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ZchSnbnrger Tageblatt und Waldenburger Anzeiger Amtsblatt für den Stadtrath zu Waldenburg Freitag, den 18. August 1882 M1S1 3000 Mark Stiftungsgelder, 1650 Mark Stadtkassengelder und 1400 Mark Armenkasiengelder Alle Postanstalten, die Expedition und die Colporteure dieses Blattes nehmen Be stellungen an. Einzelne Nummern 8 Pf. Inserate pro Zeile 10 Pf., unter Eingesandt 20 Pf. Der Abonnementspreis betragt vierteljähr lich 1 Mk. 5« Pf. Erscheint »glich mit Ausnahme der Tage nach Sonn- und Festtagen. Beiträge sind erwünscht und werden eventuell honorirt. Annahme von Inseraten für die nächster scheinende Nummer bis Mittags 12 Ubr des vorhergehenden Tages. können gegen sichere Hypothek ausgeliehen werden. Waldenburg, am 16. August 1882. Der Stadtrath. Cunrady. *Waldenburg, 17. August 1882. Die vereinigte liberale Partei und der Parlamentarismus. Der aufrichtige Volksfreund könnte es gewiß zu frieden sein, wenn der bevorstehende Wahlkampf für den preußischen Landtag die nicht weniger als respektvolle Anschauung, welche der Reichskanzler vom deutschen Parlamentarismus hat, zum Besseren corrigiren würde; wenn es sich in Thatsachen zeigte, daß derselbe für unser Staatswesen doch etwas An deres bedeute, als lediglich engherziger Fractions- Particularismus, welcher von ein paar sich in klein lichster Eifersüchtelei bekämpfenden Parteiführern betrieben werde, denen je eine größere oder geringere Schaar auf die ausgegebene Parteiparole blindlings schwörender Mittelmäßigkeiten Heeresfolge leiste. Der Abgeordnete Haenel hat über diesen Punkt jüngst eine lange Rede gehalten, welche zu commen- tiren die Zeitungen aller Partelschattirungen nicht müde wurden, deren Spitze dahin ging, die großen Fractionen des Liberalismus, Fortschrittler, Secessio- nisten und Nationalliberale zu beschwören, ihren bis herigen Fractions-Particularismus und die gegensei tige Verhetzung, welche nur dem gemeinsamen Feinde — der Regierung — zu Gute komme, aufzugeben, und sich zu einer einzigen Partei des Liberalismus für die Durchführung des bevorstehenden Wahlkampfes zu organisiren. Anderenfalls, sagt Herr Haenel, hat der Reichskanzler Recht mit seiner Mißachtung des deutschen Parlamentarismus, und er hätte Recht, die politische Entwicklung des Reiches und speciell auch Preußens auf ein dictatorisches Regiment mit lediglich parlamentarischem Aufputz zu stellen. Unserer Meinung nach dürfte es aber, um letzterer Setbstverurlheilung zu entgehen, doch mit dem bloßen Zusammenschlusse der liberalen Fraktionen zu einer emzigen Partei und mit dem Aufgeben der separa- tlstischen Fractionspolilik allein nicht genügen, und dies inbvsondere dann nicht, wenn die Einigkeit auch über die Dauer des Waylkampfes hinaus vorhalten sollte, wogegen man sich freilich bereits jetzt, also von Vornherein auf allen Seiten verwahren zu müssen glaubt. Das Wesentliche, worauf es dabei ankommt, ist doch der Zweck, welcher mit dieser Vereinigung verfolgt und verwirklicht werden soll? Ueber diesen hören wir jedoch nichts Anderes, als daß es gilt für den Liberalismus ven Sieg über den gemeinschaftlichen Gegner, nämlich den Conser- valismus aller Schaltirungen, und im besten Falle damit auch die Regierungsgewalt zu erringen. Rück sichtsloser Kampf gegen Alles, was conservativ und