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2». Jahrging 1877 Verantwortlicher Redakteur: Julius Braun in Freibergsdorf Erscheint jeden Wochentag Abend« 6 Uhr für den andern Tag. Prei« vierteljährlich 2 Mark 25 Pf-, zweimonatlich 1 M. 50 Pf. u. einmonatl. 75 Pf. Inserate werden bi« Vormittag« 11 Uhr für nächst« Nummer angenommen und die gespaltene Zeile oder deren Raum mit 15 Pf. berechnet. WWWWMW Abonnements - Einladung. Für den Monat März eröffnen wir ein neues Abonnement auf den „Freiberger Anzeiger", wobei wir hervorzuheben uns erlauben, daß während der diesmaligen Reichstagssession nicht nur die von srüher her bekannten „Briefe vom Reichstage" fortgesetzt, sondern auch spezielle Berichte unseres R e i ch S t a g S a b g e o r d u e t e« Herr« A. Peuzig für den Wahlkreis zur Veröffentlichung gelangen werden. Der Abounemcutspreis pro Monat März beträgt 75 Pfennige. Auswärtige wollen ihre Bestellungen bei den kaiserlichen Postämtern, Hiesige bei der unterzeichneten Buchhandlung abgebcn. vuokkanlllung. Oer kranke Zultan. Es mag auffällig erscheinen, vom kranken Sultan zu sprechen, während der Telegraphendraht fortwährend be müht ist, den Gesundheitszustand Abdul Hamids, sowohl den körperlichen wie den geistigen, im rosigsten Lichte dar zustellen. Man weiß indeß zur Genüge, daß in Konstan tinopel nur solche Depeschen angenommen und nach dem Aus land befördert werden dürfen, welche den Absichten der Regie rung entsprechen und deren Beförderung sie erlaubt. Be kanntlich kam schon vor mehreren Tagen die Nachricht von einer Geistesstörung des türkischen Obrrherrn; ihr folgte auf dem Fuße die Berichtigung: der Sultan leide nur an Zahnweh. Mit diesem Zahnweh scheint es denn doch eine eigen- thümliche Bewandtniß zu haben, denn wer die Sprache der türkischen Botschafter — und ihnen darf man wohl nähere Kenntniß znlrauen — in Betracht zieht, der wird kaum glauben können, daß der Sitz des Uebels in den Zähnen sei. Die Botschaft in Wien ließ damals den dortigen Blättern eine Mittheilung zugehen, worin es wörtlich heißt: „Sollte es im Rathe der Vorsehung wirklich be schlossen sein, daß Abdul Hamid vom Throne herabsteige und gleich seinem unglücklichen Bruder Murad ins Privat leben zurückkehre, so wird dieses traurige Ereigniß hoffent lich ohne unglückliche Folgen für das osmanische Reich sein." In diesen Worten des türkischen Botschafters liegt mindestens das indirekte Zugeständniß von der physischen und geistigen Verkommenheit des jetzigen Sultans. Andere wollen sogar von Anfällen hereinbrechenden Wahnsinns wissen, indem sie sagen: der Sultan spiele mit Puppen und zeichne menschliche Figuren auf Hühnereier in der Hoffnung, Menschen daraus hervorgehen zu sehen. Ein neueres Schreiben, welches dieser Tage der „Deutschen Zeitung" in Wien aus Konstantinopel zuging, giebt über diese Verhältnisse folgende interessante Auskunft. In der Voraussetzung, daß es gelingt, den Frieden mit beiden Fürstenthümern herzustellen, beabsichtigt die Pforte, die Frage der Abrüstung in den beiden Staaten Rußland und Türkei den Großmächten zu unterbreiten, da ein noch länger andauernder derartiger Zustand die finanziellen Verhältnisse beider Staaten zum Ruin führen muß. Sie hofft durch Einführung thatsächlicher Reformen — geschehen ist natürlich bis jetzt noch nichts — die Großmächte zu einer milderen Auffassung der orientalischen Nothstands frage zu bringen. Ob aber die Ansichten Europas sich ändern werden, ist angesichts der neuerdings zu Tage tretenden Uebelstände und Kamarillawirthschaft sehr fraglich. Edhem Pascha fühlt sich in seiner Stellung unbehaglich; er hat den Großherrn um seine Demission gebeten, dieselbe wer nicht erhalten, obgleich Letzterer sich augenscheinlich ür den Marineminister Reuf Pascha interessirt und ihn, venn's anginge, sofort auf den GroßvezirSstuhl