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versuchte Prokofjew auch in großen Werken wie dem Violinkonzert zu lyrischen und melodischen Gestaltungsprinzipien vorzustoßen, die jede scharfe Harmonik und Instrumentation und ungewöhnliche, konstruktive Melodik meiden. Der Stil des neuen Konzerts ist kammermusikalisch, ohne übertrieben virtuose Elemente. Auffällig ist die wiedergewonnene Vorliebe für den traditionellen Aufbau der Fom, die sogar so weit geht, daß Prokofjew in Klang, Melodik und innerer Formstruktur auf romantische Mittel zurückgreift, die den .Schumannianer' der Jahre vor der Emigration verraten. Erstmalig nach langen Jahren ist - vor allem in der Melodik — wieder die russische Intonation spürbar" (F. Streller). Dieser Sprung zur neuen Qualität gelang dem Komponisten auch mit dem fast gleich zeitig entstandenen Ballett „Romeo und Julia", das in seiner Lyrik mit dem zweiten Violinkonzert verwandte Züge aufweist. Den ersten Satz (Allegro moderato) bestimmen weit ausschwingende, lyrisch melodische Linien. Das von der Solovioline angestimmte Hauptthema gibt sich liedhaft, betont national und romantisch im Habitus. Marschrhythmen und Passagen führen zum zweiten Thema, das noch inniger, lyrisch-kantabler ist als das erste und mit seinen weitgespannten Intervallen, empfindsamen Wendungen und eleganten Modulationen zu den schönsten Eingebungen des reifen Prokof jew gehört. Der konfliktlosen Exposition folgt ein Satzverlauf, der in der Durch führung auch dramatischere Formen annimmt. - Gelassen und freundlich hell ist die Stimmung des zweiten Satzes (Andante), der an Prokofjews „Klassische Sinfonie" gemahnt und nach klassischen Entwicklungsprinzipien geformt ist: Variation und Polyphonie. Das kantable Thema des Soloinstrumentes erhebt sich über ostinater Trioienbewegung und wird verschiedentlich abgewandelt. - Das bis dahin zurückgehaltene Temperament Prokofjews bricht sich im stürmisch tänzerischen, ausgelassenen, betont dynamisch-rhythmischen Finale (Allegro ben marcato) seine Bahn. Dieses „Tanzstück" tragen verschiedene thematische Ge stalten: ein feuriges Hauptthema und zwei Seitengedanken von leidenschaft lich-drängendem, jedoch kantablen und von unruhig-elegischem Charakter. Die Reprise zeichnet sich durch harmonische „Würzen" in Form ausgelassener Akkordschichtungen aus. Mit bacchantischem Ungestüm, mit einigen harten Akkorden schließt dos Werk. Eine der schillerndsten Persönlichkeiten der Musikgeschichte war der große italienische Geigenvirtuose Nicolo Paganini, der geradezu berau schende Wirkungen auf seine Zeitgenossen in Italien, Deutschland und Frank reich ausübte. Dos Dämonisch-Abenteuerliche seiner Person führte im Bunde mit seinen einmaligen, phänomenalen geigerischen Fertigkeiten dazu, daß man ihn sogar der Zauberei verdächtigte oder ihn mit Geistern und der Hölle im Bunde glaubte. Paganini, von gelegentlichem Geigenunterricht abgesehen eigentlich Autodidakt, vereinte in seiner Person, „was andere vereinzelt auszeichnete: einen hinreißend ausdrucksvollen Vortrag, einen wunderbar großen und dabei doch der verschiedensten Stärkegrade sowie des mannigfaltigsten Timbres und Kolorits fähigen Ton, ein zauberhaftes, wie in Sphärenklängen verhallendes Flageolett, Gegensätze im Legato und Stakkato, wie man sie vor ihm nicht gekannt, doppelgriffige Gänge, die niemand außer ihm auszuführen vermochte, Pizzikatos, gleichviel, ob mit der rechten oder der linken Hand, deren springende Passagen jedem anderen Geiger den Hals gebrochen haben würde, und, außer seiner fabelhaften Technik, jene dämonische Leidenschaftlichkeit, die ihm allein eigen war. Sprang ihm eine Saite, ja zwei Saiten, so spielte er auf den übrig gebliebenen, soweit es deren Umfang erlaubte, mit solcher Vollkommenheit weiter, daß der eingetretene Mangel selbst für den Kenner kaum hörbar wurde; auch stimmte er die Saiten, um gewisse besondere Effekte damit zu erreichen, nach Bedürfnis