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Zer Nationalfeiertag gescheitert. Vorläufiges Begräbnis im Rechtsausschuß. Die verfassungswidrige Flaggennol- Verordnung. Severlugs mißglücktes Debüt. Sine resonanzlose Rede. iDrahtwelbung o Os,rer Berliner Dchrtftleltung.I Berlin, 10. Juli. Ein bünnbcsetztes Haus harrte heute der „grobangelegten" Rede des sozialistischen NeichSinncn. Ministers Severing, mit der dieser die Reichsratsvorlage über die Erhebung beS 11. August zum deutschen Nationalfeiertag einbringen sollte. Um es gleich vorwegzunehmcn, Severings Debüt war eine große Enttäuschung nicht nur für die Opposition gegen den Nationalfeiertag, der nichts willkommener gewesen wäre, als wenn sie sich hätte an dem Temperament und den Geistesblitzen etneS sehr wohl geachteten Gegners entzünden können, nicht nur für jene Par. teien, die halben Herzens und mit Zweifeln im Gemüt dieser Stunde entgegensahen, von b«r sie nicht wußte«, welche Recht. sertigungSmögltchketten ihnen nunmehr gegeben würden. PaS verblüffe»-« wack, Dnß Hevttlng nicht einmal seine eigenen Parteigenossen in Bewegtmg bringen konnte. Bei Le« Sozial, dnnokratev «va, man still und leis«. Kein aqfrauschender Bet- s-ll begleitete die unsicher Lahingefprochene Rede, und als Severin« »ach vergeblichen AnlSüfen, der von ihm erwünschten BeburtSstnnde eines deutschen Nationalfeiertage» irgendeine «ekenntniSfrendtgkeit zu verleihen, sein« Rede beschloß, ba waltete im Hause eine Stimmung -er Leere, eine gewiss« Peinlichkeit: Der Schuß ist danebengegange«. Severing hat eine flaue Sache vertreten, und selbst diejenigen Parteien, die näch Ablauf der üblichen Redezeit dieses Gesetz beschließen wollen, würden vielleicht, wenn ihre Mitglieder «bstimmungSfreiheit hätten, erleben müssen, baß sich keine Mehrheit dazu bereit findet, einer solchen trostlosen Ange. legenhett zum Siege zu verhelfen. Es fällt nicht schwer, die Argumente Severings zu widerlegen. Daß der g. November undtskutabel ist, gab er selbst Gott sei Dank zu. Daß der 18. Januar für ihn nicht in Frage kam, dazu bedurfte es aber schon der Partei brille des Sozialdemokraten. Es ist völlig unverständlich, wie Severing, der doch gewiß eine Intelligenz verkörpert, zwei so absolut verschiedenartige Dinge, wie die glorreiche nalionale Hoheit des l8. Januar und die längst in Schutt und Moder der Vergessenheit begrabene Frage des ehe maligen preußischen Dretklassenwahlrechts miteinander in Zu. sammenhang bringen kann. Wenn die Sozialdemokratie schon zu solchen Mitteln greifen muß, um ihre Abneigung gegen die Erhebung des 18. Januar zum Nationalfeiertag zu be- gründen, dann beweist sie dadurch ganz klar und unzwei deutig, wie ihre eigentlichen Beweggründe beschaffen sind. Kür Herrn Severings staatSmännischen und parlamentari- scheu Ruf wäre eS zweifellos bester gewesen, wenn er sich in diese Gefilde parteipolitischer Tendenz nicht begeben hätte. Dieses sozialistische Argument war so deplaciert, wie nur je eins. Man möchte zu Ehren der Sozialdemokratie selbst an- nehmen, baß man auch in diesen Kreisen ihm nicht mehr als agitatorischen Wert betmißt. So kann man «S Severing fast zur Ehre anrechnen, daß es ihm nicht recht wohl war bei der Ablehnung des 18. Januar und baß sich sein Wohlbefinden beim Plädoyer für den 11. August sich auch nur in gemäßigten Grenzen hielt. Er ver. gaß, daß diese Verfassung von Weimar niemals hätte be schlosten werden können, hätte nicht ein wohldisziplinierter