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WM MMT ShmM, Uch«, Mkckh» M die MMidki. Amtsblatt für di- Kgl. Umtshaurtmannschaft zu Weißen, das Kgl- Amtsgericht und den Stadtrath zu Mlsdruff. Erscheint wöchentlich zweimal, Dienstags und Freitags. — Abonnementpreis vierteljährlich 1 Mark. Eimeine Nummern w Psg. — Inserate werden Montags ' und Donnerstags bis Mittags 12 Uhr angenommen. Nr. 57 Freitag, den 19. Juli 1889. Tagesgeschichte. Alle Gerüchte von einem Gegensätze zwischen demReichs- kanzler Fürsten Bismarck und dem Chef des Generalstabes Grafen Walders ee, die wir von vorherein als müßige Erfindungen be zeichnet haben, werden nunmehr als solche durch nachstehende Mittheilung der „Hamb. Nachr." gekennzeichnet. Diese Nachricht des Hamburger Blattes von der wunderbarer Weise das Wolsf'sche Telegraphenbureau nichts ge meldet hat, lautet: „Aus Drontheim sendet uns der Chef des General stabes der Armee, Graf Waldersce, ein Telegramm, in welchen er die Nach richt dementirt, „der Chef des Generalstabes der Armee habe Sr. Maj. dem Kaiser eine Denkschrift überreicht, in welcher zum baldigen Kriege gegen Rußland gerathen wird." Wir nehmen von diesem Dementi Akt, obwohl unser Blatt die betreffende Mittheilung nicht gebracht hat." Ueber den Entwurf eines Ersatzgesetzes für das Sozia listengesetz sollen, wie cs heißt, während der Ferien des Bundesraths vertrauliche Verhandlungen der Regierungen gepflogen werden, so daß bei dem Wiederzusammentreten des Bundesraths bereits eine Verständigung erzielt sein und die Vorlage frühzeitig an den Reichstag gebracht werdenkönnte. Ueber die Verschärfung der Grenzkontrole an der deutsch-schwei zerischen Grenze giebt die „Konstanzer Ztg." eine Aufklärung, die sich wenigstens hören läßt. Danach sind diese Maßregeln nur vorüber gehend und in keinem Zusammenhang mit dem Konflikt zwischen Deutsch land und der Schweiz." Es handle sich um die versuchte Einschmuggelung sozialdemokratischer, in London gedruckter, über St. Gallen und die Boden seehäfen vertriebener Schriften. Die Gegner des jetzigen Reichstages können es kaum erwarten, daß das Mandat desselben abläuft und demgemäß die Neuwahlen angeordnet werden. Deshalb ihre immer wieder erneuerte Behauptung, cs werde schon in diesem Herbste die Auflösung des Reichstages und Ausschreibung von Neuwahlen erfolgen, obwohl bei ein wenig Machdenken Jeder sich selbst sagen könnte, daß doch wahrlich kein Grund vorliegt, einem Reichstage von so glänzend bewiesener Leistungsfähigkeit das Dasein ohne zwingendsten Grund vor der Zeit abzuschneiden. Und es wird auch den Gegnern außer ordentlich schwer, diese große, erfolgreiche, schöpferische Wirksamkeit einfach mit den abgedroschenen Redensarten von der herrschenden Reaction abzuthun. Das findet nachgerade bei den schlichtesten Wählern Widerspruch und Zu rückweisung. Ein Vergleich der Leistungen des demnächst zu Ende gehenden Reichstagesmit derThatlosigkeit und Schaffensunfähigkeit der vorangegangenen muß aufs Ueberzeugendste lehren, daß nur eine Volksvertretung, wie die gegenwärtige, in welcher die positiven, zugleich erhaltenden und fortschreitenden und vor allen Dingen schöpferischen Reformen fähigen Elemente dasUeber- gewicht besitzen, die Gewähr bietet, daß unsere Reichscinrichtungen sich in gedeihlicher Weise entwickeln, anstatt einer unheilvollen Stagnation anheim zufallen. Das werden sich wohl auch die meisten Wähler sagen, wenn sie berufen werden, einen neuen Reichstag zu bilden. Durch die Blätter ging jüngst die Nachricht, wonach zahlreiche preußische Offiziere die Pariser Weltausstellung hätten besuchen wollen — natürlich in Civil — daß aber der Kaiser, welcher aus Urlaubsgesuchen von dieser Absicht Kenntniß erhalten habe, den Offizieren den Besuch der Ausstellung streng verboten habe. Von anscheinend offiziöser Seite wird nun in der „Köln. Ztg." diese Nachricht in der vorliegenden Form als falsch bezeichnet, dagegen als richtig zugegeben, daß seit der Spionenriecherei und dem Erlaß des Spionagegesetzes in Frankreich preußischen Offizieren