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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.08.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-08-05
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020805025
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902080502
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902080502
- Sammlungen
- Zeitungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1902
-
Monat
1902-08
- Tag 1902-08-05
-
Monat
1902-08
-
Jahr
1902
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Es ist nun freilich nicht richtig, wenn das russische Blatt die friedliche Gesinnung des deutschen Reiches das eigenste Werk des gegenwärtigen Kaisers nennt, denn diese friedliche Gesinnung bestand von dem Tage ab, da das neue deutsche Reich sich geeinigt Hatter cs sei hier nur an die wundervolle FriedenSproclamation erinnert, mit der Kaiser Wilhelm I. den ersten deutschen Reichstag eröffnete. Auch sein großer Rathgeber hat vom Augenblicke der Einigung Deutschlands ab stets eine aus gesprochene Friedfertigkeit bekundet, die Niemand dem Manne aus Blut und Eisen zugetraut hätte. So setzt also Kaiser Wilhelm II. nur die ihm überkommene Friedens politik fort. Indessen, es kommt ja nicht sowohl darauf an, ob man in Rußland die Vergangenheit richtig würdigt, sondern daß man für Gegenwart und Zukunft die sichere Zuversicht zu Deutschlands durchaus friedlichen Absichten besitzt. In diesen friedlichen Tendenzen treffen Kaiser Wilhelm und der russische Kaiser vollständig zusammen, und §o bietet die Zusammenkunft dieser beiden mächtigsten Be schützer des Friedens eine Garantie für die Fortdauer und Stärkung der friedlichen Tendenzen auf dem ganzen, euro- päischcn Continent. Sie bietet auch die Gewähr dafür, daß die überlieferten freundschaftlichen Beziehungen zwischen den beiden Dynastien und den beiden Staaten sorgfältig weiter gepflegt werden. Man muß fast ls/2 Jahrhunderte zurüclgehen, um preußische und russische Truppen Säbel gegen Säbel zu finden, während ein viel geringerer Zwischenraum zwischen der Gegenwart und jener Zeit liegt, wo sie Schulter an Schulter gefochten haben. Nie mals seit dem Tode der Kaiserin Elisabeth sind Preußen und Nnssen feindlich aufeinandergestoben, und wenn cS auch vorübergehende diplomatische Trübungen gegeben hat, so sind doch die Fälle gegenseitiger wohlwollender Förderung viel häufiger. Auch gegenwärtig stehen sich Deutschlands und Rußlands Interessen an keiner Stelle der Erde feindlich gegenüber. Der einzige Welttheil, wo diese Interessen sich überhaupt treffen, ist Asien, aber auch hier kann schon darum von keinem Gegensätze die Rede sein, weil Deutschlands Interessen und Bestrebungen sich ausschließlich auf dje Förderung der wirthschaftlichen Beziehungen zu den asiatischen Ländern richten, während Rußlands Bestrebungen vorwiegend politischer, rund heraus gesagt, expansiver Natur sind. Das Er- pansionsstreben Rußlands in Asien ist nicht etwa gleich bedeutend einer ungezügelten Abcnteurerlnst Napo- leon's I., sondern cs ist eine Lebensnothwendigkeit für Rußland. Gerade um deswillen aber ist eS für Rußland von der allergrößten Bedeutung, mit derjenigen Macht in Frieden und Freundschaft zu leben, mit der es in Europa eine so ausgedehnte und beiderseits durch die Natur fast gar nicht gedeckte Grenze gemeinsam hat. Rußland kann seinen Zielen in Asien, Zielen, die es mit eiserner Conse- guenz seit Jahrhunderten schrittweise verfolgt, also ruhig nachgehen, in -em Bewußtsein, in Deutschland einen sreundwilligen Nachbarn zu haben, der ihm weder in Europa in den Rücken fällt, noch in Asien ein Bein stellt. Kaiser Nicolaus wird von der Zusammenkunft mit dein