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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«-Prei« 22j Silbergr. Tblr.) vierteljährlich, Z THIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Iägerstrasie Nr. 2S), s° wie von allen -tönigl. Poft-Acmrern, angenommen. Literatur des Auslandes. .W' 122. Berlin, Mittwoch den 11. Oktober 1843. Nord-Amerika. Der Zweikampf im Finstern. Ein Beitrag zur Sittenschilderung der Nordamerikaner. In einem jener WirthShäuser, die man an den Gränzen Florida's in den Vereinigten Staaten antrifft, habe ich die Einzelheiten meiner Geschichte ge sammelt, und zwar auf dem Schauplatz der Begebenheit selbst und aus dem Munde eines Mannes, der bei den Hauptumständen gegenwärtig gewesen, der mit den handelnden Personen gelebt und der mich selbst einer von diesen vor stellte, als ich das neugierige Verlangen, sie kennen zu lerne«, zeigte. — Ich saß da, sagte mir mein Erzähler, an demselben Tische, an dem Sie jetzt sitzen, und an einem langen und düsteren Abend, gerade wie dieser ist, indem ich friedlich meine Flasche leerte und alle Viertelstunde an die Thür ging, um möglicherweise einen blauen Punkt am Himmel zu entdecken; denn es war spät und ich ein ordentlicher Mann, der immer vor Mitternacht zu Bette ging. DaS Unwetter führte uns von Zeit zu Zeit einen neuen Reifenden oder auch einen Stammgast des Wirthshauscs zu, der die Unterhaltung dieses öffentlichen Saales dem Geschrei seiner kleinen Kinder oder dem eintönigen Gesänge, mit dem die Amme sie einzuschläfcrn versuchte, vorzog. Bald waren alle Tische besetzt, einen ausgenommen, den, an dem ich mich heute Abend niedergelassen, weil er dem Ofen zunächst ist, und weil ich da ohne Störung oder Gefahr diesen Jamaika-Rum kosten zu können glaubte, der in der That vortrefflich ist .... Darf ich Ihnen ein Glas anbieten? — „Ich danke Ihnen, mein Herr", antwortete ich ; „ich bin Schotte, und aus Nationalsinn halte ich mich überall, wo ich welchen finden kann, zum WhiSkp; in diesem WirthShause ist er gut, und wenn ich so hier, tausend Meilen von Jnverncß entfernt, ans diesem Glase den „„destillirtcn Thau"" unserer Gebirge eiuhauche, scheint eS mir, als habe ich die Hochlande gar nicht verlassen. Aber ich bitte, fahren Sie in Ihrer Erzählung fort ; sie fängt an, mich zu interessiren." Sic wird Sie noch weit mehr interessiren, fuhr der Amerikaner fort, wenn ich Ihnen sage, daß eine von den beiden Personen, die Sie kennen lernen sollen, Ur. Macpherson heißt: ein schottischer Name wie einer, will ich meinen, und wirklich ist der Doktor aus Schottland gebürtig: unser junger Doktor, denn er war damals noch jung und kam von der Universität Edinburg, wo er sich in seinen Studien hatte vervollkommnen wollen, ehe er sich in unserer Provinz nicderlicß.... unser junger Doktor, sage ich, hatte mehr Muße als gegenwärtig, und durch das schlechte Wetter überdies hinreichend gerechtfertigt, konnte er, ohne sich ins Gerede zu bringen, wohl mit uns, den alten Freunden seines Vaters, denen er übrigens das Beispiel hippokratischer Mäßigkeit gab, einmal einen Abend verleben. Als er eintrat, sagte ich Ihnen, waren alle Tische, außer einem, besetzt; Doktor Macpherson machte sich kein Gewissen daraus, an diesen einen Stuhl zu rücken und sich's bequem zu machen, indem er dem Feuer bald den Rücken, bald die Füße zuwandte, da er auf dem Marsche