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Wöchentlich erscheinen drei Nummern. Pränumeration--Preis 22 Silbergr. Thlr.) vierteljährlich, Z Thlr. für da- ganze Jahr, ohne Erhöhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. Magazin für die Pränumerationen werden von jeder Buchhandlung (in Berlin bei Veit u. Camp., Jägerstraße Nr. 23), so wie von allen König!. Post-AenNern, angenommen. Literatur des Auslandes. 37. Berlin, Donnerstag den 27. März 1845. England. Ueber den Zustand der Musik in England. Zweiter Brief.") Dramatische Musik. — Basse. — Die Tochter St. Marco'S. — Die vier HaymonS- tindcr. — Skizze dieses Stücks. — Die italiiinische Oper. — Der philharmonische Verein. — Meycrbeer und Jenni, Lind. — DaS Kinderballet der Madam- Weiß. — Mendels sohn-Bartholdy. — Antigone. London, im März I84L. Um eine Darstellung des heutigen Zustandes der englischen Musik zu ent werfen, muffen wir uns vor Allem mit den Compositionen des Herrn Balfe beschäftigen, der in diesem Augenblick als Liebling unseres Publikums dasteht. Wenn man ins Theater geht, um englische dramatische Musik zu hören, so findet man nur Balfe auf der Scene-, seine Opern sind die einzigen, die stets volle Häuser machen — die einzigen, welche die Verleger mit offenen Arinen aufnehmen. Er hat eS verstanden, den populairen Geschmack zu treffen, und ist durch den goldenen Regen belohnt worden, den man, außer eben in seinem Fall, nur noch als eine fabelhafte Ueberlieferung jener alten Zeiten betrachtet, wo der Künstler noch den Rang cinnahm, der seinem einflußreichen und nütz, lichen Wirken gebührt, und wo Fürsten und Völker ihm um die Wette ihre Huldigungen darbrachten. Balfe hat bis jetzt sechs Opern geschrieben, und eS liefert einen schlagen- den Beweis für die Elastizität seines Talents, daß er sie für die Bühnen dreier verschiedener Nationen — der englischen, französischen und italiänischen geschrieben, und daß sie aus allen dreien mit günstigem Erfolg gegeben wurden. Man wird vielleicht einwenden, daß ein Komponist, der seinen Stpl mit solcher Leichtigkeit wechselt, nur wenig Gedankentiefe und Eigenthümlichkeit besitzen kann. Dies ist aber auch wirklich der Fall; es fehlt seinen Werken an aller Individualität, seinen Personen an allem dramatischen Charakter. Seine Musik ist das fa« «inüle seiner selbst — frisch, freundlich und heiter, aber ganz unfähig, die Empfindungen und Bewegungen der menschlichen Seele wiederzugeben. An die kühne Jndividualifirung der dramatischen Gebilde Weber's, an die feine Charakteristik Mozart's, an die Shakespeare-artige Tiefe Beethoven's ist hier nicht zu denken; Balfe's Werke gleichen einer grünen, glatten, aber flachen Ebene — heiter, lieblich, aber monoton. Von diesem Mangel an Kontrasten rührt eS auch her, daß sein letztes und am sorg fältigsten gearbeitetes Werk: die Tochter von St. Marco, auch daö ermüdendste ist, da die Länge desselben unv die Durchführung des klassischen Rezitativs starke Lichter und Schatten, so wie gute Gruppirung, unentbehrlich machen, worin er sich aber gerade am schwächsten zeigt. Man denke sich drei lange Akte voll niedlicher Melodiken! — Die Art, wie diese Oper in Scene gesetzt wurde, hat gleichfalls dazu beigetragen, ihrem Erfolge zu schaden. Bei allen Mängeln der Composition ist die Jntrigue des Stücks an wirksamen Situationen reich, und