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Freitag, Nr. 26. 1. Juli 1853. Neustadt- Dresden, Markt, Rr. 2, La der Ver lags - Expedi tion zu haben. Ein unterhaltendes ochenblatt für den Bürger und Landmann. Redacteur: Friedrich Walther. — Politische Weltschau. Deutschland. Als ein bcmerkenswertheS Faktum ver- dient hervorgehoben zu werden, daß die meisten deutschen Re gierungsorgane, soweit fle überhaupt über die orientalische Frage sich äußern, mehr oder minder den Forderungen Ruß lands das Wort reden. Wenn wir Russen und nicht Deutsche wären, so würden wir diese Sympathien begreifen, denn man muß vor der russischen Politik, wenn man sich auf ihren nationalen Standpunkt denkt, allen Respect haben; sie weiß was sie will und sorgt unablässig für das Beste ihres Landes. Aber wir haben nicht russische, sondern deutsche Interessen zu vertreten, und wenn wir auch keine besonderen Sympathien für das Fortbestehen der osmanischen Herrschaft in Europa heaen können, so liegen doch Gründe genug vor, welche es wünschen lassen, daß die Ausdehnung der Machtverhältnisse Rußlands nicht zum Nachtheile Deutschlands ausschlage. Des halb ist es in der That unerklärlich, wie halbofficielle Organe sich veranlaßt finden können, die russische Politik noch besonders warm zu vertheidigen, während doch ein Blick in die Geschichte des letzten Jahrhunderts die Bestrebungen jener Macht im Oriente klar genug darlegt. Die deutsche Presse wird die Politik Rußlands allerdings nicht aufhalten, aber sie sollte billig Anstand nehmen, sie zu unterstützen. Aus dem Großherzogthum Baden erfährt man, daß die in Freiburg versammelt gewesenen Bischöfe der ober rheinischen Kirchenprovinz sich zu einer Nachgiebigkeit gegen die Staatsbehörden nicht geneigt gezeigt, sondern vielmehr den Beschluß gefaßt haben, den bischöflichen Anordnungen überall, selbst aus dem Zwangswege, Geltung zu verschaffen. Dem nach drohen die Conflicte zwischen den Regierungen und dem Kirchenregimente sich noch weiter fortzuspinnen. — In Wür- temberg ist die Staatsregierung gegen das in neuerer Zeit wieder überhandnehmende Wallfahrten eingeschritten, indem sie den Oberämtern eine frühere Verfügung eingeschärft hat, welche das Auslaufen der Würtemberger nach ausländischen Wallfahrtsorten als unzulässig bezeichnet, indem nicht nur das Hauswesen und die Kinderzucht der betreffenden Familien da durch vernachlässigt und ihr Wohlstand zerrüttet, sondern auch der Aberglaube genährt und öfters zu groben Ausbrüchen von Unsittlichkeit Anlaß gegeben werde. In Kassel hat nun der greise Oberbürgermeister Schwar zenberg seine zehnmonatliche Festungshaft überstanden, und seine Freilassung ist am 26. Juni erfolgt. Dagegen ist an demselben Lage der ehemalige Generaladjutant des Kurfürsten, Generallieutenant v. Lepel vor das Kriegsgericht citirt wor den ; er ist angeklagt, i. 1.1848 als erster Commandant von Kassel nicht die gehörige Energie entwickelt zu haben. Die Anklagen und Untersuchungen gehen demnach immer weiter zurück. — In Hannover hat die zweite Kammer die Vor lagen der Regierung über Abänderung der Verfassung mit 35 gegen 42 Stimmen verworfen. Das Ministerium er klärte hierauf, daß ihm unter diesen Umständen nichts übrig bleibe, als zurückzutreten, oder die Sachlage zur Kenntniß des deutschen Bundes zu bringen. Die vorgeschlagenen Abände rungen laufen vorzugsweise auf eine