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Wend Druck und Verlag von Hermann Rühle in Groß-DkriNa. Für die Redaktion verantwortlich Hermann Rühls in Groß-Gkrilla Nr. 53. Mittwoch, den 2. Mai 1906. 8. Jahrgang Annahme o,a Inseraten bi» vermittag w Uhr. ^Inserat« werden mit w ps für die Spaltzetle berechne Tabellarisch,r^Satz nach, besonderem Tarif Die „Vttendorfer Zeitung" erscheint Dienstag, Donners- tag und Sonnabend abends. Bezugspreis vierteljährlich t Mark. Durch die Post bezogen 1,20 Mark. Mit wöchentlich erscheinender Sonntagsbeilage „Illustriertes Unterhaltungsblatt", sowie der abwechselnd erscheinenden Beilagen „Handel und Wandel", „Feld und Garten", „öpiel und Sport" und „Deutsche Mode". Lokalzeitung für die Ortschaften Ottendorf-Okrilla mit Moritzdorf und Umgegend. Oertlichrs und Sächsisches. Dttendorf-Dkrilla, dm t- Mai Hos — Der April schied gestern von uns. Er glich in seinem Verlauf dem April des Jahres 1904, da» infolge seiner großen Trockenheit noch in aller Gedächtnis ist. Dem üblichen Rufe ein launischer, wetterwendischer Geselle zu sein, ist der April trotz der Prognose untreu geworden, wenn es auch ab und zu einmal geschah, daß er mürrisch dreinblickte, die Stirn in Falten zog und sogar unter Donner und Blitz sich zeigte. In der Haupt sache blieb er Frühlingsmonat, ja er erfreute uns mit Tagestemperaturen, wie sie in Nor maljahren der Mai ausweist. Die Vegetation ist daher dieses Jahr in bezug auf Blatt- und Blütenknospenentfaltung um Wochen voran und Ostern war diesmal die Generalprobe für Pfingsten. Nicht nur im Tiefland, nein auch oben im Gebirge herrschte während der Oster woche Pftngststimmung, die sich in der Natur bis auf die vergangene Woche erhalten hat, wenn auch die letzten Nächte erheblich kühler waren, ja sogar Frost brachten. Verschiedene Beobachtungen nach hat die Baumblüte da runter nicht gelitten, aber die anhaltend trockene Nord- und Ostlust ist der Be fruchtung im allgemeinen nicht günstig. Die Blütennarben sind fast ganz trocken. — Der Blütenstaub will nicht recht halten und so kann trotz der reichen Kirsch- und Birnenblüte uns vielleicht noch ein weniger gesegnetes Obst jahr beschieden sein. Der Mangel an Nieder schlägen im Keim» und Pflanzmonat wird von Landwirten und Gärtnern immer mit ge mischten Gefühlen empfunden und im Interesse von jedermann ist es wünschenSu ert, daß ein kühler, nasser Mai einholt, was der scheidende April versäumte. — Vom vergangenem Sonntage ab ist in unserer Landeskirche eine etwa» geänderte Agende zur Einführung gelangt. Nach der neuen Ordnung ist hinter dem Kyrie, statt dessen e» nunmehr „Bittruf" heißt, und vor dem Lobpreis ein Gnadenspruch des Geistlichen (eine Gnadenankündigung auf den Bittruf „Herr erbarme Dich") eingefügt worden. Das Glaubcnslied wird in Zukunft vom Geistlichen durch die Worte: „Lastet uns vor Gott treten Mit dem Lobopfer und dem Bekenntnis unsere» Glaubens" eingeleitet, worauf das Lied ohne Vor- und Zwischenspiele nnd unter Teilnahme des am Lesepult verharrenden Geistlichen gesungen wird. Freigegeben ist es auch, zwischen der Predigt und der allgemeinen Beichte mit der Absolution einen dem Charakter der Predigt entsprechenden Liederver» singen zu lasten. Wo nur ein Teil der Gemeinde nach dem Predigtgottesdienst zur Abendmahlsfcier zurückbleibt, kann nach dem vom Prediger ge betenen Vaterunser und einem gesprochenen Gcbeteöwort der Segen von der Kanzel ge sprochen werden. Bemerkt sei, daß für die Bußtage die Eingangsliturgie dadurch erweitert worden ist daß sofort nach dem Eingangsliede der Geistliche am Altar knieend ein besonder-S Bußgebet spricht; darnach folgt die übliche Liturgie. Bei der selbständigen Durchbildung der Liturgie für gewöhnliche Sonntage, für die drei hohen Feste und für besondere Festtage (einschließlich der Bußtage, ist es von Be deutung, daß