Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 25.09.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-09-25
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020925015
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902092501
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902092501
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-09
- Tag 1902-09-25
-
Monat
1902-09
-
Jahr
1902
- Links
- Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug--Preis i» der Hauptrrpeditio» oder de» tm Stadt» bezirk »ad de» Vorort«, «rnchtete» >»» gabestelle» obgeholt: vürteljShrltch ^S 4.SV» — zweimaliger täglicher goftrll»»g tag Hau« ^l 5.50. Durch die Poft bezöge» für Deutlchload » Oesterreich oterleltfthrltch^ss^ für dt« übrige» Länder laut ZeÜmrgspreisUst«. LeLartion vnL Erve-Mo«: IohanntSgaffe 8 Fernsprecher 153 and SLL Ftlt»levP»dtttM»e»» Alfred Hahn, Bachhaadlg, KatversitLt«-r.S^; L. Lisch«, Lathart»e»ftr. ». KSai-Spt. Havpt-Filiale drer-esr btrehle»erftraß« S» FerAsprocher »M I Ar. 171». Haavi-Filiale Serli«: KüatggrLtzerstrat» »10. Senljprecher »«1 VI «r. SSÜS. srr M. Morgen-Ausgabe. Mpuger TllgMM Ätnzeigeu-Preis die 6 gespaltene Petttzeile 25 H. Reklame« anker dem RedaclionSstrlch (4gespalten) 75 vor den Faintltrnnach- richteo (6 gespalten) SO L,. Tabellarischer und Ziffernsap entsprechend höher. — Gebühren sür Nachweisungen und Offertenannahme LS (excl. Porto). Erkra »Beilagen (gesalzt), nur mit der Marge» »Au»aab«, ohne Pastbrsörderuag 60.—, mit Postbesürderiutg ^ll 70.—. Anzeiger. Ämtsölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Donnerstag den 25. September 1902. Anvahmeschlaß für Anzeigen: Aboad-AnSgab«: vormittag« »0 Uhr. M* *eg«».Lu4gab«r Nachmittag« 4 Uhr. Anzeige» sind stet« au di« Expedition zu richten. Dir Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bl« Abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 9K. Jahrgang. Magyarischer Chauvinismus. I-. Während in Agram die zwei Brnüernationen, Kroaten und Serben, weil sie sich in ihren Blättern ihre ehrgeizigen Zukunststrüume kritisirten und schmälerten, unter LchreckenSthaten der Revolution aufeinander prallten, geht eö in dem eigentlichen Ungarn in den magya rischen und deutschen Zeitungen nicht weniger heiß her. Wenn man gerade in letzter Zeit diese gegenseitig sich be fehdenden Artikel liest, meint man nicht selten, auch hier am Vortage revolutionärer Ausbrüche zn stehen. Im Banat und sonst haben die deutschen Blätter einen schärferen Ton angeschlagen; die Folgen davon sind die be kannten letzten schwurgerichtlichcn Verurtheilungen ge wesen, die wohl die magyarische Regierung in überragen der Gewalt zeigen, aber im Herzen der Nationalitäten er bitternd lange nachwirken werden. Denn über die Straf barkeit -er incrimintrten Artikel und Gedichte kann man je nach der Beschaffenheit klarer und weniger klarer Ueber- legung sehr verschiedener Meinung sein. Nichtsdestoweniger aber, obwohl jetzt manches Müthchen gekühlt sein könnte, fahren die magyarischen Zeitungen fort, sich in der rück sichtslosesten Weise mit den Nationalitäten zn beschäftigen, und unter diesen ist diedeutsche die zumeist auserlesene. Man fragt sich mit Recht, was hierfür die Ursache ist. Jedenfalls reizt den Magyaren in dem deutschen Elemente die höhere und daher gefährlichere Intelligenz, und er glaubt, sie mit Fußtritten aus der Welt zu schaffen. So ist denn das Bild gegenseitigen Verhältnisses auch in Ungarn ein durchaus unfreundliches. Mit den Sachsen sind die Magyaren längst im Reinen. Daß