regierungsfreundlich ist, lautet die Parole, mit wel cher die liberalen Fractionen sich zusammenschaaren sollten, und die Grundbedingung der Vereinigung müsse sein, daß in keiner Sache mit den Conser- vativeu oder einer Fraction derselben pactirt oder coalirt werden dürfe. Wie nun aber, wenn die Sache, welche vom Conservatismus oder einer Fraction desselben spe- zlellenfalls vertreten sein würde, eine Forderung des Gemeinwohles wäre. Die Herren Liberalen halten diesen Fall wohl für gar nicht möglich und eben auch heute noch, wie alle Ze« in dem lelbstgefälligen Glauben, daß nur sie allein wissen was dem Gemeinwohls Noth thut und daß nur sie allein für dasselbe zu sorgen und zu arbeiten befähigt sind. Dagegen sei Alles, was in dieser Beziehung von Seilen der Conservativen an Vor schlägen kommt, so ipso verwerflich, weil seinem Ursprünge folgend reactionär resp. freiheitswidrig! Letztere Meinung dürfte aber doch nicht Jedermann theilen, insbesondere heute nicht mehr, wo es klar am Tage liegt, daß der moderne Liberalismus, was speziell die Volkswirthschaft und Socialpolilik anbelangt, sich nicht bewährt hat, und daß die Beseitigung der durch den wirthschaftlichen Liberalis mus geschaffenen Mißstände nur von Seite der Conservativen oder der Regierungsinitiative erwartet werden kann, so lange der Liberalismus in doctri- närem Festhalten an seinen falschen Prinzipien leider sich daran nicht betheiligen will. Wenn nun für die künftig geeinigte liberale Partei als Bedingung der Einigkeit und als oberster Grundsatz die Opposition wider Alles, was von den conservativen Parteien und speziell auch von der Regierung ausgeht, ausgestellt wird und zwar eine Opposition lediglich des halb, weil die Sache von der politischen Gegenseite kommt, dann ist ein solches Verhalten doch wieder nichts Anderes, als eine auf die Person gestellte Parteipolitik, welche nicht durch das Gemeinwohl, sondern durch die politische oder wirthschaftliche Parteistellung bestimmt wird. Der von einer solchen Vereinigung unserer liberalen Fractionen verwirk lichte Parlamentarismus wird im Wesen wieder nur ein solcher sein, ffür welchen das particularistische Parteiinteresse maßgebend ist, während der Parla mentarismus als Form der Repräsenlativgesetzgebung Berechtigung nur besitzt und Achtung nur bean spruchen kann, wenn er eine Gesetzgebung schafft, welche mit Unterordnung aller einseitigen, politischen Parteiinteressen, nur die Forderungen der Wohlfahrt Aller und des Ganzen zum Ausdrucke bringt. Dadurch, daß die Liberalen dem Parteiwesen im Staate eine noch schroffere Gestaltung geben wollen, dürften sie kaum dahin kommen, den Staatsmännern eine bessere Meinung von der Tauglichkeit des Par lamentarismus für eine dem Gemeinwohls entspre chende Gesetzgebung beizubringen; viel eher dürfte dies dazu beilragen, endlich aller Welt die Augen über den eingebildeten Werth dieser dem wahren Volkswohle durchaus nicht entsprechenden Gesetz gebungseinrichtung zu öffnen. "Waldenburg, 17. August 1882. Politische Rundschau. Deutsches Reich. Fürst Bismarck, als Handelsminister, hat die Regierung beauftragt, Verzeichnisse der am Schluß des vorigen Jahres geltend gewesenen Ortsstatuten, betreffend das Kassenwesen der gewerblichen Arbeiter und der eingeschriebenen Hilfskassen ein zureichen. Namentlich soll hervorgehoben werden, welche