Volltext Seite (XML)
Feierabend. Untkrhaltnugs-KkilM der „Sachs. Volkszeitung". M 14. Sonntag, den 3. Januar. 1S04 Jum Januar. (Nachdruck verboten.) Und wieder ist ein Jahr entschwunden Ins große Meer der Ewigkeit! Es bracht' uns froh bewegte Stunden Doch auch Enttäuschung brachl's und Leid! Drum, an des neuen Jahres Pforte Fragt zagend wohl des Menschen Geist: Wird uns nun endlich Wahrheit werden. Was unser Sehnex uns verheißt? Wird Glück und Freude sein auf Erden, Zufriedenheit und froher Sinn? Wird Segen unsrer Mühe werden ^ Und unsrem Streben sein Gewinn? Wir hoffen, daß der Gaben beste Das walte Gott! — und nun von Herzen Und reichlich bringt die Zukunft dar! § Mit frischem Mut ins neue Jahr! «. «»gres. Olgas Irrtum. Originalnovelle von Al ca Ruth. (l2. Fortsetzung.) (Nachdruck verboten.) Auch an dem in Rede stehenden Abende sah sie auf dem kleinen Schreibtische die bekannten blauen Hefte und über dieselben das Fräulein ungewöhnlich ernst und schweig sam gebeugt. „Haben die Mädel mal wieder an jedem Wort 'neu Fehler sitzen." dachte sie mißstimmig, als fiele ihr die horrende Arbeit des Besserns zu, und langte nach ihrem Strickstrumpfe, es war doch heute „Plauderabend", und daß sie um denselben kommen sollte, wollte ihr gar- nicht in den Sinn. Um 8 Uhr begonnen, und nun stand der Zeiger schon — wahrhaftig auf Viertel vor neun! Mußte das aber ein verworrenes Geschreibsel sein; ei. in derselben Zeit hätte sie ja den Fuß ihres Strumpfes fertig bringen können! — Nun, da schlug es schon neun! Tuschen kam ein böser Verdacht. Sollte „ihr Fräulein" etwa — eingeschlafeu sein? Und um sich baldmöglichst zu überzeugen, duckte sie sich nieder, schaute zwischen dem Arme durch, in dessen Handfläche das Fräulein den Kopf stützte — und war nicht wenig bestürzt! Ihres Fräuleins Augen ruhten be» Leibe nicht auf den zierlichen Buchstaben des Heftes; aber ein noch nie gesehenes Etwas lag darin, ein feuchter Glanz, ein sonderbares Flimmern! — Ja, gewiß, es waren Thräneu! Achtes Kapitel. In feierliches Schwarz gekleidet hatten sich die Lehr personen in der Bibliothek eingefunden. Die Herren standen in einer Gruppe zusammen und tauschten ernste Berner- klingen; Fräulein Sp'inger jand es geradezu absurd, wie Bohnenstangen um den grünen Tisch sich aufzupslanzen, und machte den Vorkch'ag. daß man sich setze. Diese Idee wurde annehmbar gefunden, lind so ließ man sich nieder. Da wurden "'binnen im Korridor laut, und wie elektrisiert sprang man a Zeitig wieder empor. Olga, die bisher etwa- abseits m einer Fensternische gestanden, trat etwas hervor, dock> >o daß die dunklen Manilavorhänge sie noch halb verde-Ken — Die Schritte im Korridor näherten sich der Tür. die Herren führteil ein animiertes Gespräch und lachten 'aut uud ungeniert. Dann sprach nur ein einzelner Herr, eine männlich klangvolle Stimme. Olga fühlte, wie alles Blut ihr zu Herzeu drang, als müsse sie ersticken, sie fühlte auch den forschenden Blick I)r. Stürmers, und doppelt schwer wurde es ihr, vor so vielen Augen ihre Fassung zu bewahren. Da ging die Türe auf. ein kleines, hageres, strammes Männchen, die klugen Augen in der Runde schweifen lassend, trat ein. Olga erkannte es mit freudigem ^ Schreck: es war Ministerialrat Glöckner, ihr Freund und Beschützer! Wie kam er hierher? Ihm folgten die übrigen Herren, freundlich nach allen Seiten grüßend. Olga- Blick hing an der Türe, in dessen Rahmen die gebietende Gestalt Dettens erschien. Das war derselbe schöne, trotzige Mann, dasselbe sarkastische Lächeln in seinen Mundwinkeln, derselbe kühne, selbstbewußte Blick. Da war auch nicht ein sichtbares Zeichen verborgenen Kummers, quälender Ge wissensbisse zu finden. Er fühlte nichts! Er litt nicht! Und sie Noch konnte er sie nicht bemerkt haben. Ministerial direktor Glöckner teilte mit, daß sein Kollege erkrankt und er deshalb an seiner Stelle die Inspektionsreise urrter- nommen habe. Darauf bat der Herr Direktor um die Ehre, den hohen Herren das Kollegium vorslellen zu dürfen, und begann mit den Damen. „Da will ich schon den Anfang machen!" sagte Mi nisterialdirektor Glöckner launig mid ging mit ausgestreckten Händen auf die ihm entgegcueilende Olga zu. „Fräulein Olga Gastrow. meine Herren! Ein Ver mächtnis meines verstorbenen Freundes und mein spezieller Schnpling!" Die Herren kanten nicht aus dem Neigen heraus, selbst der Herr Direktor Ernst knickte bei dieser Eröffnung wie eilt ABC-Buch zusammen. Nur einer stand regungs los — wie erstarrt, und seine Blicke hingen mit erschrecken- ^ der Starrheit auf Olga, die mit den Herren plauderte. ! Sie fühlte seine Blicke auf sich haften und wandte langsam das blonde Haupt nach ihm. Nn freudiges Leuchten zuckte aus seineit Augen, er schien auf sie zueilen zu wollen — da streiften ihn die kalten, stolzen Angen uud ließen ihn noch rechtzeitig erkennen, daß hier ein Irrtum obwalte, der , vor so viel fragenden Augen nicht gelöst werden durste, , daß er sie wiedergefundeu habe, uni sie wieder zu verlieren. Nach einigen weiteren Fragen und sachgemäßen Er örterungen wurden die Lehrpersonen gebeten, sich in ihre ! Klassenzimmer zu verfügen und die Herren zu erwarten. Glöckner nahm Olga bei Seite und schritt plaudernd mit ihr den Korridor ab. Zwei Augenpaare folgten ihnen. Dettens düstere Blicke und Dr. Stürmers eifersüchtig wach- same Augen! — Der Ministerialdirektor schien Wichtiges mit dem jungen Mädchen zu besprechen zu haben. Sie waren in eifrigstem Gespräch in den Garten hinausgeschritten und wandelten zwischen den blühenden Beeten auf und ab. Da er noch am selben Nachmittage weiter reisen mußte, blieb ihm späterhin keine Zeit, mit seinem Schützlinge Rück sprache zu nehmen, weshalb er die gebotene einzige Ge- ; legenheit jetzt benutzte. Endlich verabschiedete er sich und gesellte sich den j übrigen Herren zu. Olga war um diese Stunde frei und