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Dienstag, S. Oktober 1SW vi» Mr SS00 »dlntt Vimitiil Rr.SSt. Vierter Jahrgang. eblatt und flnzeiger kür das Erzgebirge mit der wöchentlichen Unterhaltungsbeilage: Illustriertes Sonntagsblatt. Sprechstunde d« Redaktion mit Aurnahm» der Sonntag» nachmittag» von »—s Ahr. — Telegramm-Adresse: Tageblatt Au». — Fernsprecher tt. Für unverlangt eingesandt» Manustripi« kann lSewLhr nicht geleistet werden. Druck und Verlag N«r vri»-«. vr?lrg<-0«»»il«ch»s' m. t. ff. in Aue i. Erzgeb. Verantwortlicher Redakteur: krit, riktthom. FSr di» Inserat« verantwortlich: lvslter Kraus. Seide in Aue i. Lrzgeb. Sezugipret»: Durch unser» Voten frei in» Hau, monatlich »o pfg. 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Slaaissekrttär Dernburg ist auf seiner Informations reise vorgestern in Neuy 0 rk e i n g e t r 0 f f e n. * In Berliner politischen Kreisen verladet, daß zum Herbst ein umfangreiches diplomatisches Revirement m vorstehe. * Bei den Meiningschen Landtags wählen errangen die Sozialdemokraten den Sieg Sie behaupteten sieben Mandate und gewannen zwei bisher freisinnig vertretene Sitze. * In Portugal droht cine Bauer nrevolte auszubrcchen. Es ist schon zu Zusammenstößen gekommen. * Die spanische Regierung wünscht den Feldzug i.r Marokko sobald als möglich zu beenden. Der Arktische Klub in Neuyock begann gestern mit der Prüfung der P e a r i) s ch e n Beweise. Mau erwartet die Entscheidung in den nächsten Tagen. Eia deutsch-russischer Zwischenfall. ^Jm fernen Osten hat sich, wie unsere Leser wissen, eiir Zwischensatt zugetragen, der für die nächste Zeit die Oeffentlich- keir lebhafter beschäftigen dürfte. In Charbin halben zivil rechtliche Differenzen mit der dort ansässigen deutschen Brauerei- Gesellschaft zu einem anscheinend nicht ganz einwandfreien Vor gehen der da,elbst befindlichen russischen Behörden geführt, deren Einzelheiten noch nicht völlig geklärt sind. So weit aus den Melsungen heroorgeht, ist von den russischen Beamten die deutsche Flagge nicht respektiert worden. Die Be amten sind eigenmächtig vorgsgangen, wogegen man deut scherseits aus das entschiedenste protestierte. Wie dem auch sein möge, jeden falls können wir uns blebergriffe russischer Be hörden nicht gefallen lassen, denn der Appetit kommt beim Essen und bei der nächsten Gelegenheit würden die Herren Nüssen vielleicht noch weiter gehen, wenn sie sähen würden, daß sden deutschen Ne chsangehörigen von ihrer Regierung kein ausrei chender Schutz gewährt würde. Mag es sich also bei der Ange- legenheit um ein« vielleicht auch untergeordnete Sache handeln, so mutz schon aus prinzipiellen Gründen ein Einschreiten erfolgen. Das tu: um so mehr not, als die Rechtslage in Char bin überhaupt nicht ganz klar ist, we l es sich um einen Ort han delt, der nur der russischen Einflußsphäre angehört, nicht aber direkter russischer Besitz ist, und es wäre unbedingt zu wünschen, daß man in dieser Hinsicht sich endlich über die zugrunde liegen den Rechtsanschauungen einigen würde. Von Seiten ider deut schen Neichsregierung ist bereits eine Untersuchung ange ordnet worden, ein in Ostasien befindlicher Konsulsbeamter soll sich an Ort und Stelle begeben, um die Einzelheiten der Affäre scjtzustellen. Während man bei uns in Deutschland der Affäre kein sonder liches Gewicht beim-ßt, wütet die russische Presse, und kann sich n cht genug daran tun, gegen die deutsche Ueberhsbung vom Leder zu ziehen, weil