der musikalische Anfang der Agende in dreifacher Reihe gegeben ist. In musikalischer Hinsicht stellt die neue Agende an den Liturgen ziemlich hohe Anforderungen. Tonst ist noch erwähnenswert, daß sowohl die allgemeinen sonntäglichen Kirchengebete nach der Predigt (von 5 auf 8) als auch die allgemeinen Gebete für verschiedene Kirchenfeste vermehrt und die für die Feiern der kirchlichen Liebes- werke neu ausgenommen worden sind. Im zweiten Teile der Agende, der die besonderen gottesdienstlichen Handlungen (Taufe, Trauung Beerdigung, Konfirmation Ordination usw/ umfaßt, ist manches gekürzt worden. Medingen. Am Freitag, den 27. April and der Einzug des neugewählten Pfarrers )es Herrn Pastor Winkler aus Oelsnitz im Erzgebirge statt. Er wurde an der Dorfgrenze vom Kirchenvorstande und von den Schülern irr oberen Klassen empfangen und nach der Lsarre geleitet, vor welcher die Jugend von bedingen eine Ehrenpforte errichtet hatte. Hier begrüßte ihn im Auftrage des Kirchenpatrons, owie im Namen der Kirchengemeinden und >er Schulen Kirchschullehrer Hauffe, während ihn idie Tochter desselben in einem sinnigen Gedicht willkommen hieß und ihm einen Blumenstrauß überreichte. Herr Pastor Winkler dankte herzlich über den so freundlichen Empfang und sprach die Hoffnung aus, daß ihm Medingen recht bald zur Heimat werden würde. Sonntag, den 29. April wurde er unter Assistenz des Herrn Pastor Täschner aus Bärnsdorf von Herrn Superintendent, Pache aus Großenhain in der Kirche zu Medingen feierlich in sein neues Amt eingewiesen, worauf er seine Antrittspredigt hielt. Mittag» zwölf Uhr vereinigte der Kirchenpatron Herr Geheimer Hofrat Dr. Mehnert sämtliche Beteiligten zur Festtafel im hiesigen Schlöffe. Radebeul. Im Staatsforstrevier bei Rade beul entstand abermals ein Waldbrand, der zum Glück in kurzer Zeit wieder gelöscht werden konnte. Man nimmt an, daß es sich um Brandstiftung handelt. Vor einigen Wochen brannte es genau an derselben Stelle. Meißen. Bri der hiesigen Firma Biesold und Locke haben die Arbeiter zu den alten Bedingungen die Arbeiten wieder ausgenommen. Ihre Einstellung kann jedoch erst nach Be endigung des Formerstreiks erfolgen. Hin gegen haben bei der Meißner Firma Schindler und Grünewald am Dienstag die Former und Gießerei-Arbeiter, 17 an der Zahl, die Arbeit niedergelegt. Mühlberg a. E. Bei der Erneuerung der Klosterkirche wurde bei Tieferlegung des Altars im Innern desselben eine mit einem erzbischöf lichen Siegel verschlossene alte römische Urne gefunden, in der sich etwa 30 Reliquien der Schutzheiligen der früheren zum Kloster Marien- stsin dort gehörigen Klosterkirche, sowie eine auf Pergament geschriebene Urkunde in lateinischer Sprache befanden. Der Fund wurde dem Altertümer-Muscum überwiesen. Paunsdorf. Hier erfolgte kürzlich die Festnahme eines Menschen, der einen wertvollen Bernhardiner Hund gestohlen hatte. Bei dem Ergriffenen, der sich für einen Artisten aus gab, wurden eine Tausendmarknote und andere Gegenstände gefunden, die von einem Einbruchs diebstahle herrührten, der kürzlich bei einem Gutsbesitzer in Roitzsch bei Wurzen zur Aus führung gekommen ist. Jetzt ist in dem Ver hafteten ein 21 Jahre alter Arbeiter aus Altenburg sestgestellt worden, auf dessen Konto auch eine Anzahl schwere Diebstähle kommen, die er in Leipzig verübt hat. Der gefährliche Verbrecher ist bereits schwer vorbestraft und vor nicht langer Zeit erst aus dem Gefängnisse ent lasten worden. Leipzig. Zu der Bluttat in L.