in letzter Zeit aber auch die Schwaben im Banat und sonst, aufgerüttelt durch die verschiedensten Einflüsse, sich regen, hat die herrschende Nation anS Rand und Band gebracht. Und doch ist es ja auch bei den Schwaben nichts Anderes, was lebendiger wird und seine Ansprüche macht, alS das nationale Bewußtsein, die Erinnerung daran, daß man neben der Erfüllung der Staatsansprüche doch auch seiner Nation etwas schuldig ist. Weder dem Sachsen, noch dem Schwaben fällt eS im Geringsten ein, sich empörend loszulösen von Ungarn; Beide erkennen sie rückhaltslos die Rechte des Staates an, auch mit Bezug auf dessen Sprache, so bald dabei nur ihr nationales Leben den nöthigen Raum für seinen Bestand behält. Auch die so genannten „Agitatoren" im Banat stehen in ihren Zei tungen auf diesem Standpunkte. Und doch wendet sich in letzter Zeit gerade gegen sie die ungezügeltste Wuth der magyarischen Chauvinisten, weil sie eben inmttten der bisher lautlosen Schwaben wirken und deren Empfin dungen Ausdruck verleihen, was bislang in dieser Frei- müthigkeit nicht dagewesen ist. Wie ein Schreckgespenst schreitet berAlldeutschcBerband durch die magya rischen Blätter, und man meint, nichts Geringeres fürchten zu sollen, als er werde Ungarn in den Grund Vohren, und deshalb müsse der Magyare sich rechtzeitig mit rücksichts loser Gewalt schützen. Dazu wird in der That außer den Zeitungen und den^Ge- richtsverhandlungen jede andere Gelegenheit weidlich aus genützt. Jüngst hat der jetzige Präsident des Abgeordneten hauses. Graf Albert Appvnyi, zwei landwirth- schaftliche Ausstellungen in diesem Sinne auszuwerthcn versucht. Er erschien in Lovrin und Werschetz im Banal und zog dort los gegen die sogenannten „falschen Pro pheten", die die bisher so patriotischen Schwaben der magyarischen Nation abtrünnig machen wollen, indem sie fort und fort sagten: „Wir sind gute Ungarn; aber wir lassen nns nicht rütteln an unserem deutschen Volksthum, an unserer Zugehörigkeit zu dem großen deutschen Volke und an unserer deutschen Sprache." Dieses: Aber! DaS sei gerade so, meint Appvnyi, als wenn Jemand spreche: „Ich bin ein guter Ehemann; über ich schiele zu dem Weibe des Nachbarn!" In den Revoluttonsjahren hätten die Schwaben in den Reihen der Magyaren gekämpft und seien auf diese Weise mit denselben zu einem Volke zu sammengewachsen. Die Zugehörigkeit zu einem Volke drücke sich in der Erinnerung der Vergangenheit, in der Geschichte aus, aber in einer Geschichte beS Lebens, wie eben erzählt, nicht, wie man sie ans Büchern in der Schule lerne. Als ob diese gedruckte und in der Schule gelehrte Geschichte eine andere wäre, als die, die sich, soweit sie nicht gefälscht ist, mit wirklichen Er eignissen beschäftigte! Hieran aber denkt der heißblütige Redner tm Augenblicke nicht; er fährt fort: „Und die euch anders predigen, verderben euch die Gegenwart und auch die Zukunft! Habt ihr jemals einen Menschen gesehen, der seine Religion verwarf und diese nicht mit dem Wirt Hs Hanse vertauscht hätte? Wer sich mit seiner Familie zerwirft, geht ebenfalls ins WirthshauS. Und jene falschen Propheten sind ebenso — verzeiht mir den Ausdruck — verlumpt. Deshalb hinaus mit jencnfalschen Propheten, die die Zukunft unserer Kindcskinder vernichten, die bestrebt sind, zu unterminiren. Brüder sind wir alle alstrcuc ungarische Patri oten!" So versucht man nun das äußerste Mittel neben der Ge walt, den ungarländischcn Deutschen gegen die eigenen Nationsangehörigcn zu verhetzen; und doch sind auch in dem Auftreten Appouyi's, wie in