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« Juli I8SV Nr. ISS. Deutsche AllMtim Zeitung «Wahrheit und Recht, Frcih eit und Ststtz!» Rußlands Entwickelung fach ner nur unbefangenen Schätzung der Kräfte und der Bestimmung Rußlands eine wohlmeinende genannt werden kann. Preis für da« Vierteljahr I V, Thlr.; jede -inj«t»e Nummer L Ngr. Zu beziehen durch alle Postämter de« Ju- und Auslande«, sowie durch di« Erpedition in Leipzig (Querstraße Nr. 8). ziehungen zu Preußen plötzlich doch wieder anders besonnen, und es ist in dieser Beziehung unter Anderm namentlich auch auf eine Reise des die«, seitigcn Generalkonsuls in Warschau, de« Hrn. Wagner, nach Danzig hin- gewiesen worden, welche den Zweck habe, über die Bedürfnisse und Wün sche dcS dortigen KaufmannstandeS sowie der Ostseehäfen überhaupt in Bezug auf den Verkehr mit Rußland und Polen nähere Informationen einzuziehen. Die Frage, welchen Zweck die Reise des Hrn. Wagner nach Danzig gehabt habe, kann, wie wir glauben, ruhig unerörtert gelassen wer- den; denn soviel liegt in Bezug auf die Hauptsache auf der Hand, datz die Regierung, welche sich schon so ost und so eingehend gerade mit den hier in Frage kommenden Verhältnissen beschäftigt hat, näherer Informa tionen schwerlich noch bedürfen möchte, und daß sie, wenn dies, mit Rück sicht auf etwa bevorstehende Unterhandlungen, in Betreff der einen oder andern Detailfragen gleichwol noch der Fall wäre, dann doch nicht den Generalkonsul für Polen, sondern einen Beamten des Handelsministeriums nach den Ostseeprovinzcn gesendet haben würde. Dem entsprechend hören wir auch, daß wir an unsern früher» .Mitthcilungen über den Stand der betreffenden Frage nichts zu ändern oder berichtigend zu ergänzen haben. Es wird eben vorläufig Alles beim Alten bleiben. Später will man von russischer Seite über die Tarssoerhälmissc allerdings neue Berathungcn er öffnen; faßt man aber die betreffenden Antecendentien ins Auge, so müßte es geradezu fast mit Wunderdingen hergehcn, wenn in dem schließlichen Resultat derselben den Wünschen der Ostseeprovinzen und den sonstigen Ansprüchen Preußens wirklich Rechnung getragen würde. VW höchstem Interesse ist in dieser Beziehung der Bericht über den bekannten Antrag des Abg. v. Gruner wegen Abhülse der Beschwerden über den Druck des russischen Prohibitivsystems und der russischen Grenzsperre. Es wird hier ein System der Willkür und dcS vertragverlctzmden Beliebens von russi scher Seite Preußen gegenüber anfgerollt, vor dem man, wenn man cs in seinen Details verfolgt, vor Verwunderung die Hände zusammenschla- gen muß. Es würde uns für unsern heutigen Zweck zu weit führen, wenn wir auf da-Betreffende näher eingehen wollten, und wir heben darum JnsertionSgebühr für den Raum einer Zeil« » Ngr. Preußen. -^Berlin, 1. Juli. Man hat neulich die Nachricht viel- verbreitet, Rußla-nd habe sich in Betreff seiner handelspolitischen Be I. N Leipzig, 2. Juli. „Der Krieg ist vorläufig beendet, der Kampf dauert fort. Verbessern wir unsere Waffen! Oft genug hieß eS: Rußland ist ein Riese mit thönernen Füßen — Rußland ist faul vor der Reife — dir russische Eultur ist ein gefrorener Sumpf — das retrograde System hindert jeden Auf schwung der Nationalität. Redensarten! Ueber.sie hinaus gilt «S zu den Thatsachen durchzudringen." Mit diesen Sätzen leitet sich ein Gchriftchen ein, d»S soeben bei F. A. Brockhaus in Leipzig unter dem Titel erschien: „Rußland« Entwickelung bi« zum Frieden vom 30. März 