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tlr. 197. ^ripzig. Erscheint auß<rSo»lltag« täglich. Preis »ierlkljährlich , Thlr., . jrd« riuitlne Nummer L Ngr. Dklitschk AllMtiit Zcitüüg. «Wahrheit und Recht, Freiheit und GesetzI« Douuerstaz, 25. August 1870. Inserate find »n hnnscnstem ? Vogler in Leipzig oder an deren adrig« Häuser zu leudep. Inserltonagetühr sür die Epalicnzeilc l '/»Ngr., unter Eingesandt »'/, Ngr. Leipzig, 24. Aug. WaS wir gestern ganz im allgemeinen von den bei den neutralen Mächten da und dort vorhan denen VermittelungSgelüsten sagten, nimmt in den chelzte vorliegenden neuesten Nachrichten theilweise eine greifbarere Gestalt an. Doch müssen wir im voraus bemerken, daß keine dieser Nachrichten über das Maß der Zuverlässigkeit bloßer Gerüchte hinaus reicht und daß die einzige, welche etwas bestimmter auftritt, die von der Times gemeldete nämlich, nega tiver Natur ist, indem sie dir Weigerung Englands, in diesem Stadium des Krieg- auf irgendwelche Ber- mittelungSversuche einzugehen, constatirt. Was die andern Gerüchte betrifft, welche ihre Unsicherheit sogleich dadurch selbst verrathen, daß sie sich mit einem „es soll", oder „cS wird in diploma tischen Kreisen versichert", einsühren, so spricht das eine von angeblichen Verhandlungen wegen Berufung eines europäischen CongresseS, die, wie es scheint- von Rußland auSgehen sollen; ein andere- weiß bereits von einer ganz bestimmten Vermittelungsbasis, über welche England und Italien übereingekommen seien, und diese Basis wäre keine andere als — die Inte grität (Unverletzbarkeit) dcS französischen Gebiets. In ebendiese Klasse der gänzlich vagen Gerüchte gehört auch die zweite Nachricht der Times, der zu folge „es scheint", als ob das englische Cabinet „die Bildung eines neutralen StaatS aus Elsaß und Lothringen begünstige". Per Gedanke, dem einen und nur dem einen der kriegführenden Theile für alle Fälle die Unverletzbar keit seines Gebiets zu sichern, ist von einer so köst lichen Naivetät, daß er würdig wäre, in der österrei chischen Reichskanzlei auSgehcckt zu sein. Daß eng lische Staatsmänner sich dazu hergeben sollten, mit einem solchen Gedanken irgendwie sich zu identificiren, können wir — sowenig wir auch Grund haben, die politische Unbefangenheit des gegenwärtigen englische» Ministeriums allzuhoch anznschlagcn —doch unmög lich glauben. " Aber auch der Gedanke einer Neutralisirung de- Elsaß und Lothringens ist so unpraktisch, namentlich aber vom englischen Standpunkte aus so wenig em- pfehlenSwerth, daß seine ernsthafte Inbctrachtnahme seitens des englischen Cabinets kaum denkbar scheint. England hat mit der Sicherung der Neutralität Bel giens und der Schweiz schon genug Noth und Sorge gehabt, es wird sich nicht noch eine neue Last dieser Art aufladen wollen. Vollends ein Gebiet, das so ganz wie dazu geschaffen wäre, der fortwährende Zankapfel zwischen Frankreich und Deutschland zu sein, wie daS bei einem Zwischenlande Elsaß-Lothringen der Fall sein würde, ein Gebiet, welches schon in früher» Jahrhunderten dies gewesen, — das sollte man jetzt wieder in eine so unhaltbare, für dessen Frankreich und Deutschland. Ein Brief von David Strauß an Ernst Renan. David Strauß hat bekanntlich vor kurzem ein geistvolles Buch über Voltaire geschrieben (Leipzig, S. Hirzel). Er hatte dasselbe an seinen französischen Geistesverwandten Ernst Renan gesandt und von die sem dafür einen warmen Dank empfangen. Die Ant wort auf dessen Brief — am 12. Aug. von Rorschach aus geschrieben und in der