der deutsche Konsul in Chaübin es ge wagt hat, die Interessen der deutscher Obhut Ueberwiesenen wahrzunehmen und eine deutsche G.sellschaft durch Hissen der schwarz-weiß-rvten Flagge in Schutz zu nehmen, in dem er dergestalt ihre Exterritoialität zum Ausdruck gebracht hat. In tönenden Worten verlangt man die Abberufung des deutschen Konsulfi, der es gewagt habe, russischen Behörden zu trotzen. Auch an Verleumdungen fehlt es nicht. So will ein panislavistfsches Blatt aller Wett weiß machen, der deutsch« Konsul habe um die Entsendung deutscher Märinetrup- pen aus Kiautschau gebeten, und man werde sicherlich diesem Verlangen Rechnung tragen. Man möchte auf solche Weise die Angelegenheit zu einer hoch diplomatischen machen, in der Hoff nung, daß sich daraus 'weitere Verwicklungen ergeben und daß man vabei den verhaßten Deutschen eins auswischen könne. In dieser Haltung eines großen Teils der russischen Presse beruht das Schwergewicht der ganzen Angelegenheit. Man sieht wie der einmal, von welchen Gesinnungen ein sehr großer, wenn nicht der überwiegende Teil der Bevölkerung unseres östlichen Nach barreiches beseelt ist. Ein über die Angelegenheit ausgegebenes offiziöses russisches CommuniquS sucht allerdings möglichst objektiv über den Zwischenfall zu ber'chten, aber was will das angesichts der Hetzavbeit der panslawistischen Blätter be sagen, die in den schlimmsten Verleumdungen Mester sind, ganz unbekümmert darum, daß ihr« Darstellungen der Wahrheit direkt ins Gesicht schlagen. Im übrigen hat der Zwischenfall wenigstens nach der recht lichen Seite eine gewisse Aehnlichkeit mit der vor einigen Mona ten sich abspielenden DeserteuraffäreinCasaülanca, wo.gleichfalls der deutsche Konsul das Recht für sich in Anspruch nahm, für Deutsche in einer Gegend zu intervenieren, die nicht französisches Gebiet war, sondern die man nur vorübergehend okkupiert hatte. Auch damals lärmte man in den französischen Blättern und die Beziehungen zwischen Deutschland und Frank reich schienen sich dank dieser Agitation wieder zuzuspitzen, bis schließlich doch kaltes Blut überwog. Das wird hoffentlich auch diesmal der Fall sein. Zu wünschen'wäre aber gleichzeitig, daß über de, art strittige Fragen genauevölkerrechtliche Bestimmungen auf Grund gemeinsamer Vereinbarun gen endlich aufgestellt würden, um Zwischenfällen vorzuibeugen, die eventuell leicht verhängnisvolle Folgen nach sich ziehen können. Politische Tagesschau. Aue, 5. Oktober. * Vorschüsse der Berufsgenossenschaften an die Reichspost, Verwaltung. Die N. A. Z. schreibt: In der Presse ist die Frage erörtert worden, wann die Vorschriften des Finanzgesetzes vom 15. Juli 1909 wegen der Vorschüsse, die künftig von den Beeufsgenossenschaften an die Neichspostverwaltung abzuliefern sind, in Wirksamkeit treten. Wir legen Wert darauf, festzustellen, daß die Verpflichtung, die Vorschüsse vom Januar l9k0 ab zu leisten, im Gesetz unzweideutig ausgedrückt ist. Es sind Verhand lungen eingeleitct, um den Berufsgenossenschaften die Ausführung des Gesetzes, insbesondere hinsichtlich der Ausbringung der Geld mittel während des eisten Jahres nach Tunlichkeit zu erleichtern. —* Obespräfident 0. Loebell. Die Norddeutsche Allgemeine Zeitung meldet: Der neuernannte Oberpräsident der Provinz Brandenburg, Wirkliche Geheime Rat v. Loebell, ist seit Anfang August erkrankt und befindet sich nach einer erfolgreichen Kur noch in der Rekonvaleszenz. Da Exzellenz v. Loebell auf ärztliche