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Verantwortlicher Redacteur: Carl Zehne in Dippoldiswalde. „Weißeritz, Zeitung" «scheint wöchentlich drei mal: Dienstag, Donners- taq und Sonnabend. — Preis vierteljährlich 1 M. 25 Pfg-, zweimonatlich 84 Pfg-, einmonatlich 42 Pfg. Einzelne Nummern 10 Pfg. — Alle Postan stalten/ Postboten, sowie di« Agenten nehmen Be stellungen an. Inserate, welche bei d« bedeutende» Auflage des BlatteS eine sehr wirk same Berbreitunaflnden, «erden mit 10 Pfg. di« Spaltenzeile »der deren Raum berechnet. — Ta bellarische und complieirt» Inserate mit entsprechen dem Aufschlag. — Einge sandt, im redaktionellen Theile, die Spaltenzeil« S0 Pfg. Sonnabend, den 28. April 1888. Nr. 50. 54. Jahrgang. Z Friedrich Wilhelm, der Große Kurfiirß, gestorben den 29. April 1688. Am 9. März d. I. erscholl durch Deutschland die I Trauerkundc, daß Kaiser Wilhelm, der erhabene Be- gründer und weise Lenker des neubegründeten deutschen 'Z Reiches, der edle Sproß des erlauchten Hohenzollern- stammes, zu seinen Vätern versammelt worden sei. - Findet mit dem Heimgange dieses gottbegnadeten Re- W genten ein bedeutsames Stück der vaterländischen Ge- H schichte seinen Abschluß, so liegt es nahe, von ihm aus K zurückschreitend den Blick zu lenken aus Personen und M Zeiten, die zu dem geschichtlich Gewordenen den Grund gelegt, die durch klare Erkenntniß ihrer Aufgabe und I zielbewusstes Wirken vorbereitet haben, was unsere Zeit E zur Reife gebracht hat und dessen Früchte sie dankbar genießt. Ehe Preußen die Führerschaft Deutschlands 8 übernehmen und es zu den Siegen führen konnte, die ß seine Neugestaltung begründet haben, mußte es selbst L erst zu einer Bedeutung gelangt sein, die es befähigte, das Haupt des neuen deutschen Reichskörpers zu wer- den und die getrennten Glieder zu einem Ganzen zu > vereinen. Zu dieser Stellung ist Preußen erst nach jahrhundertelanger Arbeit gelangt; es mußten Ge schlechter kommen und dahingehen, ehe die Branden- j burger Markgrafen sich zur Würde deutscher Kaiser i emporschwingen konnten. Je mehr wir uns jetzt des - Neugewonnenen freuen, um so dankbarer erneuern wir das Gedächtniß derjenigen, deren Leben und Wirken einen sichtbaren Fortschritt in der Erreichung des erstrebten ' Zieles bezeichnet; und so soll denn der heutige Tag uns das Bild Desjenigen vor die Seele führen, den selbst Friedrich der Große als den eigentlichen Be gründer des preußischen Staates dankbar anerkannt hat. 200 Jahre vor Kaiser Wilhelm starb Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst; der heutige Tag, der 29. April, ist sein Todestag. In den letzten Jahren des 30jährigen Krieges, i 1640, erlangte Friedrich Wilhelm, der erst Zwanzig jährige, die auf der Markgrafschast Brandenburg ruhende Äurwürde. Welche Wunden hatte der heillose Krieg damals bereits allerwärts in Deutschland geschlagen! Und wie konnte es anders sein? Das katholische Kaiser- ; Haus seit 1618 im Kampfe gegen die evangelischen Reichssürsten; Franzosen, Schweden und Jesuiten die Lenker der Geschicke Deutschlands! In solcher Zeit begann der junge Fürst seine Regierung; die Negierung eines aus zerstreut liegenden Stücken bestehenden Staates von 1444 Quadratmeilen, dessen Theile zum Theil unter fremder Oberhoheit standen, über den Polen und Schwe den Lehnsrechte ausübten, der durch den Krieg ver armt, entvölkert und einer straffen Zucht und Regierung vielfach entfremdet worden war. Aber in seiner nahezu 50jährigen Regierung hat Friedrich Wilhelm die zer streuten Theile seines Staates durch gemeinsame Ge setze zu einem Ganzen geeint, den Bestand des Staates um 602 Quadratmeilen erweitert, die fremde Oberhoheit und Lehnsherrlichkeit abgeworfen, die Unabhängigkeit des Staates von Schweden und Polen erzwungen, als der einzige deutsche Reichsfürst die Ehre der deutschen Waffen gegen einen Ludwig XIV. gerettet, endlich einem verarmten und entvölkerten Lande in einer Weise aufgeholfen, daß er neben dem Lorbeer des Helden auch die Palme des Friedenssürsten errungen und mit vollstem Rechte den Ehrennamen „der Große Kurfürst" verdient hat. Der uns zugemessene knappe Raum ge stattet eine erschöpfende Erzählung seiner Theten nicht, aber einige wichtige Thatsachen heranszuheben, können wir uns nicht versagen. Als in dem Vertheidigungskriege der Holländer gegen den ländersüchtigen Franzosenkönig Ludwig XIV. die rheinischen Besitzungen des Kurfürsten (Jülich, Cleve, Berg rc., die sich später zur Nheinprovinz er weitert haben) in Gefahr kamen, erschien er sofort auf dem Kriegsschauplätze, und war, wie gesagt, der einzige deutsche Reichsfürst, dessen Waffen Ludwig XIV. fürchtete. Um ihn zum Abzüge zu bringen, mußten die Schweden, Ludwigs Bundesgenossen, aus Pommern, das sie seit dem westfälischen Frieden in Besitz hatten, in's Brandenburgische einfallen. Durch die zögernden Unterhandlungen, die der Kurfürst durch seinen Statt halter mit den Schweden eröffnete, und durch dessen Un- thätigkeit sicher gemacht, rückten die Schweden immer weiter vor und erneuerten alle Greuel des 30jährigen Krieges. Es war im Juni des Jahres 1675. Da rückte der Kurfürst plötzlich auf grundlosen Wegen vor, die Reiter voran — das Fußvolk zum Theil auf Wagen — nahm am 15. Juni Rathenow, das Haupt quartier der überrumpelten Schweden mit Sturm, zer sprengte das schwedische Heer und brachte ihm am 18. Juni bei Fehrbellin mit 5600 Reitern und 13 Ge schützen gegen 7000 Mann Fußvolk, 4000 Reiter und 38 Geschütze eine solche Niederlage bei, daß es schleu nigst Brandenburg räumte. Aber damit war der Kur fürst nicht zufrieden; er setzte den Schweden nach, nahm ganz Pommern ein und zwang die Feinde, den deut schen Boden zu verlassen. Das war freilich nicht im Sinne Ludwig XIV. Er, der sich zum Lenker Europas aufgeworfen hatte, schloß mit den Holländern Frieden und ließ 30000 Mann Franzosen in die rheinischen Besitzungen Friedrich Wilhelms einrücken. Obgleich entschlossen, mit Hilfe Dänemarks, Pommern zu be haupten, mußte der Kursürst, vom deutschen Kaiser Leopold schmählich preisgegeben, das ehrlich eroberte Land den Schweden überlasten und Frieden schließen. In St. Germain au Laye war es, wo man ihn zur Unterzeichnung der von Ludwig festgesetzten Bedingun gen zwang. Aber hier war es auch, wo er, die Feder zer stampfend, die ihm zur Unterschrift gedient hatte, einem römischem Dichter die prophetischen Worte nachsprach: Lxoriaro aliguw wem ex ossibim ultor. Auferstehen wird mir aus meinen Gebeinen ein Rächer! Freilich später, als der Große Kurfürst gehofft, ist ihm dieser Rächer gegen französischen Uebermuth erstanden, aber als Kaiser Wilhelm in Versailles 1871 den Frie den diktirte, da waren die prophetischen Worte seines großen Ahnherrn in Erfüllung gegangen. Als 1685 Ludwig XIV. das Edikt von Nantes aufhob, durch welches den französischen Reformirten einst freie Neligionsübung zugesichert worden war, und dieselben auf das Grausamste verfolgte, war es Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, der den aus Frankreich Flüchtenden (den sogenannten Rofugiös) in Branden burg freundliche Aufnahme und Unterstützung gewährte. Schon vorher hatte er in gleicher Weise die Ein wanderung von Holländern in seinen Staat begünstigt. Dadurch wurden dem Lande eine Menge tüchtige Kräfte zugeführt, die Landwirthsämft und der Gartenbau ge hoben und mehrere Industriezweige (Hutmacherei, Seidenweberei, Posamentierarbeiten,Strumpswirkerei rc.) neu eingeführt oder vervollkommnet. In Berlin ent stand die „französische Kolonie," an welche noch jetzt eine Menge dort vorkommender französischer Familien namen erinnert. Hätte Friedrich Wilhelm hierin auch nur im wohlverstandenen Interesse des Staates ge handelt, so wäre sein Verdienst kein geringes; so aber müssen wir betonen, daß er sich der Verfolgten aus wahrhaftem Mitgefühl annahm, wie er denn die im westfälischen Frieden gelobte freie Religionsübung für die Bekenner der verschiedenen Konfessionen auf das Gewissenhafteste innehielt, und deshalb die zu seiner Zeit namentlich unter der Berliner lutherischen Geist lichkeit gegen die Reformirten ausbrechende Streitlust streng in Schranken