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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.06.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-06-02
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020602020
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902060202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902060202
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-06
- Tag 1902-06-02
-
Monat
1902-06
-
Jahr
1902
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«Vezuqs-'4-rers la der Hauvtexpedittou oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus» gabestrllen abgeholt: vierteljährlich 4.50, — zweinmliger täglicher Zustellung in» Haus S.50. Durch die Post bezogen sür Deutschland u. Oesterreich vierteljährlich.L 6, sür die übrigen Länder laut Zeitungspreisüste. —— Redaclion und Erpe-itio«: JohanniSgaffe 8. Fernsprecher 153 und 222. Ftlial-vp-dtti-nen: Alfred Hahn, Buchhandlg., Universitüt-str.3, L. Lösche, Katharinenstr. 14, u. KönigSpl. 7. —> Haupt-Filiale Dresden: Strehlenerftraße 6. Fernsprecher Amt I Nr. 1713. -4«^ Haupt-Filiale Berlin: Königgrätzerstraße 118. Kerujprecher Amt VI Nr. S3SS. Abend-Ausgabe. KiWgcr.TWMM Anzeiger. Änttsvlatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nattzes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem RedactionSstrich (4 gespalten) 75 vor den Familiennach richten («gespalten) SO H. 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Dort hat man erreicht, was man wollte: die beiden Boerenrepubliken sind als selbstständige Staatengebilde ver schwunden, sie sind als neuer Colonialbesitz dem Riesenreiche „««gegliedert", es giebt keine Transvaalrepublik und keinen Oranjefreistaat mehr — daS Werk der ehrwürdigen Vor trekker liegt in Trümmern. Man wird den Boeren früher oder später die Selbstregierung in inneren Angelegenheiten zugestehen, wie sie alle englischen Colonien haben, aber daS ändert an der Thalsache nicht», daß ihre staatliche Sonder existenz, die Unabhängigkeit, daS höchste Gut, um daß die beiden Völker in fast beispiellosem Heldcnmuthe au die drei Jahre gekämpft, für daS sie Leben und Wohlstand geopfert haben, dahin sind. Schmachvoller ist allerdings noch kein Sieger aus ungleichem Ringen hervorgegangeu, denn nicht die militärische Ueberlegenheit, nicht daS Genie seiner Strategen hat die Boeren unter Albions breite Füße ge zwungen, sondern einzig und allein die Unerschöpflich keit seines Menschenmaterials und seines ReichlhumS waren eS, die England es „am längsten anseben" lasten konnten. Allein im schließlichen Effect kommt eS nicht darauf an, daß die Boeren militärisch nicht besiegt, sondern daß sie nur erschöpft sind — die Waffen haben sie doch gestreckt und, worauf für England im letzten Grunde Alles hinauSlief, sie haben den Schlüssel zu den reichsten Goldminen der Welt an den Sieger ausgeliefert, unter dessen Schutz und Autorität nun die wilde Jagd eines unersättlichen SpeculantenthumS nach den grenzcnlosenSchätzen der schwarzen Erde anheben wird. Deshalb jubelt man in London. Ueberall sonst in der Welt ist die Friedensbotschaft mit einander widerstreitenden Gefühlen ausgenommen worden. Einmal ist cs der aufrichtige Schmerz darüber, daß wieder einmal im Völkerleben Macht vor Recht gegangen ist, daß unter der Brutalität deS Stärkeren die gute Sache des Schwächeren unterliegen mußte und daß die Sympathien aller gesitteten Nationen dem Heldenvolk der holländischen Bauern nicht zu helfen vermochten, weil nicht eine einzige Großmacht es sür angezeigt hielt, England in den Arm zu