1856. Von Adolf Bock." ES war «ine glückliche Idee, dem deutschen Publicum die ihm so nothwendige Kenntniß jene- gewaltigen Reich«, welche« sich uns in der Praxis nur zu nahe aufvrängt und doch der Forschung schwer und nur in unzureichender Weise zugänglich ist, möglichst bequem und doch sicher zu vermitteln. DaS hat der Verfasser der vorliegenden Schrift gethan, indem er aus dickleibigen Büchern und zerstreuten Notizen da« Wichtigste in allen Beziehungen über Rußland auf dem engen Raume von kaum mehr al« 260 Seiten übersichtlich und dab«i zugleich in ansprechender Form zu» sammenstrllte. Für di« Richtigkeit seiner Angaben bürgen die zahlreichen, mit kritischer Umsicht gewählten Quellen, die er anführt, und de« Verfas ser« anderwärts bewährt« Sorgfalt in derartigen thätfächlichen Ermittelun gen. Der Verfasser schreibt als Deutscher, d. h. al« Angehöriger eincr Nation, die sich einer Culturstufe erfreüt, von welcher aus die Zustände des russischen Reichs als weit zurückstehende oder gewaltsam verschrobene erscheinen, einer Nation, dir zugleich al« solche in ihrer Entwickelung, ja, in ihrer Existenz sich von dem Ausflüsse jener Zustände, der russischen Des potie und der in ihren Händen conkentrirten physischen Gewalt, bedroht sieht. Au- diesem doppelten Gesichtspunkte konnte da« Urtheil des Ver fassers, übeö,das große Zarenreich kein günstiges sein; denn der Verfasser gehört auch nicht zu Denen, welche sich lediglich durch die materielle Macht entfaltung eines Reichs von 60 Millionen oder durch den Glanz und die Gewalt, womit der unumschränkte Beherrscher dieser Bölkermasse sich um- gibt, imponiren und blenden lassen. Aber der Verfasser ist keineswegs in dem Sinne gegen Rußland eingenommen, daß er di« Elemente wirklicher Kraft und natürlicher Entwickelung, die e« in sich birgt, verkennen oder ihm die Stell«, die e« naturgemäß sich selbst zum Vortheil und den an dern Völkern nicht zum Nachtheil in dem gesammten Staatensystem ein nehmen könnte, misgönnen mochte. „Wir werden", sagt er, „in Deutsch land nicht leugnen, daß Rußland zu der europäischen Staatengruppe ge hört. Aber die Culturstufe des von ihm eingenommenen Osten sehen wir al« eine gegen den Westen zurückgebliebene an. Richt« ist dort muster- gültig; außer den rohesten Volks- und Staatsgrundlagen ist Alles Nach- ahmung, Borg und Versuch. Strebt also der Herrscher jenes Volk« und Lande« nach militärischer Uebermacht und stets weiterer Eroberung, nach überwiegendem Einfluß auf den Congressen, nach Weltherrschaft, so hat er lange genug au« der Uneinigkeit des übrigen Europa Rutzen gezogen, um endlich in die gebührenden Schranken verwiesen zu werden. Um Deutsch- land«, um Europas, um Rußlands selbst willen sind die Anmaßungen Pe tersburgs zu bekämpfen, damit die Geschicke anderer Nationen von dort nicht beeinträchtigt werden und Rußland den eigenen Beruf nicht verfehle." Ueber diesen Beruf Rußlands hat der Verfasser unter der Ueberschrist „Die nationale Ausgab«" sich in einem besonder« Abschnitte ausgesprochen. „Je entschiedener", heißt es dort, „die Uebergriffe Rußlands über seine Grenzen von d«n übrigen europäischen Großmächten zurückgcwiefen werden, desto mehr Ursache hat dasselbe, sich selbst zu beschränken und di« Sorg falt, welche es den Nachbarn und GlaubenSbrüdern unter dem Friedens» scepter angedeihen lassen wollte, den eigenen Unterthanen zuzuwenden. Plötzliche Lossagung von fremder Intelligenz, von fremder Wissenschaft, Kunst und Industrie würde Thorheit sein und nicht gelingen. Den Russen werden die Fremden wahrscheinlich noch lange helfen müssen, um die rus sische Nationalität zu entdecken, zu verstehen, festzuhaltcn, zu läutern und zu steigern. Aber anerkennenswerth wird cs sein, wenn für Hebung und Belebung dieser Nationalität ernste Schritte geschehen. Die StaatSform kann dabei lange aus dem Spiele bleiben." Der Verfasser glaubt, daß durch große Culturunternehmungcn, wozu die Centralisation des StaatS die Mittel biete, für Rußland noch viel BevölkerungS - und Mächtzuwachs auf dem friedlichsten und natürlichsten Wege zu gewinnen wäre. Es gibt im Norden Rußlands noch 20,000 Quadratmeilen culturfähigen, aber noch nicht angebauten Bodens! Ferner dürfte, nach deS Verfassers Ansicht, der Militärstand, welcher schon bisher nicht ohne Erfolg für die Colonisation verwendet wurde, wenn die Erobe» rnng-sucht sich legte und die fortwährende Kriegsbereitschaft aufhörte, euer- Donnerstag. «einzig. Die Zeitung erscheine mu Ausnahme »e« Montags täglich und wird Nachunttag« ä Uhr auS- gegeben. > gischer für Forstcultur, für Austrocknung der Sümpfe, für Bewässerung, für Wegebau benutzt werdem Die schwachen Anfänge, wodurch der Bamr zu einem freien Grundbesitzer werden könnte, wären mit Aufrichtigkeit und Ernst weiterzuführen; denn nur auf dieser Basis, sagt der Verfasser, er hebt sich da« slawische wie daS germanische Volk zur Civilisation. Sei der Obrok nicht abzuschaffen, weil er den Grundherrn zu der Gegenleistung der Ernährung im Falle der Arbeitsunfähigkeit und des Alters verpflichtet, so müßte er auf daS strengste normirl werden, um mit der Gegenleistung in ein billige« Verhältniß zu treten und jeder willkürlichen Bedrückung vor» zubeugt». Di« Kaserne spielt eine große Rolle; räume man dem Kasernenunter richt möglichst viel Zeit ein, damit er den fehlenden Unterricht der Volks schule ersetze! Vor allem hält dcr Verfasser, um den wichtigen Handcl mit Rohprodukten zu fördern, die Vermehrung der Communicationsmittcl, die Verbesserung der Wegepolizei und eine prompte Justizpflege, um den Credit zu heben, für nothwendig. Er spricht für die Erbauung von Ei senbahnen und eine gleichmäßige Berücksichtigung der Flußschiffahrt. Die Industrie bedürfe nicht der Absperrung, sondern nur mäßiger Schutzzölle. Die Neigung der Russen zur Fabrikthätigkeit sei durch Ermunterung dcr Association der kleinen Capitalisten zu unterstützen. Für den Handel mit feiner» Fabrikaten scheint ihm Hintcrasicn rin günstiger Markt; wenn erst dcr Landtransport, für welchen der Russe Geduld, Kühnheit und Aus dauer besitzt, durch wohkorganifirte Kosackenstationen mehr gesichert sek, werde Rußland für das ^nördliche Asien Aehnliches leisten wie England für das südliche. Die StaatSform, unter welcher solche Verbesserungen vorgenom» men werden, ist dem Verfasser, wie wir oben schon sahen, gleichgültig. Und gewiß mit Recht! „Sei der Herrscher Rußlands", sagt er, „absolut, wenn er nur Gerechtigkeit handhaben und befestigen will! Sei er absolut, wenn er die Russen nur auf die Principien aller menschlichen Veredelung, auf persönliche Ehrenhaftigkeit und Gewissenhaftigkeit zu leite» gedenkt!" Man wird nicht leugnen können, daß die in diesen Rathschlägen sich kundgebende Gesinnung des Verfassers gegen Rußland, wenn auch vielleicht nicht im Geschmack des bisher dort angenommenen System« oder der auf ihre Herrschaft eifersüchtigen allrussischen Partei, doch vom Standpunkt ei»