setzen möchte, wenn nicht einestheils die öffentliche Meinung sowohl in alt- wie jungtürkischen Kreisen ihn davon abhielte, anderer seits die Furcht vor einem jähen Sturz L I» Abdul Aziz oder vor einem allgemeinen Krach ihn zurückschrcckte. Die Zustände im Palais sind schlimmer denn je; Mahmud Damad, als Erzspitzbube bekannt, beherrscht den Sultan vollständig und wiegt ihn in einen Taumel von Vergnügungen, in denen er bei seiner äußerst schwachen Konstitution auch wohl untergehen wird. Wie bekannt, tragen sämmtliche Kinder des wegen seiner Ausschweifung bekannten Sultans Abdul Medschid den Keim der Schwind sucht an sich. Abdul Hamid, der überhaupt schwächlich ist, hat seine Gesundheit in der Feier von Orgien nun ganz geopfert und ist heute ein kranker Mann, zerrüttet an Geist und Körper. Die Aerzte, die ihn behandeln, werden das neue Uebel nicht heben, es liegt tiefer, als dies bis jetzt im Allgemeinen bekannt ist. Der Sultan ist nicht nur schwindsüchtig, sondern auch dem geistigen Stumpf sinn nahegerückt. Es kommt noch dazu, daß seine Popularität unter der türkischen Bevölkerung im Schwinden begriffen ist, da es sich herausgestellt, daß der Großherr bei einer Unterredung mit Salisbury die Annahme der Vorkonferenz- Beschlüsse nur aus dem Grunde verworfen habe, weil Midhat Pascha dies wollte. So hat sich denn auch in der türkischen Bevölkerung zu seinen Ungunsten gerade in pune-to bo^oi-is eine öffentliche Meinung gebilvet, die für ihn nicht sehr angenehm ist; und dies umsomehr, als der körperlich zwar gesunde, geistig aber für immer zerrüttete Ex-Großherr Niurad wieder in den Gemüthern der Alt türken eine Rolle zu spielen beginnt. Abdul Hamid, der nur Gespenster sieht — und seine Grspensterfurcht hat bereits einen sehr bedenklichen Grad angenommen — hat aus diesem Grunde trotz der Ver sicherung seiner ihm ergebenen und aus der Zeit seiner Jugend her bekannten Aerzte, daß Murad undispositions fähig bleibt, ein so großes Mißtrauen zu den Intentionen seines kranken Bruders gefaßt, daß er bereits den Befehl zur Jnternirung desselben in Top-Capu — demselben Neste, in dem Abdul Aziz den Blicken der Welt entzogen wurde — gegeben hatte und nur auf inständigstes Bitten seiner Schwester Salihe, die ihn auf das Unschickliche und Auf reizende einer solchen Handlungsweise aufmerksam machte, diesen Befehl wieder zurücknahm, so daß Murad bis auf Weiteres wieder in Tscheragan verbleiben kann. Der, wie gesagt, körperlich kräftige Mann, der nun aber geistig nimmermehr gefunden kann, berückt die Geister der mo hammedanischen Gläubigen, und es hat sich derselben eine Gährung bemächtigt, die unter dem Drucke der überaus trostlosen innern Zustände des Reiches leicht auf einen zündbaren Stoff fallen und das ganze Reich in seinen Grundvesten unterminireu kann. Angesichts solcher Zustände darf man sich kaum wundern, wenn Rußland mit seiner Kriegserklärung wartet und wartet, weil es wahrscheinlich den Augenblick nicht mehr fern wähnt, wo das Osmanenreich in sich selbst zusammen bricht. Silder aus dem Elsaß, n. Für den Fremden machen anfangs die Männer mit ihren kurzen blauen Leinewandblousen, (in Lothringen sind dieselben von einem gelblichen Grau), die bekannte fran zösische Mütze tief auf den Hinterkopf zurückgesetzt, mit ihrem scharf geschnittenen Profil, einen ganz wunderbaren Eindruck. — Weit hübscher sind die Frauen und Mädchen in ihrer fast noch durchweg bewahrten Landestracht. Die äußerst kleidsame eliässische Haube mit der breiten Schleife von schwerem Bande über der Stirn, haben auch die noch beibehalten, die im Uebrigen die Nationaltracht schon mit dem einfachen Kleide vertauschten. TuniqueS und Volant-, die sogar bei unsern Landmädchen nicht mehr selten sind, sah ich dort nie, kaum bei Töchtern wohlhabender Bürger in den kleineren Städten. An der Tracht kann man