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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumerations- Preis 22j Sgr. (; Thlr.) vierteljährlich, Z LHIr. für daS ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Man pränumerirt auf dieses Beiblatt der Allg. Pr. StaatS- Zcitung in Berlin in der Expedition (Mohren-Straße Nr. Z4); in der Provinz so wie im Auslande bei de« Wohllöbl. Post-Acmtcrn. Literatur des Auslandes. 41. Berlin, Mittwoch den 4. April 1838. England. Leiden eines Ordnungsliebenden. August Minns war ein Junggeselle, der nach seiner eigenen Angabe vierzig, nach der seiner Freunde achtundvierzig Jahre all war. Immer war er eigen, ordentlich, pünktlich; er war eine menschliche Uhr, deren Räderwerk nie in Unordnung kam, deren Genauigkeit nie eine Veränderung erlitt. Wer hatte sc ein Stäub chen auf seinem braunen Rocke gesehen? wer eine Falte auf dem Rücktheile desselben, einen Fleck auf seinen hellgrauen Beinklei dern, eine Unregelmäßigkeit in dem Knoten seiner Halsbinde, oder eine Spur des Atters an seinen unladeihaften Stiefeln? Sein braunseidener Regenschirm mit elfenbeinernem Griffe war noch ganz neu, obgleich er ihm schon fünfzehn Jahre gedient Hane- In Somerset-House war er in einem Bureau angestellt und hatte sich hier natürlich durch seine Pünktlichkeit und Ordnungs liebe ausgezeichnet. Dieser Staats-Beamte, wie er sich selbst gern nannte, hatte ein gutes Gehalt, zu dem noch 6000 Pfund kamen, die in das große Buch eingetragen waren. Er bewohnte eine erste Etage in Tavistock-Street. Seil zwanzig Jahren genoß er hier das Glück der licfsten Ruhe und das unvergleichliche Vergnügen, sich mil seinem Hauseigemhümer zu zanken. Im Anfänge eines jeden Vierteljahres machte Hr. Minne Miene, auszuziehen» und am folgenden Tage ließ er sich die Schlüssel wieder ausbitten. Diese unterhaltende Beschäftigung brachte sein Blut in heilsame Wallung. Seine fixe Idee war die Ruhe, und die vollkommenste Ordnung war eine Bedingung seines Daseyne geworden. So kam es, daß zwei Geschöpfe seinen ganzen Haß zu tragen hatten: die Hunde und die Kinder; beide verletzten seinen Sinn für Ordnung, und an dieser hing sein Leben. Der Hinrichtung eines Hundes oder dem Morde eines Kindes würde er mit der innigsten und grausamsten Freude zugcscham haben. So lag eine ganze Weil zwischen der Sinnesart von Minns und der seines Vetters OrtaviuS Budden. Dieser, ein ehemaliger Kaufmann, war lärmend, eitel, ein wenig schwerfällig und pracht liebend. Minns war der Freund seiner Pantoffeln, schweigsam, sparsam; er war das Muster eines ordentlichen Mannes. Daher war ihm auch sein Vetter ein Gräuel. Er hatte sich nur mit Mühe dazu bequemt, Pathcnstellc beim jungen Budden zu ver treten, und nie hatte er sich um seinen Pathen bekümmert. Hr. Budden hatte sich vom Gewürzhandel zurückgezogen, nachdem er ein bescheidenes Vermögen erworben. Nun konnte er seinen Neigungen für das Landleben folgen und ein Häuschen, welches ein paar Schritte von der Straße ablag, kaufen. In diesem Häuschen, oder besser in dieser steinernen Schachtel, lebte er mir seiner Frau und seinem Sohne Alexander August Budden. Als man eines Abends den Kleinen hinlänglich bewundert hatte, fiel das Gespräch der Galten auf den Pathen Minns. Er war ein ordentlicher Mann, und ein ordentlicher Mann wird immer für reich gehalten. Die Frauen besonders haben einen eigenen Instinkt, die verborgenen Geldquellen zu erralhcn. „Ja", rief Madame Budden, „wir müssen uns um seine Freundschaft bemühen. Wir haben einen Sohn, und Hr. Minne kann ihm nützlich scyn. Auf, Hr. Budden, lhun Sie etwas! bc- S'e diesen Pathen!" — „Aber, Madame Budden...." — „Aber, Herr Budden, keine Widerrede, Sie werden es thun." — „Unsere Eharakiere sind so verschieden!" — „So müssen Sie den Ihrigen andern." — „Gul! Ich werde ihn zum nächsten Sonntag zum Mittagessen einladdn." — „Nun, das nenne ich mir noch einen guten Jungen, einen gefälligen Mann!" — „Du hast Recht", sagte Budden mit einer schlauen Miene, „aber ich will noch mehr thun!... Die Frauen verstehen davon nichts; aber Sie sollen sehen." Am folgenden Morgen frühstückte Minns mit seinem gewöhn lichen sanften Ernste; sein Frühstück und sein Journal, das er von einem Ende zum anderen, vom Titel bis zum Namen des Druckers las, fesselten beide seine Aufmerksamkeit. Er fuhr zusam men, als eine