fallen. Der rührende Glaube der Boeren an den Gott der Väter, der ihre gerechte Sache zum Siege verhelfen müsse, hat sich in der Stunde der Entscheidung nicht bewährt, ihre Gebete blieben unerhört, und sie können sich jetzt nur noch mit der Ueberzeugung trösten, daß der Sieger seiner Beute sicher nicht froh werden, daß noch auf eine ganze Reihe von Jahren hinaus ein guter Theil seiner Wehrkraft von Südafrika absorbirt werden, daß er infolge dessen die Hände nie frei bekommt, wenn in einem anderen Theile seines unermeßlichen Reiches Schwierigkeiten ernster Natur entstehen und daß sein moralisches Prestige ebenso wie sein militärisches in Südafrika einen Stoß b»s inS Mark erhalten Hal. WaS unsere deutschen Interessen in Südafrika anlangt, so haben wir alle Ursache, mit den Trauernden zu trauern, denn das wollen wir unS doch keinen Augenblick verhehlen, daß jetzt, nachdem die beiden Bollwerke der Boerenrepubliken gefallen sind, der Weg für England nach dem Cap völlig frei geworden ist, und dieser Weg führt durch unsere ostafrikanischen Besitzungen! Die Boeren waren unS ungefährliche Nachbarn, mit den Engländern werden wir dort nur so lange in Frieden leben, als eS ihnen gefällt, und daS wird nicht eben lange währen. Aber wir wollen doch auch die andere Empfindung nicht unterdrücken, die sich beute in unS regt, und das ist die des lebhaften Bedauerns darüber, daß die Boeren rum stuten Theile selbst schuld an ihrem Untergange als Volkseinheit sind. Sie haben, im Anfang beispiellos vom Glücke be günstigt, beispiellos kurzsichtig gebandelt. Alle Chancen der vielen Siege, die sie in der erste» Hälfte des Feldzüge» errangen, gaben sie unter dem allgemeinen Erstaunen ikrer Freunde preis, während ihnen damals der Weg in die Capcolouie offen stand, wo sie als unbestrittene Sieger es in den Händen gehabt hatten, die Capbolländer zur allgemeinen Erhebung zu bringen. Daß diese später, als die Sache der Boeren schon verloren war, uur zum kleinen Theile sich mit fortreißen ließen, kann man ihnen nicht ver argen. Von der verhängnißvollen DiSciplinlosigkeit der Boeren und ihrer noch verhängnißvollere „Humanität" gegen einen rücksichtslosen Feind ist schon so viel geredet worden, daß wir nicht näher mehr darauf einzugeben brauchen. Der Hauptfehler, den sie begingen, war indessen der, daß sie sich mit ihrer Speculatwn auf fremde Hilfe, auf Intervention vor allen Rußlands oder der Vereinigten Staaten gründlichst geirrt haben. Nur sie glaubten daran, sonst kein Mensch. In dieser Hinsicht waren sie äußerst schlecht berathen, und so zogen sie in einen Kampf, den sie verlieren mußten. Ob eS den Boeren später noch einmal möglich werden wird, sich gegen ihre Unterdrücker zu erheben, dann nämlich, wenn für England die unvermeidliche, aber anscheinend noch ziemlich ferne Stunde der Entscheidung im fernen Osten geschlagen haben wird, lassen wir dahingestellt. Große Hoffnungen hegen wir nach dieser Richtung nicht, denn die Kraft beider Boerenvölker ist erschöpft, und England wird sicher zu verhüten wissen, daß im Verborgenen von Neuem gerüstet wird. Die furchtbaren Leiden eines dreijährigen Krieges, die grauenhafte Decimirung der Frauen und Kinder in den ConcentrationSlagern, die Vernichtung deS gesammten VolkS- WohlstandeS, all' daS wird schwerlich jemals vergesien werden, und wenn eine neue Generation aufgekommen sein wird, die mit Hilfe englischer Unterstützung daS Land in mühseliger Arbeit wieder ertragfähig gemacht hat, dann wird schwerlich sgroße Neigung dafür vorhanden sein, die blühenden Gefilde abermals in Wüste zu verwandeln