deutschen Monarchen, der dieherzlichen Gesinnungen seiner Nation verkörpert nnd wiedergiebt, mit dem Be wußtsein in das sommerliche Stillleben zurückkehren können, daß die Freundschaft, die schon zu den Zeiten der Urgroßväter und Großväter der gegenwärtigen Monarchen bestand, unverändert dieselbe geblieben ist. In Bayern hat, wie der Telegraph bereits gemeldet hat, die Reichsrathskammer am Sonnabend die von der ultramontanen Mehrheit der Abgeordneten kammer ans bekannten „politischen Gründen" gestrichenen Forderungen fiir Kunst einstimmig wieder hcrgeslellt, nach dem Prinz Ludwig Ferdinand mit besonderer Wärme für diese Wiederherstellung cingetreten war. Au der Sitzung nahm, wie man jetzt erfährt, auch der Erz' bischof von München-Freising, Or. v. Stein, theil; auch er hat also für die Wiederherstellung gestimmt und dadurch bekundet, daß er die Kampfesweise mißbilligt, durch die das Centrum der Negierung sein Mitgefühl bei der Er krankung des (Kultusministers v. Landmann auS- zudrückcn für gilt befindet. Die klerikale Mehr heit der Abgeordnetenkammer wird nun wohl in dieser Frage um so williger nachgeben, je mehr die Herren glauben, durch den bevorstehenden Ein tritt des Freiherr» v. Podewils in das Mini sterium an das Ziel ihrer Wünsche zu gelangen. Das führende bayerische Ccntrumsorgan spricht cs offen aus, daß es die Ernennung des Herrn v. Podewils zum Nach folger des Herrn v. Landmann als Beginn der Liguibation des jetzigen CabinetS betrachtet. Während das norddeutsche Schwesterorgan, die „Germania", nach der Beurlaubung des Herrn v. Landmann das bayerische Ministerium einer Kritik unterzog, die sich am kürzesten in das Wort „Trottel" znsammcnfasscn läßt, ist das bayerische Blatt viel höflicher, indem es den Ministern zugcstebt, daß sie bei allen Parteien hohes Ansehen genössen. Umd doch müsse das Ministerium zurücktreten, weil sich an ihm jenes böse Wort bewahrheite, das einmal gegen den Fürsten Bismarck ausgesprochen worden sei: „Es gelingt nichts mehr." Vielleicht ist es doch kein Zufall, daß „nichts mehr gelingt", seitdem die Centrumspartei die Mehrheit für sich allein im bayerischen Abgcordnetenhause besitzt. In der letzten Zeit hat ja diese Partei gezeigt, daß sie vor keinem Mittel gurückschrcckt, um das Ministerium — und noch darüber hinaus dieKrvnc — ihre Macht fühlen zu lassen. Wenn eine Partei ans Haß und Uebermnth die berechtigten For derungen eines Ministeriums ablehut, und wenn diese Partei zugleich die Mehrheit besitzt, so ist es sehr natürlich, daß nichts mehr gelingt. Für diesen Zustand ist dann aber doch die herrschende Partei verantwortlich zu machen, und nicht das Ministerium. Was das bayerische Ccntrum that- sächlich anstrebt, ist ja auch nicht sowohl lediglich die Be seitigung der gegenwärtig am Ruder befindlichen Minister, als deren Ersetzung durch Männer, die die Weisung der parlamentarischen Mehrheit gehorsam hinnehmen. Wir bezweifeln aber, daß der Prinz-Regent sich jemals die Ein führung des parlamentarischen Systems werde gefallen lassen, ebenso, wie wir bezweifeln, daß sein dcrcinstiger Nachfolger, Prinz Ludwig, dazu bereit sein werde, obwohl ihn die Klerikalen gern für sich reclamiren möchten. Pxinz Ludwig mag sehr kirchlich gesinnt sein, aber er besitzt zu gleich ein hohes Mab von Selbstbewußtscin, das ihn ver hindern wird, sich jemals zum Spielball einer Partei zu machen, zumal wenn diese so herrschsüchtig ist, wie das bayerische Centrum. Ueber den Umfang der Kinderarbeit in England finden sich in einem officiellen Berichte des „Home Office" bemerkenswcrthc Angaben. Danach leisten 300 000 Kinder neben ihren täglichen Unterrichtsstunden eine wöchentliche Arbeit von 20 bis zu 72 Stunden,- das