anders, als durch den Gebrauch vorgeschrieben war (ein Wieder aufleben der früheren Scordatura), und da er das Geschick besaß, eine Saite selbst während des Spiels unbemerkt um einen halben Ton hinaufzuziehen, so begannen selbst manche ihm zuhörende Geiger an Wunder zu glauben. So steht dieser mysteriöse Mensch, der die seltsamste Mischung von Genialität und Scharlatanerie, von tiefstem, bis zu Tränen rührenden Ausdruck und tollen diabolischen Kunststücken in sich vereinigte, der täuschend jeden anderen Virtuosen wiederzugeben vermochte und dabei doch ein eigenes Spiel hatte, mit dem er niemand glich und alles übertraf, als ein Unikum in der Geschichte des Geigenspiels da" (Naumann/Schmitz). Da die Paganini-Zeit, also die Romantik, die ausgefallene extrem-subjektivisti sche Gefühlsbetonung liebte, vergötterte sie den genialen Einzelmenschen. Diesen Zeitgeist vertrat Paganini in typischster Weise, hatte er doch kein anderes Anliegen, als ein möglichst großes Publikum durch sein Spiel zu faszi nieren. Seine wichtigsten Kompositionen — nicht alle der unter seinem Namen laufenden Werke sind echt — sind u. a. die 24 Capricci für Violine solo op. 1, die Liszt, Schumann, Brahms, Rachmaninow, Casella, Dallapiccola und Blacher zu eigenen Kompositionen anregten, die beiden Violinkonzerte op. 6, D-Dur, und op. 7, h-Moll, sowie 12 Sonaten für Violine und Gitarre, Zeugnisse eines Schaf fens, das aus engstem Zusammenhang mit Paganinis sensationellem Virtuosen tum hervorging. Von den Violinkonzerten steht vor allem das erste in der Gunst der großen Geiger unserer Tage, viel seltener ist das heute erklingende zweite Violinkonzert op. 7 in h-Moll (1838) zu hören, das nach dem Finalrondo „La Clochette" (Das Glöckchen) genannt wird. (Der mitunter auch allein interpre tierte Satz wurde durch Liszts Klaviertranskription als Etüde „Campanella" be kannt). Naturgemäß interessieren uns heute an diesem Werk nicht so sehr die musikalische Substanz oder die satztechnische Gestaltung (das Orchester ist zumeist „dürftig" behandelt, damit der Solist um so mehr hervortreten kann), sondern vor allem die auf die Spitze getriebene Virtuosität des Soloparts. Dieser nämlich ist mit allen Kunststücken ausgestattet, mit denen Paganini seine Zeit genossen begeisterte: Doppelgriffe in verschiedensten Lagen, Pizzicati der linken Hand und raffinierte Springbogenpassagen, Flageoletts, das bravouröse Spiel ouf einer Seite. Dennoch ist das Konzert nicht nur eine brillante Aneinander reihung geigentechnischer Aufgaben und Effekte, auch die Musik kommt durch aus zu ihrem Recht. Der erste Satz (Allegro maestoso) bewahrt ein erfreuliches Gleichgewicht zwi schen Virtuosität und Ausdruck, zwischen rein technischen und pathetisch-lyri schen Partien. Vor allem das innige zweite Thema trägt ein starkes Ausdrucks moment in das musikalische Geschehen hinein. Schon in der Orchesterleitung tieten die cantabile-Phrasen auf, um dann später vom Solisten variiert und vertieft zu werden. Melodisch eindringlich zeigt sich der langsame zweite Satz (Adagio), dessen affektgeladene Geigenmelodik in weichen Hörnerklang ein gebettet wird. Der dritte Satz ist das berühmte Campanella-Rondo. Es dient überwiegend virtuosen Zwecken, beeindruckt vor allem durch das Raffinement in der Anwendung der technischen Mittel, jedoch auch durch reiche musikalische Phantasie. Dr. Dieter Härtwig Vorankündigung: Kongreßsaal Deutsches Hygiene-Museum Sonnabend, den 26. September 1964, 19.30 Uhr Sonntag, den 27. September 1964, 19.30 Uhr 2. Außerordentliches Konzert Dirigent: Gerhard Rolf Bauer Solist: Rudolf Kehrer, Sowjetunion H. Röttger W. A. Mozart P. Tschaikowski Sinfonische Meditationen Klavierkonzert C-Dur Klavierkonzert b-Moll Freier Kartenverkauf! Für die Spielzeit 1964/65 sind in der Konzertkasse der Dresdner Philharmonie noch einige restliche Zyklus-Anrechte erhältlich. <7/ DRESDNER 1. AUSSERORDENTLICHES KONZERT 1964/65 III 9 14 EMZ 764 3 It-G 009/48/64