um die wieder aufgebauten Farmen von Neuem der Flamme zum Raube zu lassen. Schließlich muß man auch damit rechnen, daß von den beiden typischen Vertretern der nationalen Boerensache, der eine, Krüger, alt und ge brochen, und der andere, Steijn, ebenfalls ein siecher Mann ist. Werden sich in zwanzig, dreißig Jahren wieder Helden finden, wie diese Beiden, wie De la Rey, Botha und De Wet ? Nur dann, wenn Englands Stern im Verbleichen wäre, könnte noch einmal für die Boeren der Tag der Freiheit kommen, bis dahin bat eS aber wohl noch gute Wege, denn sämmtlicheGroßmächte zeigen sich von dem festen Willen beseelt, auftauchende Diffe renzen, die früher mit Naturnothwendigkeit zu schweren kriege rischen Entscheidungen führten, auf dem Wege gütlichen Aus gleichs aus der Welt zu schaffen, und sie haben damit bis jetzt den besten Erfolg gehabt. Vielleicht heben die FrirdenSbedinguogeu, die ja sehr günstig für die Unterlegenen ausgefallen sein sollen, die Boeren leichter über daS tragische Ende deS Krieges hinweg. Auffallenderweise sind dieselben noch nicht publicirt. Man darf vermuthen, daß sie nicht eben schmeichelhaft sür die Sieger ausgefallen. Wir verzeichnen noch folgende Meldungen: * London, 1. Juni. Die Straßen wurden heute den ganzen Abend von einer zahlreichen Menschenmenge durchwogt, welche patriotische Lieder singt. Von den Thürmen der Kirchen er tönen die Glocken. Ueberall herrscht große Begeisterung. * London, 2. Juni. (Telegramm.) Der König hat folgende Botschaft au das Volk erlassen: „Der König hat die will kommene Nachricht von der Einstellung der Feind- seligkeiten in Südafrika mit unendlicher Genug- thuung erhallen und hegt das Vertrauen, daß dem Frieden die Wiederherstellung der Wohlfahrt in seinen neuen Besitzungen rasch folgen, und daß die durch den Krieg noth- wendiger Weise hervorgerufenen Empfindungen einem ernsten Zusammenwirken aller Unterthanen des Königs in Südafrika Platz machen werden, um die Wohlfahrt ihres gemein sames Vaterlandes zu fördern." * Loudon, 2. Juni. (Telegramm.) Die Morgenblätter be- sprechen den Abschluß des Friedens mit Genugthuung und zollen den Boeren sowohl, wie Len englischen Soldaten Anerkennung. Der „Standard" nennt die Boeren den tapfersten Feind, dem eul- gegenzutrrten den britischen und den Colonialtruppen jemals zu- gefallen sei. — „Morn ing Post" betrachtet es als eine glückliche Fügung, daß der König zu einem Zeilpuncte gekrönt werde, in dem daS Reich, daS er regiere, stärker sei denn je zuvor. — „Daily News" sagen, eS liege eine größere Aufgabe als der Krieg sür daS britische Volk vor, nämlich die Ausgabe, Eintracht und Wohl fahrt in das zerrüttete Land zu bringen und den Boeren zu zeigen, daß England sich im Frieden ebenso, wie im Kriege (?) auszeichnen könne. — „Daily Telegraph" hält eS im Interesse Englands für gut, daß die Krisis zu einer Zeit ausgebrochcn sei, wie dies der Fall gewesen ist; später wäre eS zu spät gewesen. Die Gefahr, in die England gerathen gewesen sei, und die es überwunden habe, sei eine tödtliche Gefahr gewesen. politische Tagesschau. * Leipzig, 2. Juni. Auf der Tagesordnung der heutigen Sitzung deS preußischen Abgeordnetenhauses steht bekanntlich der alte „tKctrridezollantrag" der Abgg. Graf Limburg-Stirum, v. Heydebrand, Porscb und Herold, also der confer- vativen Fraktion und des CentrumS, welcher lautet: DaS HauS der Abgeordneten wolle beschließen, die königliche Staatsregierung oufzufordrrn, im Buudesrathe dafür «inzutreten, daß den von der Mehrheit der ReichstagS-Zolltarifcommission aus gedrückten Wünschen auf Verstärkung