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Hauptthemas stehen. In der geistvollen Durch führung werden die beiden Themen vollstän dig verwandelt, einmal durch die steigende Beschleunigung des Zeitmaßes, zum anderen durch die für Prokofjew so typische sarkastisch ironische Verzerrung ihres ursprünglichen Cha rakters. Aber in der Reprise erklingt das kan- table Hauptthema in seiner originalen Gestalt im Orchester, während es die Violine figurativ umspielt. Der zweite Satz (Vivacissimo), for mal einem fünfteiligen Rondo entsprechend, hat ausgesprochenen Scherzocharakter (man beachte auch die Verwandtschaft zum Scher zo des zweiten Klavierkonzertes). Ununterbro chene Bewegung zeichnet diesen grotesk-lau nischen, brillanten Satz mit seinem prägnan ten, chromatisch aufsteigenden ersten Thema aus. Der temperamentvolle musikantische Übermut, der in den melodischen Sprüngen, Glissandis und Flageoletts dieses Scherzos steckt, wird auch nicht durch vorübergehende trübere Stimmungen, die Episoden bleiben, be einträchtigt. Die lyrische, lichte Atmosphäre des ersten Satzes wird im dritten Satz (Mode rato), „der Bilder eines heiter-klaren Traumes enthält" (W. Delson), wieder aufgenommen. Starke Gefühlskräfte prägen das Hauptthe ma, das die Violinen gleich zu Anfang anstim men. Auch hier gewinnen die dunklen Ge genkräfte nicht die Oberhand. In der umfang reichen Coda, die den Satz beschließt, wer den auf dem Höhepunkt das lyrische Haupt thema des Eröffnungssatzes (in der Solovioline und den ersten Geigen) und das Hauptthe ma des Schlußsatzes (im Orchester) miteinan der verknüpft. Strahlende Klanglichkeit faszi niert den Hörer. Peter Tschaikowskis Sinfonie Nr. 6 h-Moll op. 74 entstand 1893, im letz ten Lebensjahre des Komponisten, und wurde Kurze Zeit vor dem Tode des großen russi schen Meisters in Petersburg uraufgeführt. Tschaikowski, der das Werk selbst dirigierte, trat damit zum letzten Male in der Öffentlich keit auf. Die „Sechste", das letzte große Werk des Komponisten, stellt schlechthin einen Gip felpunkt in seinem gesamten Schaffen dar. Sie wurde tatsächlich sein „bestes Werk", wie Tschaikowski mehrfach während der Arbeit an der Sinfonie geäußert hatte. Sie wurde zu gleich sein Requiem. „Du weißt, daß ich im Herbst eine zum größ ten Teil schon fertig komponierte und instru mentierte Symphonie vernichtete, und das war gut, denn sie enthielt wenig Wertvolles und war nur ein leeres Tongeklingel ohne wirkli che Inspiration. Während der Reise kam mir der Gedanke an eine neue Symphonie, dies mal eine Programmsymphonie, deren Pro gramm aber für alle ein Rätsel bleiben soll . . . Dieses Programm ist durch und durch subjektiv . . . Der Form nach wird diese Symphonie viel Neues enthalten, unter ande rem wird das Finale kein lärmendes Allegro, sondern im Gegenteil ein sehr langgedehntes Adagio sein." Diese Briefstellen des dreiund fünfzigjährigen Tschaikowski an seinen Neffen Wladimir Dawidow zeigen, aus welcher Situ ation heraus die „Sechste" entstanden ist. Die äußeren Lebensumstände des Meisters waren mit zunehmendem Alter durch sich steigernde Ruhelosigkeit, innere Gegensätzlichkeit und Zerrissenheit gekennzeichnet. Nur die Flucht in rastloses Schaffen verhalf ihm zu relativem Gleichgewicht. Leidenschaftlichster, unmittel barer Ausdruck der ihn bewegenden, ja fast zerreißenden Gegensätzen wurde seine sechste Sinfonie. „In diese Sinfonie", schrieb Tschai kowski, „legte ich ohne Übertreibung meine ganze Seele; ... ich liebe sie, wie ich nie zuvor eine meiner Schöpfungen geliebt habe." Wie viele seiner letzten Werke ist auch die „Sechste" von leidvollen Stimmungen durch zogen, aber nie im Sinne pessimistischer Hoff nungslosigkeit, Todessehnsucht oder willenloser Passivität. Auch im Ausdruck des Tragischen, der Klage, schwingt bei Tschaikowski seine lei denschaftliche Liebe zum Leben mit, seine Überzeugung von den erstaunlichen Kräften der menschlichen Seele, seine Verehrung für alles Schöne und Gute im Leben des Men schen und in der Natur. Unter den nachgelas senen Papieren des Komponisten fand sich ein Programmentwurf für die „Sechste", nach dem die eigentliche Idee des Werkes mit dem Wort „Leben" charakterisiert wird. Diese Idee, die ganz allgemein das Auf und Ab der dar gestellten Stimmungen deutlich macht, aber durchaus in einem innigen Zusammenhang mit dem Leben des Komponisten steht, hilft dem Hörer beim Verständnis des Werkes