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Wöchentlich erscheinen drei Kummern. Pränumeration--Preis 22H Silbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, Z Tdlr. für daS ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Beil u. Comp., Iägerstraße Nr. 25) , so wie von allen König!. Post-Bennern, angenommen. Literatur des Auslandes. ^4/ 141 Berlin, Dienstag den 25. November 1845. Belgien. Belgien seit seiner Revolution. Von Ignaz Kuranda.') Deutschlands Interesse an der flamändischen Bewegung. Wenn wir jetzt lür ein Rrisebuch in die vielbesuchten und allbekannten europäischen Nachbarländer uns mtcressiren sollen, so darf es nicht blos ein Tagebuch zufälliger Beobachtungen und subjektiver Auffassungen sepn, sondern es muß uns in die allgemeinen Zustände dieser Länder einführen, das Unter scheidende oder das Uebereinstimmende derselben in Vergleich mit den heimischen auf prägnante Weise bezeichne» und so in den JdeenkreiS, der jetzt die nach politischer Bildung strebenden Deutschen umgiedt, eingehen und ihn erweitern helfen. Ein Buch, das diese-Bedingungen erfüllt, ist da» vorliegende, ge schrieben von dem Herausgeber der „Gränzboten", der dieses Journal vor etwa vier Jahren in Brüssel begründete und zu diesem Behufe dort vielfache literarische Verbindungen angeknüpft hatte, die ihn zu einer Darstellung, gerade wie wir sie eben verlangten, vorzugsweise befähigen. Belgien, so nahe eS uns auch liegt und so viel eS auch von deutschen Vergnügungsreisenden besucht wird, wird doch noch in unserem Vaterlande vielfach unrichtig beurtheilt. Zum Theil find daran die beiden großen poli tischen Bewegungen schuld, mit denen eS sich in den Jahren 1788 und I8LV gegen Kaiser Joseph tt. und gegen König Wilhelm I. erhob. Der aus hun dertjährigen Neligionskämpfen mindestens mit geretteter Freiheit des Gewissens hcrvorgegangene Deutsche konnte sich nicht denken, daß ein Volk, welches sich dem Joche Philipp's II. unterworfen, von einem anderen Motive, als dem der Verdummung getrieben werde, wenn cs sich einem van der Nvot und einem van Bommel anschloß, um die aufgeklärten Maßregeln Josephs II. und Wilhelm'» I. über den Haufen zu werfen. Freilich ging der Deutsche da bei von einer einseitigen Betrachtungsweise auS: denn nicht blos Gewissens freiheit und Aufklärung erheben und stählen ein Volk, sondern auch das Be- wußtscpn seiner Einheit und Kraft, die Sicherheit seiner staatlichen und bür gerlichen Institutionen und der Schutz, den diese der persönlichen Freiheit und dem Eigenthum verleihen. ES wurde jedoch nach dem durch -viele Fehler Hollands — oder vielmehr holländischer Minister — verschuldeten Abfall Belgiens der Zustand desselben durch einige deutsche Schriftsteller, namentlich durch Ernst Münch und andere nur die niederländischen Interessen berücksich tigende Männer, so trostlos dargestellt, daß eS kein Wunder war, wenn die öffentliche Meinung in Deutschland entschieden Partei gegen Belgien nahm. Erst in der neueren Zeit hat diese einen Umschwung erfahren, wozu nicht weniger die durch Eisenbahnen und Handelsverbindungen vermehrte persönliche Berührung mit dem Lande, als die Feder einiger Schriftsteller belgetragen, zu denen wir vor vielen Anderen den thätigen und, seines KonfesfionSwcchselS ungeachtet, deutschgefinnt und vorurtheilsfrci gebliebenen Professor Arendt in Löwen, den Herausgeber der „Niederländischen Sagen", vr. I. W. Wolf in Brüssel, und eine geschätzte Mitarbeiterin unseres Blattes, Frau Louise von PloennieS, zählen müssen. Was aber diese und andere Schriftsteller nur in einzelnen Andeutungen oder auch wie Arendt in wissenschaftlichen Abhandlungen versucht, das ver einigt Herr Kuranda in seinem so eben erschienenen Buche, das sowohl histo risch, als politisch und literarisch auf die Zustände Belgiens eingeht und ein vollständiges Bild derselben mit einem steten Hinblick auf das deutsche Vater land zu geben sucht. Gleichzeitig werden darin aber die lokalen Besonder- heilen so lehrreich dargestellt, daß jedem Reisenden, der iin künftigen Jahre das Nachbarland zu besuchen gedenkt, kein besseres Handbuch empfohlen werde» kann. Wir selbst bedauern eS, daß wir dasselbe nicht auch schon bei unserem letzten Ausfluge nach Belgien benutzen konnten; letzterer würde uns sicher noch viel reichhaltigere Beobachtungen eingetragen haben, da die gewöhnlichen Handbücher — und selbst die besten, wie das bei Bädecker in Koblenz er- schienene — nur allzu viel auf die Gasthöfe, Landstraßen und das, was man Sehenswürdigkeiten nennt, Hinweisen und dabei allzu wenig die höheren Mo mente der Völkerverbindung im Auge haben. Von den zahlreichen Gegenständen, die die Zl Kapitel des umfassenden Buches behandeln, denen als Anhang auch eine deutsche Uebersetzung der bel- gischen Constitution beigegeben ist, dürfte die Leser unseres Blattes dasjenige, waS Herr Kuranda über einen vielfach von uns angeregten Gegenstand, über die Ausbildung der vlaemisch-niederdeutschen Sprache und Literatur, sagt, besonders