des landwirth- schastlichen Zollschutzes über die Zolltarifvorlage hinaus entsprochen werde. Dieser Antrag ist von 233 Mitgliedern der genannten Parteien unterzeichnet, er hat somit im Voraus die Majorität deS Hauses. Zu ihm hat der Abg. v. Zedlitz, unterstützt von den Freiconservativcn, folgenden Abänderungsantrag gestellt: Den Antrag der Abgeordneten Graf zu Limburg-Stirum und Genossen in folgender Fassung auzunehmen: die königliche Staats- regierung aufzuforderu, im Buudesrathe dafür einzutreten, daß eine Verständigung mit dem Reichstage betreffs der von der Zolltarifcommission gefaßten Beschlüsse auf Verstärkung deS Zoll schutzes für die Landwirthschast über die Sätze der Zolltarifvorlage hinan» herbeigesührt werde. Der Unterschied der beiden Anträge ist klar: Graf Limburg-Stirum und Genossen verlangen daS Eintreten der preußischen Regierung im Bundesratbe dafür, daß den Forde rungen der Mehrheit der Zolltariscommission, welche vom Reichskanzler und anderen Mitgliedern der preußischen Re gierung als unannehmbar bezeichnet oder sonst bekämpft worden sind, entsprochen werde; die Abgg. v. Zedlitz und Genossen wünschen anscheinend eine „Verständigung" über diese For derungen, wobei der Wortlaut deS Antrages dahingestellt sein läßt, ob die Verständigung in einer Erhöhung der Zollsätze des Entwurfs bestehen soll oder nicht. Diesen Anträgen gegenüber handelt eS sich zunächst um die principielle Frage, ob die Regierung auf die Einmischung des preußischen Landtags in schwebende Fragen der Reichspolitik sich einlassen oder ob sie dieselbe zurückweisen wird. Graf Bülow hat bei einer früheren Gelegenheit auf die Mißlich- keit solcher Einmischung hinzewiesen; der Finanzminister v. Rhein baden hat am 5. Mai bei der EtatSberathung im Herrenbause, als Graf Mirbach eine Rede über die verschiedensten Gegenstände der Reichspolitik gehalten batte, daS Hau-, und zwar „in seinem eigenen Interesse", vor einem derartigen Verfahren gewarnt: der Reichstag, sagte der Finanzminister, sei bemüht, Angelegenheiten Preußens vor sein Forum zu ziehen; die Regierung habe sich stets auf das Entschiedenste gewehrt und in solchen Fällen niemals Rede und Antwort gestanden, weil sie verhüten wollte, daß preußische Angelegenheiten vor das Forum des Reichstages gezogen würden; aber WaS dem Einen recht sei, das sei dem Antern billig, und deshalb könne er nur davor warnen, Dinge, die zur Zuständig keit deS Reiches gehören, im Landtage vorzubringen. Der Minister lehnte eS ab, auf die von dem Grafen Mirbach erörterten Fragen einzugeheu. Die preußische Negierung würde also nur consequent handeln, wenn sie eS heute ablehnte, über einen der beiden Anträge sich zu äußern; sie würde dadurch zugleich der Noth- wendigkeit üderhoben, Kritik an dem geradezu ungeheuerlichen Verlangen deS consrrvativ-klerikalen Antrages zu üben, der preußische Ministerpräsident Graf Bülow solle den Reichs kanzler Grafen Bülow veranlassen, die von ibm im Namen des BundeSratbSf und also auch im Namen der preußischen Regierung abgegebene Erklärung zurückzunehmen. Aber ab gesehen davon, daß eS die Mehrheit des Hauses ist, die hinter dem conservativ-klerikalen Anträge steht, hat die königlich sächsische Regierung dadurch, daß sie in beiden Kammern auf ähnliche Anträge antwortete, die preußische Regierung in eine gewisse Nothlage gesetzt. Graf Bülow wird sich da her beute Wohl oder Übel vernehmen lassen, und zwar sowohl über den conservativ-klerikalen Antrag, wie über den frei- conservativen, dessen eigentlicher Zweck aus folgender Dar legung der Z„Post" klar hervorgeht: „Daß die Conservativen nicht vor ihre Wähler treten wollen, ohne daß ihr Getreidezoll-Antrag zur Verhandlung .gestellt ist, er scheint erklärlich. Deshalb darf mau sich aber doch der Erwägung nicht verschließen, daß die Verhandlung des Antrages bei seiner wenig glücklichen Fassung, vermöge deren nach dem Wort laute an die Staatsregierung eine Forderung gerichtet wird, welche sie offensichtlich in vollem Umfange weder erfüllen wird, noch nach den von ihr und Namens der Reichsregierung wiederholt abgegebenen Erklärungen erfüllen kann, nur zu leicht die Ber« Feuilleton. iz Verfehlte Liebe. Roman von E. Hein. Nachdruck »erdeten. I. Am 6. Januar 1897 früh brachten die M.'schen Zeitungen unter dem Datum des 5. Januar folgende Mittheilung: „In der vergangenen Nacht ist in dem benachbarten Dorf« Oelz aus der Stube des Besitzer» F. ein Betrag von 23000 Mark in Kassenscheinen, zumeist der Reichsbank, gestohlen worden. Das Geld befand sich zum Theil in einem alten Glas- schranke, wo der Besitzer seine Tassen aufzubewahren pflegte, zum Theil im Tischkasten. Diese etwas leichtsinnige Aufbewahrungs weise ist die bei F. übliche gewesen, wenn er seine Zinsen «in- cassirt hatte. F. ist sehr vermögend, der Stadttheil Blumenthal steht fast ganz auf ihm früher gehörigen Grund und Boden, für di« Häuser hat «r vielfach Baugevder und Hypotheken gr- ivährt. Man spricht davon, daß der gestohlene Betrag nur ein Theil des von ihm am Januartermin« vereinnahmten Gelde» sei. F. pflegt« das eingekommen« Geld bis zum 7. oder 8. bri sich zu behalten und dann auf di« Bank zu schassen oder «S an Private von Neuem auszuleihen oder auch neues Areal zu kaufen. Er schlief in der Stube, wo sich die ausgeräumten Möbel be finden und kann sich trotz leisen Schlafe» nicht erinnern, eia Geräusch gehört zu haben. Irgend ein Zeichen eine» Ein bruches ist nicht wahrzunehmen, doch ist auch der Verdacht auf einen Hausdieb ausgeschlossen, da in dem, in der Dorfstraße befindlichen, von einem Garten umgebenen Hause, nur noch die Tochter F.'S, ein zwanzigjährige» Mädchen, und im Anbau ein« alte Magd wohnen. Ein kleiner, wachsamer Hund, der sich Nacht» in der Hausflur aufhielt, hat nicht g«bellt." Soweit die Tageszeitungen. Die Mittheilung war richtig, bis auf den Tag. Nicht in ver Nacht zum 5. Januar, sondern einen Tag früher, vom 3. bis 4. Januar, war '.der Diebstahl ver übt worden, nur hatte Friedrich, so hieß der Bestohlen«, der den ganzen 4. Januar mit Geldeinnehmen beschäftigt war, ihn erst gegen Mittag bemerkt, und dann gleich dem Gendarmen angezeigt. Ehe nun dieser Anzeige bei seiner Behörde machte und diese die Polizei der Stadt verständigte, war ein Tag vorüber gegangen und die Presse baher einen Tag später benach- vchtigt worden. Natürlich hatte der^Ge^harm suchung «ingrleitet. Er ließ sich von Friedrich Alles erzählen, waS nur irgend von Belang sein konnte. DaS war nun freilich nicht viel. Friedrich, ein großer, kräftiger Mann von 45 Jahren, war, wie gewöhnlich, um 9 Uhr zu Bett gegangen, nachdem er das Hofthor und di« Hausthüre verschlossen hatte. Seine Tochter Minna hatte schon vorher ihre in >dem oberen Stockwerke ge legene Schlafkammer ausgesucht. Die alte Magd war zugleich mit ihr in dem Anbaue, der keine Verbindung mit dem Haus« hatte, zu Bett gegangen. Fensterladen hatte daS Haus nicht, denn die kleinen Fenster waren durch Weinspalier« verdeckt. Friedrich hatte die Lampe ausgelöscht, die Stubenthür« jedoch, wie ge wöhnlich, nicht verschlossen. Der Hund hatte sich auf die erste Stufe der zum ersten Stock führenden Treppe gelegt. Im