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Dienstag — Nr. 301 28. October 1845. Deutsche Allgemeine Zeitung. ZM «Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Uebe-blick. «Deutschland. * Aus Norddeutschland. Goethe s Deutschheit. 0 Leipzig. Verordnung in Bezug der Niederlassung von Ausländern, ch Karlsruhe. Da« Verfahren bei Beschlagnahme von Druckschriften. PeeuHen. **Äerlin. Die Presse. Die UntersuchungSeommission. Das Reisen der Geistlichen. Die Proteste. Hr-Runge. (-r-)Lerlin- Die deut katholische Synode. * Königsberg. t>> . Abegg- Hr. Grabe. Königs Ge burtstag. — David Schulz. Vefkerreich. ° Vt-Nikolau. Der Prediger Hodja. Gpanien. Die Königin. Wahlen. Das Börsenreglement. Werber für Abd el-Kader. tSrostdtttanmie«. Die Getreideeinfuhr. Das UebungSgcschwader. Sy nodalversammlung der irischen Prälaten. Lord Stanley. Lord Ashley. Der Marquis von Hertford. »n. Wilberforce. O'Connell. Die Schlacht bei Trafalgar. Unglücksfall. Deserteur. Originelle Annonce. Da» gelbe Fieber auf Malta. Frankreich. Marschall Soult. Die Eisenbahnen. Italienische Flücht linge. Marschall Bugeaud. Abd-el-Kader. * Paris. Der Krieg in Al gerien. Der Hauptmann Dutertre. Italien. * Hom- Der Geburtstag des Königs von Preußen. Die Pil ger nach Jerusalem. Die Studenten. Die fremden Gelehrten. Intole ranz. Verordnungen. Das Klima. — Der Kaiser von Rußland in Genua. Griechenland. Der König. Wersanatnachrichten. Wissenschaft UN» Kunst. ck Dresden Die Anwaltversammlung. «Handel nnd Industrie. "Leimig- Erfindung. * Leipzig. Börsenbe richt. — Frequenz der Leipzig-Dresdener Eisenbahn. — Die karlSruher Zollconferenz. — Leipzig. -tnkündigungen. Deutschland. * Aus llorddeutschiand, 25. Oct. Da treffen wir eben in einem auch außerdem sehr inhaltreichen und empfchlenswerthen Werke, das aber nach deutschen Verhältnissen nur zu einem kleinern Kreise dringen dürfte, «ine Stelle, die eS durch sich selbst rechtfertigt, warum wir ihre Aufnahme in den politische» Thcil einer Drutsct^cn Allgemeine» Zeitung wünschen, und an die sich gar manche ernste und bedeutsame Betrachtungen knüpfen dürften. Die Stelle ist aus dem soeben erschienenen zweiten Theile von Hiüebrand's „Deutscher Nationalliteratur", betrifft Goethc's Deutsch- heit und lautet folgcndergestalt: „Die schönste Blume in Goethe'S Dich- terkrvne ist seine Deutschheit, und wenn ihm diese gerade von deutschen Händen hcrauSgerissen wird, so sehen wir nur, daß eben die Deutschen sich selbst oft am wenigsten verstehen oder am meisten geneigt sind, ihre nationale Ehre einseitigen Parteiintercssen, Ansichten , patriotischen Mis- stimmungen hinzuopfcrn, wol gar mit wahnsinniger Leidenschaftlichkeit zu beschimpfen: ein dunkler Punkt in unserm Nationalcharakter, den selbst Fremde an uns verachten. Man prätendirt sogenannte Nationalität, und da man diese bei Goethe nicht zu sinken glaubt, muß er ein unnatioualer, undeutscher Dichter sein. Bedächte man, daß wahre Nationalität der Geist des Volks ist, aus dem sein eigenstes Leben quillt, und nicht bloS «in anphantasirter äußerlicher Patriotismus, der sich in Phrasen spreizt, so würde das - Nrthcil wol anders lauten. Aber vor Allem fragen wir, wo war denn die deutsche Nationalität, die man ihm aufzwingcn will, wo die Sclbstfchätzung, wo die Einheit, wo die Hingebung an das Vater land und sein Heiligstes, als Goethe seine dichterische Bahn betrat?" „Keine Nation, sagt er, gewinnt ein Urtheil, als wenn sie über sich selbst urtheilen kann", und wo hatte unsere Nation