interessiren. Wir wählen daher, um von der Darstellung eine Probe ') Leipzig, F. L- Herbig, l»äi. zu geben, das 24ste Kapitel, welches „Deutschlands Interesse an der flamän dischen Bewegung" als Ueberschrift hat: „Ein dreifaches Interesse hat Deutschland an der flamändischen Sprach bewegung: ein wissenschaftliches, ein politisches und ein moralisches. Wissen, fchaftlich — weil halbverschollene deutsche Sprachschätze und langvergessene Literatur-Denkmäler wieder aus Tageslicht kommen. Politisch — weil Deutschlands Macht nur gewinnen kann, je entschiedener das germanische Element au den Küsten der Nordsee und an den Gränzcn Frankreichs festhält. Moralisch — weil eS ein schöner, natürlicher, einer großen Ration würdiger Ehrgeiz ist, der Herrschaft ihrer Sprache, der Gewalt ihres Geistes so große Ausdehnung als möglich gewinnen zu sehen. „Die Flamänder sind bei ihrer Petition nicht stehe» geblieben, sie haben ihre Sprache von innen heraus zu stärken begonnen. Willem-, immer in der vordersten Reihe thätig, stiftete das „belgische Museum", eine Quartalschrist für flamäudische Geschichte und Sprachsünde. Manche alte Schätze nieder- deutscher Poesie, manches kostbare Manuskript wurde hervorgeholt und dein Publikum übergeben. Mehrere deutsche Gelehrte, wie Grimm, Moue, Kausler, Hoffmann von Fallersleben, stachelten durch ihre Forschungen den Fleiß der flamändischen Gelehrten, und allmälig erhielt auch die Literatur dieses lange brach gelegenen Idioms ihre Pfleger. Ledegank, Van Dupse, Van RpS- wpk u. s. w. betraten mit Glück das Gebiet der lyrischen Poesie und der Ballade. Andere, wie Conscience, Delact rc., versuchten sich auf dem Felde des Romans und der Novelle ; Blommaert, Snellacrt, BormanS und der Abb« David kultivirten Prosa und Literaturgeschichte. Namentlich aber fand die Journalistik schnell einen so fruchtbaren Boden, wie dies nur bei einem politisch reifen und an die größte Oeffentlichkeit gewöhnten Volke stattfinden kann. Gegen dreißig periodische Blätter sind seit den letzten Jahren in flaniändischcr Sprache hervorgetreten °), und ihre Zahl ist noch immer im Steigen. „Alle diese Bestrebungen beginnen endlich auch denjenigen, welche Anfangs nur mit Achselzucken und ungläubigen Mienen diele Jnhabilitationsversuche begleiteten, Respekt einzufiößen; Niemand kann sich mehr darüber täuschen, daß die flamäudische Sprache einen großen Theil ihrer früheren Stellung wiedererobert hat. Nur fragt man sich: was werden die Folgen dieser sprachlichen „Reaction" sepn? Wird sie Bestand haben? Wird sie einen wohl- thätigen Einfluß auf die geistige Entwickelung des Landes auSübcn? ES ver steht sich von selbst, daß die französischen Wortführer der belgische» Presse diese Fragen ganz anders beantworten, als die Flamänder selbst. Beide Parteien übertreiben die Vorthcile und die Nachtheile. Wenn auch unsere deutschen Spmpathieen natürlicherweise den Flamändern sich zuwendc», so ist doch einer seits die Erscheinung zu wichtig, andererseits wiederholt sich ein analoger Sprachenkampf an einigen Ecken der deutschen Bundesstaaten mit zu frappanter Aehnlichkeit, als daß wir bei dem belgischen Sprachdualism blos unserer Zu neigung folgen und nicht auch unser unparteiisches Nrthcil zu Nathe ziehen sollten. Möge eS dem Verfasser dieses Buches, der in Prag geboren und er zogen ist und später in Belgien eine Reihe von Jahren verlebte und so ge wissermaßen von einem sprachgespaltene» Lande ins andere geworfen wurde, erlaubt sepn, bei dieser nicht unwichtigen National-Angelegenheit etwas länger zu verweilen. „Wie wünschenswert- auch die Einheit der Sprache in einem Staate sepn mag, so hat doch die Erfahrung der neuesten Zeit dargethan, daß nichts gefährlicher werden kann, als eine Spracheinigung gewaltsam herbciführen zu wollen. Man hat oft gegen Oesterreich den Vorwurf erhoben, daß eS Böhmen und Ungarn während der langen Zeit seiner Herrschaft nicht ger- manifirt habe. Germanisire», da- ist bald gesagt. Oesterreich hatte weder den Berus, noch dqS Recht, noch die Macht dazu. Man weist gewöhnlich auf jene norddeutschen Länder hin, die vor vielen Jahrhunderten von Slaven be wohnt waren, und thut, als hätte etwa Preußen da Wunder geübt. Man vergißt nicht nur, daß Alles auf die Lebenskraft und die Bedürfnisse der Nation ankömmt, die man germanisch selig machen will, sondern auch, daß von einem Germanisire» NorddeutschlaiidS nicht füglich die Rede sepä kann. Die slavischcn Völkerschaften an der Oder und Elbe wurden durch deutsche Einwanderungen, die sich mit den leibeigene» Wenden nicht vermischen durften, ') Ta« „vlaemsch Belgie" von dem in letzterer Zeit in Deutschland so viel die Rede war und daS in der neuen Ausgabe des Bädecterschen ReisehandbüchlcinS noch immer als da« vorzüglichste fiamändische Journal angepriesen wird, ging mit dcm'Ablrettn des früheren Redakteur« de Laet in« katholische Lager über, dem überhaupt der größere Theil der stamändischen Presse angehört. In letzterer Zeit hat e« jedoch zu erscheinen gänzlich aufgehört.