von seiner Wohnung nach dem Wirthshaus einige Tropfen von dem Platzregen abbekommen hatte. So wie ich ihn bemerkte, richtete ich einen Gruß an ihn, den er mir zurückgab, denn er war die Höflichkeit selbst und hatte von dem UniversitätSlcben Nichts von jener lächerlichen Gravität und jenem Wichtigthun mitgebracht, das einige junge Doktoren so gern mit der Würde eines Gelehrten verwechseln. „Doktor", sagte ich zu ihm, „wenn Sie Ihre Kleider und Stiefeln getrocknet haben, werden wir Ihnen hier einen kleinen Platz einräumen"; und drei Freunde, mit denen ich im Gespräch be griffen war, rückten wie ich ihre Stühle. „Nein, nein, meine Herren", antwortete der Dokter, „stören Sie sich nicht , ich bleibe, wo ich bin.... — Herr Gaveston (so hieß der Wirth), bringen Sie mir doch gefälligst Thee." Wir, meine Freunde und ich, betrachteten uns mit einem bedeutsamen Blick. „Er weiß vielleicht nicht" .... sagte der Eine, „man muß ihn benach richtigen", der Andere, und laut genug, um vom Doktor verstanden zu werden, der über die Art Unruhe, die wir durch diese abgebrochenen Sätze an den Tag legten, verwundert schien. „Was giebt'S denn?" fragte er. — „„Sie sind"", erwiederte ich, „„am Tische des „Obersten"; er kann jeden Augenblick kommen."" — „Tisch des Obersten! Welches Obersten?" — „„Des Oberst Landsturm"", sagte ich mit leiser Stimme, „„das ist der Tisch, von dem er Besitz genommen, und den man ihm nach einstimmiger Uebereinkunft ge lassen hat, um jede Weiterung zu vermeiden, wenn er vielleicht in der Laune sepn sollte, eine zu suchen."" — „Herr Gaveston", sagte der Doktor, indem er sich an den Wirth wandte, der Theebrett und Theetopf auf den Tisch zu setzen anstand; „ist dieser Tisch das Eigenthum des Obersten Landsturm? Nein, nicht? nun, da mache ich inir'S hier bequem und biete ihm an, ihn mit mir zu thcilen, wenn er diesen Abend kömmt und kein anderer Platz frei ist." Ich sah wohl, daß der Doktor sich stellte, als wisse er nicht, vielleicht auch wußte er wirklich nicht, wer der Oberst Landsturm war. Ich hatte keine Lust, besonders, da ich schon Familenvater war, allzu frei von diesem Manne zu reden, und ich stand auf, uin meinem jungen Freund einen Wink über die Ge fahr zu geben, der er sich aussetzte. „Doktor", sagte ich zu ihm, so daß nur er mich hören konnte, „der Oberst Landsturm würde mit dem Teufel selbst Streit suchen; jeder Vorwand ist ihm gut genug, einen Degenstich auS- zutheilen." — „Wirklich", sagte der Doktor, indem er seine Stimme, aber ohne Affectation, erhob, „ich bin entzückt, zu erfahren, daß es hier Einen giebt, der für mich arbeitet; wir brauchen gerade Wunden und Beulen zu unserem Handwerk. Ich achte den Oberste» sehr. Er komme und sey höflich, ich werde nicht mit ihm anbindcn. Sie nennen ihn Oberst Landsturm. Ich will de» Name« in meine Schreibtafel eintragcn." Man konnte sich darin nicht täuschen: diese leise Ironie zeigte deutlich, daß der Doktor Macpherson den Oberst, wenigstens deni Ruse nach, kannte und sich vorgcnommen hatte, gegen den Schrecken, den er im ganzen Distrikte ausübte, zu protestircn. Ich zog mich zu »leinen Freunden zurück, indem ich sehnlichst wünschte, daß der Oberst Landsturm diesen Abend zu kommen unterlassen möchte. Dieser Oberstcntitel, fuhr mein gefälliger Erzähler, dessen Abschweifungen ich Ihnen nicht alle wiederholen werde, fort, beweist nicht etwa, daß der, der