dem Verhalten der Ma- gyaren zn den Nationalitäten Widersprüche zu finden. WaS auf allen diesen Ausstellungen, die derzeit in Ungarn die Aufmerksamkeit aus sich ziehen, hervorragt und glänzt, ist die Arbeit deutschen Fleißes in Ungarn. Appvnyi selbst ist in einem deutschen Jesuitenkloster erzogen wor- den, er hat eine Deutschezur Frau, und in seinem stock- magoarischen Hause spricht man — deutsch! Deutsches Reich. U Berlin, 24. September. (Vereinheitlichung der Arbeiterversicherungsorganisation.) In neuerer Zeil ist von verschiedenen Seiten der Gedanke der Ver- embeülichnng der ArbeiterversicherungSorganisaiion erörtert worden. Wie bekannt, bat diese Idee vor einigen Jahren, als man die inzwischen durchgeführte Revision der Invaliden- und der Unfallversicherung plante, auch in behördlichen Kreisen eine Rolle gespielt. Höhere Beamte befaßten sich mit der Ausarbeitung von Projekten auf diesem Gebiete, aus der Verwirklichung der Jvee ist aber nichts geworden. Daß die jetzige Arbeiterversicherungsorganisation Mängel bat, wird Niemand verkennen, aber auch eine ein heitliche Organisation würde davon nicht frei sein. Hätte man vor dem Beginn der socialpolitischen BcisicherungSgesetz» gebung eine einbriiliche Organisation ins Äuge gefaßt, vielleicht wäre eS möglich gewesen, sie so zu gestalten, daß die that- sächlichen Bedürfnisse voll befriedigt worden wären, vielleicht auch nicht. Man darf nämlich nicht vergessen, daß die Grundlagen der drei großen ArbeiterversicherungSzwei^e, wie sie in Deutschland bestehen, von einander völlig verschieden sind. Am deutlichsten kommt diese Verschiedenheit m der Bestreitung der Versicherungskosten zum Ausdruck. Während in der Krankenversicherung Arbeiter und Arbeitgeber die Kosten decken, bringen die Arbeitgeber allein die Beiträge sür Vie Unfallversicherung auf und bestreiten bei der Invaliden versicherung Arbeitgeber, Arbeiter und das Reich die Ausgaben. Die jetzige Organisation ist auf dem allein richtigen Grund sätze der Bemessung teS AntheilS an der Verwaltung nach dem Pflichtenumsanze aufgebaut. Ob dies innerhalb eine« einheitlichen Organisationsrahmens überhaupt möglich sein würde, ist doch sehr fraglich. Es giebt eben auch Gesetz» gebungSgebiete, auf denen die Einheitlichkeit der Organisation durchaus nicht ihre zweckmäßigste Form ist. Dazu kommt, daß — abgesehen von den schon erwähnten Mängeln — die revi- dirten Organisationen bei der Unfall- und der Invaliden versicherung sich im Allgemeinen bewährt haben; bei der Krankenversicherung ist ihre Umgestaltung ja schon seit längerer Zeit in Aussicht genommen. Es liegt demgemäß kein zwingender Grund vor, an eine allgemeine Umgestaltung heranzutreten. Nach dem die Revisionen der Unfall- wie der Invalidenversicherung vorgenommen sind, ohne daß das Problem der einheit lichen Organisation der Arbeiterversicherung seine Lösung gefunden hat, dürfte für absehbare Zeit kaum daran zu denken sein, daß die Erwägung der Ausführung des Ge dankens von maßgebenden Stellen wieder ausgenommen würde. In RegierungSkreisen ist da? Projekt fallen gelassen und daß eS von parlamentarischen Kreisen ausgenommen werden würde, ist wohl kaum anzunebmen. Man wird deö- kalb schon, wenigstens für die nähere Zukunft, mit der Verschiedenheit der Organisation der Arbeiterversicherung wie mit einer nicht zu ändernden Thatsache rechnen müssen. /?. Berlin, 24. September. (Organisirte Streik brecher.) Zwischen den „Centralisteu" und den „Loca- listen" der socialdemokratischen Gewerkschaften herrscht wieder einmal eine