Kordon von alten und jungen Soldaten die Goethestadt »erniert. Sr vergaß, baß von ihm und vielen seiner Partei- geuoffen hente wohl nichts mehr z« spüren wäre. hätte« nicht jene hinterher geschmähte» Soldaten «nd Ofsizlere Berfaffnng «nd Weimarer Republik gerettet. Das weiß Herr Severing so genau, wie jeder andere. Und Las gab feiner Rebe den inneren Bruch. DaS verzerrt« das historische Bild der Vorgänge bis zur Grimasse, wenn auch keinesfalls ein gewisses Verdienst jener Handvoll von Sozial, demokraten vergessen werden soll, die sich mit den Soldaten in eine Front zu stellen wußten, jene Winntg, Noske und wt« sie heißen, die zum Teil kaltgestellt, zum Teil aus der Partei längst ausgeschieden sind. Severing hat heute, wenn eS mit rechten Dingen zuginge. eher gegen de« Nationalfeiertag als für ihn gesprochen. Schon der Beginn der Aussprache zeigte, baß die viel- beschrtene Jntttativaktion wahrscheinlich ein Begräbnis erster Klaffe im AnSschuß finden wird, trotz des rheinischen Temperaments de» Herrn Sollmann, der Severings Mißerfolg auch nicht mehr auf- halten kann. Die Rede des deutschnationalen Abgeordneten Schlange.Gchöntngen ist das Signal, ba» hinüber- wirkt bis ln die Rethen beö Zentrums. Kräftig radiert Schlange tn der verunglückten «eschtchtsskt-ze de» Innen- Ministers. Da bleibt nicht mehr viel übrig, sehr zum Un- willen der Sozialdemokraten, die nun auch langsam aus ihrem Nationalfeiertagsschlummer erwachen. Und als schließ- lich Schlange feststellt, daß erst der Tag der deutschen Freiheit würdig sei, deutscher Nationalfeiertag zu werden, da wird ihm auf der ganzen Rechten Beifall gezollt, und selbst in Zentrumskreisen rührt es sich. Severing steht noch einmal auf, diskutiert bester als beim Auftakt der Sitzung, aber seine Waffe« find stumps, und seine Argumente gewinnen auch nicht durch ihre Wieder holung. Die Wirtschaftspartet nimmt inzwischen an der Regierung Müller-Franken dadurch Rache, daß sie einen Antrag tn die Debatte wirft: Der Bußtag soll zum Volkstrauertag erhoben werben. Inzwischen hat sich das Zentrum an der allgemeinen Stimmungslage orientiert. Herr Bell redet »einerseits — anderseits", und zum Schluß kommt e» heraus: da» Zentrum beantragt «bfchtebnvck der Vorlage in de» RrchtSauSschuß. «omit, da die Deutsche Bolkspartet ganz sicherlich schroff opponieren wird, die ganze Jnitiativvorlage einstweilen als gescheitert betrachtet werde« mnß. Daß die Kommunisten tn schärfste Opposition rücken würden, war von vornherein klar. Sie wollen ihren 1. Mat und sprechen den Sozialdemokraten das Recht ab. sich noch als Klassenkampfpartei zu bezeichnen. Die Rede beS deutschvolks parteiliche«-Abgeordneten Dr. Moldenhauer besiegelt nun das Schicksal der Jnitiativvorlage. Dr. Moldenhauer aibt zwar zu, daß die Schaffung einer neuen Rechtsgrundlage nach der Revolution wesentlich dazu betgetragen habe, die allge meine Verworrenheit zu klären und die ersten Anfangsgründe für einen Wiederaufbau zu ermöglichen. Aber, so erklärt Dr. Moldenhauer, man kan« keinen Nationalfeiertag machen gegen eine« großen Teil der Nation. Nationalfeiertage sollen Feiertage sein, wo das ge- samte Volk von rechts bis links, von oben bis unten, zu einem flammenden Bekenntnis zusammcntreten kann. Des halb lehnt die Deutsche Bolkspartci ab. An dem Tage, wo der letzte französische Soldat deutschen Boden verläßt, so schließt der Redner, an dem Tage, wo Großdeutschland entsteht, da werden wir nicht mehr fragen