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Nationale Tageszeitung für Landwirtschaft und Has »Wilsdruffer Tageblatt" erscheint, an allen Werktagen nachmittags 4 Uhr. Bezugspreis monatlich 2,— NM. ^rei Haus, bei Postbcstcllung I.M AM. zuzüglich Bestellgeld. Einzelnummern 10 Rpsg. Alle Postanstalten und Post- doten, unsere Austräger u. Geschäftsstelle, nehmen zu jederzeit Bestellungen ent- sÜk U. gegen. Im Falle höherer alle anderen Stände des Wilsdruffer Bezirks Anzeigenpreise laul ausliegendcm Taris Nr. 4. — Nachweisungs-Gebühr: AI Rpsg. — Dorgeschriebenp Erscheinungslage nnv Platzvorschrisicn werden nach isllüglichkeii berücksichtigt. — Anzeigen . Annahme bis vormiilags >U Uhr. . r.. . d-c Richligdeil der durch Fernrus übermii. Fernsprecher: Anlt Wilsdruff Nr.8vv-eilen Anzeigen übernehm men wir bcine Gewähr. —« -- - - Jeder Ruballansp^ruch Das Wilsdruffer Tageblatt ist das zur Veröffentlichung der amtlichen Bekanntmachungen der Amtshauptmannschast Meisten, des Stadt rats zu Wilsdruff, des Forstrentamts Tharandt und des Finanzamts Nossen behördlicherseits bestimmte Blatt Nr. 197 — 94. Jahrgang Telegr.-Adr.: „Tageblatt" Wilsdruff-Drcsdcn Postscheck: Dresden 2640 Sonnabend, den 24. August 1935 Wett-Baumwollnöte. England will 25 Prozent seiner Baumwollspinnereien verschrotten — Elsässische Baumwvllindustric droht mit Abwanderung nach Ägypten — Amerikas verfehlte Baumwollpolitik. Der gewaltige Prozeß der Umwertung aller Werte, der in der Nachkriegszeit begann, ist noch keineswegs abgeschlossen. Im Gegenteil. In der Politik wird nach neuen Formen und Inhalten, in der Wirt schaft nach neuen Grundlagen und Grundsätzen gesucht, und alles ist in Fluß. Wenn D r. Schacht auf der Königsberger Ost messe in seiner großen Er öffnungsrede hervorhob, daß die deutsche Handels politik sich großenteils verschoben habe, so wies er damit bereits auf den Umstcllungsprozeß hin, der sich heute in der ganzen zivilisierten Welt vollzieht. Gleichgültig ob es sich um Rohstoffländer handelt oder nm Industriestaaten. Wohl den stärksten Wandel mußten sich in den letzten Jahren zweifellos die großen Banmwolläuder der Welt ge fallen lassen. Das Schlagwort von den „Welt-Banm- wollnöten" ist allgemein bekannt. Und doch ist diese Not keineswegs allerjüngsten Datums, wenn sie auch heute erst in aller Munde ist. Tatsache ist, daß durch den Krieg allgemein, vor allem auch bei den jüngeren Völkern die Erkenntnis von der Gefährlichkeit der starken Ab hängigkeit von den großen Industrie staaten erwachte. Um diese Abhängigkeit, wo nicht völlig abznschütteln, so doch zu mildern, entschlossen sie sich noch zum Aufbau eigener Industrien. Natur gemäß wandte man sich bei dem Aufbau eigener Indu strien zunächst denen zn, die am leichtesten anfznbancn waren, während die typische Schwerindustrie nur sehr langsam folgte. Zu den leicht anznlegenden Industrie zweigen gehörte in erster Linie die Textilindustrie. Was Wuuder, daß diese heute fast allenthalben in allen größeren Nationalwirtschaften auf- und ausgebant wird. Die notwendige Folge davon ist, daß die Textil industrie, namentlich die Vaumwollindnstrie der alten Industriestaaten an der allgemeinen wirt- schaflichen Belebung keinen Anteil, sondern im Gegenteil mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. Auch in Ler deutschen Banmwollindnstrie, die früher große Ausfuhrausträge hatte, ist diese Um stellung zu spüren. Allerdings wurden hier die Rück schläge großenteils durch die ausgezeichnete Bin.nenkonsunktur ausaealicken. Teravezn katastrophal haben sich aber die Zustände im Ausland gestaltet. Das Mißverhältnis zwischen der Leistungsfähigkeit