heftige Fehde. Sie hat ihren Ur sprung in der immer noch nicht auSgerotteten Abneigung eines TheileS der Arbeiterschaft gegen die gewerkschaftlichen Eentralorganisationen. Diese Abneigung bat in Berlin nach vorübergehender Auflösung des alten Localvereins der Töpfer zur Ausbildung einer localen Töpserorganisalion geführt, die bei der ersten Gelegenheit den centralorganisirten Töpjern als Streikbrecher gegenübertrat. Die Central ¬ organisation der Töpfer nämlich batte gemeinsam mit den Meistern die Frage der Arbeitsnachweise im pari tätischen Sinne geregelt und daraufhin den Beschluß gcfaß:, alle Arbeitgeber, die den Arbeitsnachweis umgingen, zn sperren, sowie die Durchbrechung der Sperre von Seiten der Arbeiter dem Taris- und Ctreikbruch gleich zu achten. Trci - dem stellten die localorganisirten Töpfer dem ersten gc sperrten Arbeitgeber Eisatzkräfle zur Verfügung. Die Berliner GcweiklchastScommission hat da- Verhalten der Localorgani sirten scharf getadelt, und zugleich wurde in der Debatte darüber die svcialdemokratische Presse getadelt, weil sie ihren Raum den Localorganisirten wie den centralen Gewerkschaften zur Ver fügung stellt. DaS Letztere geschieht offenbar aus GeschättS- rücksickten. Wenn nunmehr auch das Organ der centralen Gewerkschaften die slreikbrcchenden Töpfer als außerhalb ter classenbewußten Arbeiterschaft stehend bezeichnet und ihnen den Namen „Genossen" aberkennt, so werten sich Lie „Localisten" hierdurch wobl ebensowenig beeinflussen lassen, wie früher bei ähnlichen Anlassen durch gleiche scharfe Rügen. * Berlin, 24. September. (Tas Ncformfchul- wesen.) Nach einer in der „Monatsschrift für höhere Schulen" erschienenen, von Professor' Dr. Viereck ver faßten Uebersicht über den Bestand der R c f o r m s ch u l c n am I. Juni 1W2, wird das Altonaer System durch 10 und das Frankfurter durch 40 Anstalten vcr treten. Während es 1800 nur 3 Reformschulen gab, ist deren Zahl jetzt schon auf 50 gestiegen. Die Vorzüge des Frankfurter Lehrplans vor dem Altonaer erklären die starke Zunahme der Reformschulen nach Frankfurter Art. Der Beginn der einzelnen Fremdsprachen nach einem größeren Zeitraum — zu dem Französischen der drei unteren Classen tritt in Unter III das Lateinische als zweite Fremdsprache und erst in Unter II das Griechische und Englische, — und die größere Mannigfaltigkeit in der Ver bindung der verschiedenen Schularten kommen dabei be sonders in Betracht. Während nach dem Altonaer Lehr plan nur eine Verbindung des Realgymnasiums mit einer Neal- oder Oberrealschule eintrelen kann, bietet der Frank furter außerdem die Möglichkeit, das Gymnasium mit einem Realgymnasium, wie in Hannover, Breslau, Karlsruhe, oder mit einer Realschule, wie in Charlottenburg, So lingen, oder mit einer Oberrealschule, wie in Schöneberg, zu verbinden. Man kann auch umgekehrt an eine Real anstalt eine humanistische anschließcn, wie in Rheydt und in Weinheim i. B. Die letzte Anstalt kann auch dafür als Beleg gelten, daß alle drei Lchulgattnngen sich vereinigen lassen. Als die geeignetste Verbindung ist diejenige einer Lateinanstalt mit einer Realschule anzuschen, weil sie auch allen denjenigen Schülern, die kein Latein lernen wollen oder können, Gelegenheit bietet, sich auf einer ihren Be dürsnissen entsprechenden Anstalt die erforderliche geistige Ausbildung anzucignen. Von den 50 Reformschulen ist bei 32 diese Verbindung gewählt worden. Selbstständige oder mit eirier realistischen Anstalt verbundene Gymnasien wer den 13 gezählt. Bis jetzt sind in zehn deutschen