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Dienstag, ^S95 «. Juli I8«S. Dreie- Blatt erscheint täglich Abend- und ist durch alle Post, anftalten de-In- «nd Au-lande- z« beziehen. Dresdner Journal. Preis fLr »«» Pirrteljaße r-lr. Znsertioa-grbäh« re» fürdrnNa»« einer gespaltene» Zeile » Pf. Herold für sächsische und deutsche Interessen. Redigirt von Karl Biedermann. Anzeigen aller Art für das Abends erscheinende Blatt werden bis 12 Uhr Mittags angenommen. Inhalt. Keine konstituirende Versammlung für Sachsen. — Falsche Gerüchte. —Tagesgeschichle: Dresden: Zwölfte Sitzung drr ersten Kammer; neunzehnte Sitzung der zweiten Kammer; Hauptversammlung des deutschen Vereins. Franzentbad. Berlin. Lpenradr. Wien. Agram. Aus Tirol. Paris. — Wissenschaft und Kunst: Hoftheater: „Die Hugenotten." — Kirchliche Umschau. — Feuilleton. — LingesrndeteS. — Ortskalen der. — Angekommene Reisende. Keine konstituirende Versammlung für Sachsen. Was wir gestern al- Befürchtung aussprachen, hat sich heute bereit- bestätigt. Der Ruf nach einer konstiiuirenden Versammlung ist erschollen, und schon unternehmen eS die Vaterlandsvereine, ihn ernstlich in Berathung zu ziehen. Zwar hat man nicht die Berufung einer solchen Versammlung ohne weitere- verlangt; zwar will man, daß die gesetzlichen Organe selbst zu ihrer Auflösung schreiten und die neue Gesetzgebung berufen; allein Da- kann uns in unserer Ansicht nicht wankend machen, wir protestiren auch heute gegen eine konsti tuirende Versammlung. Man ist fetzt leicht zum Verdacht geneigt. Man könnte daher argwohnen, es sei Denen, welche die Zustimmung der jetzigen Kam mern zu einer konstituirenden Versammlung verlangen, nicht Ernst damit, sie erwarteten nicht, daß diese Zustimmung erfolgen werde, und wären bereit, al-dann auch ohne dieselbe ihre Forderung durchzusrhen. Wäre Dem wirklich so, dann wäre ihre Handlungsweise unverant wortlich. Denn wer will eS verantworten, die Revoluzion anzuregen in diesem Lande, das tief seufzt unter dem Drucke der Gegenwart, dessen Erwerbsquellen, schon mannichfallig versiegt, durch neue Be wegungen gänzlich zerstört werden würden, und wo schon jetzt alle Kräfte in Anspruch genommen sind, die bestehende und die drohende Noch zu bewältigen. Und wäre eS nicht Revoluzion, die bindende Gewalt der gesetzlichen politischen Organe zu leugnen? Hieße e- nicht, unfern ganzen staatlichen Zustand in Frage stellen, wenn man eine verfassunggebende Versammlung wider den Willen Derer zu sammenrufen wollte, die allein berufen sind, Aenderungen an der Ver fassung vorzunehmen? Indessen eS sei fern von unS, zu verdächtigen. Wir weisen den Argwohn zurück, al- ob Diejenigen, welche eine konstituirende Ver sammlung verlangen, zu gewaltthätigen Schritten bereit seien; wir Nehmen an, daß sie wirklich hoffen, auf friedlichem Wege ihr Ziel zu erreichen. Aber in welche Widersprüche verwickeln sie sich. Ent weder die Kammern sind in der jetzigen Art ihrer Zusammensetzung dem Au-drucke de« Volk-willen- unzugänglich; dann werden sie ebenso wenig darauf achten, wenn da- Volk eine konstituirende Ver sammlung, al- wenn e- sonst etwa- Andere- verlangt. Oder sie fü gen sich dem deutlich ausgesprochenen Volk-willen; dann bedarf eS kei ner konstituirende» Versammlung. Nimmt man Jene- an, so spricht mau die Nothwendigkeit einer Revoluzion au- und Da- will man hoffentlich nicht thun. Glaubt man da- Letztere, so verlangt man et wa- Unzeitige-. Denn al-dann kann man auch durch die bestehen den