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Donnerstag. Nr l«2 S. Mai L8SS Die Zeitung erscheint nuk Ausnahme des Montags täglich und wird Nachmittags 4 Uhr auS- gegeben. Preis für das Viertel jahr 1'/» Thlr.; jede ein zelne Nummer 2 Ngr. Mutscht Mgemeiue Zeitung. -Wahrheit und Recht, Freiheit und Gesetz!» Zu beziehen durch alle Postämter des In- und Auslandes, sowie durch die Srpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). Anfertionsgebühr für de» Raun» einer Zeile 2 Ngr. Das Attentat auf den Kaiser Napoleon III. Ueber daS Attentat auf den Kaiser sind nun auf directem Wege nähere Nachrichten cingegangen. Wir bringen zuvörderst die amtliche Meldung des Moniteur vom 29. April. Sie lautet: „Gestern Abend gegen 5 Uhr befand sich der Kaiser zu Pferde in den Elystcischen Feldern, begleitet von dem Grafen Ed. Ney, einem seiner Adjutanten, und dem Oberstlieutenant Valabregue, Oberststallmcister. Auf der Höhe des BlumenschloffeS nahte sich ein wohlgekleidetcr Mann auf einige Schritte dem Kaiser und feuerte auf denselben ein Pistol ab. Der Kaiser wurde nicht getroffen und setzte, nachdem.er die Personen begrüßt hatte, die ihn unverzüglich umgaben, im Schritt seinen Weg fort, um sich zur Kaiserin zu begeben, die im Bou- logner Wäldchen spazieren fuhr. Bei ihrer Rückkehr wurden II. MM. von allen Seiten aufs wärmste und lebhafteste begrüßt. Beim Eintritt in die Tuilerien fanden sie dort den Prinzen Jerome Napoleon, den Prinzen Napoleon, die übrigen Mitglieder ihrer Familie, die auswärtigen Gesandten und Minister, die Minister des Kaisers, die Großoffiziere, Hausoffiziere und Damen II. MM. sowie eine große Zahl anderer Personen, welche Kenntniß von diesem Ereigniß erlangt und sich beeilt hatten, II. MM. zu beglückwünschen. Der Mörder wurde von den in seiner Nähe befindli chen Personen alsbald verhaftet und den Händen der Justiz überliefert. Preisen wir die Vorsehung, daß sie die Tage des Kaisers erhalten hat! Der Kaiser und die Kaiserin wohnten gestern Abend der Vorstellung in der Komischen Oper bei und wurden auf dem ganzen Wege von den Tui- lcrien bis zum Theater, beim Betreten und beim Verlassen desselben sowie auf dem Heimwege mit lauten Zurufen begrüßt." Den pariser Abendblättern entnehmen wir folgende nähere Angaben über das Attentat. Der Constitutionnel meldet: „Auf der rechten Seite der Hauptallee, fast an der Ecke der Straße Balzac, sah man einen Mann von der Seitenallee her auf den Kaiser zugehen. Er hatte die rechte Hand in der innern Tasche seines Paletots, als ob er eine Bittschrift hervor ziehen wollte, um sie dem Kaiser zu überreichen. Er war anständig geklei det, anscheinend 35 Jahre alt, und sein Gesicht ließ einen Italiener in ihm vermuthen. Mit einem doppelläufigen Pistol von der Länge einer Sat telpistole bewaffnet, feuerte er zwei mal mit kurzer Zwischenpause. Der Kaiser warf ihm zwischen dem ersten und zweiten Schüsse einen Blick tie fer Verachtung zu, wies grüßend die Personen ab, die auf ihn losstürzten, um sich zu überzeugen, ob er unversehrt sei, und ritt der Kaiserin nach, deren Kutsche einen gewissen Vorsprung hatte. Inzwischen war ein dem Kaiser beigegebener Agent beim Knall des ersten Schusses auf den Mörder losgestürzt, den er, als derselbe gerade den zweiten Schuß abfeuerte, packle und niederwarf, wobei er ihn anscheinend mit seinem Dolch verwundete, was das irrige Gerücht veranlaßt haben mag, der Mörder habe sich ent leiben wollen. Dieser hatte gar keinen Dolch; aber man fand bei ihm einen Revolver, den zu gebrauchen er keine Zeit hatte. Von Stadtsergeantcn umringt, welche die Neugierigen