Bundes staaten Versuche mit dem Reformlehrplan angestellt worden. Feuilleton. Schlachtfest und Wurstbereitung. Plauderet von B. Ohrenberg (Breslau.) ac tm» verboten. „Das Schwein ist die Nährmutter unserer Landwirthe." Mit dieser Redeblüthe erheiterte einst ein bekannter Par lamentarier die Landboten im Abgeordnetenhause. Diese geflügelten Worte haben jetzt für die Züchter der nützlichen Borstenthiere aktuelle Bedeutung gewonnen; denn kein Zweig deS landwirthschaftlichen Gewerbes ist heute so gewinnbringend, wie rationell betriebene Schweinezucht. Aber die fortwährend steigenden Fleisch preise, durch die uns das Schweinefleisch, Schinken, Wurst und Speck immer theurcr werden, erwecken die berechtigte Sorge der Consumenten. Wer von den Lesern schon zu den „alten Herrn" gehört, wird sich mit Sehnsucht jener Zeit erinnern, wo ein saftiger Schweinebraten noch nicht den metallischen Beigeschmack hatte, wie jetzt. Die oft verspottete „gute alte Zeit" hatte in materieller Beziehung ihre großen Vorzüge. Noch in der Mitte -eS vorigen Jahrhunderts herrschte der löbliche Brauch, daß Bürgersleute, die Haus und Hof besaßen, ein Schweinchen für den Hausbedarf mästeten. Bedächtig und voll Sachkenntniß feilschte der Hausherr mit dem Händler um den Preis deS kleinen grunzenden seine Verherrlichung der kulinarischen Genüsse durch die Verse: „Wenn solch ein Fleischlein zart und mild Im Kraute liegt, das ist ein Bild Wie Venus in den Rosen; Und wird von schönen Händen dann Das schöne Fleisch zerlegt, Das ist, was einem deutschen Mann Gar süß das Herz bewegt." Früher lebten selbst einfache und wenig begüterte Familien wett mehr aus dem Vollen, es herrschte allge mein fröhliche Gastfreundschaft und Niemand knauserte. Wenn jetzt die Großmama, die aus einem ländlichen Pfarrhofe stammt, ihrer Enkelin in der Großstadt er zählt, wie reich der Vorrath in Rauchfang und Speise kammer an Schinken, Speckseiten und Würsten war, so glaubt Letztere ein Märchen aus dem Schlaraffenlande zu hören. Bei den kleinbäuerlichen Grundbesitzern wird das Schwein oft besser gehegt wie die eigenen Kinder, und das Schlachtfest wird zu den Familienfesten gerechnet. Der hart arbeitende Bauer, der meistens sehr sparsam lebt und sich selten einen guten Bissen gönnt, macht beim Schweine schlachten eine Ausnahme; er zeigt sich sogar freigebig und beschenkt die Nachbarn mit Schüsseln voll dampfender Würste; aber er thut es nur, weil er sehr wohl weiß, daß ein gutes, altes Sprickwort: „Wurst wider Wurst" noch immer volle Geltung hat. Ferkels, daS dann, bewundert und geliebkost, in seinen Stall geleitet wurde. DaS possirliche Rüsselthier erfreute sich nun der größten Sorgfalt und Pflege; nicht nur die Hausfrau hatte ein wachsaures Auge für sein Wohl ergehen, sondern auch sümmtliche Kinder, Muhmen und Basen nahmen an seinem Gedeihen, sowie dem Appetit stets die aufrichtigste Theilnahme und geriethen in Arss- rcgung, wenn das liebe Schweinchen unpäßlich wurde. Zu einem wichtigen Ereigniß gestaltete sich das Schlachtfest. Schon viele Wochen vorher musterte die Hausfrau prüfenden Blicks den wohlgerundeten Leib des Opferthieres und schätzte dessen Ergiebigkeit. Wenn dann der Spätherbst mit seinen rauhen Winden und trübseligen Nebeltagen die Menschen wieder dauernder an das trau- liche Heim fesselte und geselliger machte, kam endlich der langersehnte Tag, an dem zartes Wellfleisch und delikate Wurst im Kessel dampften. Es galt als selbstverständlich, daß auch die getreuen Nachbarn am Schlachtfest theilnähmen, und ein