Dorfe war eS ganz still gewesen, auch kein Mondschein, und daher ziemlich finster. Friedrich behauptete, gleich einaeschlafen zu sein. Früh ist er, wie gewöhnlich, «ine halbe Stunde später als seine Tochter, ^6 Uhr, aufgestanden und hat gegen 6 Uhr Kaffee getrunken. Dann hat er mit der Schaufel frisch ge fallenen Schnee, noch al» e» finster war, vor den zwei Stufen außerhalb de» Hause» weggeschaufelt und auch einen Weg zum Thore gebahnt, dabei auch den Schnee unter dem Fenster zur Wohnstube weggebracht. Außer der nach dem Hofe gehenden Wohnstube, wo Friedrich schlief, besah das HauS noch im Erd geschoß die Küch«, deren vergitterte» Fenster nach der Straße ging, und eine gute Stube mit zwei Fenstern, di« nach dem Garten gelegen waren; diese Fenster waren durch Laden ver schlossen. Gegen zehn Uhr früh hatte ein Schuldner 200 gebracht und sich ein Weilchen aufgrhalten. Al» dieser weg gegangen war, kam ein Anderer, der 400 brachte, und sich noch ungefähr «ine Viertelstunde aushielt. Di« erhaltenen 600 Mark hatte Friedrich auf dem Tische unter dein Tintenfass« liegen lassen, al» er den letzten Besuch bi» zum Thore begleitete. Dann war er zurückgegangen und hatte di« Beträge in s«in Buch eingeschrieben. Kaum war er damit zu Ende, so kam der Barbier gehilf« und rasirt« ihn nach alter Gewohnheit in einem Lehnstuhl am Ofen. Während der Barbier sein Tuch zusamnunsaltett und sein Mess«, reinigt«, wusch sich Friedrich im Waschbecken neben dem Ofen den Seifenschaum ab. Der Barbier war ge gangen und nun bemerkte Friedrich, al» er di« 600 in den Tischkasten legen wollte, daß dieser leer war. Er rief seine Tochttr und die alt« Magd, aber sie konnten ihm über den Ver bleib des Gelbe» k«ine Auskunft geben. Er ging nach dem Schranke, rückte «in paar Teller weg und bemerkt« auch hier seinen Verlust. Kopfschüttelnd trat er vor die Hofthüve und wollte^seinrm Nachbar den Diebstahl mitthrilen, al» er oerad« den Gendarm die Dorfstraß« herabkommen sah und diesem die Sache mittheiltch Dieser trat fün, befragte Friedrich und empfahl ihm, vorläufig nichts zu erzählen, das Gleiche wurde der Tochter und der Magd eingeschärft. Der Gendarm nahm eine genaue Ortsbesichtigung vor. Er untersuchte die noch nicht geöffneten Fensterläden tn der guten Stube, die Festigkeit des WeinspakierS an den Fenstern zur Wohnstube, die Eisenstäbe an dem Küchenfenster, suchte nach Fußspuren im Schnee im Hofe und im Garten, doch konnte er nichts finden. Es hatte am Morgen nur ganz wenig ge schneit, Spuren hätte man aber finden müssen. Auch die Haus thüre und das Hofthor 'wurden auf ihre Festigkeit geprüft, sogar di« Kammer der alten Magd, die schon dreißig Jahre im Hause dient« und die er zartfühlend fortgeschickt hatte, wurde in jedem Winkel durchsucht, nichts, aber auch gar nichts Verdächtiges ergab sich. Ergebnißlos verließ er das Haus und machte dem Orts vorstande Mittheilung. Der Ortsvorstand war gerade kein Freund Friedrich's, aber der Diebstahl that ihm doch leid, wenn er auch äußerte, daß Friedrich die 23 000 okk nicht sehr schmerzen würden. Dann ließ er den Nachtwächter holen, der an dem Tage den Gemeindediener machte und der gerade im Spritzenhaus war. Er hatte seine Runde wie gewöhnlich gemacht und gab nach einiger Ueberlegung seine Aussage dahin ab, daß er nichts Verdächtiges bemerkt habe. Am Abend deS 4. Januar war die städtische Polizei Lenach- richtiat, und der Director, ein junger, schneidiger Mann, gab gern sein« Einwilligung, daß seine Criminalpoli-ei die Sach« in die Hand nehme. Natürlich sollte sich der Gendarm mit an den