gute Schauspieler würden die letzteren her vorgehoben und die ersteren den eben nicht scharfsichtigen Blicken unserer Kritiker entzogen haben; aber mit einer unfähigen Vrüns Vonns in der Per son der Miß Rainforth, einem so hölzernen und schwerfälligen Tenor wie Harrison und drei schlechten Bassisten ist es nur zu verwundern, daß die Oper nicht völlig durchfiel. Der Dialog ist so flach, daß die Sänger, die ihn hör bar werden ließen, ein spöttisches Gelächter erregten, weshalb die anderen eS weislich vorzogcn, ihn ganz unverständlich herzumurmcln. Man kann daher den theilweisen Succeß deS Stücks nur unserer übertriebenen Vorliebe für hübsche Melodieen und den glänzenden Decorationen zuschreiben. Eine Scene und Arie der Katharina und ein von drei Bässen gesungener Kanon gehören zu den besten Nummern der Oper; aber es ist dem Komponisten unmöglich, einen bösen Charakter musikalisch auszudrücken. Als Mensch erscheint er vielleicht dadurch um so liebenswürdiger — als Künstler muß er jedoch noth- wendig verlieren. Ein heiterer, offener, zärtlicher oder leidenschaftlicher Charakter gelingt ihm, aber mit einem insuvsin mijer, wie Moncenigo in der „Tochter St. Marco'S", weiß er durchaus nicht umzugehen — er gebraucht furchtbare Dissonanzen und müht sich ab, wild und rachsüchtig zu erscheinen, ohne bei seinem Publikum ein anderes Gefühl hervorzubringen, als das der Befremdung über die seltsamen Ertravaganzen deS Orchesters und deS Sän gers, und wenn der Vorhang fällt, verlassen die Zuhörer in einer so ruhigen Stimmung das HauS, wie es nach einem so schlechten iikrert» nur möglich ist. ES gewährt einigen Trost, sich von dieser Oper zu den „ vier HaymonS - kindern" (len quarre kiis ü'^>mon) zu wenden. Das Talent unseres Balfe fand hier einen weiteren Spielraum, und er hat den ihm anvertrauten heiteren und effektvollen Tert nach Möglichkeit benutzt. Der ritterliche Ton, die leidenschaftliche Zärtlichkeit, der lebhafte Witz und Humor desselben paßt auch in der That ganz vortrefflich zu dem leichten und melodiösen Styl seiner Compositionen. Die Eleganz der Motive, der Reichthum und die Fülle der Begleitung vereinigen sich mit der anziehenden Jntrigue und den pikanten Situationen des Stücks, um ein Werk hervorzubringen, das man unbedingt als sein am meisten gelungenes bezeichnen muß. ES ist vielleicht das einzige, das den Namen Balfe's auf die Nachwelt bringen wird. Wenn es daher von England aus in Bezug auf einen Engländer nicht unpatriotisch klänge, so möchte man dem Komponisten rathcn, sich gänzlich der französischen Bühne zu widmen, deren Einfluß ihn auf eine ganz andere Art zu begeistern scheint, als es unsere eigene vermochte. Da, so viel ich weiß, diese Oper bei Ihnen noch unbekannt ist"), so wäre hier wohl der Ort, Ihnen eine kurze Skizze ihres Inhalts mitzuthcilen. Im ersten Akt empfängt der alte treue Seneschall des edlen Geschlechtes Hapmon seine vier jungen Herren, die von einer durch ihren verstorbenen Vater auferlegten Pilgerfahrt zurückkehren, nach deren Be endigung sie in den Besitz ihrer Erbschaft treten sollen. Der alte Herzog hat nämlich eine große Kiste hinterlassen, in der man einen unermeßlichen Schatz vcrmuthet. Die Jntroductions-Arie des Seneschalls ist lebhaft und entsprechend; der Marsch, der die vier jungen Ritter ankündigt, hat einen großartigen An strich und zeichnet