überhaupt das Betreten Frankreichs streng verboten sei. Die deutsche Re gierung habe als Beweis ihrer großen Friedensliebe diese Maßregeln ge troffen, damit jede Gelegenheit genommen werde, die aus Anlaß jener fran zösischen Krankheit zu einem ernsteren Zwischenfalle führen könnte. — Daß den preußischen und deutschen Offizieren überhaupt nicht nur der Besuch der Pariser Weltausstellung, sondern auch jedes Betreten französischen Bodens nachdrücklich verboten worden ist, kann man gewiß nur voll billigen, denn zu welchen ernsten Zwischenfällen es führen könnte, wenn jenseits der Vo gesen ein deutscher" Offizier als „Spion" „aufgegriffen" werden würde, braucht wohl kaum erst des Näheren ausgeführt zu werden. Uebrigens wird aus Paris schon wieder die Verhaftung eines deutschen Spions, Namens Paul Bonninger, gemeldet, der vermuthlich nichts weiter als ein harmloser und vielleicht etwas unvorsichtig ausgetretener deutscher Vergnügungsreisender ist. Den Beweis, daß die gestiegenen Brodpreise den erhöhten Ge treidezöllen nicht zuzuschreiben sind, erbringt der diesjährige Jahresbericht der Leipziger Gewerbekammer vollständig. Die Bäckereibesitzer äußern sich darüber wie folgt: „Als vor einigen Jahren die ersten Getreidezölle ein geführt wurden, waren dieselben nicht im Stande, das stetige Fallen der Getreidepreise aufzuhalten, so daß bis kurz vor Einführung der neuen Zölle Roggenmehl mit 8,50—8,75 M. pro Centner verkauft wurde und der Brotpreis durchgängig bis 9 Pf. pro Pfund — 8 Pf. an Wieder verkäufe! — herunterging. Die neuesten Zölle hätten nun wohl ein weiteres Sinken der Getreidepreise aufgehalten, würden aber nach eingetretener Be ruhigung der Börse eine direkte Erhöhung dieser Preise nicht bewirkt haben. Daß die Börse die Zollgerüchte und Zollverhandlungen zu einem Hinder niß von wenig Güte ausnützte, übte auf die Preise des Brotes gar keinen Einfluß aus. Eine wirkliche Steigerung trat erst dann ein, als nach allen Berichten nicht mehr daran zu zweifeln war, daß die Jahresernte hinter einer sogenanten Mittelernte wesentlich zurückgeblieben war. Uebrigens haben wir wohl etwas erhöhte, aber keineswegs wirklich hohe Brotpreise, da hier und in der Umgegend 11V- Pf- pro Pfund als Ausnahme zu betrachten ist, wogegen 11 und 10^ Pf. pro Pfund die gewöhnlichen Sätze sind." Die finanzielle Stellung der Bäcker gegenüber den höheren Brotpreisen anlangend, so wird weiter betont, daß diese sich gegenwärtig wesentlich ungünstiger gestaltet als früher, wo das Pfund Brot mit 2 Pf. billiger verkauft werden konnte. Es ist dies aber, wie schon erwähnt, nicht den Zöllen, sondern in der Hauptsache der geringen Ernte zuzuschreiben. Das Programm des Besuches Sr. Maj. des Kaisers in England ist, der „Frkf. Ztg." zufolge, endgiltig festgestellt, soweit die englischen Behörden in Betracht kommen. Kaiser Wilhelm wird fünf Tage in England zubringcn, auf dem Landschloß Osborne am Abend des 2. August anlangen nnd am darauffolgenden Donnerstag früh wieder die Heimreise antreten. Die Inspektion der Flotte wird den ganzen Sonn abend in Anspruch nehmen. Die Königin von England wird an der Fahrt durch die in zwei Reihen aufgestellten Kriegsschiffe nicht theilnehmen, sondern von einem Pier aus dem großartigen Schauspiel zusehen. Am Sonntag ist Ruhetag. Montag wird den Dockyards und den Werften von Portsmouth gewidmet, am Dienstag geht's nach Aldershot und am Mittwoch zur Regatte in Cowes. Der Kaiser wird zum Ehrenmitglied des königl. Dachrgeschmaders ernannt werden. Er wird an einem Tage mit dem Prinzen von Wales im Schloß Osborne diniren und ein zweites Mal mit dem Thronfolger und der Prinzessin an Bord der Dacht „Os borne" speisen. Zu den Gästen, welche zur Revue erwartet werden, gehört der König von Griechenland und auch der Schah von Persien ist einge- ladcn worden. Skandale üder Skandale weisen die letzten Sitzungen der Deputirten- kammer in Frankreich auf. Am Freitag fand in den Wandelgängen eine unerhörte Prügelscene zwischen den Abg. Laur (Boulangist) und Thom son (Republikaner) statt. Laur