wenn es sich auch ganz und gar nicht um ein ,,P ro ' gramm" im Sinne der illustrativen Program matik Berlioz', Liszts oder Richard Strauss' han delt. Tschaikowskis Bruder Modest erzählt uns m seiner Biogaphie, wie die sechste Sinfonie ih ren Beinamen „Pathetique" erhielt. Am Tage nach der Uraufführung grübelte der Kompo nist über einen treffenden Titel für sein neue stes Werk, dessen ursprünglicher Name „Pro ¬ grammsinfonie" ihm plötzlich nicht mehr ge fiel. Modest schlug ihm „Tragische Sinfonie" vor, aber auch das mißfiel ihm. „Ich verließ bald darauf das Zimmer, bevor Peter lljitsch noch zu einem Entschluß gekommen war. Da fiel mir plötzlich die Bezeichnung .Pathetique' ein. Sogleich kehrte ich wieder ins Zimmer zu rück — ich erinnere mich noch so deutlich dar an, als ob es gestern gewesen wäre! — und schlug sie Peter lljitsch vor, der begeistert aus rief: .Ausgezeichnet, Modi, bravo! Pathetique' — und dann setzte er in meiner Gegenwart den Titel ein, durch den die Sinfonie überall bekannt geworden ist." Wenn Tschaikowski in formaler Hinsicht von „viel Neuem" in seiner „Sechsten" spricht, so gilt das für die enorme Gegensätzlichkeit der Themen und der daraus resultierenden Verar beitung sowie für die Umstellung der Sätze ge genüber der traditionellen Norm. Diese Sätze wiederum sind im einzelnen durch eine große Strenge, Klarheit und Konsequenz des Auf baus gekennzeichnet. Sie bedingen sich ge genseitig im Sinne aussagemäßiger Kontraste, sind aber auch durch gemeinsame Elemente miteinander verbunden (Tonfortschreitungen; spezifisch nationaler Charakter). Der inhaltliche Schwerpunkt der Sinfonie ist wohl der erste Satz, ein komplizierter Sona tenhauptsatz. Bereits in der melancholischen Adagio-Einleitung spricht sich das Kernmotiv des nachfolgenden Allegro-Satzes aus, dort allerdings ins Erregte gesteigert. Lichter, freud ¬ voller ist das kontrastierende zweite Thema in den sordinierten Violinen angelegt. Aus dem Kampf dieser konträren Stimmungen entwik- kelt sich eine teils leidenschaftlich-dramatische, teils lyrisch-innige Musik, auf die sich die Be zeichnung „Pathetique" bezieht. Der zweite Satz (Allegro con grazia) hat elegant-tänze rischen, ja walzerartigen Charakter. Der un gewöhnliche ^-Rhythmus verweist auf die russische Volksmusik. Heitere, anmutige Stim mungen herrschen vor, lediglich im Mittelteil (con dolcessa e flebile) klingen die Nachtsei ten des vorangegangenen Satzes als monoto ne Melancholie herein. Der dritte Satz (Alle gro molto vivace), teils wispernd, teils schwungvoll mitreißend, ist ein mächtiger B4B der Scherzo und Marsch innig verknüpft. weichend von der Tradition des sinfonischen Zyklus, hat Tschaikowski als Finale einen lang samen Satz geschrieben, ein Adagio lamen- toso, das in seiner tragischen Haltung an den ersten Satz anschließt, in seiner Schilderung des Leidens in denkbar großem Gegensatz zu den beiden lebensbejahenden Mittelsätzen steht. Zwei Themen stehen miteinander in ei nem gespannten Verhältnis. Die Coda ist in haltlich der Einleitung der Sinfonie verwandt. Ein Bogen wird geschlagen, ein Kreis ge schlossen. Anfangs- und Schlußklang entspre chen sich fast völlig: tiefe Streicher und Fa gott in tiefster Lage in Molldreiklängen. Dr. habil. Dieter Härtwig VORANKÜNDIGUNGEN: Freitag, den 25. April 1980, 20.00 Uhr (Anrecht A 1) Sonnabend, den 26. April 1980, 20.00 Uhr (Anrecht A 2) Festsaal des Kulturpalastes Dresden Einführungsvorträge jeweils 19.00 Uhr Dr. habil. Dieter Härtwig 9. PHILHARMONISCHES KONZERT Dirigent: Johannes Winkler Solist: Miklös Perenyi, Ungarische VR, Violoncello Werke von Schumann, Zimmermann und Dvorak Dienstag, den 29. April 1980, 20.00 Uhr (AK J) Mittwoch, den 30. April 1980, 20.00 Uhr (Freiverkauf) Festsaal des Kulturpalastes Dresden 8. AUSSERORDENTLICHES KONZERT Dirigent: Herbert Kegel Solisten : Helga Termer, Dresden, Sopran Violetta Madjarowa, VR Bulgarien Halle Armin Ude, Dresden, Tenor Ulrik Cold, Dänemark, Baß Chöre: Philharmonischer Chor Dresden Einstudierung Herwig Saffert Mitglieder des Staatsopernchores Dresden Einstudierung Hans-Dieter Pflüger Werke: Bohuslav Martinü: Lidice Ludwig van Beethoven: Sinfonie Nr. 9 d-Moll op. 125 Programmblätter der Dresdner Philharmonie Spielzeit 1979 80 - Chefdirigent: Prof. Herbert Kegei Redaktion: Dr. habil. Dieter Härtwig Druck: GGV, Prod.-Stätte Pirna 111-25-12 ItG 009-24-80 EVP 0(2:> 8. PHILHARMONISCHES KONZERT 1979/80