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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. PrLnumeratlonS- Preis 22 l Sgr. (; Thlr.) vierteljährlich. Z Thlr. für das ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Ma g a z i n für Vie Man vränumerir! aus diese» Beiblan der LUa. Pr. Staat«- Zeitung in Berlin in der Exvcdinen (ZnedrichS-Straße Nr. 72); in der Provinz s» u>ie !m Luelande bei den Wohllöbl. Post - Lenitern. Literatur des Auslandes. 98. Berlin, Mittwoch den IL. August 1838. Frankreich. Der Kapellmeister Franz des Ersten. Gegen das Ende des fünfzehnten Jahrhunderte, oder genauer um das Jahr 147», Hane das kleine Dorf Landes in Saintonge eines Morgens einen ganz ungewöhnlich festlichen Anstrich. Die Bauern waren nicht an ihre gewohnten Arbeiten gegangen, son dern in den Wald gezogen, wo sie allerlei Laubwerk abschnitten, und die grünen Zweige, mit denen sie ihre Hauser verziert hauen, gaben der einzigen Straße des Dorfes ganz das Aussehen eines Laubganges. Die Außenseite der Kirche war mit einer alten Tapete ausgeschlagen, welche die Feuersbrunst und Einäscherung Troia's darstellie, und welche allem Anscheine nach nicht viel junger war, als die Begebenheit, welche sic darstellie. Die jungen Mädchen des Dorfes, welche in ihren schönsten Kleidern prangten, waren von der Kirchlhür an in zwei Reihen ausge stellt; eine jede derselben hielt einen Blumenstrauß in der Hand, und wenn damals in dem Dorfe ein Muscnjünger gewesen wäre, so wurde derselbe gewiß nicht ermangelt haben, zu bemerken, daß die frischen und anmuthigen Gestalten der jungen Mädchen wie Matrosen an einem wilden Rosenstrauch«: unter dem Laub werke hervorgncktcn. Die angesehensten Bewohner des Dorfes standen, den Hut in der Hand haltend, neben dem Landvogle, der den letzten Theil einer wahrscheinlich sehr mühsam cinstudir- len Rede vor sich hin murmelte. Seit zwei Stunden waren schon alle Vorbereitungen been digt, und Jeder stand auf dem Posten, den ihm der Ecrcmonien- mcister des Dorfes angewiesen Hane; die lange unterdrückte Un geduld thcilie der Doppelreihe der Dorfdirnen eine leise zitternde Bewegung mit, wie nxmn der Hauch des Abendwindcs die Zweige einer Pappel-Allee hin- und herwicgi, und selbst den älteren Dorfbewohnern war bereits aller Gesprächsstoff auegc- gangen, als sich plötzlich in der Ferne eine Staubwolke erhob, welche sich dem Dorfe immer näher walzic- Nun eilte auch eine An Vorposten auf einem Ackergaule vorüber, um dem Pfarrer der Gemeinde das verabredete Zeichen zu geben. Sogleich er tönten die drei Glocken der Kirche, und das Abschießen eines alten Feuerrohrs erhöhte noch die Feierlichkeit des so sehnlich er warteten Augenblicks. Jetzt traten auch aus der Staubwolke die Gestalten dreier Reiter hervor; der Eine war vollständig bewaff net, nur daß seine Eisenhaube, die ihm wohl auf der Reise zu beschwerlich seyn mochte, an dem Sauclkuopfe hing. Der Degcngun und die Sporen des Ritters deuteten den Rang an, den er in der Ritterschaft cinnahm, und geübtere Kennerblicke, als die der guten Dorfbewohner, würden ihn nach seiner ganzen Ausrüstung augenblicklich als einen Hauptmann in der Reiterei. Ludwig's XI!. erkannt haben. Der zweite Reiter schien eine An Knappe oder wenigstens ein Krieger von untergeordnetem Range zu seyn. Oer Dritte war ein Edelknabe, denen Haupt mit einer turbanahnlichcn Kopfbedeckung umhullt war; ein fal tiger Mantel emzog seine Körperunirisse allen neugierigen Blicken und ließ nur ein blasses Antlitz sichtbar werden. Als der Zug anhiclt, sprang der Hauptmann mir größerer Leichtfüßigkeit vom Pferde, als man nach seinem bereits vorge rückten Alter hätte erwarten sollen. Der Kriegsmann in seinem Gefolge ließ sich mehr Zeit, als wenn er schon gewohnt gewesen wäre, seinem Herrn bei solchen Gelegenheiten keine Dienste zu leisten, und der Edelknabe blieb gar, allen Riliergeseyen zuwider, ruhig auf dem Pferde sitzen. Der Vogt wunderie sich nicht wenig ob dieses Verstoßes gegen die hergebrachte Sitte; aber als er den Hauptmann sich mit einer bcistimmcnden Geberde zu seinem Begleiter wenden sah, w sing er an zu husten und dann seine Rede zur allgemei nen Zufriedenheit herzusagen. Zwei bis drei Sätze blieben ihm zwar gänzlich im Munde stecken, aber dies haue wenig zu sagen, da der Hauptmann der Rede keine Aufmerksamkeit schenkte und die übrigen Zuhörer kein Wort davon verstanden Hierauf wurde der alte Riner in die Kirche geleitet, wo ihn der Pfarrer, dem Herkommen gemäß, mit dem Kreuz und dem Banner empfing und das Rauchfaß über ihm schwenkte. Als der Vogl vom Schlosse zurückgekehrl war, wohin er den Gutsherrn geleitet