müssen, welchen Tag wir zum deutschen Nationalfeiertag erheben wüsten. Aber im Ratioualfeiertag muß di« Einigkeit anfblühe« «nd nicht die Zerrissenheit. Dr. Külz als Redner der Demokraten verteidigte eine bereits verlorene Position. Den Kleinpartet-Rednern blieb nichts mehr zu tun übrig. Nun beabsichtigte die Opposition, nachzustoßcn und die gesamte Vorlage tn Grund und Boden zu reiten. Den Freunden Müller-Franken gelang es wenigstens, sie in den RcchtSauöschuß zu retten. Der erste Vorstoß der Regierung Müller-Franken war damit gescheitert. Im übrigen verdient noch darauf hingewiesen zu werden, daß die schwächste Stelle von Severings Rede die Darstellung war, als sei er bei der Vorlage des Gesetz entwurfes über den Nationalfeiertag gewissermaßen nur der Briefträger des ReichSrates. DaS ist ein ebenso verfassungsrechtlich wie politisch verfehlter Versuch, die Ver antwortung zu verschieben. Wenn das Kabinett einen im Reichsrat beschlossenen Gesetzentwurf vorlegt, so hat eS selbst verständlich mit eigener Verantwortung dazu Stellung ge nommen, und da es im vorliegenden Falle nicht in einer Doppelvorlage eine abweichende Ansicht anSsprach, so hat eS sich de« ReichsratSbeschlnß »« eigen gemacht. Die Sozial demokratie wird also kaum die Möglichkeit habe«, ihre« Miß erfolg z« vernebeln. Die heutige Plenarsitzung hat ergebe«, baß znm mindeste« in dieser Frage die Mehrheit deS Kabi netts im Reichstag indieMinderheit geriet. Man wird unter diesen Umständen gespannt sein dürfen, ob sich die RegierungSpositton bei der bevorstehenden Amnestiebebatte noch weiter verschlechtert. (Der Bericht über dir ReichStagSfitzung befindet sich «ns Seit« S.) Anlisaschisllsches Alkerrlak in Luxemburg. Luxemburg, 10. Juli. In Luxemburg herrscht über ein erneutes antifaschistisches Attentat die größte Erregung. In Niederkorn bei Differdingen weilten zur Teilnahme an einem Turnfest italienische Turner. Die» benutzten drei italienische Kommunisten zu einem Attentat. Sie feuerten zehn Revolverschüffe auf die Turner ab, wodurch zwei von diesen erheblich verletzt wurden. In dem allge- meinen Durcheinander, das diesem Attentat folgte, gelang e» den Attentäter«, nach Frankreich »« entkomme». Der Magistrat der Stadt Potsdam hat in Gemeinschaft mit der deutschnationalen Fraktion des Preußischen Land- tages schon seit über Jahr und Tag einen wackeren Kampf um das Recht geführt, mit dem Erfolge, daß jetzt der Staats- gerichtshof in Leipzig dem Standpunkte der Kläger bcigetreten ist und die Vcrfasiungswidrigkeit der preußischen Notver- ordnung über die Bcflaggung der kommunalen Dienst- und Schulgebäude anerkannt hat. Diese Entscheidung ist von wett- tragender grundsätzlicher Bedeutung für die Gemeinden, da sie eine Bürgschaft dafür bildet, daß die den Gemeinden ge setzlich verbriefte und besiegelte Selbstverwaltung nicht zu einem Schemen geworden ist, sondern auch heute noch den vollen Schutz unabhängiger Gerichte genießt. Der Streit be gann damit, daß der Potsdamer Magistrat sich weigerte, einer Anordnung der preußischen Regierung Folge zu leisten, kraft deren er verpflichtet werden sollte, am BerfasiungStage die Reichsfarben zu hissen. Der Magistrat erklärte eine solche Verfügung der Regierung für unzulässig, da sie einen verfassungswidrigen Eingriff in die kommunale Selbstverwal tung darstelle, und erhob Klage beim preußischen Oberver- waltungsgericht. Dieses vertrat die Auffassung, daß ein Vor. gehen der preußischen Regierung