damals ein Urtheil über sich? Zweifelte nicht Lessing, ob wir überhaupt einer Nationalität fähig seien? Durfte nicht zu jener Zeit der Schweizer Füßli fragen: „Wo ist das Vaterland des Deutschen?" Wenn wir gemach zur nationalen Selbst besinnung gekommen sind, verdanken wir eS nicht nächst Friedrich dem Gro ßen hauptsächlich Goethe, der dadurch, daß er mit regsamster Thätigkeit in daS Getriebe unserer nationalen Denk- und Empfindungsweise Hinein griff und die Tiefe und Vielseitigkeit unscrs Geistes zu einer Selbst anschauung hinsielltc, ohne unser Wissen und Wollen das Bewußtsein der Ration emporbildete und uns nach außen hin die Ehre des Genius er oberte? Wenn der Undank schon nach kenophon und andern alten Schrift stellern für daS größte Laster gehalten wird, wollen wir ihn etwa zu un serer Tugend machen, indem wir die edelsten Männer, die unS auf die Höhe unsers Selbst erheben, schmähen, weil sie nicht auf Frankreich ge scholten oder in lächerlicher Philisterei unsere Gemüthlichkeit und Wissen schaft als das Ron plus ultra der Nationalgröße gepriesen haben? Aber, sragen wir, wer ha« denn deutsche Gesinnung, deutsches Fühlen und Den ken, deutsche Innigkeit und Menschenliebe, wer hat den deutschen Geist der Wahrheit, wer sein tiefes Weben in Wissenschaft und Leben, kurz, wer hat daS Deutsche deutscher gesagt und gesungen als eben Goethe? Oder sang etwa Klopstock mit seinen Bardenhymncn, Schiller mit seinen Prachtgedanken in nationalem Tönen als Goethe, der leise und laut, still und gewaltig die ganze Tonart deutscher Seele und deutscher Menschlich keit in allen Weisen und Melodien durchgeführt, dem, wie seinem Volke, nichts fremd ist, was in der Menschenbrust zum Leben kommt, und der eben deshalb mit deutscher Zunge das Lied der Menschheit selbst gesungen hat, wie vor ihm Niemand und wie nicht leicht nach ihm Jemand eS rei ner und voller singen wird? Oder habt ihr ein Gedicht, indem desMen- schengeistcs Geheimniß deutsch-innerlicher sich ansspräche als im Faust? Habt ihr ein deutsches Lied, hat die ganze Geschichte der Poesie ein Lied aufzuwcisen, in welchem die ewige Idee dcS menschlichen Schicksals, der Grundquell menschlicher Freuden und Leiden, das Empfinden des HcrzenS und der Adel der Sitte bei aller Einfachheit der Handlung vollständiger verkündigt, reiner erschlossen, heiliger und wahrer offenbart wurde als in „Hermann und Dorothea"? Ein Lied, das Schiller „den Gipfel der gan zen neuen Kunst" nennt, wir aber den Gipfel poetischer Deutschheit, daS Bibelwerk deutscher Religion und Tugend zu nennen nicht Anstand neh men wollen. Wohl mochte er selbst seinen Dichtungen nachrufen: „Und so legt euch, liebe Lieder, an den Busen meinem Volke", denn sie waren aus des Volkes Herzen entsprossen und für sein Herz gedichtet, trotz deS Widerspruchs Derer, die nicht wissen wollen, was wahrhaft deutsch im deutschen Volk ist. Und wäre nicht sein Werk und seine Kunst deutsch von Grund aus, wie hätte er damit sein Volk so gründlich bilden, ihm daS Gepräge seines Geistes mitthcilen mögen, unter dessen Glanze und Gediegen heit eS sich in Weltanschauung, Sitte und Lebensschätzung neu gestellt und gestaltet hat? Die romantische Nebelei ist eben so wenig das Deutschthum als die orakelnde Rabulisterei und Großthucrci mit idealischcn Phrasen und pa triotischen Sentenzen, denen die That fehlt wie der eckte Gedanke. Wer mit Dergleichen sich befriedigt oder wer dem großen Dichter ein Verdre cken daraus macht, daß er in Napoleon die menschliche Größe von