der industriellen Anlagen nnd den Absatzmöglichkeiten ist derartig groß gewor den, daß man heute in der Verschrottung von Baumwollspindeln einen wichtigen Answeg sieht. In England wird zur Zeit, an einem Gesetz gearbeitet, demzufolge zehn Millionen Spindeln, d. h. etwa 25 Pro zent der vorhandenen Spindelzahl verschrottet werden sollen. Dieselbe Forderung wird nun auch im Elsaß erhoben. Nach Behauptung der elsässischen Textil industrie werden die dortigen Anlagen infolge des Aus- fuhrmangels nur noch zu 40 Prozent ausgenutzt. Die Preise für Baumwollerzeugnisse decken heute nur noch 60 Prozent der Selbstkosten. Da Vereinbarungen über die Beschränkung der Arbeitszeit an dem Gegensatz zwischen Ler elsässischen und der altfranzösischen Industrie scheiterten, werden neuerdings auch im Elsaß immer mehr Stimmen laut, die nach dem englischen Beispiel der Ver schrottung der Spindeln das Wort reden. Andere Baum wollindustrielle erklären ganz offen, ihre Betriebe ins Ausland, namentlich nach Ägypten zu verlegen, falls die Regierung nicht für einen besseren Schutz der elsässischen Textilindustrie, die vor dem Kriege Weltruf besaß, Sorge trägt. Damit würden sie dem Beispiel ihrer Facharbeiter folgen, die verlockt durch günstige Lohn- bediügungen, sich für Neuanlagen in Ägypten anwerben ließen. Was eine derartige Abwanderung für das Ursprungsland bedeutet, liegt auf der Hand: in wenigen Jahren schärfster Wettbewerb der nenen Industrie des jungen Staates gegenüber der altbewährten Industrie des Heimatlandes. Die größten Baumwollschwierigkeiten hat aber Wohl Amerika, das in den letzten Jahren einmal seine Aus fuhr stetig geringer werden sah und zum andern auch im Inland den Verbrauch trotz aller Anstrengungen nicht steigern konnte. Die Ausfuhrfrage wurde dadurch so schwierig für Amerika, als es sich nicht bereit fand, wie die übrigen Baumwolländer, Baumwolle im Tauschwege zu liefern. An dieser hartnäckigen Ablehnung des Kom pensationsverkehrs zerschlug sich das Warengeschäft nach Deutschland fast vollständig. Die amerikanische Baumwollausfuhr nach Deutschland sank von 1,43 Mil lionen Ballen auf 443 000 Ballen. Aber mach in allen andern europäischen Ländern ist der Absatz in ameri kanischer Baumwolle erheblich zurückgegangen. Doppelte Beunruhigung herrscht zur Zeil in allen amerikanischen banmwollinieressierten Kreisen, well die erste neue, amtliche Schätzung der Baumwollernte der USA. ergeben hat, daß Jie WMmrslilWg in NW. Grauenhafte Einzelheiten. Der Bischof von Town und Connor, Tr. Maacean, richtete an Ministerpräsident Baldwin ein in schärfster Form gehaltenes Schreiben, in dem die Regierung von Nordirland für die blutigen Katholikenverfolgungcn ver antwortlich gemacht nnd eine peinlich genaue Unter suchung Über die Natur und Ursachen der kürzlichen Aus schreitungen in Belfast gefordert wird. Der Bischof schildert die Art, in der die Katholiken in Belfast vom Pöbel verfolgt worden seien. Unter den Lei denschaften der Straße hätten die Katholiken, nur mit Nachtgcwändern angetan, um ihr Leben fliehen müssen. Eine Mutter mit ihrem zwei Tage alten Kind aus dem Arm sei auf die Straße gewor fen worden (!) und sogar vor ehemaligen Kriegsteilnehmern habe man Sicht Halt gemacht; sie seien gewaltsam aus ihren Heimstätten vertrieben lvorden, nnd ihre Möbel habe man verbrannt. Alles das habe sich unter den Augen Ler bewaffneten Streitkräfte der britischen Krone zngetragen. Tie noch unvollständige Liste der ans ihren Wohnungen vertriebenen Familien gebe l003 Männer, Frauen und Kinder an, und die Vertreibungen hätten auch dann noch angedauert, nachdem er, der Verfasser, bei dem Minister