augSburger Allgemeinen Zeitung veröffentlicht — benutzt Strauß dazu, um sich über den Krieg zwischen Frankreich und Deutsch land auszusprechen. Nach einigen einleitenden Wor ten, in denen er von dem günstigen Empfange spricht, den sein Buch über Voltaire in Deutschland allseitig gefunden, Und seine Freude ausdrückt über den Bei fall, den Renan demselben schenke, fährt er so fort: Freilich wer kann sich einer literarischen Arbeit, und gerade einer internationalen Friedensarbeit, wie meine Schrift Über Voltaire gemeint war, freuen in einem Augenblicke, wo die beiden Nationen, die sie einander naher zu bringen helfen sollte, sich in Waf fen gegenllberstöhen? Gewiß habe» Sie recht, wenn Sie sagst!, daß dieser Krieg allen denen, die sich um die geistige Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland bemühest, höchst schmerzlich sein müsse; wenn Sie eck als ei» Unglück betrachten, daß nun auf langehin wieder Haß, Ungerechtigkeit und lieblose Be- urtheilung an der Tagesordnung sein sollen zwischen den zwei Theilen der europäischen Familie, deren Einverständniß für das Werk der Gesittung am noth- wcndigstcn sei;' nicht minder, wenn Sie cö als die eigene Bevölkerung so unerträgliche, für die Ruhe Europa- so gefährliche Lage vnsetze» wollen? „ Nein! Das einzige von allen den Gerüchten über - diplomatische Abmachungen unter de» neutralen n Mächten, die fortwährend durch die Luft schwirren, x daS einzige, dem wir einen höher» Grad von Glaub- ,, Würdigkeit beilegen und da- wir gern bestätigt sehen r würden, ist das Gerücht von Bemühungen England-, - die neutralen Mächte in der Art zu einer gewissen r Solidarität untereinander zu verbinden, daß keine der- , selben ohne die andern sich eine Einmischung in den i Streit zwischen Frankreich und Deutschland erlaube, ' weder in Betreff der Anbahnung eines Friedens über- Haupt, noch um auf die Bedingungen eine- solchen einzuwirken. Diese Vereinbarung, auf welche Ruß- e land sehr bereitwillig, »ach ihm auch Italien einge- e gangen wäre, während Oesterreich allein gezögert hätte, diese Vereinbarung, von welcher vielleicht daS Gerücht wegen eines europäische» CongresseS nur ein falscher Ausd-uck ist, hatte allernächst den Zweck, " dem einseitigen Vorgehen einzelner Mächte in einer bestimmten Richtung (wozu Oesterreich den Anstoß r gegeben zu haben scheint, und wofür eS Italien wol ' schon so ziemlich gewonnen hatte) einen Riegel vor- zuschieken. Dieser Zweck scheint erreicht und damit wenigstens die Gefahr einer Parteinahme beseitigt, e welche leicht den Krieg aus einem bloS zweiseitigen - zu einem allgemeinen europäische» hätte machen können. Vom Kriegsschauplätze. Der Preußische StaatS-AnZeiger vom 23. Aug. gibt folgende detailliriere Mitlhettungen über die Schlacht bei Rezonville: „Die Stellung der deutschen CorpS vor und nach der Schlacht laßt erkennen, daß der Plan zu derselben darin bestand, die Südfronte der französischen Streit» , kräfte in einem stundenlange» Gefechte festzuhalten, bis daS 12, Garde- und 9. Corp-Zeit gefunden hatten, den Vorbeimarsch an der feindlichen Fronte, die Recht-» abschwenkung und die Ueberflügelung de- Bazaine'- sche» rechten Flügels auszuführen. Diese ganze Be wegung war gegen Mittag so weit vorgeschritten, daß das Eingreifen de- 10. CorpS bei St.