der Seft«, von welcher sie in ihm erschien, erkannte und würdigte, daß er bei dem Beginne deS großen BefrciunqskampseS an dem Gelingen zweifelte und das mögliche Zerbrechen der Ketten für eine täuschende Erwartung hielt! oder wer cs ihm aufmutzt, daß er, der stets dem Kerne des Volks den Preis erthcilt, in später» Jahren sein „gnädig" den hohen und höch sten Herrschaften gern und oft zu vernehmen gab: wer so an der Größe mäkelt und sich in diesem Makclgeschäfte für deutscher hält als den Dich ter. an welchem er sich versucht, dem gönnen wir gern die Einbildung der eignen kleinen Größe, nur haben wir nichts gemein mit seinem Urtheil und seinem Geschmacke!" Freilich, derselbe Schriftsteller sagt auch an frü herer Stelle: „daß die Deutschen am wenigsten aufgelegt waren und zum Theil noch sind, solch schönes Bildniß unangetastet zu lassen und statt die kleinen Flecken mikroskopisch aufzusuchen, nur die hohen, menschlich- edlen Züge zu verehren". Diesen Zug des deutschen Wesens, der hoffent lich kein ursprünglicher und cwmcr ist, hatte Goethe denn freilich nicht. „Auf dem Neidpfade hat ihn Niemand betroffen." Doch lassen sie doch auch Luther fallen, den deutschesten Mann, den es je gegeben, sobald er ihnen für ihre Tagestcndenzen unbequem wird! v Leipzig, 27. Oct. Das Leipziger Kreisblatt veröffentlicht nachste hende, wahrscheinlich durch die gegen vorgekommene Ausweisungen erho benen Einwürfe veranlaßte Verordnung an sämmtliche Obrigkeiten deS leipziger KreisdircclionsbezirkS: „DaS königl. Ministerium des Innern hat wahrzunchmen gehabt, daß zuweilen von Unterbehörden an Ausländer, welche zum Behuf einer beabsich tigten Niederlassung im Königreiche Sachsen eines AuSwanderungS- scheineS ihrer Heimatsbehörde bedürfen, diesen aber erst gegen Beibringung einer vorläufigen Aufnahmezusicherung der kompetenten diesseitigen Behörde erlangen können, Zeugnisse darüber ausgestellt werden, daß sie nach Erfüllung der gesetzlichen Erfodernisse in den sächsischen Staats- oder Unterthanenver- band ausgenommen werden würden. Nun ist aber kein positives Gesetz vor handen, welche« den Unterbehörden und OrtSobrigkeiten die Ermächtigung bei legte, derartige Zusicherungen über Aufnahme in den StaatSvcrband ohne höhere Genehmigung zu ertheilen. Eben so wenig haben sich aber die Grund sätze über die Erwerbung der Staatsangehörigkeit im Königreiche bis jetzt so fest und bestimmt ausgebildet, daß sich in allen Fällen mit Sicherheit zum voraus beurtheilen ließe, ob und unter welchen Voraussetzungen ein Auslän der mit der ihm gestatteten Wohnsitznahme und Niederlassung in einer Ge meinde zugleich daS sächsische Unterthanenrecht erwerbe. ES kann daher auch den obgedachten, von Unterbehörden ausgestellten Aufnahmezusicherungen eine verbindliche Kraft für den Staat an und für sich nicht zugestanden werden- Da sie aber glcichwol theils zu Differenzen mit auswärtigen Regierungen Anlaß geben, theils dazu dienen können, die betheiligten Individuen selbst irre zu führen und zu vergeblichen und störend in ihre Lebensverhältnisse eingrei fenden Unternehmungen zu verleiten, so werden auf Anordnung des königl. Ministeriums des Innern die Obrigkeiten des leipziger KreisdircctionSbezirkS auf obige Grundsätze hierdurch ausdrücklich aufmerksam gemacht und ange wiesen, wenn von einem Ausländer um ein, seine Aufnahme in den hiesigen Staats- und Unterthancnverband zusicherndeS Zeugniß angesucht wird, mit dessen Ertheilung so lange, bis von ihnen zur königl. Kreisdircction Bericht