Anordnung sich längere Zeit von jeder dienstlichen Tätigkeit fe In halten soll, steht der Termin der Ucbernahme seines neuen Amtes noch nicht fest. * Der Kossuthsche Entwirrungsplan gescheitert. Die Audienz Kossuths beim Kaiser vom Sonnabend war nach allen Rich tungen hin vollständig ergebnislos. Der Kaiser lehnte die Vorschläge Kossuths bezüglich der Errichtung der selbständigen ungarischen Bank ab und Kossuth erklärte ihm wieder, er sei außer stände, seine Partei dazu zu bewegen, daß sie ohne irgend ein Zugeständnis in der Bankfrage die Koalitionsregierung auch weiterhin unterstütze, die bedeutenden Gcidsorderungen der gemeinsamen Regierung bewillige und die Wahlreform durchführe. Aus Wunsch des Kaisers wird Kossuth immerhin noch einen Versuch unternehmen, seine Partei dein Willen des Kaisers gefügig zu machen. * Die Ucbernahme der Talonsteuer durch die Städte. Die Finanzdezernenten fast sämtlicher deutschen Großstädte, mit Ausnahme Berlins, berieten gestern in Kassel nahezu fünf Stunden über die llcbcrnahmc der Talonsteuer bei städtischen Eine Cutdeckung. Skizze von L. Wienfitt. Wenn ihir einer seiner Schüler, der vielleicht den Fahrstuhl gerade besetzt gefunden, und zu Fuß die Höhe erklimmen mußte, im Ton des Vorwurfs fragte. Sagen Sie mir, Herr Doktor Püßler, warum wohnen Sie mit Ihren Ei nnahmen und Ihrem Ruf eigentlich in der vierten Etage?, dann antwortete der große Lehrer der edlen Geigenkunst mit einem Lächeln: „Jemand «hält mich hier fest. Wirklich . Zehnmal wollte ich mir mindestens schon erne agdere Wohnung suchen. Aber, wie Se siche», ich bin noch immer hier. — Das verstand natürlich keiner. Doktor Rüßler konnte aber nicht deutlicher werden. Sollte er vielleicht sagen: Meiner Fturtür gegenüber, in einer Lllohnung von zwei Zimmern lebt Kläre Back, mit ihrer blinden Mutter. — Und das ist es! — Damit hätte er der scheuen, kleinen Klavierlehrerin wahrlich einen Dienst geleistet Wie lange hatte es doch ge- daurt, ehe ste ihm eine Annäherung möglich gemacht hatte. Ledig lich seiner Geduld und dem Fahrstuhl verdankte er sie. Ganze Viertelpunden Halle <r laust!end an der Tür seinäs Korridors verbracht, bis die gegenüberliegende Tür sich öffnete und ein zierliches Wesen herausließ. Dann war er e.lig vorgestürzt und hatte — mit tiefer Verbeugung — gesagt: Ah, Sie wollen öben- falls hinunter. Erlauben Sie mir einen kleinen Platz im Fahr stuhl? So hatte» sie sich kennen gelernt. Er bcw- derte sie auf richtig. Ter Kamps m:r dem Leben war sogar nicht leicht ge worden, trotzdem seine Professoren von der Hochschule ihn warm empfohlen und ihm auch Schüler zugeschickt hatten. Fräulein Dach besaß aber absolut musikalisch: Ausbildung, wie sie die anspruchsvollen Großstädter zu verlangen pflegen. Dennoch hatte sie zahlreiche Schülerinnen. Viele Stunden hineinander erklang unermüdlich der etwas scharfe Ton ihres Klaviers. End lose Hebung.» wechiclren mit kleinen Salonstücken ab. Zumeist schien sie jüngere Kinder zu unterrichten. Einmal fragte er sie un Fahrstuhl, wie sie es denn angfftellt habe, um jo schnell bekannt zu werden ... Da wurde ste rot und verwirrt. Ich möchte es nicht sagen, Herr Doktor. — Das ist aber zum mindesten stark unkollegial. Fräulein Vach. — Sie war ehrl ch betrübt. — Bitte, denken Sie darum nichts Schlechtes von mir. Aber ich -- kann cs — wirklich nicht . . . Darauf be gann er sogleich ein anderes Thema, fragte nach dem Ergehen ihrer Mutter erkundigte sich, ob sie schon