be deutet also, wenn man die durchschnittlich fünfstündige tägliche Schulzeit der Tagesarbeit hinzurechnet, im Maximalfalle eine tägliche Arbeitsdauer von 17 Stunden für schulpflichtige Kinder! Von diesen im Alter zwischen 11 und 14 Jahren stehenden Kindern arbeiten 45 MO in Fabriken und öffentlichen Werkstätten, 50 000 in land- wirthschaftlichen Betrieben, 100 OM sind in Geschäften und Waarenhäusern, 15 OM bei der Hausarbeit, 25 MO als Lausburschen und 40 OM als Zeitungsverküufer beschäftigt. Und das ist möglich trotz der gesetzlichen Bestimmung, daß die Beschäftigung von Kindern unter 14 Jahren mit gewerblicher Arbeit mindestens an einem Tage der Woche nicht statthaft sein soll! Der Bericht des „Home Office" bedauert diese offensichtliche Gesetzesübertretung, erklärt sich aber außer Stande, dagegen einzuschreiten, ohne die sowohl durch die allgemeine wirthschaftliche Lage, als auch durch die socialdemokratischen Bestrebungen der Tradc-Univns stark erschütterte allgemeine Arbeits organisation noch mehr zu gefährden. In Folge dieser seit Jahrzehnten bestehenden starken Bctheiligung der Kinder an der gewerblichen Arbeit ist naturgemäß eine erhebliche Herabsetzung der Löhne, besonders für jugend liche und ungelernte Arbeiter, cingetreten. Das nunmehr cndgiltig zwischen Argentinien und Chile getroffene Friedensabkommen hat in seiner letzthin verbesserten Form folgenden Inhalt: Beide Mächte verpflichten sich, auf die Dauer von fünf Jahren von jeder Vergrößerung ihrer Flotte abzusehcn und alle Bestellungen betreffs Neubau von Kriegsschiffen zu widerrufen. Allerdings kann Chile den bereits gekauften Kreuzer „Atabaca" und drei Torpedozerstörer seiner Flotte noch cinvcrleiben. Beide Staaten ernennen binnen drei Monaten je einen höheren Marineofficier, welche Beiden die Aufgabe haben, die Stärke der beiderseitigen Kriegsflotten genau abzuschätzen und ein etwaiges Miß verhältnis, zwischen beiden behufs Abänderung festzu stellen. Nach Ablauf der fünf Jahre können die beiden Vertragsmächte Verstärkungen der Flotte nur nach einer Vorheranzcige von 18 Monaten vornehmen. Desgleichen verpflichten sie sich, für die Dauer von zehn Jahren, nie mals Kriegsschiffe an irgend eine Macht zu verkaufen, welche mit der anderen Vertragsmacht auf unfreundlichem Fuße steht. Argentinien verzichtet auf jede Einwirkung auf Streitangclegenheitcn, welche Chile mit anderen Staaten der amerikanischen Westküste auSznfechten hat. Alle anderen Streitfragen, welche etwa zwischen den beiden Vcrtragömächtcn entstehen, sind dem König von England als Schiedsrichter zu unterbreiten. Die mili tärischen Landkrüftc, sowie die besonders von Chile in Angriff genommenen Küstenbefestigungen sind durch den Vertrag in keiner Weise beschränkt worden. Deutsches Reich. II Berlin, 4. August. Der Beschluß deö BundeSratliS betreffs Abänderung der Vorschriften über die Prüfung der Thierärzte hat folgenden Wortlaut: Auf Grund der Bestimmungen in § 29 der Gewerbeordnung für das deutsche Reich hat der BundeSrath beschlossen: An Stelle der KZ 5, 27 und 28 der Vorschriften über die Prüfung der Thierärzte (Bekanntmachung vom 13. Juli 1889) treten folgende Bestimmungen: 8 5. ä. Naturwissenschaftliche Prüfung. 1) Bedingungen der Zulassung. Die Zulassung zur naturwissenschaftlichen Prüfung ist bedingt durch den Nachweis, daß der Tandidat ». dis erforderliche wissenschaftliche Vorbildung besitzt. Dieser Nachweis ist zu führen durch da- Reifezrugniß eine- Gymnasium?, eine- Realgymnasium- oder einer Oberrealschule oder einer durch die zuständige Centralbehörde alS gleichstehend anerkannten höheren Lehranstalt; d. nach erlangter wissenschaftlicher Vorbildung mindestens drei Semester hindurch thierärztliche oder andere höhere wissenschaftliche deutsche Lehranstalten besucht hat. 8 27. Die Bestimmungen des 8 5 Ziffer 1 z« » treten mit dem 1. April 1903 in Kraft. Diejenigen Candidaten der Thierheil, künde, welche bereit- vor dem 1. April 1903 da- Studium der Thierheilkunde begonnen haben, sind zu den Prüfungen auch dann zuzulassen, wenn sie nur das in 8 5 Ziffer 1 zu a der Bekannt machung vom 13. Juli 1S8S bezeichnete Maß wissenschaftlicher Vorbildung besitzen. 8 28. Die vorstehenden Bestimmungen finden auf die Militär-Roßarzt- Aspiranten mit folgenden Vorbehalten Anwendung: u. die Militär-Roßarzt-Eleven sind von der Prüfung im Huf beschlag aus den thierärztlichen Hochschule» zu entbinden, falls sie eine solche Prüfung an einer Militär-Lehrschmicde oder an einer thierärztlichen Lehranstalt bereits bestanden haben; d. die Militär-Roßarzt-Eleven sind, falls sie daS Studium der Thierheilkunde vor dem 1. October 1905 begonnen haben, zu den Prüfungen auch dann zuzulassen, wenn sie nur das im 8 5 Ziffer 1 zu n der Bekanntmachung vom 13. Juli 1889 bezeichnete Maß wissenschaftlicher Vorbildung besitzen. * Berlin, 4. August. (Graf Vülow's Abwehr rede gegen Chamberlain unter den eng lischen Soldaten in Südafrika.) Kaum etwas dürfte geeigneter sein, die Freundschaft, welche England gegen seine deutschen Vettern im Busen hegt, nach ihrem wahren Werth zu zeigen, wie folgende fast unglaubliche Thatsache, welche den „Alldtsch. Bl." von einem zuver lässigen Gewährsmann aus Südafrika mündlich über mittelt wurde: Die Rede des Grafen Bülow, in welcher er die Vergleiche, die der englische Colonialminister Chamberlain zwischen der deutschen und englischen Kriegs führung gezogen hatte, energisch zurückwies, sowie die Entgegnungsrede Chamberlain's in Bir mingham, wurden mit einer deutsch-feindlichen Einleitung versehen als Flugblatt in einer Auf lage von 200 000 Stück auf Negierungsordrc durch die Gcncralcommandos an die britischen Soldaten auf dem südafrikanischen Kriegsschauplatz verthetltl Wahrscheinlich war das britische Obercommando dabei von der wohl wollenden Hoffnung getragen, daß nun die edlen Söhne Britanniens durch möglich gentlemanlikc Behandlung der Deutschen in Südafrika glühende Kohlen auf das Haupt des deutschen Reichskanzlers sammeln würden. Die sehr diese Hoffnung gerechtfertigt war, wird denn durch einige Absätze eines an daS citirte Organ gerichteten Briefes von einer schlichten deutschen Frau aus Südafrika belegt, welche die Schrecken des Krieges und die Menschlichkeit der Feuilleton. Das Fraulein von Saint-Sauvenr. 2s Roman von Gröville. lNaKtriiS verboten.) Sie schwieg; denn was er früher gesagt und jetzt hin- zngesügt hatte, ärgerte sie gleicherweise. Ihre Eigenliebe fühlte sich verletzt, ihr Herz aber nicht, und sie wußte nicht, was sie erwidern sollte. Plötzlich setzte die Orgel mit voller Kraft wieder ein, die jugendlichen Stimmen sangen i-rs „Magnificat", und der Garten begann sich mit Menschen zu füllen; man war nicht mehr allein. „Ich muß die Tante holen", sagte Antoinette und erhob sich. Er schien sie mit seinem Blick zurückhalten zu wollen, den er nicht gerade flehend, aber mit innigem Ausdruck auf sie gerichtet hatte. „Sie werden mir ob meiner Worte nicht zürnen?" fragte er, ohne die Stimme zu erheben oder zu senken. „Zwischen uns kann es keinen Zwiespalt, sondern nur Streit geben. Ist er denn nicht unser tägliches Brod?" Sie blickte ihn fest an und erwiderte: „Sie würden mir ja nicht glauben, wenn ich Ihnen sagen würde, daß ich Ihnen nicht böse Vln. Doch, Sie haben Recht, Vetter, unsere Freundschaft ist über diese Kindereien erhaben." Nun war die Reihe des Unzufriedenscins an Landry gekommen. Er biß sich auf die Oberlippe und sprach: „Mag cs denn sein!" Die Glocken in den hohen Thürmen erhoben ihre mäch tigen Stimmen und erfüllten den Raum mit ihrem tiefen, harmonischen Brausen. Nebeneinander schritten sic schnell in den Vorhof, wo sic rechtzeitig genug anlangtcn, damit Landry dem alten Fräulein das Weihwasser reichen konnte, worauf sic ganz vertraulich seinen Arm nahm. Die alte Dame hatte jeder zeit eine Art Sohn oder Neffen in ihm erblickt. ZweiteSEapitel. In dem Laden des Conditors wimmelte eS von Menschen. Die schönen Damen der Stadt und der Um gebung fanden sich daselbst ein, um ihre Einkäufe und Be stellungen zu machen oder um eine kleine Erfrischung zu sich zu nehmen. Man verzehrte Unmassen kleinen, süßen Backwerks, aber geplaudert wurde noch weit mehr; denn dies war ja die schönste und beste Gelegenheit, um die gegenseitigen Nachrichten anszutauschcn. Wiederholt bildete sich um Antoinette ein dichter Kreis von Freun dinnen, während ihre Tante mit ebensoviel Behagen als Verständniß die Leckerbissen vertilgte, die ihr Landry vor fetzte, der sich durchaus nicht aus ihrer Nähe entfernte. Dies wiederholte sich übrigens allsonntäglich. „Ach, Antoinette", sprach sehr schnell und fast unhörbar eine hübsche Blondine mit krausem, dichtem Haar zu ihr. „Hast Du schon gehört? ES heißt, die Gesellschaft ans der Pariser Singspiclhalle Chat-Noir soll im October einige Vorstellungen bei uns veranstalten." „Weshalb sagst Tu mir das?" fragte daS junge Mäd chen. „Du weißt ja, daß ich diesen Vorstellungen nicht beiwohnen dürste." „Oh, ich auch nicht!" ! „Du auch nicht? Du bist ja verheirathet!" ' „Mein Gatte will es nicht haben. Er sagt, eS lohne sich nicht der Mühe. Und ich möchte es doch für mein Leben gern sehen." / „Daran thun Sie Unrecht, Lucie, und Ihr Gatte, Herr von Landois, hat vollkommen Recht", ließ sich eine volle, tiefe Frauenstimme vernehmen. Die beiden Freun dinnen wendeten sich hastig nm. „Ah, Fxgn von Ornys! Sie haben ja diese Vor stellungen selbst besucht, als Sie in Paris waren", er widerte die blonde, junge Fran. „Ganz richtig, in Paris; und selbst dort war eS vielleicht! nicht ganz in der Ordnung. Ich zähle aber vierzig Jahre und bin Wittwe. In Paris, inmitten des allgemeinen Wirbels, war cs vielleicht noch erklärlich. Außerdem kannte mich Niemand im Saale, mit Ausnahme der mich begleitenden Personen. Doch in der Provinz verhält sich die Sache ganz anders. Hier kennt man sich gegenseitig, und ich kann Ihnen versichern, daß cd durchaus nicht an genehm ist, die vorgetragcncn Unfläthigkciten in einem Raume mit anzuhören, in welchem cs von unseren Freun den und Lieferanten wimmelt. Ich habe bas im ver gangenen Jahre — in der Provinz nämlich — an mir ifelbst versucht, und kann Ihnen sagen, daß die wohl erzogenen Frauen, die sich in das Theater verirrt hatten, eS nicht genug bereuen konnten. Ihr Gatte hat also voll kommen Recht!" Frau von Landois war zwar nicht überzeugt; allein nach kurzem Zögern beschloß sie, nicht weiter auf dem Gegenstände zu beharren. „Wissen Sie", Hub sie von Neuem an, „daß Rolande von Tournclles mit ihrer Mutter im Schloß angelangt ist?" „Tu meinst wohl Adele, nicht wahr?" verbesserte An toinette. . „Nein, Rolande", beharrte die junge Frau. „Ich bin keine Freundin dieser Dummheiten", fuhr An toinette fort. „Als sic noch im Kloster weilte, hieß sic Adele, nnd nannte sich ganz einfach Dcstvurnclles; Tu hast sie freilich nicht gekannt. Sic war Dir stets mit einigen Classcn voraus. Heute schmückt sie sich gern mit einem gothischcn Namen, und seit dem Tode ihres Vaters hat sic sogar ihren Familiennamen getrennt, indem sie aus der ersten Silbe desselben ein AdclSprädicat schmiedete. Ich kann sic aber trotzdem nicht dafür anschen, was sic nicht ist." „Streng, aber gerecht", meinte die junge Frau. „Ihr Vater hat aber eine noch größere Dummheit begangen, als er ihre Mutter hcirathcte." „Daran ist dock, aber Fräulein Destonrncllcs ganz ün« schuldig", erklärte Landry, der herangctreten war, sanften Tones. „Seien Sie ein wenig nachsichtig, meine Damen! Wenn alle Menschen fehlerlos wären, so hätten ja die guten keinen Werth!" „Im Hanse der Familie Toürnelles wird es aber jetzt interessant werden", plauderte Frau von Landois weiter. „Die Damen haben in Nizza nämlich die Bekanntschaft eines jungen nnd scheinbar berühmten Dichters gemacht, eines . . . eines . . wie nennt man das nur?" „Vielleicht Nöo-Decadcnten?" fragte Landry sehr ernst. „Mag sein ... Ich erinnere mich nicht. Einer jenier Herren, mit einem Worte, die Verse ohne oder fast ohne Reime machen, denselben aber dafür ungeheuer viele Füße geben. Allein, Yolande sagt, daß dies eine Musik, eine köstliche Musik sei. Außerdem hat sie eine Gesellschafts dame mit sich gebracht, die alle neue Partituren mit Vollen- düng spielt und Wagner singt, wie keine Zweite! Es fvirö natürlich Einladungen regnen. Ich werde denselben Folge leisten, daS ist einmal sicher. Du auch? Und »ie, Herr von Billorö?" „ . - Landry verbeugte sich schweigend. Antoinette aber sagte: „Wir werden mfS die Sache noch Überlegen., Ein überaus kühner Gedanke schoß ihr durch den Kopf, und sic fügte hinzu: „Ist der junge Dichter nicht etwa der Ver lobte des Fräuleins von Tournclles?" „Soweit mir bekannt, nein!" gab die junge Frau zur Antwort. „Doch ich muß fort; mein Wagen ist schon vor gefahren. Besuche mich doch einmal wieder, Antoinette; Tu bist ja in der letzten Zeit ganz unsichtbar geworden. Oder findest Du uns nicht interessant genug?" fügte sie mit einem etwas ironischen Lächeln hinzu, das sie entzückend erscheinen ließ. Inmitten der mit dem allgemeinen Aufbruch, dem Be zahlen und Verabreden neuer Zufammeiiküuftc ver bundenen Bewegung blickte Antoinette auf die Straße hinaus und sah den großen Landauer, in welchem ihr Vater geduldig wartete. „Tante", sagte sie, „Papa wird sich gewiß schon lang weilen. Wir müssen gehen." Langsam schritt Fräulein von Saint-Sauvcur zur Thür. Noch bevor sie den Fuß auf das Trittbret des Landauers gesetzt, hatte Landry die beiden Damen ein geholt und seinen Verwandten begrüßt. „Dn kommst nicht mit?" fragte dieser erstaunt. „Wir hätten Dich nach Hause gebracht." „CS thut mir leid", erwiderte Landry, „doch habe ich Pferd und Wagen im Gasthofe eingestellt, ohne einen Diener mitgebracht zu haben. Sei überzeugt, daß ich es von ganzem Herzen bedauere." „Nun, so bringe Dein Fuhrwerk schnell nach Hause und komme dann zum Speisen zu urts", beharrte Herr von Saint-Sauvcur. „Das nehme ich dankend an", erklärte der junge Mann, indem er Antoinette anblickte, die ein wenig crrüthet war. „Und wenn Sie eine so große Freundin von Wagner sind, Base", setzte er hinzu, „so will ich Ihnen den ganzen Abend nur Werke dieses Componistcn Vorspielen." „Nein, nein, ich danke schönstens", protcstirtc Herr von Laint-Sauveur, indem er sich beide Ohren zuhielt. Er hatte aber bemerkt, daß ihm seine Tochter einen Blick guwarf, und darum beeilte er sich hinzuzufügcn: „Schließ lich könnt Ihr thun, was Ihr wollt; ich werde meine Bcr- dauuugScigarre im Park rauchen. Und was Dich an- betrifst, Laurence", wendete er sich an seine Schwester, „so ist eS Dir wohl ganz gleich, ob Wagner oder ein Anderer. Dn besitzest ein Schlafvermögen, wie ich cs noch an keinem anderen Menschen wahrgcnommen habe." Der Landauer setzte sich in Bewegung und rollt« lans-
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