Begünstigung des großen Hinhehnter Jahrgang. HI. Ulvartal. Verlag von Heinrich und Walther. Grundbesitzes in der ersten Kammer hinaus und die ritter- schaftliche Partei, welche selbst mit diesen von der Majorität der zweiten Kammer bekämpften Zugeständnissen noch nicht zufrieden ist, wird sicher nicht ruhen, bis sie ihr Ziel, nämlich volle Herstellung der früher genossenen Rechte, erreicht hat. Die Zahl der in Schleswig ohne Pension entlassenen Geistlichen beträgt nach einer genauen Zusammenstellung 91; durch die von der Regierung vorgenommene sprachliche Ab grenzung der Districte sind nicht weniger als 46 Kirchspiele mit 50,000 Einwohnern des Deutschen als Kirchen- und Un terrichtssprache beraubt; man hat ihnen ohne Weiteres dänische Prediger und Lehrer octroyirt. Oesterreich. Wir haben schon mehrfach darauf hin gewiesen, daß die Anstrengungen der österreichischen Regierung, die mißlichen Geldverhältnisse zu regeln, trotz der außerordent lichen Mittel, welche die neuen Reorganisationen, Eisenbahn unternehmungen rc. erheischen, doch von sichtlichem Erfolge gekrönt werden. Den besten Beweis dafür giebt der Stand der Wiener Börse, welcher durch die politische Krisis der letz ten Monate weit weniger berührt worden ist, als z. B. der Pariser Geldmarkt. — Durch kaiserliche Verfügung ist nun das System der politisch-gerichtlichen Organisation Ungarns definitiv genehmigt; es ist dies von großer Wichtigkeit, da die bis jetzt nur provisorisch bestehende Einrichtung von der altconservativen Partei heftig bekämpft wurde. Alle Versuche, jenes Verwaltungssystem zu beseitigen, sind aber an der Festig keit des kaiserlichen Willens gescheitert. — Der österreichische Geschäftsträger in der Schwerz, Graf Karnicky, hat am 19. Wien verlassen, um sich auf seinen Posten nach Bern zurück- zubegeben; man folgert hieraus, daß die Differenzen mit der Schweiz eine günstigere Wendung genommen haben. — Der Fürst Daniels von Montenegro hat sich mit der Tochter des Triester Kaufmanns und Schiffrheders Kueauich verlobt. Frankreich. Fast größere Aufmerksamkeit als da- fortwährende Hin- und Herschwanken der Regierung in der orientalischen Angelegenheit hat ein kaiserliches Decret, welche- die innere Verwaltung betrifft, hervorgerufen. Der Kaiser hat nämlich das Polizeiministerium, welches zeither als ein abgesonderter und selbstständiger Zweig der Staatsverwaltung dastand, aufgehoben und die Functionen und Befugnisse die ser höchst wichtigen Geschäftsbranche dem Ministerium deS Innern übertragen. In dem betreffenden Decrrte heißt eS wörtlich, „daß die Ruhe und Sicherheit, welche im Lande herrschen, die Aufhebung des Polizeiministeriums erlauben, dessen Einrichtung durch Ausnahmezustände motivirt war." Wenn man erwägt, welche außerordentliche Machtbefugniß jenem Ministerium übertragen war, und wie durch die All gewalt deS Polizeiministers zahlreiche Uebergriffe herbeigeführt wurden, welche das Ansehn der Regierung vielfach beeinträch tigten, so kann man die Tragweite dieser Regierungsmaßre gel nicht unterschätzen. Daß auch fernerhin eme gutorgank- firte Polizei-thätig sein wird, versteht sich von selbst, denn eine solche ist, namentlich für Frankreich, unentbehrlich; aber sie wird nicht mehr, wie zeither, die erste Stelle im StaatS- organismuS einnehmen, und diese zweckmäßige Veränderung hat schon bei ihrer Ankündigung großen Beifall im Publikum