-Marcel und der Angriff des 9. auf Berneville erfolgen konnten. Der starke Druck de- 12. (sächsischen) CorpS auf den französische» rechten Flügel nöthigte den Feind zuerst zum Zurückgehen; am Nachmittag war die französische Position zu beiden Seiten des Dorfes Berneville be reit- in unsern Händen; während südlich daS 7. und 8. CorpS Gravelotte genommen hatten. Gegen Abend erfblgte dann der letzte Stoß mit dem 2. Corps über Gravelotte hinaus und wahrscheinlich gleichzeitig mit einem Vorgehen unsererseits auf der ganzen Linie, was den Feind zum Aufgeben auch seiner letzten Positio nen im Felde und zur völligen RückwärtSconcentra- tion in die Festung zwang. Daß das Hauptquartier Pflicht jedes Freundes von Wahrheit und Gerechtig keit hinstellen, neben vollständiger Erfüllung der na tionalen Pflicht, sich doch von dem parteiischen Pa triotismus freizuerhalten, der daS Herz verengt und daS Urtheil fälscht. ' Sie äußern, hochgeehrter Herr, Sie hätten ge hofft- 4>aß der Krieg sich noch würde beschwören las sen. Das haben auch wir Deutschen seit 1866, in jedem einzelnen Falle, da er zu drohen schien, gehofft; aber im allgemeinen hielten wir einen Krieg mit Frankreich als Folge der Ereignisse jenes Jahres für unvermeidlich, so unvermeidlich, daß man da und dort unter uns die tadelnde Frage hören konnte: warum Preußen nicht schon früher, aus Anlaß des luxem- burger Handels z. B-, den Krieg ausgenommen und die Sach« zum Austrag gebrackt habe? Nicht als hätten wir den Krieg gewollt, aber wir kannten die Franzosen genug, um zu wissen, daß sie ihn wollen würden. Es ist wie mit dem Siebenjährigen Kriege als Folge der beiden schlesischen des Großen Friedrich. Er hat dewelben auch nicht gewollt, aber er hat ge wußt- daß Maria Theresia ihn wollen und nicht ruhen würde, bis sie Bundesgenossen dafür gefunden hätte. Auf ein hergebrachtes Uebergewicht verzichtet ein Herrscher, ein Volk nicht so leicht; sie werden Versuche machen, es sich zu erhalten, bis cs ihnen entschieden genommen ist. So damals Oesterreich, so jetzt Frankreich, beide Preußen gegenüber, dem diesmal, besser beehrt, das ganze außerösterreichische Deutschland zur Seite steht. ' Frankreich ist seit den Zeiten Richelieu's und Lud wig'-XIV. gewohnt, die erste Rolle unter den euro- . Sr. Maj. in Rezonville, dürfte am besten beweisen, wie weit unsere ArmeecorpS noch vor diese-Dorf vor geschoben, wie nahe sie den Werken von Metz sein müssen. DaS Terrain von Gravelotte über Berneville und Amanvillier» bis St.-Privat ist trefflich zur Verthei- digung geeignet; Wälder und leichte Anhöhen erschwer ten den ersten Angriff, welcher in der Wegnahme der günstig zu behauptenden Ortschaften erst die Stellung des Feindes erschüttern wußte, bevor dieselbe völlig zu nehmen war. St.-Marcel ist ein kleines Dorf an der Quelle eine- in die Orne mündenden Flosse-; Doncourt (Iss Ooulluns), ebenfalls an einem Zuflüsse der Orne gelegen. Berneville, mit 700 Einwohnern, liegt an der Mance; Amanvilliers liegt inmitten der Wälder von Saulny; St.-Privat (la montagus) hat nur 450 Einwohner und deutet schon in seinem Namen da- bergige Terrain an, in welchem eS liegt." — Neber die Kriegslage nach der Schlacht bei Rezonville und Gravelotte bemerkt die Kriegs- Zeitung in ihrer Nummer vom 23. Aug.: Bazaine hat sich also nach dem Gefecht von MarS-la- Tour in die starke Position Berneville und Gravelotte zu rückgezogen, Frönte nach Westen und Süden. Diese Posi- lion ist in der Weise angegriffen worden, daß, während da-,7., 8. und 2. Lorp« die Südfronte der Franzosen im langsamen Gefecht beschäftigten, daS 12., Garde- und 9. Eorps links abmarschirten, an der feindlichen Fronte vor beigingen und dann rechts einschwenkten, indem sie beson ders auf den feindlichen rechten Flügel drückten. Gegen Mittag »>ar die Umgehung so weit vorgeschritten, daß da» 9. Lorp« bei Berneville angriff; daS Gardecorps stänÜ St.