Kammern unmittelbar seinen Wunsch erreichen. Wir sind mit Unfern Gegnern einig darüber, daß eine Art der Vertretung gefunden werden muß, welch« den Volk-willen reiner und leichtek darstellt, wie die bi-herige. Aber wir sind nicht einig darüber, wer über dies« neue Art der Vertretung entscheiden soll. Wir wollen: die jetzigen Der- treter; sie: eine konstituirende Versammlung. Wir werden in un serer Ansicht geleitet durch da- Bewußtsein der Macht, welche in der freien Presse und in dem freien Vereinigung-recht liegt; durch die Er fahrung : daß auch die am wenigsten demokratisch zusammengesetzten Körperschaften dem Rufe der allgemeinen Stimme nicht zu wider stehen vermögen, wenn sie sich nur einmal klar und deutlich erhoben hat; sie werden durch die Ungeduld verführt, ihre gerechten Wünsche durch die jetzigen Vertreter nicht sogleich anerkannt zu sehen. Maa wirft uns ein, die Volksstimme habe laut genug gesprochen und sei gleichwohl nicht gehört worden. Wir sagen, nein, der allgemeine Wille hat sich noch keineswegs so entschieden vernehmen lassen, um jeden Zweifel zu beseitigen. Wir erinnern an jene Frage der Oeffentllchkeit und Mündlichkeit; wie viel einstimmiger war damals der Ausdruck der öffentlichen Meinung. Man vergleiche nur die Zahl der Peti- zionSunterschriften von damals — von jetzt; die damalige Haltung der Presse und die heutige. Und selbst wenn sich jetzt alle Stimmen für die Beseitigung der ersten Kammer erhoben hätten, in einer Zeit, die so bewegt ist, wie die unsrige, kann sich auch ein ganze- Volk einmal mit seinen Wünschen überstürzen. Erst die Stetigkeit im Begehren, erst da- Nichtnachlassen in dem einmal ausgesprochenen Verlangen be weist, daß ein Volk von der Nothwendigkeit seiner Forderung durch drungen, daß e- zu ihr berechtigt ist. — Dagegen halten wir Denen ein, welch eine konstituirende Versammlung fordern, die Art der Zusammen setzung. Diese Versammlung müßte, wenn man auf gesetzlichem Bo den bleiben will, von den jetzt bestehenden Vertretern bestimmt werden. Entspräche sie nun wirklich den gehegten Erwartungen, d. h. wäre sie wirklich geeignet, den Volk-willen auf daS sicherste und unzweideutigste au-zudrücken, dann wäre ja die Vertretung für die Zukunft gefunden. Die konstituirende Versammlung brauchte nicht mehr diese Vertretung erst aufzusuchen; vielmehr müßte die Art, wie sie zusammengesetzt wäre, unmittelbar daS zukünftige Wahlgesetz bilden. Mit andern Worten: wenn man den jetzigen Ständen einmal zutraut, daß sie eine konstituirende Versammlung richtig zusammensetzen könne, dann muß man ihnen auch die Bildung einer neuen Vertretung anvertrauen dürfen, und will man das Letztere nicht, so darf man auch die konsti tuirende Versammlung von ihrer Zustimmung nicht abhängig machen. Man nehme doch ein Beispiel an England. Die Engländer sind durch Jahrhunderte lange Uebung konstiruzioneller Freiheiten ein politisch weit mehr entwickeltes Volk als wir, deren politische- Be wußtsein von gestern stammt. Sie haben eine Repräsentation, die wenigstens ebenso mangelhaft ist, wie die unserige. Aber hat man von daher jemals den Ruf nach einer konstituirenden Versammlung vernommen? Sie haben Jahre lang gekämpft, bi- sie die Abstellung der schreiendsten Uebelstände ihre- Wahlgesetze- durchgesetzt haben, aber sie sind durchgedruogen. Jetzt kämpfen sie wieder um die Wahl reform, ohne sich die Mühe verdrießen zu lassen und mit dem sichern Bewußtsein, daß sie doch endlich an- Ziel gelangen werden. Das