-Klein- zschocher, der die SchlofferSehefrau Otto zum Opfer gefallen ist. wird geschrieben, daß bei der am vergangenen Sonnabend vorgenommenen gerichtlichen Obduktion der Leiche nur eine minderschwere Verletzung der durch das Beil des Ehemannes Otto getroffenen Schädeldecke konstatiert wurde, daß der Tod der unglücklichen Frau also wohl nicht allein auf die Beilhiebe zurückzuführen sein dürfte. Das Befinden des im Krankenhause darniederliegenden Verbrechers der sich bekanntlich durch einen Schuß durch den Unterleib schwer verletzt hatte, ist übrigens den Umständen entsprechend befriedigend. Otto ist bei vollem Bewußtsein und dürste in einiger Zeit soweit hergestellt sein, daß er nach der Entlastung au« dem Krankenhaus der Untersuchungshaft wird zugesührt werden können. — Vermißt wird seit dem 2K. April das zehnjährige Schulmädchen Frieda Pötzsch aus der elterlichen Wohnung in der Bogislawstraße in L.-VolkmarSdorf. Schwarzenberg. Die bekannte Flemmingsche Holzwarenfabrik in Globenstein wurde am Montag durch ein bedeutendes Schadenfeuer heimgesucht, dem ein großer Lagerraum zum Opfer gefallen ist. Das Feuer ergriff auch den nahe gelegenen Wald. Um eine Weiter verbreitung zu verhüten, mußte ein Stück Wald niedergeschlagen werden. Zwickau. Der Ausstand der Maurer in Zwickau und Umgegend ist am Sonnabend abend in einer öffentlichen Maurerversammlung beschlossen worden, nachdem die Meister sich ablehnend gegen die Forderung zehnstündiger Arbeitszeit und 45 Pfg. Stundenlohn verhalten jaden. Am Sonnabend herrschte auf allen Bauten Ruhe. Bei einigen zwanzig Meistern md etwa 500 Arbeiter ausständig. Zwickau. Den Tod durch Ertrinken erlitt auf eigenartige Weise eine 24 jährige Dienst magd im benachbarten Reinsdorf. Als dieselbe abends, von einem Besuche bei ihren Eltern zurückkehrend, aus einem auf dem Hofe ihres Dienstherrn stehenden Bottich Wüster trinken wollte, verlor sie das Uebergewicht und fiel mit dem Oberkörper in den Bottich. Sie war nicht imstande, sich selbst aufzurichten und mußte da Hilfe nicht zur Stelle Mr, elendiglich er trinken. Sie wurde mit dem Oberkörper noch im Master liegend, tot aufgefuuden. Plauen i. V. Wegen roher Mißhandlung einer 75jährigen Ehefrau wurde der 68 Jahre, alte Handarbeiter Ebert vvm hiesigen Land gericht zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt Der unwürdige Greis war frühmorgens in an- getrunkeuem Zustande heimgekommen und hatte weil bereits die Lampe brannte, seine Frau so gestoßen, geschlagen und gewürgt, da« die Aermste liegen blieb. Klingenthal. Hier ist der Handarbeiter Christian Gläß verhaftet worden, weil er ver dächtig ist, im Walde von Muldenberg den Raubanfall auf den Restaurateur Kätscher aus Schönheide verübt zu haben. Aus dem Vogtlande. Das im Vogt lande aufgetretene Erdbeben am Sonnabend früh ist dem „Vogtl. Anz." zufolge auch in Asch und Haklau wahrgenommen worden. Der zweite Stoß war so heftig, daß viele Leute aus dem Schlafe geweckt wurden. Der Stoß war von einem dumpfen Knall begleitet. In Harlau verspürte man ein andauerndes Erzittern des Erdbodens, daß mit einem von Süden nach Norden verlaufenden dumpfeu Rollen bekleidet war. Aus der Woche. Vor einer auserlesenen Versammlung von Senatoren und auswärtigen Diplomaten be antwortete in der abgelaufenen Woche der italienische Minister des Äußern Guicciardim die Anfrage eines Abgeordneten, welche Stellung Italien künftighin im Dreibund ein zunehmen gedenke, bezw. ob die Garantien des Dreibundes nur auf dem Papier oder tat sächlich noch vorhanden seien. Wenn man die Worte des geschmeidigen Diplomaten liest, wäre man einen Augenblick versucht zu glauben die kleine Verstimmung zwischen den Kabinetten von Berlin und Rom sei beigelegt. Aber dem ist nicht so — und ein solcher Erfolg war von dem italienischen Staatsmann wohl auch gar nicht beabsichtigt. Seine Rede dreht sich im wesentlichen um die „herzlichen Beziehungen" zu Oesterreich-Ungarn und um das „Gleich gewicht am Mittelmeer." Beide Dinge inter essieren Deutschland erst in zweiter Linie. Der kluge Staatsmann hat die Frucht nicht ihrer Schale beraubt — er ließ die Anwesenden den Kern nicht schauen. Aber am Tage nach der Auseinandersetzung, die die Freund schaft aufs