beliebter Scherz war, daß die Einladung lautete: „Der Gast wird zu einer Schüssel Sauerkraut geladen, durch das eine Sau gelaufen ist, die ihre Füße darin gelassen hat". Selbst geistreiche Männer, wie zum Beispiel der Dichter Uhland, erfreuten sich mit großem Behagen an einem der. artigen Schmaus« i« trauten Freundeskreis«, daS beweist DaS Schwein galt schon in uralter Zeit als Symbol der Fruchtbarkeit und für glückbringend; bei den Festen, die zur Zett der Wintersonnenwende von den nordische» Völkern und -en heidnischen Germanen mit großer Pracht gefeiert wurden, war daS vornehmste Gericht ein gcbra- tener Eber. Unsere Weihnachts- und Sylvester-Feier wird jetzt noch im Norden das „Julfest" genannt, und der Juleber prangt noch auf den Tafeln der Reichen, während sich die ärmeren BolkSclassen mit einem Gebäck begnügen, das die Gestalt eines Ebers hat. Dem Schwein wurde in vorchristlicher Zett sogar die Ehre erwiesen, den gefallenen Helden, die mit Odin in Walhalla tafelten, als Speise zu dienen. Demnach ist die Beliebtheit des Schweinefleisches auS grauer Vorzeit herzuleiten, und schon im frühen Mittel- alter waren Sauerkraut und Wurst Nationalspeisen der Deutschen, die weder auf dem einfachen Mittagstisch deS Bürgers noch auf fürstlicher Tafel fehlten. Elisabeth Charlotte, die Tochter des Kurfürsten Karl Ludwig von der Pfalz, eine Prinzessin von urwüchsigem kerndeutschen Wesen, klagt in manchem originellen Briefe darüber, daß sie am Hofe ihres Gemahls, deS Herzogs von Orleans, daS geliebte „Sauerkraut mit Bratwurst" entbehren müsse. Auch „Erbssuppe mit Schweinsohren" ist ein schmack haftes Gericht, das sich großer Beliebtheit erfreut. Die Ohren hat man früher nicht bei den Mahlzeiten verwer- thet; auf welche Weise sie zur Anerkennung gelangten, wird in einer alten Chronik erzählt, wie folgt: Kaiser Karl IV. kam ernst mit seinem Gefolge hungrig und durstig von der Jagd und kehrte im Kloster Lehnin ein, wo er hoffte, ein gutes Mahl zu erhalten. Da kamen die Mönche in große Verlegenheit und wußten nicht, wie sie den hohen Gast in würdiger Weise bewirthen sollten, denn ihre Borräthe waren sehr knapp. In dieser Noth gab ein witziger Iraker dem Küchenmeister den Rath, allen Schweinen im Kloster die Ohren abzuschneiden und diese in Erbsmus zu kochen; — so geschah es auch. Der Kaiser fand das neue Gericht sehr wohlschmeckend und über häufte den Erfinder, Dietrich Kogelwild, nrit Gunst und Ehren. Wenn die Chronik wahr berichtet, so ist dieser Mönch später Erzbischof von Magdeburg geworden, und unter seiner Negierung gelaugte der dortige Dom zur Vollendung. * * * Der Brauch, gehacktes Fleisch, die Leber des Schweins un>d dessen Blut, mit Speckwürfeln und Gewürz ver mischt, in Därme zu füllen, ist uralt. Das deutsche Wort „Wurst" ist auf daS römische „karoimon" zurückzuführen, von dem sich auch das französische „larc-o" herlettet. Die altrömische Küche bevorzugte die mit Knoblauch gewürz.e Wurst. In Deutschland waren die ältesten bekannten Sorten! die Leber- und die Blutwurst. Wie volksthümlich die Wurst als schmackhaftes un billiges Nahrungsmittel zu allen Zeiten war und noch ist, beweist der Umstand, daß kein Volksfest und kein Jahr- markt stattfindet, bet denen nicht die Wursthändler ihre Kessel aufstellen, die stets brodeln, und deren Dämpfe einen mehr oder minder verlockenden Duft verbreiten. Ein alteS Sprichwort sagt: „Die Wurst ist verschwiegen", und daS ist bei der Jahrmarktswaare ein Glück für die vielen schmunzelnden Käufer, die mit beneidenSwerthem Appetit in die