fernhieltcn, brachte man ihn zum Posten an der Sternbarriere, wo er durchsucht wurde. Seine Papiere stellen heraus, daß er ein Römer, Namens Liverani, ist und in London, wohin er nach Roms Einnahme durch die Franzosen auswanderte, zum Protestantismus übertrat. Er trug unter seinem Obcrrock einen zweiten, an Schnitt und Farbe gänzlich verschiedenen, sodaß er, hätte man ihn nicht sofort verhaf tet, sich leicht unkenntlich machen und in der Menge verlieren konnte. In einer Miethkutsche wurde er geknebelt nach der Polizeipräfectur abgcführt; man mußte aber unterwegs Halt machen, um seine Wunde zu verbinden. Liverani hatte 100 Fr. in Gold bei sich; das große Doppelpistol, dessen er sich bediente, ist eine Waffe von Werth, und vielleicht ist es ihrer Länge zuzuschreiben, daß er zwei mal sein Ziel verfehlte. Während man den Mör der festnahm, holte der Kaiser, von den Vivats der vielen Fußgänger und Reiter begleitet, die Kaiserin ein und langte bald inmitten einer Art von Triumphgeleit bei den Tuilerien an." Nach der Patrie ist der Mörder von mittlerer Größe, hat einen schwarzen Barl und eine geistvolle Physiognomie. Er trug ein doppelläufiges Pistol und zwei einläufige. Das erste feuerte er wenige Schritte vom Kaiser ab; als er das zweite abdrücken wollte, hielten ihn zwei nahestehende Blousenmänner fest; das dritte Pistol stak in der Scitentasche seines Paletots. Der Minister des Innern eilte sofort zum Kaiser in die Tuilerien, von da nach der Polizeipräfectur, wohin man den Mörder gebracht hakte, um denselben zu verhören. Derselbe soll seinem Stande nach Schuhmacher sein und einen neuen Hut aus einer londoner Fabrik getragen haben. Als der Kaiser und die Kasserin gestern Abend nach der Oper fuhren, wurden sie auf dem ganzen Wege von der Menge mit lauten Vivats begrüßt; ihre Esrorte bildete eine Abtheilung der Gui- den. An mehren Häusern waren die Fenster und Balcone festlich beleuchtet. Als das kaiserliche Paar in die Loge trat, erscholl eine dreimalige Jubel salve. Der Kaiser dankte durch eine Verbeugung. Der nämliche Vivat sturm erscholl, als II. MM. das Theater verließen, und begleitete sie bis zu den Tuilerien, in deren Hofe sich heute Vormittag die Equipagen un unterbrochen folgten. Die Obersten der hier und zu Versailles liegenden Regimenter haben dem Kaiser sämmtlich ihre Glückwünsche bargebracht. Der Erzbischof hat ein Rundschreiben an die Pfarrer gerichtet, worin er für heute Abend die Absingung eines Tedeum in sämmtlichen Pfarren anordner. Ein Eorresponden« der Kölnischen Zeitung bringt folgende, wie er be- merkt, zuverlässige Mittheilung aus Paris vom 29. April: „Aus zuverläs siger Quelle erhalte ich folgende Einzelheiten: Das Attentat wurde am obern Ende der Elyseeischen Felder, dem Haufe Nr. 1-16 gegenüber, verübt. Der Kaiser, der nach den Elyseeischen Feldern ritt, um die Kaiserin im Boulogner Gehölz abzuholen, befand sich in Gesellschaft einiger Adjutanten. Als der Mörder den Kaiser herankommen sah, verließ er das Trottoir und näherte sich dem Kaiser bis auf zehn oder zwölf Schritte, indem er seine rechte Hand unter dem Paletot verbarg. Der Kaiser, nichts Schlimmes ahnend, glaubte, man wolle ihm eine Bittschrift überreichen. Der Mörder zog plötz lich ein Pistol hervor und feuerte es auf den Kaiser ab, ohne ihn jedoch zu treffen. Zwei Männer in Blousen, geheime Agenten des Chefs der Sicherheitspolizei, stürzten nach dem ersten Schüsse sofort auf den Mörder hin und verhinderten ihn, ein zweites Pistol, das er schon aus der Tasche gezogen hatte, abzuschießen. Zu gleicher Zeit stürzte aus einem dem Kaiser folgenden