Hane, äußerle er gegen den Pfarrer, daß er den Hauptmann Claude des Landes zwar für einen edlen und tapferen Ritter halte, daß er sich aber nicht genug über die Schweigsamkeit verwundern könne, mit der er des Pfarrers Predigt und seine Anrede angc- hört habe. „Gölt verzeihe mir's", setzte er hinzu, „man könnte fast unseren Schloßherrn für einen rohen Kriegsknechl halten, wie er doch auch unter diesen sein Leben zugebracht Hal und noch einen derselben mil sich sühn." Der Pfarrer crwiedcrie hierauf, aber ganz leise, daß die Frechhcil des Edelknaben, der zu Pferde sitzen bleibe, während sein Herr abgestiegcn scy, für ihn ciwas weit Auffälligeres habe, und daß die weilen Fallen seines Mantels Ge heimnisse zu verhüllen schienen, in die nur der Scharfblick der Kirche cindringen zu können hoffen dürfe. Die Dorfbewohner ermangclicn natürlich nicht, zu diesen Reden bedächtig die Köpfe zu schütteln. Die Zungen der jungen Dirnen kamen jetzt ebenfalls in Bewegung, und wenn dieselben auch den jungen Edelknaben mit dem bleichen und leidenden Gesichte verschonten, so schleuder ten sie dafür desto schärfere Pfeile des Spottes gegen die beiden Grauköpfe. Man kann sich leicht denken, daß im Dorfe noch lange von den Schloßbewohncrn die Rede war, und daß dieselben zu nicht wenigen Vermuthungen und Dculungen Anlaß gaben, aber wenn diese auch ziemlich nahe am Ziele vorbeistreiflcn, so trafen sic doch nie ganz das Rechte. Die besten Aufschlusse hätte ihnen freilich der Dorfbader Raimbaud enheilcn könne», den der Lehnsherr in sein Vertrauen zu ziehen genölhigt gewesen war und de'- eines Mor gens mit einem neugeborenen Knäblein, das er für seinen Neffen ausgab, in seiner Hütte erschien. Als man später noch erfuhr, däß der Edelknabe in derselben Nacht, in welcher der Badel- Onkel geworden war, das Zeitliche gesegnet hatte, so konnte über die Thatsachen selbst kein Zweifel mehr obwalten, obgleich der Pfarrer, der dem Edelknaben die letzte Oelung enhcilt hatte, ein eben fv unverbrüchliches Schweigen wie der Bader beobachtet halte- Um vollständig unterrichtet zu seyn, hätten die Neugierigen jetzt nur noch zu erfahren brauchen, daß der räthselhafte Mantel mit den weiten Falte» die Schwester des Schloßherr» verhüllte, welche derselbe »ach dieser abgelegenen Besitzung geführt halte, nm ihre Schande den Augen der Welt zu entziehen. Dieselbe war von einem Höflinge verführt worden, und der Verführer Hane lieber von der Hand des Bruders sterben, als denselben durch die Heirath der Schwester versöhnen wollen. Wir lassen dies indcß auf sich beruhcil und wende» uns zu Raimbaud's Pslcgesohn. Dieser wurde von dem Schloßhcrrn selbst über die Taufe gehalten und nahm bald ersichtlich an Größe und Liebenswürdigkeit zu. Der alte Ritter wurde nicht müde, ihn zu bewundern und ihm zu liebkosen, und als derselbe keine Amme mehr brauchte, nahm cr ihn zu sich ins Schloß. Seine Zärtlichkeit für das Kind ging endlich sogar so weit, daß cr vor dem Ober-Gerichtsherrn dieser Gegend, dein sein Lehn untergeben war, die Erklärung abgab, er wolle dcn Knaben an Sohnes Statt annehmcn und demselben gestatten, sich Jean Mou ton zu nennen, bis er auf dem Wege der rechtlichen Erbfolge Lehnsherr von Landes geworden wäre. Auf dem Schlosse wuchs nun der Kuabc in der größten Ein samkeit auf und blieb sich durchaus selbst überlassen. Er Halle keinen anderen Umgang, als dcn mil seiner Milchschwester, einem so einfachen Wesen, wie cs wohl die Bäuerinnen dieser Zeil alle seyn mochten. Zuweilen wurde ihm auch die Gesellschaft des Baders zu Theil, der ihm schreckliche Geschichten erzählte, ihm aber damit weil weniger Vergnügen bereitere, als mit de» Tönen seiner Sackpfeifc, denn Raimbaud vereinigte mit den Ver richtungen eines Baders auch die des Dorffiedlcrs. Oft brachte Zcan ganze Tage bei diesem Instrumente zu und entlockte dem selben umcr Anleitung des Baders kreischende und übclklingende Töne; als aber der Hauptmann eines Tages Zeuge der Be mühungen seines Palhen gewesen war, untersagte er ihm aus drücklich die Fortsetzung dieser Hebungen- Dies Verbot erweckte in dem jungen Künstler nun den Geist des Widerspruchs, und sein ganzes Sinnen und Trachten war jetzt auf die ihm sc» lieb gcwordcnc Sackpfeife gerichtet. Sorgfältig prüfte cr ihre Form und ihren Bau und versuchte dann selbst ein ähnliches, mehr mit seiner Größe und scinc» Kräften übereinstimmende» Instrument zu verfertige». Der Versuch gelang. Da cr aber mit Recht die unkünstlcrische Gesinnung des alten Ritters fürch tete, so zog er sich in die Waldeinsamkeit zurück, und hier spielte er unablässig die zwei oder drei Lieder, welche cr von Raimbaud