hielt und mit der Ausweisung der Widersetzlichen nicht zögerte. Bekanntlich mußte selbst ein Paul Gerhard zu jener Zeit Berlin verlassen. — Der Kursürst selbst war wahrhaft fromm und seiner Kirche aufrichtigen Herzens zugethan. Deshalb führte er auch mit seiner edlen frommen Gemahlin, Louise Henriette von Oranien, der wir das Osterlied: „Jesus, meine Zuversicht rc." verdanken, eine wahrhaft glück liche Ehe. Er sorgte eifrig für das Gedeihen der Künste und Wissenschaften und war es, der zuerst mit weit ausschauendem Blick die Bedeutung überseeischer Be- sitzungen und Handelsverbindungen erkannte. War auch die Zeit zu solchen Unternehmungen noch nicht reif, und ist das Fort Friedrichsburg an der afrika nischen Küste freilich längst verfallen, so ist doch derName des Großen Kurfürsten der erste in der Geschichte deutsch-kolonialer Bestrebungen. Was der Große Kurfürst begonnen, das hat Friedrich der Große mit höchstem Erfolge fortgeführt; auf den Schultern solcher Vorfahren stehend, war allein es Wilhelm dem Siegreichen möglich, das Werk zum Heile des Gesammtvaterlandes zu vollenden, wird es seinen Nachfolgern auf dem Kaiserthrone möglich sein, allezeit Mehrer des Reiches zu sein, nicht an „kriegerischen Eroberungen, sondern an den Gütern und Gaben des Friedens auf dem Gebiete nationaler Wohlfahrt, Frei heit und Gesittung," wenn sie in dem Sinne und Geiste des großen Dreigestirns ihrer Ahnen fortwirken. Lokales und Sächsisches. Dippoldiswalde, 27. April. Grün ist die Farbe der Hoffnung; grün die im Lenze neuerstehende Natur; grün endlich der — Steuerzettel, der in diesen Tagen nebst Schwalben und Störchen uns zugeflogen ist. Aber daß er außer seiner Farbe sonst Aehnlichkeit habe mit Hoffnung und Lenz, wird wohl nur der zu be haupten wagen, der selbst noch etwas — grün ist. Daß besagter Zettel zu dieser seiner Farbe gekommen ist, hat wohl nur darin seinen Grund, daß er unter andern Papieren sich nicht so leicht verlieren und in Vergessenheit gerathen soll; aber sonst hat er auf sie nicht den mindesten Anspruch. Denn während die Hoffnung und die neu erwachende Frühlingswelt das Herz mit wonnigen Empfindungen erfüllen, kann man das vom Steuerzettel eben nicht sagen. Im Gegen- theil — er füllt gar oft die Seele mit Schrecken und Entsetzen, die Milch der frommen Denkart verwandelt er in gährend Drachengist. Es ist merkwürdig! Wäh rend sich große und kleine Schüler freuen, wenn sie zu Ostern in eine höhere Klasse versetzt werden, so hat sich der Geschmack der „Alten" in dieser Hinsicht völlig verändert; ihren Wünschen würde es vielmehr entsprechen, wenn ihnen die Kunde zuginge: „Du bist um Einen oder Zwei heruntergekommen!" Aber zu solcher Erniedrigung kann sich die bohe Abschätzungs kommission selten entschließen; ihre Augen erblicken im rosigen Lichte, was Andern trübe erscheint, und sie erweist nicht selten Dem eine ganz besondere Hoch schätzung, der selbst „in seines Nichts durchbohrendem Gefühle" dasteht. Na, entweder heißt's: Dulden und zahlen! oder: Rühren und Reklamiren! woran eö wohl auch diesmal nicht fehlen wird. — Wir erinnern an den heute stattfindenden Ge- merbeverein, in dem die Neuwahlen vorgenommen werden sollen. — Die bei vielen Handwerksmeistern noch be stehende Annahme, daß der probeweise in die Lehre genommene Lehrling während der Dauer der Probezeit eines Arbeitsbuches nicht bedürfe, vielmehr ein solches zu beschaffen erst dann nöthig werde, wenn die Aufnahme des Lehrlings in die Lehre definitiv erfolge, ist eine irrige und nicht selten für den säumigen Lehr herrn mit Unannehmlichkeiten und polizeilicher Strafe verbunden. — An die Mütter und Kinderwärterinuen möchten wir, da das schöne Frühlingswetter wieder zu Ausfahrten für die Kleinen lockt, die Mahnung richten: Schont die Augen der armen Kinder! In den Kinder wagen sollte man niemals ein hilfloses Kind auf den Rücken legen. Auch wenn kein Sonnenschein ist, blen den die Wolken und der Himmel an sich schon. Man versuche nur einmal selbst diese Lage. Sie ist über haupt keine gesunde, auch für das Alhmen ungünstig.