neue zu besiegeln bestimmt war, er fuhr man aus England, was der Mann aus der Tr.büne in Rom verschwiegen hatte. Eng ¬ land, Frankreich und Italien haben einen Bund geschlossen — einen Afrika-Dreibund der berufen ist, die abessinische Frage zu lösen. - Das klingt, als ob in der Welt nicht ge nug Fragen schwebten: der Dreibund-, der Zweibundfrage, der Balkan-, der Marokko- und der mazedonischen, der orientalischen und der ostasiatischen Frage, die in unermüdlicher Abwechselung die Augen der Welt wach halten jat sich nun, um den Reigen zu vervollständigen die abessinische zugesellt. Hoffentlich sind nicht eines Tages die Diplomaten gezwungen, die beschwerliche Reise durch den Suezkanal zu machen, um mit dem NeguS Negesti („König >er Könige") in seiner Hauptstadt Addi» Abeba über Fragen seines Landes zu unterhandeln. Als einst Englands bedeutendster Dramatiker, der ausgezeichnete Welt- und Seelenkenner Shakespeare sein vielleicht schwächstes aber amüsantes Bühnenstück „Der Widerspenstigen Zähmung" schrieb, war wohl seiner nicht be- chränkten Phantasie der Gedanke fremd, daß einst im Parlament, wo „Weltendinge" ver handelt zu werden pflegen, ein Tag zur Neige gehen sollte, an den Frauen von der Art der Heldin seiner Komödie, aus dem Hause aus gewiesen werden müssen. Und dennoch ists so: )er Vorgang am 2. Februar 1778 hat sich am 26. April 1906 wiederholt. Damals und heute derselbe Skandal und endliche Aus weisung. Die Gesetzesvorlage, die den Tumult der Frauenrechtlerinnen veranlaßte und das „Frauenwahlrecht" zum Gegenstände hatte, ist dadurch, daß sie im Parlament ohne Ab stimmung blieb, vorläufig erledigt. — In Frankreich traf man diesmal — zum ersten mal — umfangreiche Vorkehrungen zur Ver hinderung von Ruhestörungen anläßlich der Maifeier. Nachdem sich aber die Dinge im nordfranzösischen Kohlenrevier so zugespitzt haben, daß es zu äußerst heftigen und blutigen Zusammenstößen zwischen der Polizei und den Streikenden gekommen ist, muß man allerdings annehmen, daß ernste Kundgebungen geplant sind, um so mehr als der allgemeine Arbeiterverband eifrig zum Generalstreik auf fordert. — In San Franzisko gestattet di« Lage immer noch keine klare Uebersicht über den Verlust an Menschenleben und den Sach schaden. Obwohl sich aber da« Erdinnere noch immer nicht beruhigt zu haben scheint, da erst in den letzten Tagen wieder heftige Erdstöße verspürt wurden, beginnt die arbeitsfrohe und hoffnungsfreudige Einwohnerschaft schon Pläne zum Wiederaufbau des geliebten „FriSko" zu entwerfen. Da die amerikanische Regierung Hilfe in jeder gewünschten und notwendigen Höhe zugesagt hat, so hofft man in fünf Jahren die schönste Stadt der Welt auf dem Trümmerfeld des alten San Franzisko zu errichten. Man darf ihnen Glauben schenken! — Die famose Reichsduma ist noch nicht voll ständig gewählt, ist noch nicht zusammengetreten, und schon werden Stimmen laut, die von ihrer Auflösung sprechen. Der Zar, der sich im November 1905 nach Moskau zur Eidesleistung zu begeben versprach, will auch der Duma den dem Volke bisher vorenthaltenen Eid nicht leisten, und man droht daher die Duma sofort aufzulösen, wenn dieses Verlangen gestellt werden sollte. Wird aber die Volksvertretung nach Hause geschickt, kann sie lange warten ehe man sie wieder beruft, denn eine gesetzliche Frist ist für diesen Fall nicht vorgesehen. — Der Dreibund in Europa hat seine Geschichte, der neue Afrikadreibund wird sie bekommen — aber an Erfolgen wird die beiden der neue Asien-Dreibund überstrahlen, der sich vorzu bereiten beginnt. Japan, China und Stam wollen sich zum „Schutz der Interessen der gelben Raste" zusammenschließen. Das längst vergessene Wort von der „gelben Gefahr" wird aufs neue zeitgemäß, denn diesem „Drei bund der Sonnenreiche" steht das Motto vor gezeichnet: „Liebt mich oder fürchtet mich, nur, laßt mich gewähren!"