den Buchenwald im beginnenden Schmuck der Herbstfärbung gesehen .... und war schliestlich froh, als der Fahrstuhl hielt. Einige Wochen später siel ihr» auf, wie mager und leidend sie geworden war. Er nahm 'ich vor, ste vor Ueberanfttengungen zu warnen. Dies tügiche Herumärgern nk't den Kleinen nahm ihr alle Frische. Aber er konnte keine Gelegenheit dazufinden. Den Fahrstuhl benutzte sie nicht mehr — auch mußte sie eine andere Stunde für ihre Ausgänge gewählt haben, denn — so sehr er auch in der Dämmerung nach ihr ausspähte — er sah sie nicht Ein ¬ mal schien ihm aber doch das Glück zu lächeln. In einem dunk len abgetragenen Regenmantel schritt ste eilig vor ihm her, so dag er Mühe, ihr zu folgen. Auf der Straße mochte er sie nicht ansprechen. Vielleicht schlüpfte ste in einen Laden, dann wollte er ihr folgen — Erstaunen über das . . unerwartete Treffen heuchln uni? sic nach Haufe geleiten. Er führte seinen Vorsatz aber nicht aus . . . Der Laden, in dem sie verschwand, war ihm zu eno und zu schmutzig, und ... er mochte es ihr auch nicht antun, sie dorr zu treffen In halbverblindeter Goldschrist ver kündete da; Schild nämlich: Alois Meier, Pfandleiher. — Er verbrachte e ne schlechte Nacht. Di« Gedanken arbeite ten fieberhaft hinter seiner Stirn. Zu all den alten, beliebten Hausmittelchen der Beruhigung nahm er umsonst seine Zu flucht. Er zahlt g^duldg bis tausend — trank klein« Schlück chen von dem stets auf dem Nachtisch bereitstehenden Wasser — es half alles nichts. Müde und zerschlagen erhob er sich am Morgen. Er war ernstlich böse auf die junge Klavierlehrerin . . Warum mußte auch ein Mensch mit zahlreichen Schülern ein Lechamt aussuchen? Dazu kam, daß sie ihm wieder elender wie das letzte Mal erschienen war. An diesem Tage war er kein angenehme: Lehrer . ., über den Großen wird so etwas nicht übel genommen. Er zermarterte sich den Kopf, wie er die Wahr heit erfahren konnte, ohne ihrem zarten Empfinden zunahezu- treten. Er versuchte es mit allen Mitteln. Den brummigen Pottier machte er durch eine Zigarre gesprächig. Aber de« wußte auch nicht mehr, als daß Fräulein Bach schon seit Wochen bei der Frau im Keller die Milch abbestellt habe. Das fügt«! den bereits gemachten Entdeckungen ein neues Mied ein . . . Es war unstreitig, daß sie sich in Not befand. Er lauschte jetzt — so oft es nur seine Zeit gestattete — vor der Tür fett nes Korridors zu ihr hinüber — und hörte dann fast ununter brochen die «bekannten Uebungen. Gute Laune, Appetit undj Schlaf flohen ihn dauerniä. Saß er vor einem Leckerbissen, tauchte regelmäßig das blasse Gesicht der jungen Klavierlehre rin vor ihm auf. Er schalt sich genußsüchtig und —- sein Hun ger war verschwunden. Am tiefsten kränkte er sich darüber, daß er ihr nicht helfen konnte. In der Frühstunde eines jklaren, jurzgen Tages, als er sich weit aus dem Fenster lehnte, um di« Morgenluft auf sich wirken zu lassen, bemerkte er, daß zwei Männer auf der Straß« einen alten Schreibtisch aus Ed.n- holz auf ihren Karren hoben. In demselben Augenblick fiel ihm ein, daß sie im Fahrstuhl einmal von einem ererbten Tisch aus Elbenholz gesprochen, für das ste «in Leistchen besorgen müsse ..... Es hielt ihn nicht länger hier oben. Im Nu war «r be: den Männern, drückte ihnen ein Geldstück in df:« Hand und ließ sich bestätigen, daß Fräulein Bach dieses alte, kostbare Stück verkauft habe. Im Laufe der nächsten Stunde wurde er sich klar, was er zu tun Hab«. Er sagte per Tel«,