in der Flaggenfrage nur bann als berechtigt angesehen werden könne, wenn es sich auf ein Gesetz stütze,- da aber eine gesetzliche Handhabe nicht vorliege, so sei auch der preußische Erlaß nicht als zu Recht bestehend anzusehen. Die preußische Regierung konnte es nicht über sich gewinnen, ihre Niederlage vor dem Oberver. waltungsgericht zu verschmerzen und dem Potsdamer Magistrat sowie sämtlichen Gemeinden mit ihm das freie Verfügungsrecht über die Beflaggung der kommunalen Dienst- und Schulgebäude ohne weitere Eingriffe zu über lasten. Da es aber mittels eines einfachen Ukases nicht ging, so verfiel man auf den AnSweg, die vom Oberver waltungsgericht geforderte gesetzliche Grundlage dadurch zu schaffen, daß man einen „Notstand" im Sinne der preußische» Verfassung konstruierte. Die Rcichsverfasiung enthält in ihrem Artikel 48 die Bestimmung, daß der Reichspräsident, „wenn im Deutschen Reiche die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gestört oder gefährdet wirb", die ver fassungsmäßigen Grundsätze ganz oder zum Teil außer Kraft setzen darf. Eine ähnliche Notstandövorschrift findet sich auch in der preußischen Verfassung, und hierauf fußte die preu- bische Regierung, als sie die Notverordnung vom 8. August 1927 über die Beflaggung der kommunalen Dienst- und Schul gebäude erließ. Dieses Verfahren der preußischen Regierung erregte allgemeines unliebsames Aufsehen und fand die stärkste Mißbilligung auf seiten der Nechtsopposition im Preu- ßischen Landtag. Die Deutsche Volkspartei stellte sich dabei in eine lückenlos geschlossene Front mit den Dentschnationalen und stand in der Schärfe ihrer Kritik auch nicht um Haares breite hinter den dcutschuationalen Rednern zurück. Der Potsdamer Magistrat gab auch jetzt seine Sache noch nicht verloren, sondern ergriff weitere Rechtsmittel. Da die preußische Regierung durch ihre Notverordnung den Streit auf bas verfassungsrechtliche Gebiet hinübergcspiclt hatte, so war nicht mehr das Oberverwaltungsgericht zuständig, sondern cs mußte der Staatsgerichtshof in Leipzig angerufen werden. Der vom Potsdamer Magistrat erhobenen Klage schloß sich die beutschnationale Fraktion des Preußischen Land, tages an. Die Begründung des Klageantrages ist sehr klar und einleuchtend und besitzt deshalb ein besonderes Gewicht, weil sie sich nicht nur auf die besonderen preußischen Ver- hältniffe bezieht, sondern ihre rechtlichen Gesichtspunkte auf die Länder und Gemeinden überhaupt ausdchnt. Die Quint essenz der Darlegungen besteht darin, daß die Länder über die Hoheitszeichen des Reiches von sich aus gar nichts zu bestimmen haben. Sie sind nur befugt, die Vorschriften über ihre eigenen Hoheitszeichen und deren Verwendung zu er- lasten. Sie dürfen aber nicht einmal ihre eigenen Be hörden, geschweige denn die Kommunalbehörben dazu an- halten, in bestimmten Farben, die nicht die eigenen Landes farben sind, zu flaggen,- es könne sich immer nur um einen freiwilligen Akt der Gemeindeverwaltungen handeln. Be- sonders nachdrücklich ist die Verwahrung, die in der Be- gründung der Klage gegen den fälschlichen Gebrauch des Not- standSartikels der preußischen Verfassung eingelegt wird. In einigen Ostseebäbern soll es wegen des Ntchthisiens der Reichs, färben zu unbedeutenden Krawallen gekommen sein. Diesen Umstand benutzte die preußische Regierung, um die öffentliche Sicherheit für gefährdet zu erklären und dadurch eine Hand- habe »um Erlaß ihrer Notverordnung »« gewinnen. De«»