-Privat gegenüber, während das 12. CorpS wahrschein lich noch weiter nördlich auf den feindlichen rechten Flügel wirkte. Am Nachmittag war die Position von AmanvillerS- Lhatel auf ihrem rechten Flügel in unsern Händen, Gra« velolte war vom 7. und 8. Corps genommen. Wrnri man auf der Karte das Terrain zwischen St.-Privät und Chatel betrachiet, dann steht man, wie stark die Positionen den Franzosen gewesen sind, und man bewundert die Lültikde» Feldherrn, der durch einen Flanleumärsch mit späterer Um» gehung de» rechten Flügel» di« erste, Ausstellung bei Pernes ville-GraveloUe umgeht, den linken feindlichen Flügel s» lange festhält, bi» die Umgehung aüSgefühtt ist, und bann den Feind von Position zu Position zurückwirft. Die Bra vour unserer Truppen bei Erstürmung dieser verschanzte» und vorbereiteten Stellungen muß über alles Lob erhaben gewesen, sein. Aus allem geht hervor, daß Bazaine bereit» am 17. Aug. sich zu schwach gefühlt hat, den Weg nach Verdun zu erzwingen, daß er aber uns doch" noch eine Schlacht in foilificatorisch befestigter Stellung liefern wollt«, bevor er die Bereinigung mit der Armee von ChäloNS auf gab. Der Sieg ist blutig, sehr blutig, erkauft ; ab.r er wird dafür seine Früchte tragen. Es.wird die Schlacht bei Gra- velolte und Berneville vielleicht da» letzte mal gewesen sein, daß eine französische Armee es wagt, sich uns in offener Feldschlacht gegenllberzustelleä. Gravelotie ist hoffentlich ein zweite» Königgrätz gewesen, daS un« ebenso schnell vor die Mauern von Paris wie 1866 vor die von Wien führt. Die Schlesische Zeitung schreibt unterm 22. Aug. zur Kriegslage: Unsere Truppen müssen ganz Außerordentliches geleistet haben. Aber sie mußten auch siegen, kostete es, was e» päischen Nationen zu spielen, und durch Napoleon I. ist es in diesem Anspruch bestärkt worden. Derselbe gründete sich auf seine starke Politisch-militärische Or ganisation, noch mehr auf die classische Literatur, die sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts in Frank reich entfaltet und seine Sprache, seine Bildung zur weltbcherrschendcn gemacht hatte. . Die nächste Be dingung dieser Herrscherrolle Frankreichs war aber die Schwäche Deutschlands, das seiner Einheit getheilt, seiner Einigkeit zwiespältig, seiner Beweglichkeit schwer fällig gegenüberstand. Doch jede Nation hat ihre Zeit und, wenn sie rechter Art ist, nicht bloS eine. Die deutsche hat die ihrige schon im 16. Jahrhundert, im Reformationszeitalter, gehabt; sie hatte diesen Vor sprung in der Folge thpuer bezahlt durch die Zer rüttungen eines dreißigjährigen Krieges, der sie nicht nur in politische Unmacht, sondern auch in geistige Verkommenheit zurückwarf: darum aber war es mit ihr noch lange nicht zu Ende. Sie ersah sich von neuem ihre Zeit. Sie fing es auf der Seite an, wo die französische nicht die Wurzeln ihrer Macht, aber die ihres Rechtes zur europäischen Führerrolle gehabt hatte. Sie bildete sich im stillen; sie erzeugte eine Literatur; sie ließ eine Reihe von Dichtern und Denkern aus sich hervorgehen, die de» französischen Classikern des 17. und 18. Jahrhunderts mehr als nur ebenbürtig zur Seite traten. Mochten sie auch an Feinheit des Weltverstandes und der Weltbildung, an Klarheit und Eleganz der Form die Franzosen nicht immer erreichen, so waren sie ihnen doch an Tiefe des Gedankens, an Wärme des Gcmüths Über legen; die Idee der Humanität, der harmonischen