Wagen der Corse Alessandrini hervor, sprang auf den Mörder zu und versetzte ihm einen Stich in die Schulter und einen andern in den Rücken. Dann sich zum Kaiser wendend, schwang er seinen blutigen Dolch und brachte dem Kaiser ein Lebehoch. Dem Kaiser gefiel diese Ovation je doch keineswegs ; sondern er wandte sich von dem Corsen ab, indem er rief: «Thut dem Manne nichts zuleide!» Der Kaiser setzte alsdann seinen Weg weiter fort, und der Ruf: Es lebe der Kaiser! ertönte von allen Seiten. Was den Mörder betrifft, so wurde derselbe nach der Wache an der Sternbarriere und von dort nach der Polizeipräfectur gebracht. Der Minister des Innern und Hr. Collet-Meygrct begaben sich sofort nach den Tuilerien, um den Kaiser zu beglückwünschen, und dann nach der Polizei präfectur, um dem Verhöre des Mörders beizuwohnen. Derselbe machte kein Geheimniß aus seiner Absicht, den Kaiser zu ermorden, behauptete aber, keine Mitschuldigen zu haben. Der Name desselben ist Liverani. Er ist Römer von Geburt und gehört zur Sekte jener Italiener, deren Chef der bekannte Pater Gavazzi ist. In London soll Liverani eine gewisse Rolle gespielt und öfters m Excterhall gepredigt haben. Liverani hatte einen pie- montefischen Paß, ungefähr 100 Fr. in Gold bei sich und trug einen ganz neuen, in London gekauften Hut, was darauf schließen läßt, daß er erst seit kurzer Zeit in Frankreich ist. Er ist Schuster und scheint während der rö mischen Republik eine Rolle in Rom gespielt zu haben. Er hatte drei Pi stolen bei sich, von denen eine zwei Laufe, die andern beiden nur einen Lauf hatten, sodaß er also im Besitze von vier Schüssen war. Was die Version von zwei Schüssen betrifft, die auf den Kaiser abgefeuert worden sein sollten, so beruht sie auf einem Jrrthum. Man glaubte dies allge mein, weil zwei Schüsse hintereinander abgefeuert wurden. Der eine rührte jedoch von einem in der Nähe gelegenen Schießplätze her. Wie bereits be merkt, verlor der Kaiser nicht einen Augenblick seine Geistesgegenwart. Der selbe hielt sogar sein Pferd beim Fallen des Schusses an und ritt erst wei ter, als der Mörder bereits in den Händen der Polizeiagenten war." Ein anderer Korrespondent desselben Blatts schreibt: „Neben dem be- klagenswerthrn Ereignisse, das uns auf so unerwartete Weise überrascht halte, verschwindet augenblicklich das Interesse an den wichtigen politischen Fragen, die uns beschäftigen. Ich beeile mich, Ihnen einige Details mitzutheilen, die ich aus guter Quelle geschöpft habe. Der Thätcr lauerte dem Kaiser in den Elyseeischen Feldern auf, in der Gegend der englischen Bierbrauerei. Der Kaiser, der zwischen Ney und einem Stallmeister ritt, glaubte, der Mann, der auf ihn zutrat, wolle ihm eine Bittschrift überreichen, und näherte sich ihm. Da fiel der Schuß, und der Kaiser setzte sein Pferd so fort in Galopp. Oberst Ney war sofort zwischen den Kaiser und den Thä- ter geritten, als dieser zum zweiten male schoß, aber mit zitternder Hand. Ein Polizeiagent faßte den Mörder und versetzte ihm zwei Stiletstiche, die jedoch nicht gefährlich sind. Bis gestern 10 Uhr weigerte sich der Thäter, zu antworten.. Der Polizeipräfect drohte, ihn augenblicklich erschießen zu lassen, und hierauf stand er Rede. Er behauptete, einen Act der Privat- rache begangen zu haben, weil ihn die Belagerung von Nom ruinirt habe. Man fand einen Paß auf den Namen Liberata bei ihm, und er war aus London gekommen. Er wollte nach dem zweiten Schüsse die Flucht ergrei fen. Man fand eine Mütze in seiner Tasche und eine Blouse unter sei nem Nocke, was auf die Absicht deutete, während der Flucht die Kleider zu