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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration«'Preis 22j Silbergr. (j Thlr.) vierteljährlich, Z THIr. für da« ganze Jahr, ohne Erhöhung in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Comp., Jägerstraßc Nr. 2S), so wie von allen Königs. Post-Aemtern, angenommen. Literatur des Auslandes. 6L. Berlin, Donnerstag den ZO. Mai 1844. England. Die Eisenbahn-Directiomn vor dem Nichterstuhle des Publikums. Vor einiger Zeit gehörten Klagen gegen die Willkür und den Mißbrauch der verschiedenen Eisenbahn-Directionen zu den stehenden, nicht selten leiten den, meist aber eingesandten Artikeln in unseren Tagesblättern. Da fehlte eS an Sicherheit, dort an Eleganz; Der wollte Freiheit zu rauchen oder auszu- steigen, Jener wohlfeilere Preise, die Meisten größtmögliche Bequemlichkeit, und diese letztere Partei namentlich unterließ niemals die Hinweisung auf das Geburtsland des Comforts, wo sicherlich die dritte Klaffe besser fituirt sey als die deutschen Primaner. Bald ward die dritte Klaffe das Losungswort der Reform und die Sorgfalt für ihre Stellung fast so populär als die Vereine gegen die Thierquälerei; eS fehlte nur noch ein Sleyeü, uni die Beantwor tung der Frage: Hu'esr ce qus I« Mer«-krack zum National-Interesse zu erheben. Zwar ließen sich auch einzelne Stimmen zu Gunsten der Directioneu hören, aber diese mußten natürlich erkauft seyn; die spitzesten Federn sind nicht wirksamer als stumpfe, wenn sie im voraus als feil gebrandmarkt worden. Die Sache der Wahrheit schien nur von Einer Seite geführt werden zu können, wenn man nämlich für die Proletarier zu kämpfen vorgab ; die De. fensoren hingegen wurden als verkappte ActionairS bezeichnet, denen eS nur um eine erhöhte Dividende zu thun sey. Dabei verfehlte die Oppositon nie mals, die Bahnhöfe, Waggons, Fahrpreise u. s. w. des Auslandes als einzig nachabmenswerthe Muster aufzustellen, und Mancher, der in seinem Leben nicht weiter als von Berlin nach Steglitz gekommen war, konnte nicht Rüh. mens genug von einer Einrichtung machen, wie sie z. B. zwischen Edinburg und Glasgow bestände. Wie steht eS aber eigentlich in England mit der Stimmung des Publi kums? Unsere Eisenbahn.Zeitungen geben uns von dorther nur etwa neue Erfindungen, Zahlen-Angaben der SteigerungS. Verhältnisse der Personen- Frequenz, Unglücksfälle (eine Rubrik, mit der wir glücklicherweise im Rück stände bleiben), kurz Fakta, aber keinen Barometerstand der öffentlichen Meinung. Die Erfahrung indeß hält di- Antwort auf jene Frage schon in Bereitschaft: «'eac parlout comme clier noua; nur daß dort nach den einmal herrschenden großen Dimensionen Alles kolossaler auSfieht. Die Mißvergnüg ten bombardiren mit dem schwersten Geschütze; sie beruhigen sich nicht wie unsere bescheidenen Anfrager mit ein paar Zeilen in den Zeitungen und MagazincS, sondern lassen ganze Bücher drucken, woraus dann die Kämpen der Verwaltungen mit dem Kartätschenfeuer der perioäicsk antworten müsse», nämlich der angestammten Würde einer jeglichen Behörde gemäß mit kleineren Aufsätzen als sie empfängt, die aber immer noch groß genug wären, um ein paar Nummern unserer Zeitungsblätter sammt ihren Beilagen auszufüllen. Wenigstens stehen sich dabei — wenn man die in England üblichen Honorar en Erwägung zieht — die erkauften Advokaten beider Parteien besser, und indem wir hier einen solchen Defensiv-Artikel, der nebenher noch manche interessante Notiz zur Geschichte der Eisenbahnen giebt, im AuSzuge mit- theilen, meinen wir bei sämmtlichen deutschen Directioneu eine Tantieme von dem Nutzen, der auch ihnen hieraus erwachsen soll, ansprcchen zu können. » o Unsere Zeit kennt keinen Gegenstand von so allgemeiner Einwirkung, keinen, von dem mehr gesprochen und weniger wahre Kenntniß verbreitet worden wäre, als Eisenbahnen. Auch bei der Zusammensetzung des zur Ver handlung ihrer Interessen im Unterhaus- bestimmten Comitv'S schien die an fangs vorwaltende Meinung, als dürfe keine zu irgend einer wirklich ausge- führten Bahn in thätigem Bezüge stehende Person Mitglied werden °), für den Grundsatz zu sprechen, das Parlament wie das Land könnten über diese Angelegenheit nirgendwo bessere Belehrung erlangen, als bei der absolutesten Unwissenheit- Indessen hat man später Ausnahmen gestattet, und wenn auch aus hem zuerst publizirten Berichte nicht eben ein Zeugniß glänzender Fähig - k-it des Comite's hervorgeht, so berechtigen doch die Namen einiger seiner Mitglieder zu der Hoffnung auf fördernde Wirksamkeit, welche diesem Zweige unserer Nationalkräfte so Noth thut. In Erwartung nun eines ausführlichen Berichtes — vor dem wir jenen ersten, wie den kleineren Luftballon vor dem größeren, um die Richtung des ') Derselbe Vorschlag wird gegenwärtig ln der sranzöstschen Deputaten - Kammer beantragt. Windes zu ermitteln, vorausgeschickt betrachten — müssen wir Stoff zur Dis kussion über die gegenwärtigen Zustände von jenen anonymen Wundermännern entnehmen, die einen unendlichen Vorrath von Belehrung für die Unwissenden und von Universalmittcln gegen alle Staatsgebrechen bei sich führen. Zuerst jedoch haben wir -ine Schuld abzutragen. Wo nur immer von Eisenbahnen gehandelt wird, da sollte der Name ihres eigentlichen Urhebers — noch lange nicht so in des Volkes Munde lebend, als andere minder verdienstvolle Namen — in Ehren gedacht werden, und so wird man unS, wenn wir auf den Be ginn seines Wirkens hinzeigen, gern folgen. Der glückliche Erfolg der Stockton.Darlington-Bahn hat alle andere hervorgerufen; ihrem Erbauer gebührt die Ehre, als Gründer des Eisenbahn- Systems genannt zu werden, und der Ruf, den ein nicht müheloses Streben ihm erwarb, verdient ein dauernder zu seyn. Dann freilich, als die Bahn einmal gebrochen, der Erfolg gesichert, durch Lie voranleuchtende Erfahrung eines Einzelnen eine unendliche Perspektive, zur allgemeinen Wohlfahrt füh rend, hell glänzend aufgethan war, — dann waren Tausende spekulativer Geister bereit, sie zu durcheilen. Auch ihnen ist verdienstlicher Einfluß nicht abzusprechen, aber der Dank der Millionen, welche in unserem Baterlande, in beiden Hemisphären sich der Vortheile der Eisenbahnen erfreuen, möge immer an dem Namen von Edward Pease aus Darlington haften. Die endlosen Kämpfe, die er zu bestehen hatte, einerseits gegen die Ränke der Widersacher, die mit absurden Einwürfen begannen und bis zuletzt die feind seligsten Hindernisse aufthürmten, andererseits gegen Zweifelei und Vorurtheile sogar bewährter Freunde, überall gegen die maßloseste Unwissenheit — das Alles ist nun freilich vergessen^ aber mit Unrecht. Die seines Wirkens Früchte genießen, sollten eS wissen, wie er, voll unerschütterlichen Vertrauens zu seiner Ansicht, mit stets erfinderischem Geiste und unbewegtem Gleichmuthe jene Schwierigkeiten allmälig überwand; wie er besonders darin den merk- .würdigstcn Scharfblick zeigte, daß er ohne alle Hülfe der Erfahrung und bei der völlig freien Wahl der Lokalitäten gerade eine solche zu seinem Probestück nahm, die dem oberflächlichen Ermessen als die ungünstigste erscheinen konnte und sich endlich als die ergiebigste auSwieS. Noch merkwürdiger vielleicht ist die DivinationSgabe, die ihn George Stcphenson's Genie errathen und den selben zum Ingenieur erwählen ließ. Heutzutage, wo der Name dieses Mannes und der seines nicht minder berühmten Sohn-S weit und breit be kannt find, weiß kaum Einer unter Tausenden, daß G. Stephenson von niedriger Herkunft war und zu jener Zeit weder Ruf noch Erfahrung besaß. Pease'S durchdringender Blick allein konnte in dem unscheinbaren Erze das edle Metall entdecken, den Genius, der nur einer geeigneten Gelegenheit bedurfte, um seine Macht zu zeigen, den er im buchstäblichen Sinne aus dem Schoße der Erde, aus den Bergwerken nämlich, hervorzog, um die erste Eisenbahn zu konstruiren. Und wie schnell wiederholten sich oder übertrafen einander vielmehr die glänzendsten Erfolge! Gegenwärtig kann Stephenson sich rühmen, sämmtliche Eisenbahn-Anlagen zwischen London und Edinburg entweder dirigirt oder berathend dabei mitgewirkt zu haben. Der Dampfmaschinenbau gelangte erst nach und nach zu seinem gegen wärtigen Grade von Vollkommenheit, und sollte einst ein Eisenbahn-Museum errichtet werden, so müßte es einige von den frühesten im Gebrauch gewesenen Lokomotiven als historische Kuriositäten aufbcwahren; sie würden dasselbe In teresse erregen, wie die Kanonen, welche bei der Schlacht von Crcffy ange- wendet wurden und aus Leder oder einer Art von Faßdauben mit eisernen Reifen bestanden. Eine jener nun antiquirten Maschinen machte die erste Probefahrt neben der von Pferden gezogenen Kutsche, sie gingen zu gleicher Zeit aus Stockton ab, und es konnte die Probe als ein wirklicher Wettlauf betrachtet werden, da die Landstraße und der Schienenweg längs einer be deutenden Strecke neben einander sortgehen. Während der ersten zwei Meilen zeigt- sich ersichtlicher Vortheil auf keiner von beiden Seiten, und die Wett lustigen sowohl unter den Passagieren als den Tausenden von Zuschauern nahmen, je nach ihrer Kennerschaft oder ihren Borurtheilen, bald für die sieggewohnten Rosse, bald für das dampfsprühende Ungeheuer Partei. Freilich triumphirte am Ende das letztere, — aber welch ein Abstand zwischen so schwankendem Beginne und der durch die bald erfolgte Einführung des Dampf- CylindcrS bewirkte Schnelligkeit von Ztt (cngl.) Meilen pr. Stunde bei der Livcrpool-Manchester-Bahn! War die Kenntniß der Ingenieurs zur Macht geworden, so wollte nun auch die Ignoranz einen Theil davon ansprcchen ; das allgemeine Interesse an dem Betriebe der Eisenbahnen und an der Wirksamkeit der Maschinenbauer wird bald zu einer um sich greifenden Sucht, ohne alle Kunde des Gegenstandes, mit