hieb seincn Gegner mit einem Stock über den Rücken, und wurde darauf von Thomson mit einem Dutzend kerniger Ohrfeigen bedacht, zu Boden geworfen und mit Füßen getreten. Freunde des Ueberwundcncn stürmten nun auf Thomson los, der ebenfalls Beistand erhielt, und die beste Schlägerei war im Gange, bis schließlich Laur seinem erbitterten Gegner entrissen wurde. Man führte ihn zum Kammerarzt, der feststellte, daß er braun und blau geschlagen, aber nicht ernstlich ver letzt war. Am Sonnabend wechselten Laur und Thomson zwei Kugeln auf gute Entfernung. Verletzt wurde niemand. Am Sonnabend wurde mit 304 gegen 229 Stimmen der Gesetzesantrag angenommen, daß jeder mit Gefängniß bestraft werden soll, der sich in mehr als einem Wahlkreis als Kandidat aufstellen läßt. Dieses gegen Boulanger gerichtete Ausnahme gesetz war aber einem Theile der Radikalen doch zu unrepublikanisch und sie stimmten mit den Monarchisten dagegen. Vor Schluß der Sitzung gab es dann neuen Lärm. Der Boulangist Le Herisse wurde wegen Wi derstandes gegen die Anordnungen des Präsidenten von der Sitzung aus geschlossen, weigerte sich aber, die Rednertribüne zu verlassen. Der Prä sident rief darauf, was noch niemals damals dagewesen ist, den Kapitän derKammcrwachemiteinemhalbenDutzendSoldateninden Saalundder Offi zier forderte mit gezogenem Degen den Widerspenstigen auf, die Tribüne zu räumen. Le Herisse antwortete, er werde nur der Gewalt weichen. Der Kapitän bestieg nunmehr die Rednertribüne, legte seine Hand auf Le Herisfes Schulter und nun erst ließ dieser sich von den Soldaten aus dem Hause bringen. Durch diese Skandale ist die ursprünglich für letzten Sonnabend in Aussicht genommen gewesene Schließung der Kammersession auf die ersten Tage dieser Woche verlegt. Am Montag haben Boulanger und Genossen die Anklageschrift in ihrem Prozesse und die Vorladung vor den Senat als Staatsgerichtshof erhalten. Paris, 17. Juli. Die Morgenblätter veröffentlichen die gegen Boulanger erhobenen Anklageakte. Der Inhalt derselben entspricht den be reits aus dem „Tcmps" gemeldeten Mitteilungen und zählt alle einzelnen dem Anklagten zur Last gelegten Handlungen auf, die derselbe vom Jahre 1882 ab, sowohl während seines Kommandos in Tunis, wie während seiner dienstlichen Thätigkeit in Paris und Clermont begangen haben soll. Jnbesondere wird ihm die Aufwiegelung der Armee, sowie die Bestechung von Beamten zum Vorwurf gemacht. Sie beschuldigt Boulanger, seit 1882 seinem Ehrgeiz die Zügel schießen gelassen zu haben. Seit 1884 habe er abgestrafte Leute als Geheimagenten unt-rhaltcn und Zeitungen beeinflußt. In seiner tunesischen Befehlshaberzeit habe er sich mit einem seiner Geheimagenten in ein Trinkgeld von 210000 FrcS getheilt, wofür er ein Kaffeepräparat zur Annahme für's Heer empohlen habe. Als Kriegs minister habe er zur Unterstützung von Zeitungen 242693 Frcs. verwendet, die er den Geheimgeldern entnommen habe, aus denselben Mitteln habe er sich für 60000 Frcs. neu einrichten lassen, dem von ihm gegründeten Offizierkasino 140000 zugewendet, um Einfluß aufs Offiziercorps zu er langen rc. Die Straßenunruhen im Juni 1887, die Lärmauftritte im Lyoner Bahnhofe und am 1887er Nctionalfeste werden Boulanger zur Last gelegt, ebenso soll er in der bekannten geschichtlichen Nacht vom 2. Dezember 1887 den Marsch aufs Ely sie geplant haben. Die Anklage schrift fragt, woher Boulanger das Geld nehme, findet aber keine Antwort; sie stellt blos fest, daß Boulanger 1888 1275 eingeschriebene Briefe be kommen habe, darunter 118 aus dem Auslande, auch einen aus Deutsch land. Schließlich soll er Soldaten zum Abfall vom Gehorsam verleitet haben, was dadurch bewiesen wird/ daß eines Tages ein Unbekannter zwei Infanteristen in ein Wirthshaus geführt und ihnen beim Wein das Ver sprechen abgenommen habe, gegebenen Falls nicht auf Boulangisten zu schießen. Aus all diesen Gründen ist Boulanger mit Genossen der Ver schwörung und des Anschlags mit einem Beginne zur Ausführung bezich tigt. Nach zweimaliger Zustellung in einem Abstande von je zehn Tagen