ihn annahm, seiner Zeit ein durch seine Dienste sehr achtungswcrther Solvat gewesen wäre. Er war ganz einfach ein Oberst der Miliz; aber gleich cin- geübt auf Degen und Pistole, hatte er in der That mehr blutige Tobte auf seinem Gewissen, als der General Jackson oder jeder andere Kämpe der glor reichen amerikanischen Unabhängigkeit. Zweikämpfer von Profession und einer der furchtbarsten, machte eü dem Oberst dasselbe Vergnügen, einen Menschen zu tödten, wie einem Jäger einen Hasen oder Hirsch. Unterwürfig, keit besänftigte nicht immer seine Anmaßung. Nahm man eine zu demüthige Miene gegen ihn an, so stellte er sich auch wohl gern, als nähme er die Sanft muth als Ironie auf, und endete wohl gar damit, uns wegen unserer Höflich keit selbst zur Rechenschaft zu ziehen. ES giebt Duellanten, die sich damit be gnügen, Jemanden hcrauszufordcrn, indem sic ihm sagen, daß sein Wesen ihnen mißfällt. Der Oberst drehte oft sehr sreimüthig die Phrase um, indem er uns bewies, daß er uns verhaßt wäre, und uns mit hinterlistiger Großmuth die Gelegenheit anbot, sich seiner in einer Begegnung auf Leben und Tod zu entledigen. Seine Barbarei hatte sogar mehrere Stufen und verstärkte Paro- rpSmen. Er war wie jene Wehrwölfe in den Feen-Mährchcn, die von Zeit zu Zeit eine unbezwingbare Begierde nach frischem Menschcnfleisch empfinden. Wir fingen an, ganz leise über dic Unvorsichtigkeit des Doktor Macpher son zu sprechen, und so oft die Thür sich öffnete, wandten wir Alle mit Un ruhe den Kopf nach dieser Seite, wie vor Alters die Zuschauer eines CirkuS- kampfeS nach der Schranke, die dem Löwen oder Tiger die Bahn öffnen sollte. Endlich trat der Oberst mit einem seiner gewöhnlichen Trabanten ein, der mit demselben Rechte den Majorstitel angenommen hatte, wie jener den des Ober sten. Diese beiden Tapferen hatten ihren Theil vom Regen abbekommen, und natürlicher Weise eilten sie vor allen Dingen zum Ofen, in den der Wirth mit in die Augen fallender Beflissenheit zu ihrer Ehre zwei große Holzbündcl werfe« ließ. Jeder sah sie schweigend an. Nach einigen Ausrufungen, die an Niemand gerichtet waren und nur mit der Unwirthlichkeit des Himmels Streit suchten, sagte der Oberst, indem er mit dem Fuße stampfte, zu seinem Kame raden, der sich bückte, um mit der Zange die Reste des Holzes zu zerstreuen: „Zum Henker, Major, das Feuer mag wohl gut sepn, aber ich glaube, mit zwei guten, kalten Stahlklingen, die sich kreuzten, würde man noch weit eher warm werden." — „„Ach, nur ganz ruhig, Oberst"", erwiederte der Major, „„Ihr vergeßt, daß wir in dieser Gegend zu rosten ansangen. Bald ist es länger als einen Monat her, daß unsere Klingen keine Lust geschöpft haben, und gestern, als Ihr mein Licht mit einer Kugel auSp»tzen wolltet, habt Ihr den Leuchter entzwei geschossen."" — „Es ist wahr, Major, und deswegen will ich heute Abend mit Einem anbinden. Laß doch (ehen, was kann mich denn wohl in Zorn versetzen?" Und der Oberst ließ ein wildes Lächeln im Saale umherwandern, aber Niemand schien ihm geneigt, sich des Vortheils, den ein solcher Gegner darbot, zu bedienen. Der junge Doktor selbst goß sich ruhig seine dritte Taffe Thee ein. Erst zuletzt haftete der herausfordernde Blick des Obersten, der durch die ganze Versammlung von der Linken zur Rechten gewandert war, auf ihm; aber der Doktor vermied, diesem schrecklichen Auge zu begegnen, in-