dinge in Massen gegen Baarzahluog bezogen haben. Das mag für die nächste Umgebung derartiger Bezugsorte nicht gerade angenehm sein, für die Produzenten, die nicht nöthig haben, ihre Erzeugnisse selbst auf oen Markt zu bringen und erst in einem kleinen Betrage mühsam zu Geld zu machen, ist es ein entschiedener Vortheil. Man hat sich deshalb auch wohl gehütet, diesem ost sehr übel empfundenen Zwischenhandel Hemmnisse zu bereiten; um so weniger ist es konsequent, wenn man sich einer freieren Entfaltung der kommerziellen Thätigkeit entgegenstellt, wo dieselbe darauf hinausläuft, Abnehmer außerhalb des Landes zu gewinnen. Das Gewerbe kann aber erst dann blühen, wenn der Handel demselben auch Kunden außerhalb des eigenen Landes und auch weit jenseits der Grenzen zu verschaffen vermag. Das wird aber sehr schwer, wenn man das eigene Land durch hohe Zölle den Erzeugnissen fremder Länder vollständig verschließt, weil dann diese Länder Vergeltung üben und zum Nachtheil für Handel und Gewerbe sich zu Repressalien veranlaßt fühlen. Bis zu einem gewissen Grade und für solche Erzeugnisse, die auf dem Weltmarkt nicht konkurrenzfähig sind, haben mäßige Zölle ihre volle Berechtigung, welche das Heran- reifen der noch schwachen Industrie ermöglichen; hohe Schutzzölle schaden aber nicht nur durch ihre aufreizende Wirkung in den Nachbarstaaten, sondern auch dadurch, daß sie den inländischen Produzenten den heimischen Markt in einer Weise sichern, welche das Selbstvertrauen allzusehr stärkt und ein ungesundes Zuviel in der industriellen Er zeugung veranlaßt. Das massenhafte Produziren nützt aber nichts, wenn nicht hinreichende und bestimmte Absatzgebiete für die Waaren vorhanden sind oder geschafft werden können. Alles, was der Boden hergiebt und was der menschliche Fleiß auf landwirthschaftlichem oder industriellem Gebiete schafft, läßt sich ebenso wenig im eigenen Lande verwerthen, als das Vaterland Alles liefern kann, was zu den Be dürfnissen seiner Bewohner gehört. Des internationalen Austausches der Erzeugnisse werden Kulturländer niemals ganz entbehren können. DaS beste Mittel aber, sich ge eignete Absatzgebiete zu sichern, ist der Abschluß sorgfältig erwogener Handelsverträge mit befreundeten Nationen. Diese Verträge müssen auf eine längere Dauer und unter gewissen Bürgschaften abgeschlossen werden, weil keine Handels operation im großen Style möglich ist, wenn sich die Be dingungen, auf welchen sich dieselben gründen, im Nu wieder ändern können. Ein Handelsvertrag ist auch nur dort vor- theilhaft, wo man geneigt ist, sich zum Prinzip der Gegen seitigkeit zu bekennen. Wenn Deutschland Ungarn und Rußland gestatten soll, Getreide bei mäßigen Zollsätzen ein zuführen, müssen diese Staaten erst Bürgschaft dafür geben, daß sie für die Produkte unserer Eisen- und Textil-Industrie willige Abnehmer werden wollen. Die Vertragspolitik ist eine solche des Ausgleichs und dort nicht anwendbar, wo ein Austausch der Erzeugnisse nicht zu erwarten steht. Die Wirthschaftspolitik, welche mit dem autonomen Tarif arbeitet, beraubt ganze Fabrikszwcige der Nachbarstaaten ihres Ab satzfeldes, das ohne gewaltsamen Zwang weniger nach den politischen Grenzen als nach den örtlichen Bedarfsverhält ¬ nissen abgemessen ist. Je höher die Kultur eines Landes entwickelt ist, desto mehr Nachtheile wird eS von solcher Verschließung des Nachbarstaates haben. So hat denn auch ne willkürliche Dekretirung von Zollerhöhungen, wie sie eit längerer Zeit in Rußland üblich ist, zahlreiche Gewerb- zweige Deutschlands geschädigt, die früher ihre Erzeugnisse auf russischem Gebiete absetzten. Die Klausel der sogenannten Meistbegünstigung, durch welche sich ein Staat dem andern gegenüber verpflichtet, ihm alle jene HandelSvortheile im Voraus zuzugestehen, die er nachträglich einem anderen Staate zugestehen wird, scheint der Gerechtigkeit zu entsprechen, ist aber der Ungleich artigkeit der vorhandenen Produktionsverhältnisse wenig praktisch. Sie hat erst neuerdings wieder mehrere Handels verträge verhindert, über welche das Königreich Rumänien mit anderen Staaten verhandelte. Der vielbesprochene Er laß des neuen österreichischen Handelsministers de Bacquehem zeigt allen Kulturländern die goldene Mittelstraße der Ver tragspolitik, die sich von dem schrankenlosen Freihandel ebenso fern hält wie von ungesundem Protektionismus. Jener Erlaß ist jedenfalls sehr geeignet, wieder in weiten Kreisen die heilsame Erkenntniß zu fördern, daß wohl erwogene Handelsverträge die einzige Grundlage sind, auf welcher Handel, Gewerbe und Landwirthschast innerhalb einer gesunden Begrenzung zur Blüthe gelangen können.