Verpflichtungen die Ortsstatulen begründen und ob diese auf Grund des Reichsgesetzes vom 8. April 1878 neu errichtet oder an Stelle eines früher bestandenen Statuts getreten sind. Bei den Hilfs kassen soll die Mitgliederzahl aufgeführt, sowie der Nachweis geliefert werden, ob dieselben vorzugsweise für gewerbliche Arbeiter errichtet wurden, und im Fall der Bejahung, ob eine Beitrittsverpflichtung besteht. Für die bevorstehende preußische Landtagswahl candidirt Graf Wilhelm von Bismarck, der älteste Sohn des Reichskanzlers, in Rummelsburg in Pommern. Der dritte Verbandstag deutscher selbstständiger Buchbinder und Fachgenoffen hat am Sonntag in Berlin im Etablissement Buggenhagen seine Ver handlungeneröffnet. Erschienen Kassel, Dresden waren Vertreter der Innung von Breslau, Leipzig, Stettin, Frankfurt a. M., Gera, Glatz, Altenburg, Hamburg, Görlitz, Jena, Rendsburg, Weimar, Wittenberg, Zittau, sowie der Lausitzer Verband u. A.; außer dem waren Vertreter aus London, Rom und Stock holm anwesend. Aus den Berathungsn vom Montag ist der Bericht des Herrn G. Fritzsohn-Lsipzig über die Jnnungsbewegung im Allgemeinen und über das Normal-Jnnungsstatut im Besonderen zu er wähnen. Der Referent legt den Schwerpunkt auf die Ausbildung der Lehrlinge. Bisher seien die Lehrlinge vielfach von gewissenlosen Meistern ausge beutet worden. Das müsse anders werden. Die Meister müßten den § 126 der Gewerbeordnung beachten. Das Normalstatut genüge nach allen Richtungen. Schließlich fand folgender Antrag des Meisters Grimm-Leipzig Annahme: Der Vorstand wird beauftragt, der Bildung von Innungen auf Grund des Normalstatuts seine volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Neichsfreiherr v. Fechenbach-Laudenbach ver öffentlicht sein „Deutsches Bauernprogramm," in welchem außer den entsprechenden Schutzzöllen für die landwirthschaftlichen Producte verlangt wird: „1. Creditkaffen- welche nur dem Zweck entsprechen, billigen Credit zu gewähren; — 2. eine gründliche Reform des Hypotheken-, Taxen- und Steuerwesens; — 3. Revision der heutigen SubbastationS- und Concursordnung; — 4. Beseitigung des römischen Erbrechts und überhaupt Beseitigung dieses heidni schen, nur dem mobilen Besitz angepaßten Rechtes; — 5. gründliche Steuerreform behufs Entlastung des Grundbesitzes und der erwerbenden Volksklaffen und schärfere Heranziehung des zur Zeit höchst be günstigten großen Geldcapitals; — 6. Abzug der Schuldenzinsen an den Steuern für den verpfände ten Grund und Boden; — 7. Beschränkung der Verschuldbarkeit des Grundbesitzes auf ein Drittel seines amtlichen, beziehungsweise genossenschaftlich geschätzten Werthes; — 8. Revision des Gebüh rengesetzes behufs völliger Gleichstellung des Grundbesitzes mit dem Mobiliarvermögen. — Demgemäß: Herabminderung der Taxen bei Ver trägen über Immobilien- und Besitzveränderungen. Aushebung der Taxen bei Hypothekenbestellungen und öffentlichen Versteigerungen; — 9. Uebernahme der bäuerlichen Hypothekenschulden durch ven Staat nach Art der Grundentlastung unter Verwandlung derselben in eine unkündbare Rentenschuld mit all mählicher Tilgung; — 10. Schaffung fcstbesoldeter Gerichtsdiener an Stelle der auf Gebühren ange wiesenen Gerichtsvollzieher, überhaupt Revision der sogenannten „freien" Gerichtsbarkeit; — 11. Aufhe bung des Anwaltszwanges; — 12. Einführung der