Nachforschungen kxtheiligen und die Bewohner von Oelz, die den Diebstahl doch nun erfahren mußten, aushorchen. Es war schon zu spät, um Friedrich zu befragen, denn als der Crimi- nalpolizist im Dorfe ankam, war Friedrich zu Bett ge gangen, übrigens war es auch so dunkel, daß man nicht» sehen konnte. Der Polizist, WeithaaS hieß er, wollte jedoch durchaus etwa» erfahren und begab sich in den Gasthof. Hier saß noch der Wirth mit vier Männern beim Kartenspiel. Weithaas war ein« jener Naturen, di« für die Polizei ge boren sind. Er war mit Leib und Seel« dabei, und nichts hatte er sich sehnlicher gewünscht, al» eine große Aufgabe zu lösen. Hier war di« Aufgabe da, hi«r konnte er zeigen, welche» Polizei talent in ihm steckte. Als er in di« Gaststube trat, blickten die Kartenspiel«! ihn verwundert an. Sie legten die Karten bei Seit« und schienen ein wenig verblüfft. Bei dem ersten Blick erkannte Waithaa», daß daS Spiel, da» er durch seinen Eintritt unterbrochen hatte, ein Hazardspiel, dir bekannte Lotterie, war. Silber- und Goldmünzen lagen in beträchtlicher Menge auf dein Tische, über den eine schmutzige Petroleumlampe ihr Licht ergoß. In Weithaas' Herzen jubelte es auf. Das war ja die schönste Spielergesellschaft, die er hier vor sich hatte. Ein Griff auf den Tisch, ein Griff in die Tasche, die Polizeilegitimationsmarke her vorholen — und die Gesellschaft war gefangen. Schon griff Weithaas in die Tasche, da fiel ihm ein, daß er doch hierher ge kommen sei, um über den Diebstahl etwas zu erfahren, und nicht, eine Spielcrgesellschaft aufzuheben. Wenn er sich mit einer Arretur im Dorfe einführte, dann konnte er gewiß kein« Aus kunft bekommen, dann würden sich ihm alle Ohren verschließen, und er brauchte die Auskunft doch so nöthig. Vor Allem mußte er etwas über Friedrich'S Leben erfahren, sein« Freunde und Feinde, seine Verwandten, Kinder und Geschwister, seine Schuld ner, sein Vermögen. Wer konnte es ihm besser sagen, als diese Bauern, die alle mit ihm ausgewachsen, die, wie Friedrich, durch Landverkäufe reich geworden waren, und denen es nicht darauf ankam, ein paar Hundert Mark zu verspielen. Laß sie spielen, dachte er und blickte von dem Tische weg nach dem Ofen hin, an den er sich jetzt stellte, als wolle er sich wärmen. Um nun etwas zu thun und sich einzuführ«n, bestellt« «r «inen Schnaps. Schwerfällig erhob sich der Wirth und schenkt« ihm ein Glas ein. „S' ist gleich Feierabend, wir wollen zumachen", sagte er dabei. Weithaas überhört« die Wort«. „Ja, eS ist sehr kalt", entgegnet« er. „Mich friert ganz ab scheulich. Hobe einen weiten Weg gemacht", setzte er hinzu, als der Wirth auf das Gespräch nicht eingehcn wollt«. Allgemeines Schweigen. „Geben Sir mir noch einen", sagte er schließlich. Nun sah sich der Wirth den Mann von der Seite an, dann schenkte er noch ein Glas voll. „S' ist, wie gesagt, Feierabend", bemerkt« er dazu. Weithaas biß sich auf -i« Lippen. Jetzt that eS ihm Leid, daß er die Gesellschaft beim Spiel nicht aufgehoben hatte, umso mehr, als die Männer ihr Geld zusammenfaßten und die Karten untereinander warfen. „Prost", sagte er und trank sein GlaS au». Niemand antwortete ihm. Er kannte die Bauern nicht, er wußte nicht, daß bei ihnen das Mißtrauen zu Hause ist. Endlich fragt« er, so allgemein nach dem Tische hin wie weit es nach M. sei. Neue erstaunte Gesichter, in denen sich aber schon ein Ver dacht spiegelte, als ob"«r sich über sie lustig machen wollt«. Na türlich keine Antwort. Nun wandte er sich direct an den Wirth mit derselben Frage.
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