Würste beißen, die für sie eine Delikatesse sind. Die Schmackhaftigkeit der Würste hängt bekanntlich sechr von dem Gewürz ab.daS bei der Bereitung verwen det wird. Im Mittelalter gebrauchte man außer dem üb- lichen Salz und Pfeffer, Gewürznelken, Majoran und Knoblauch noch Fenchel, Rosmarin, Muskatnüsse, Zinnnet und Safran. Im 17. Jahrbundert fabricirtcn die „Wurster^ sogenannte Hühnerwürste, deren Füllung aus zartem Kalb- und Hühnerfleisch bestand; als Zuthat nahm man Milch, die mit Zimmet gewürzt war, und parfüinirte dann die Waare mit MoschuS und Ambra. Bezeichnend für die derbe Ausdruckswetse, die in früheren Jahrhunderten herrschte, sind die für Wülste üb lichen Namen „Daumagen" und „Sannudel"; fremdartig klingen für unfer Ohr auch „Plunze" und „Schiebung . Außer Knackwurst, Brat-, Leber-, Blut- unid Nothwurst bereitete man noch Commiß-, Schwarz- und Rvsenwurst; ferner Schlack- und Mettwurst; die letzten beiden Namen find jetzt noch für geräucherte Daucrwaare üblich. Den deutschen Wurslfabrikauten gebührt der Ruhm, stets die vorzüglichste Waare geliefert zu Naben. Die Nürnberger Wurstküchen: das „blaue Glöcklein" an der Moritzcapelle, das „Hcrzle" im Herzgüßchcn am Herings markte, die „Himmelsleiter" und das „Jammcrthal" waren durch ihre delikaten Rbstwürste schon im Mittel alter berühmt; noch jetzt versäumt cs fast kein Besucher der alten ehemaligen Reichsstadt, im „Bratwurstglöcklc" zu frühstücken. Die Cervelatwürste von Gotha, Braunschweig, Göttingen haben Weltruf. Von den Würsten, die nicht zur Dauerwaarc gehören, seien Mainzer, Frankfurter und Wiener Würstchen genannt. In Schlesien sind Jauersche Bratwürste und Schömberger Würstchen beliebt. Frankreich produeirt in Lyon die schmackbaften „Sau- cissvns", nach denen unsere kleinen Saucischen benannt werden, und die berühmten Würste von Bayonne. In Italien liefert Verona vorzügliche „Salami dnri" und Bologna „Mortadella-Wurst", die als Würze die Beeren der Myrte bet der Zubereitung erhält. In Spanien sind die Garbanzos-Würstchen ein allgemein verbreitetes Nationalgericht. Der Volkswitz nennt Hie Wurst gern „Jc länger, je lieber"; dieses Wort scheint schon früher im Volksmnn" gelebt zu haben, das beweist jenes Wurstungebeuer, da von der Schlächterinnung zu Königsberg im Jahre 1601 gefertigt wurde und die ansehnliche Länge von lausend Ellen hatte. Die Niesenwürste spielten namentlich bei den Fast nachtsumzügen in der alten Zeit eine große Rolle, so wurde z. B. beim Schönbartlaufen der Nürnberger, ini Jahre 1658, eine Wurst im Triumph umhergetragen, die 658 Ellen lang und 514 Pfund schwer war. AlS Curiofum sei noch mitgetheilt, daß die harmlose Blutwurst einst Veranlassung zu einem strengen kaiser lichcn Erlaß gegeben hat. Leo VI., genannt der Philosoph oder der Weife, der von 886—0l2 über Makedonien regierte, gab im Jahre 8v>> seinem Unwillen über die Blut wurst sehr energischen Ausdruck. In der Verordnung wurde befohlen, daß Jeder, der Blut und Eingeweide wie in Säcke packt, zu Speife umschafst und solche aus Schlemmerei genießt, hart gegeißelt und bis auf die Haut gefchoren werden soll. Die Obrigkeit der Städte, die das frevelhafte Verfahren geduldet hatte, mußte ihre Nach lässigkeit mit 10 Pfund Goldes büßen. — Wie glück.ich dürfen >vir uns schätzen, an gastlicher Stätte, die der mit weißer Schürze behangene Stuhl verräth, eine leckere Blutwurst behaglich verschmausen zu dürfen, ohne von der Geißel und dem Scheermesser beS Häschers bedroht zu sein.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite