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Dezember lvlv precher 218S« >to Leipzig Nr. 147»? Geschäftsstelle und Stedaktio«, Dresden - A. 1«, Holbeinstratze 4« Bezugspreis, »lertcljahrltch ln der Geschäftsstelle oder von der Post abgcholt Ausgabe X mit tllustr. Beilage 4.80^. Ausgabe « 4.20 In Dresden und ganz Deutschland frei Hau» Ausgabe 1 4.08 /k, Ausgabe » 4.8S — Die Sächsische Bolkszeitnng erscheint an allen Wochentagen nachm. — Sprechstunde der Redaktion: LI bis 1» Uhr vorm. Anzeigen, Annahme von Gcschkftsanzetgen bls 10 Uhr, von FamiNcnanzeige» ois 11 Uhr dorm. — Preis skr bi« Pctit-Spaltzetlc 00^. in Reklametetl 1.S0 FamilteiuAnzeigen bv ^ — Für undeutlich geschriebene, sowie durch Fern sprecher ansgegebene Anzeigen können wir die Verantwortlichkeit kür die Richtigkeit des Textes nicht übernehmen. Die Unzufriedenheit mit dem Zentrum Unter dieser Uebcrschrift schreibt der neue Ober- 'I Präsident von Oberschlesien (bisher Regierungsprä sident von Oppeln), Geheimer Justizrat Bittn, Mitglied der Nationalversammlung, in der „Tchles. Volkszeitung" (Nr. 625) folgendes: Die allseitige Unzufriedenheit mit den gegenwärtigen Zuständen erklärt ohne weiteres die Abwanderung vieler zu den Oppositionsparteien. Denn der Unwille richtet sich naturgemäß gegen die regierenden Par teien. Tadeln ist ja immer leichter als Vcssermachen, und ein sozialdemokratisches Blatt hat den treffenden Sah ge prägt von dem Kinderspiel der Opposition und der G aV e e r e n a r b e i t des Regierend. Der Vorwurf der Grundsatzlosigkeit lind Wankelmütigkeit, den man gegen das Zentrum erhebt, hängt mit seinein Eintritt in die Koalitionsregierung zusammen. Solange sich das Zentrum in der Opposition befand, war es selbstverständlich in der Lage, alle seine Grundsätze auf kulturellem und wirtschaftlichem Gebiete unentwegt zu vertreten und zu be tätigen. Sobald es aber in eine Koalition eintrat, mußte es auf die audereu Mehrheitspartcien entsprechende Rück sicht nehmen. Das war schon vor der Revolution der Fall. Im preußischen Landtage, wo infolge des Dreiklassen- Wahlrechts eine ausgesprochen konservative Mehrheit bestand und die Kulturfragen eine besondere Rolle spielten, ging das Zentrum meist mit den Konservativen zusammen, im Reichstage, wo das allgemeine gleiche Wahlrecht den Demo kraten das Uebergewicht verschaffte, mit den demokratischen Parteien. Dieses verschiedene Zusammengehen des Zen trums hat sich schon früher als ein Mißstand erwiesen, der dahin geführt hat, auch in Preußen das allgemeine gleiche Wahlrecht an die Stelle des zweifellos nicht mehr zeit gemäßen Treiklassenwahlrechks zu setzen. Hätten die Kon servativen bei der Beratung der Preußischen Wahlvorlage im Frühjahr 1918 dem Zentrum Gefolgschaft geleistet und nicht starr und ohne Rücksicht auf die Dolksstimmung auf ihrem ablehnenden Standpunkte verharrt, so wäre ein Wahlrecht mit allen Sicherungen gegen demokratische Aus- Mchse zustande gekommen, und die Revolution, die zwei" sellos in der Verzögerung der Verabschiedung der preußi schen Wahlvorlage ihren äußeren Anlaß fand, voraus sichtlich vermieden worden. Der starre Widerstand der Konservativen gegen diese Wahlvorlage und ihre bisherige Gewaltpolitik haben aber ein weiteres Zusammengehen des Zentrum mit ihnen auch in der neuen preußischen Landesversammlung unmög- l i ch gemacht. Ein weiterer Vorwurf gegen das Zentrum wird daraus hergeleitet, daß cs die Monarchie leichten Herzens auf- gegeben habe. Dieser Vorwurf ist durchaus unbegründet. Das Zentrum hat wie bei der preußischen Wahlvorlage nur der Volksstimmung Rechnung getragen, und, was es konnte, zu retten gesucht. Es hat sich aber, nachdem ge wissermaßen über Nacht alle deutschen Dynastien besei tigt waren, schnell entschlossen auf den Boden der Tatsachen gestellt und sich auf den Wagen der Revolu tion gesetzt, um ihn nicht in den Abgrund gelangen zu lassen. Das Zentrum hat an sich niemals die Revolution gerechtfertigt. Wenn es die vollendete Tatsache der Revo lution anerkennt und bemüht ist, die Folgen der Umwäl- wmg, die bei früheren Revolutionen durchaus kirchenfeind- l'cke waren, zu mildern, so befindet es sich im Einklang mit den christlichen Grundsätzen. Daß eine Re gier» ng gegen die große Masse der Arbeiter nicht mehr möglich ist, nachdem die Arbeiterschaft sich infolge der Revolution ihrer Macht bewußt geworden ist, dürfte jedem Denkenden ohne wei teres einlenchten. Das trifft auch dann zu, wenn bei einer Neuwahl die bürgerlichen Kreise ein erhebliches Usberge- .wicht gegen die Sozialdemokratie erringen sollten. Ein weiterer Vorwurf gegen das Zentrum kommt aus den Kreisen der Gebildeten und der Landwirt- scha ft, überhaupt der Produzenten. Es liegt auf der Hand, daß die Revolution die Verhältnisse zuungunsten dieser Kreise umgestaltet hat und daraus ihre Unzufrieden heit zu erklären ist. Das wird und kann sich nur im Laufe der Zeit und durch verdoppelte Tätigkeit dieser Kreise bes sern. Tie Zeit, wo gewisse Kreise ohne Rücksicht auf beson dere Tüchtigkeit die Anwaltschaft auf höhere Amtsstellen hatten, scheint endgültig vorüber. Andererseits wird die Verwendung ungeeigneter Kräfte, wie sie die Revolution mit sich gebracht hat, voraussichtlich nur eine vorübergehende sein. Jedenfalls haben die K a t h o l i k e n zu Klagen keine Veranlassung, denn unter der früheren preußischen Verwal tung wäre die Anstellung so vieler Katholiken, wie sie nach der Revolution erfolgt, undenkbar gewesen. Auch die produ zierenden Stände werden gegenüber der Arbeiterschaft ihre Bemühungen verdoppeln müssen. Letztere hat sich durch ihre mustergültigen Organisationen mit der Zeit durchgesetzt, während z. V. die Landwirtschaft bei den früheren Partei- Verhältnissen im preußischen Landtag ohne weiteres ge schützt war. Jeßt tritt das umgekehrte Verhältnis zutage, nachdem die Arbeiterschaft, die nun einmal als Verbraucher in einem natürlichen Gegensatz zu den produzierenden Ständen steht, das Uebergewicht erlangt hat. Endlich wird die Steuerpolitik des Zen- t r n m s und des Reichsfinanzministers beanstandet. Ter Vorwurf kommt aus den Kreisen der Besitzenden. Er ist auch durchaus verständlich, denn wer wollte gern einen gro ßen Teil 'eines Vermögens auf den: Altar des Vaterlandes opfern, der sich nicht dem evangelischen Rate folgend zllr Armut im Geiste dnrchgernngen hat? Aber, wie selbst die Oppositionsparteien zngeben, ist die Aufbringung von jähr lich 25 Milliarden eine harte Notwendigkeit. Wie aber sollte dieser Betrag aufgebracht werden, wenn nicht die Besitzenden einen erheblichen Teil dazu beisteuern? Jeden falls kann der zur Macht gelangten Arbeiterschaft nicht zu gemutet werden, ihn durch indirekte Steuern, die arme und kinderreiche Familien stärker belasten als kinder lose und vermögende, allein aufzubrinaen, ' Im übrigen handelt es sich um Z w e ckin ä ß i g k e i t s f r a g e n , z. B. Neichsnotopfer oder Zwangsanleihe, über die man verschie dener Ansicht sein kann, und die von der Majorität zu ent scheiden sind. Zur Beruhigung vieler Rentner, die von ihren Zinsen leben, sei noch darauf hingewiesen, daß nach 25 des Reichsnotopfergesetzes denjenigen Rentnern, die die Zinsen ihres Kapitals zu ihrem Lebensunterhalt unbe dingt brauchen, das Reichsnotopfer zinslos bis zu ihrem Lebensende gestundet werden kann. Sozialrefrrrm und Gesiknunstserneuerung Die Revolution, in der wir noch stehen, ist im Grunde und im Ausgangspunkte eine soziale Revolution. Da ist nun beachtenswert, was im ly. Jahresbericht des „Sozialen Museums" zu Frankfurt am Main über das Jahr 1916 Dr. Heinz Marr, der viele Jahre am Ham burger Volksheim tätig war. über obige Frage u. a. schreibt: „Unmöglich wäre es nur doch, die Ueberzeugung zu verlieren, die ich in meinem Hamburger Amt aus wirklich sorgfältig überprüften Erlebnissen gewonnen habe, daß eine soziale Reform, die lediglich die äußeren Daseinsbedingun gen, die Verhältnisse, das Milieu ins Auge faßt, niemals zu ihrem Ziele gelangen kann. Anders gesprochen: daß wahrhaft soziale Reform nicht-nur Sach- und Zu- ständereform ist, sondern auch G e s i n n u n g s e r - Neuerung sein muß, ja darin ihren Schwerpunkt findet — daß also der Wert einer jeden sozialen Maßnahme, gleich- viel auf welchem Gebiet, letzten Endes von ihren charakte ristischen Wirkungen und keineswegs allein von ihren mate riellen Versprechungen abhängt. Noch immer beruht aber unser gemeinnütziges Wirken bewußt oder unbewußt auf der materialisti'chen Voraus setzung, soziale Gesittung wäre gleichsam ein selbstverständ liches Nebenprodukt vernünftiger Zustände, und jede zivi lisatorische Verbesserung verbürge deshalb ohne weiteres auch einen kulturellen Fortschritt. Lägen die Dinge wirk- lich so einfach, dann freilich dürste man hoffen, das soziale Problem schon von außen her, rein sachlichstofflich durch ge sellschaftstechnische Behörden und tadellose Einrichtungen löten zu können. Dann wäre es in der Tat überflüssig, sich mit den Faktoren des inneren Lebens über haupt besonders a n s e i n a n d e r z n s e tz e n. . . Gewiß ist der einzelne gegenüber der anonymen Macht der Verhältnisse immer irgendwie ..Produkt", — gewiß bleibt es eine unerschöpfliche Pflicht der Gesamtheit, die äußeren Umstände seines Daseins so zu ordnen, daß im Widerstreit der guten und schlechten Triebe, wie er sich in jeder Seele abspielt, den guten Neigungen der Sieg nach jeder Möglichkeit erleichtert werde. Wird aber jenes Ge fühl der Abhängigkeit vom Zuständlichcn zur Weltanschau ung gehoben und infolgedessen die befreiende Hilfe haupt sächlich von der Allgemeinheit (dem Staate, dem Gesetz geber) erwartet, empfinde ich mein Schick'al immer öfter als ein bloßes Resultat außerpersönlicher Faktoren, dann muß notwendig das Bewußtsein meiner SeIbstver, ant Wörtlichkeit undeutlicher werden. Tiests Be wußtsein frisch und stark zu erhalten, ist und bleibt jedoch eine der wichtigsten psychologischen Voraussetzungen sozialer Kultur. In welch hohem Maße, das wird die Zukunft noch deutlicher zeigen als die Vergangenheit, weil ja die Not des Krieges Millionen über Jahre liudurch von öftentlichcr Hilfe abhängig gemacht und an scheinbar unerschöpfliche Staatsleistnngen gewöhnt hat! . . Daß unser soziales Denken nach Neuorientierung drängt, ist mir nicht zweifelhaft. . . . Das Streben, zu rückzukehren zu den Onellen sozialer Kraft, verrät sich doch auch darin, daß die Fragen der Erziehung, der Schule und Jugendpflege, der '-staatsbürgerlichen jBildsing, der fami liären Kultur und Ehe, die Probleme der Religion und ihres Verhältnisses zur Ethik immer dringlicher gestellt werden. Hier in der Tat spüren wir es, wie bei aller Verschiedenheit der Strebungtzn die soziale Reform durch Verhältnisse und Zustände hindurch wiederum auf die Menschenseele selbst dringen möchte, wie ringsum das Gefühl immer deutlicher wird, daß der erzogene Mensch schließlich die Voraussetzung gerecht geordneter Daseinsbedingnngen sei und die beste äußereOrdnungerst sicher ge stellt werden könnte durch inwendige Bindungen, — wie überhaupt die Zustände nur Ausdruck unserer Gesinnungen wären, nur Formen, deren Wert und Wahrhaftigkeit vom Inhalte abhinge. . . ." Der katholischen sozialen Arbeit sind diese Gedanken nicht fremd. Das Bekenntnis zu ihnen ans einem anderen Lager soll uns nbe<- ermahnen, den Worten, in denen wir uns dazu bekannt, mehr die Tat folgen zu lassen. Damit, daß ich von Gesinnungserneucrung im Geiste Christi und des Evangeliums spreche und darüber rede, schaffe ich sie nicht. Ich kann sie eben nicht in die Menschen Hineinreden; ich muß sie vielmehr in der innersten Seele der Menschen, die ich um mich sammle, Wecken; ich muß ihnen die eigenen Angen öffnen für das Reich der Seele. Und das kann ich nur, wenn das in mir selbst innerstes Erleben ist. Erst dies Erleben kann wieder Erleben wecken. Von solchem Er leben sind wir aber vielfach noch weit entfernt auch in un serer sozialen und staatsbürgerlichen BildungSarbeit. Da finden wir vielfach Uebermittlung toten Wissens, nicht aber Vorerleben eigenen Erlebens. Neuerdings fallen auch dch meisten V o lks h o chschn l kn r se in diesen Fehler. In der eben veröffentlichten zweiten Auflage der „Sozialen Auskunft" 35 des Volksvereins: „Ziel und Wege der Volks bildung" bat A. Heincn praktische Anleitung dazu gegeben. Ann der Aufgabe der Staatsbürgererzicbung hat A. Pieper das deutlich herausgestellt in seiner Schrift: Zur staats bürgerlichen Bildung und Politischen Schulung. Eine Prämie Scheidemanns ans die Ermordung Liebknechts? Nus Berlin wird uns geschrieben: Mit einer merk würdigen „Enthüllung" tritt der in Holland inhaftierte E. Sonnenfeld hervor. Sonnenfeld war Sekretär des Herrn Sklarz, dessen Name in Verbindung mit den Millionen schiebereien- und den Behauptungen, daß auch Ebert, Scheidemann, Noske usw. daran beteiligt seien, gebracht worden war. Sonnenfeld schreibt an Marimilian Harden einen Brief, der in der „Zukunft" veröffentlicht wurde. Danach behauptet Sonncnfeld unter Eid und unter An gabe von Zeugenaussagen angeben zu könnnen, daß er als Zahlmeister der Regierungsbrigade den Auftrag erhalten habe, eine Prämie von 50 009 Mark demjenigen auszu zahlen, der Liebknecht oder die Luremburg tot in den Reichstag einliefern werde. Der Solm von Sklarz hätte ihm „erklärt", daß sein Vater und der damalige Volksbe- austragte Schei'demann gemeinsam 100 000 M. für diese Tat ansgesetzt hätten. Für so lächerlich dumm wird nun kein Mensch Scheidemann halten, daß er noch dazu einein Zahl meister einen solchen Auftrag gegeben ltzitte. Prompt er folgte denn auch das Dementi, das besagte, daß das Vor getragene den „Charakter der krankhaften Lüge" zeige. V e, Kaut: -h. W