sich durch eine Harfen - Begleitung aus, die der Komponist im Verlaus der Oper mehrere Male mit eben so viel Geschick als Erfolg an- wendet. In der Kiste finden die HaymonSkinder nichts als eine Schrift, worin ihr Vater seine Armuth bekennt, aber ihnen Glück und Segen verspricht, wenn sie treu an einander halten und das ungünstige Schicksal mit Festigkeit be kämpfen. Getäuscht, aber nicht entmuthigt, ziehen die Brüder sich zurück, und der Baron Beaumanoir, der in dem nahen Walde auf der Jagd ist, erscheint mit seiner Tochter, um nach den Anstrengungen des Tages Ruhe zu suchen. Der Seneschall setzt ihm das Frühstück vor, welches er mit vieler Mühe für seine jungen Herren angeschafft hat, und der Baron giebt jetzt den wahren Zweck seines Besuches zu erkennen: er wünscht nämlich, den Erben des Herzogs Hapmon kennen zu lernen. Dcm Seneschall wird die Neugier des Barons durch den Anblick seiner schönen Tochter erklärlich, und er läßt daher die drei jüngeren Söhne in fremden Ländern umkommen, während er dem ältesten, Olivier, eine fürstliche Erbschaft andichtet. Um sich einer so erwünschten Partie zu versichern, ladet der Baron den vermeintlichen Krösus nach seinem Schlosse ein und versetzt dadurch die beiden Liebenden — denn als solche wird man Olivier und Hcrminen leicht erkannt haben — in das freudigste Erstaunen. Der zweite Aufzug beginnt mit den Vorbereitungen des alten Beaumanoir zum Empfang seines Gastes. Der Seneschall, der zuerst eintrifft, wird ge- nöthigt, dem habsüchtigen Baron eine detaillirte Schilderung der Besitzthümer seines Herrn zu geben, waü den Stoff zu einem höchst ergötzlichen Duett liefert, dessen komische Färbung in pikantem Kontrast zu der leidenschaftlichen Zärtlichkeit steht, die der Herzog und seine Geliebte bei ihrer Zusammenkunft ausdrücken. Es würde unsere Gränzen übersteigen, den weiteren Verlauf der Handlung genau zu analpsiren; sie besteht im Wesentlichen darin, daß Hermine, um ihre drei Cousinen vor dem Nonnenschlcier zu retten, sie den drei Brüdern Olivier'S zu Frauen giebt, während diese Herminen selbst zu entführen glauben, in welche fie Alle verliebt find. Das Finale dieses Aktes bringt eine herrliche Wirkung hervor; die Musik verhallt in reizenden Akkorden, wie die drei Prin zen ihre verschleierten Bräute davontragcn, der Herzog Olivier sinkt seiner Geliebten zu Füßen, und die ganze Scene bildet eines der schönsten Tableaur, die wir je auf unserer Bühne gesehen habe». Dieser Akt ist in musikalischer sowohl, als dramatischer Hinsicht die Krone der ganzen Oper; Hermincn'S beide Romanzen und ihr Duett mit Olivier sind höchst charakteristisch und voller Melodieen. Im dritten Akt kommt der „fromme Betrug" des Seneschalls an den Tag, da Hermine ihre Freundinnen retten will, ehe sie ihr eigenes Glück durch ihre Verbindung mit dem jungen Herzoge sichert; indessen nimmt, wie man sich denken kann, die Sache ein erwünschtes Ende, und Held und Heldin werden nach Gebühr für ihre Aufopferung und ihren Edelmuth belohnt. Die herrliche Romanze Olivier'S: lu Go «simpel, und das Duett zwischen dem Baron und seiner Tochter: Keep me no lunger lingering, verdienen hier be sondere Auszeichnung. --- Diese Oper wurde bei uns vortrefflich in Scene ') Man sehe den ersten Brief in Nr. des Magazin« vom vor. Iah«. ') Dem Vernehmen nach, wird sie lest in Wien einstudirl.