präsidenten Lord Craigavon Einspruch erhoben habe. Wie verlautet, hat der Bischof von dem Büro des Ministerpräsidenten Baldwin eine kurze Empfangsbestä tigung erhalten, in der daraus hingewiescn wird, daß Baldwin sich zur Zeit auf Urlaub befinde. Wir hoffen, daß dieser erschütternde Bericht des ir ländischen Bischofs von den katholischen Deutschen mit größter Aufmerksamkeit gelesen, zugleich aber auch ihre „angeblich stark gefährdete Lage" im Tritten Reich mit den Verfolgungen der Katholiken in Irland verglichen wird. Im Tritten Reich brauchte bisher noch kein einziger Bischof sich an die Neichsführnng wenden, um Abhilfe gegen derartige Drangsalierungen an Körper nnd Eigen tum zu erreichen; im Gegenteil, im Dritten Reich kann je der Mensch, ob Katholik oder Protestant, nach seiner Mei nung selig werden; keinem Katholiken ist bisher in Deutsch land anch nnr ein Pfennig geraubt oder ihm körperlicher Schaden zugefügt, noch ihm seine Arbeitsstätte genommen worden. Die katholischen Deutschen können genau so un behelligt ihrem Lebenserwerb nachgehen wie jeder andere Volksgenosse; und trotz alledem finden sich unter den, in diesem Fall deutschen Katholiken (nicht katholischen Deut schen) noch immer Menschen, die diese Tatsachen einfach nicht wahrhaben wollen, weil ihnen damit die Gründe entwunden werden, mit denen sie ihre vergangene poli tische Machtstellung zurückerobern wollen. Ten verantwor tungslosen geistlichen Hetzern in Deutschland empfehlen wir, sich nur um ihren Glauben nnd nicht um Politik zu kümmern, ihre Gläubigen im richtigen Gebrauch der Näch stenliebe zu unterrichten, damit die Ueberfälle auf An gehörige der Staatsjugend, die stark den Ereignissen in Irland — nnr mit umgekehrten Rollen — gleichen, unter bleiben, und sich täglich mehrere Male als Schuldbekenntnis an die Brust zu schlagen: mea culpa, mea culpa, mea maxi- ma culpa! Letzte Chme sör den Völkerbund. Die Lage nach dem englischen Kabinettsrat über Abessinien. London will Italien nicht reizen. Der mit so viel Spannung verfolgte Kabinettsrat in London, der über die englische Haltung im Abessinien- konflikt entscheiden sollte, hat keine Änderung des bis herigen Kurses gebracht. Die Lage ist völlig unverändert: Das Verbot der Ausfuhr von Kriegsmaterial aus Eng- - land nach Abessinien bzw. Italien bleibt bestehen, und zwar, wie in konservativen Londoner Blättern betont wird, mit Rücksicht auf die italienische Reizbarkeit. Eng land wird nach wie vor eine Völkerbundspolitik befolgen, und eine Erklärung über die Frage von Sank tionen wird bis auf weiteres nicht abgegeben werden. Dem V ö l k e r b u n d s r a t, der am 4. S e p t e m b e r in Genf nochmals, angeblich zum letztenmal, sich mit dem Abessinienkonflikt befassen wird, ist also jetzt die Entschei dung zugeschoben worden. Es wird eine Schicksals- tagnng des Völkerbundes werden. Die englische Presse äußerst übereinstimmend ihre volle Befriedigung über den Beschluß des Kabinetts, vor läufig keine Sondermaßnahmen gegen Italien zu unter nehmen und sich nnr an einem Gesamtvorgehen der Völ kerbundsmächte zn beteiligen. In allen Blättern wird dqr- f auf hingewiesen, daß die Beibehaltung des Waffenausfuhr- i Verbots dazu dienen soll, Frankreich die Möglichkeit zu weiteren Verhandlungen mit Italien zu geben, um am ! 