fremde Hand an tzie HauSlhür klopfte; der Schlag war laut und rauh. Sein Bediente brachte ihm darauf eine wim- zige Kane, welche mit riesenhaften Gvthischen Charakteren bedeckt war. „OktaviuS Budden, Zob's Hütte, in der Pappel- Allee, Stamford-Hill." Madame Budden hieß Zoo; vor der Thür stand eine Pappel; so sindei die Kane ihre Erklärung. Der Junggeselle las und zitterte. „Budden!.. Gehe er hin, woher er gekommen ist!.. Ich schlafe., ich bin ausgegangen und komme nicht wieder.." — „Er kommt schon hinter mir her!" Minns' gute Laune war verschwunden; er kannte seinen ge räuschvollen Vetter und verabscheute ihn; seine Nerven zuckten. Schon hörie er die neuen Stiefeln des Gewürzkramers knarren, und dazu kam noch ein sonderbares Gekläffe, weiches allen seinen Vcrmulhungen Hohn sprach.' „Er mag kommen", murmelte er mit schmerzlicher Stimme. Jetzt erschienen zwei Personen: zuerst eine ungeheure spudclhün- dm mit weißen Haaren, langen Ohren, rochen Augen, kleinem Schwänze; ihr folgte der Besitzer des Hundes, der edle und lie benswürdige Budden. Seine Manieren waren von einer Ge radheit, die inan für Rohheit halten konnte. Gleich bei seinem Eintritt warf er eine» Stuhl um und zerdrückte fast die Hand seines Vetters. Dann verwickelte er sich mit seinen Stiefeln in das Tischtuch und sagte mit lauter Stimme: „Ich bin entzückt, Sie zu sehen!" — „Gleichfalls!" — „Wie gehl's? Wie geht's?" — Minns blieb stumm- „Und die Familie? Ihre Frau? .. Ach! Sie haben ja keine. Aber Ihr Bruder?.. Wie einfältig bin ich!.. Aber Sie, mein Junge, sind köstlich!".. — „Zu gütig, viel zu gütig, Herr Budden." Minus lag auf der Folter und verfolgte die Hündin mit dem kleinen Schwänze. „Sehr schön, sehr schön!" erwicderle Budden auf eine Frage, die gar nicht vernommen worden war.... „Und befinden Sie sich wohl?" So ziehen sich in England, und wahrscheinlich auch anderswo, diejenigen aus der Schlinge, welche nicht sehr reichlich mit geistigen Gaben bedacht find. Sie nehmen ein ungeheures Inter esse an unserer Gesundheit und bezeugen dies durch endlose wiederholte Fragen. Während dieser köstlichen Unterhaltung war der Vierfüßler viel geschickter und unternehmender gewesen. Seine Hinterfüße waren in die Höhe gerichtet; seine Vorderfüße ruhten auf dem Tischtuche, und seine Zahne nagten an dem braun sten und zartesten aller Braten. Er war im Begriff, ihn auf dem Teppich zu verspeisen. Budden bemerkte den Diebstahl und brach in ein grobes Lachen aus: „Minne", rief er aus, „sehen Sic doch! der Hund ist des Herrn würdig. Beide sind Thierc ohne Umstände. Weg! Hannibal, weg! Ich bin zu Fuß gekommen; ich habe fürchter lichen Hunger." Minns war ein Freund der Höflichkeit, und er «hat sich den möglichsten Zwang an, um nicht die Gränzcn der selben zu überschreiten. „Sie sind ohne Frühstück aufgebrochen?" rief er aus. „Herzenevelter, ich wollte mit Ihnen frühstücken; klingeln Sie, mein Junge! Geben Sie umerdeß den Schinken her! Ich mache keine Umstände; die umständlichen Leute sind unausstehlich. Nicht wahr, Vetter?" So ergriff er eine Damast-Serviette und wehte damit den Staub von seinen Stiefeln ab- Minus zog mit ruhiger Ver zweiflung die Klingclschnur und versuchte zu lächeln. „Wae für eine Hitze!" — Budden ergriff eine zweite Serviette und wischte sich den Schweiß ab. Bei der gänzlichen Unfruchtbarkeit seines Geistes rief er dann zum fünfzehnten oder sechzehnten Male aus: „Ach! der ihcure, liebe Minns! meiner Treu, er ist so gesund wie ein Fisch!" — „Finden Sie?" Minns versuchte zu lächeln. — „Ist bei Ihnen Alles wohl?" fragte der höfliche Mann, wäh rend Budden eine Butterschnitte verzehrte. — „Kerngesund! Sic kennen unsere Wohnung nicht; vortrefflicher Schinken .... Ruhig, Hannibal!" Hannibal schleppte sich mil zwei Schinkenschnitten auf dem Teppich herum. Budden fuhr in seiner Beschreibung fort: „Grüne Fensterläden, ein kleiner Garten, ein grünes Gitter, ein blanker kupferner Klopfer; Alles ist höchst elegant." Budden hatte währenddem die ganze Oekonomie des Frühstücks umge- worfcn; die Gabeln lagen nicht an ihrer Stelle, das Messer, an dem Butter hing, lag auf dem Tischtuche. Wer könnte den Schmerz eines ordnungsliebenden Mannes dabei beschreiben? Mit sanfter und noch liebenswürdiger Stimme sagte er: „Wenn Sic doch den Schinken anders anschneiden wollten; ich glaube, er würde Ihnen besser schmecken."