auch stets die Konfession erkennen. Die Katholikin trägt einen schwarz und roth gestreiften Nock, unten öfter noch mit einem breiten, schwarzen Streifen besetzt, an der Haube lange, meist sehr schwere, schwarze Bänder; die Evangelischen haben an Stelle des Roth am Rock ein wenig hübsches Gelbgrün. Die Haubenbänder sind kurz, reichen nur bis' auf die Schulter und fallen hinten über den mit Gold- flittern bestickten Haubendeckel. Bei besonders festlichen Gelegenheiten tragen Beide bunte Bänder statt der schwarzen, auch haben Beide das schwarze Mieder und lange weite Hemdärmel gemein, darüber ein feine- schwarzes Tuch mit langen Franzen, das sie ganfs besonders graziös zu knüpfen verstehen, auch sieht man Noch viel die Schürze mit breiten bunten Querstreifen. Ueberhgupt sind die Frauen weit hübscher als die Männer, hohe stattliche Erscheinungen, mit prächtigen dunklen Augen, leicht und graziös in jeder Bewegung, während es unter den Männern auffallend viel kleine und wirklich dürftig auSsehende giebt, bei denen die stechenden Augen und die scharf markirten Züge nicht immer angenehm berühren. Was nun die Sprache betrifft, so ist es den Deutschen Anfangs wirklich schwer, sich zu verständigen. Von den einfacheren Leuten wird das Deutsche wie das Französische gleich schlecht gesprochen, bei den Gebildeteren ist das letz tere dann bester, aber die elsässische Mundart, die wirklich oft kaum an unser Deutsch erinnert, dieselbe. In ihren Häusern sind die Elsässer in den Dörfern und kleinen Städten weit einfacher, als man dies bei uns gewöhnt ist. Ein Sopha, das wohl hier in keinem Bauern hause fehlt, gehört entschieden zu den Luxusartikeln. Fand ich doch in der Stadt, in der ich wohnte, im Hause des Maire kein solches, während sein erster Beigeordneter oder Adjunkt, wie er dort heißt, sich zur Anschaffung desselben seiner Tochter zu Liebe hatte verstehen müssen, da diese mehrere Jahre in Deutschland als Bonne gelebt. Weiße Gardinen, dicht am Fensterrahmen befestigt, werden wohl nie fehlen, während man sich auch in den Häusern der Wohlhabenderen und Gebildeteren selten zu langen Shawl- gardinen versteigen wird. Von seiner «»I« ä maoxsr spricht ast Jeder, und wenn dieser Eßsaal auch oft kaum so groß st, daß man sich darin umwenden kann und eben nur den nöthigsten Platz für Tisch und Stühle bietet, erstens klingt es doch etwas großartig, und dann findet man es wirklich iemltch allgemein, daß nicht in dem zum Wohnen bestimm en Zimmer gespeist wird. Unsere deutschen Federbetten sind im Elsaß schier un bekannt; man findet dort nur die mächtig breiten Bett stellen mit Matratzen, »aumisr, xlarnsaux und Steppdecken, mit denen oft großer Luxus getrieben wird. Unsere Kachel öfen, die schönen weißen sogenannten Berliner Oefen sind nirgends zu finden, sondern nur eiserne Kochheerde, eiserne kleine runde Oefen, Mantelöfen oder kleine runde, auch eckige Oefen, noch ein halb Mal so hoch wie ein Tisch, von weißen Kacheln und mit Meffingreifen umgeben. Meistens müssen Küchenheerd und Zimmeröfen von den Miethern selbst besorgt werden, da nur in den aller- seltensten Fällen der Wirth dies thut. Die langen, seltsam gewundenen Rohre, die zu den niedrigen Oefen gehören findet man dort allgemein sehr hübsch. Tagesschau. Freiberg, den 28. Februar. Dem deutschen vuudesralhe liegen nunmehr zwei zwischen Preußen und Sachsen bestehende Differenzen vor: die Frage über den Sitz des künftigen Reichsgerichts und der unerquickliche Handel wegen der Berlin- Dresdner Eisenbahn. Es ist nicht abzusehen, welche Entscheidung der Bundesrath in beiden Angelegenheiten treffen wird, doch scheint sich die gestrige Nachricht von-der beabsichtigten Jnkompetenzerklärung desselben nicht zu be stätigen, da die letztere Vorlage bereits dem Justizausschuffe zur Berichterstattung überwiesen ist. Merkwürdiger Weise