4. September in der Völkerbundssitzung in Genf doch noch zn einer friedlichen Lösung des Äbessinienkonflikts zn gelangen. Es wird von den meisten Zeitungen als sicher bezeichnet, daß Italien an der Tagung teilnehmen und seine Klagen gegen Abessinien Vorbringen werde. die diesjährige Ernte einen noch größeren Ertrag als die vorjährige erbringt. Und das, obgleich die Baumwoll anbaufläche nicht unwesentlich im letzten Jahre verringert worden ist. Allerdings blieben nur die besten Böden in Bearbeitung, nnd nur die schlechten blieben unbestellt. Amerikas Hauptproblem in der Baumwollfrage ist die Schaffung des Ausgleichs zwischen den Baumwoll- erzeugern der Südstaaten und der Baumwollindustrie. Und während die Regierung bisher vergeblich nach einem befriedigenden Ausweg suchte, droht die amerikanische Baumwollindustrie, ähnlich den Elsässern, mit Ab wanderung, zumal sie in Südamerika gegen das Ver sprechen, südamerikanische Baumwolle zu verarbeiten, mit offenen Armen ausgenommen wird. Ein weiterer, der jüngste Wettbewerber der Baum wolle, ist die sogenaunte Spinnfaser, deren Erzeugung ständig wächst. Keineswegs nur in Deutschland. Deutsch land steht hinter Italien nnd Japan erst an dritter Stelle in der Spinnfasererzeugung. Die guten Erfolge, die man bisher mit diesem Gewebe gemacht hat, sind freilich dazu angetan, in der nächsten Zeit die Baumwollmärlte der Welt noch stärker einzucnaen als bisher. Für die englische Politik gelte cs jetzt, bis zum Zu sammentritt des Bölkerbundsrats alle Maßnahmen zu vermeiden, durch die Italien gereizt werden könne. Man stellt weiter fest, daß England bereit sei, seine Ver pflichtungen als Völkerbundsmacht in jeder Hinsicht zu erfüllen rind daß die jetzt zum Ausdruck gelangte feste Haltung der englischen Regierung ihren Eindruck in Rom nicht verfehlt habe. In Paris hat das Ergebnis der Londoner Kabi nettsberatungen nicht überrascht, da man eine gemäßigte Haltung des Kabinetts voraussah und die Vertagung der Anwendung von Sanktionen gegen Italien und d',e Nichtaufhcbung des Verbots der Waffenausfuhr als einen Gewinn betrachtet. Man stellt fest, die von dem englischen Kabinett wenigstens vorläufig an genommene Haltung nicht alle Brücken vor dem Zusam mentritt des Völkerbundsrats abbreche. Nichts sei ge schehen, was Italien dazu bringen könne, in Genf nicht zu erscheinen. So sei noch eine Frist und Naum für eine versöhnliche Lösung geblieben. Allgemein dentet man in Paris die Beschlüsse des eng lischen Kabinetts als den Wunsch, die italienische Empfind lichkeit nicht zn verletzen. Wenn, so erklärt u. a. der dem französischen Außenministerium nahestehende „Petit Paristcn", ein prinzipieller Entschluß in bezug auf Sank tionen in London getroffen wäre, so hätte es im Wider spruch mit der allgemeinen Politik des Kabinetts gestanden, diesen öffentlich zu verkünden; denn die Politik des Kabinetts bestände für den Augenblick darin, unter den bestmöglichen Bedingungen und im engen Einverständnis mit Frankreich die im Gange befindlichen diplomatischen Bemühungen fortzusetzen, um die Krise durch eine friedliche Lösung zu entwirren. Nach der Beurteilung in Rom sieht man die Gefahr einer Anwendung von Sanktionen im Ernstfälle, trotz der gemäßigten Haltung des englischen Kabinetts, noch nicht beseitigt, sondern eher vergrößert. Die Besprechungen mit den Parteiführern werden, so meint man in Rom, die eng lische Regierung offenbar zu der Überzeugung gebracht haben, daß gerade die Mehrzahl der befragten Partei führer sich für derartige Maßnahmen einsetzen will. So wollten, wie man wissen will, besonders die Konservativen glauben machen, daß eine Besetzung Abessiniens durch Italien das englische Weltreich bedrohe und daher eng lische Gegenmaßnahmen unvermeidlich mache. Die Entscheidung des britischen Kabinetts, nnvcr- ändert an den Grundsätzen des Völkerbundes scstznbalten, veranlaßt die amerikanische Presse u. a. zu der Äußerung, daß das Kabinett damit dem Völkerbund eine letzte Chance gegeben habe.