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Wöchentlich erscheinen drei Rumniern. Pränumeration«- Preis 22; Sgr. (Z Thir.) vierteljährlich, Z LUr. für da« ganze Jahr, ohne Er höhung, in allen Theilen der Preußischen Monarchie. für die Man »ränumerirt auf diese» Literatur-Blatt in Berlin in der Expedition der Mg. Pr. StaatS-Zeitung (Friedrichistr. Nr. 72); in der Provinz so wie im AuSIande dci den Wohllöbl. Post-Acmlern. Literatur des Auslandes. N 103 Berlin, Mittwoch den 26. August 1840 Rußland. Die Musik in St. Petersburg. Von Adolph Adam.") Unter den verschiedenen Zweigen der Tonkunst nimmt in St. Petersburg, wenigstens was die Ansführnng anbclangt, die Kirchen- Musik den ersten Rang ein. Ihr gebührt vor allen anderen die Palme, denn sie ist die einzige, welche hier einen originellen Charak ter bat, der an dem Ort ihres Entstehens haftet und nicht von der Musik anderer Völker entlehnt ist. Die Griechische Kirche läßt be kanntlich den Gebrauch der Instrumental-Musik beim Gottesdienst nicht zu. Da nun die Sänger der Kaiserlichen Kapelle nie eine andere Musik fingen, als die zum kirchlichen Ritus gehörige, so haben sie cs zu einer Fertigkeit im unbcgleiteten Gesänge und zu einer Reinheit der Intonation gebracht, wovon man sich keine Vorstellung machen kann. Eine wunderbare Gewalt ist diesen Gesängen auch dadurch eigen, daß sich Contrebaß-Stimmen in dem Chor befinden, die von dem eingestrichenen 6 (über den Linien im Baßschlüssel) bis zum Contra-^ (unter den Linien) hinabreichen, und die durch ihre untere Oktave die Baßstimmen des gewöhnlichen Registers verdop peln. Bei uns in Frankreich scheint das große kn (unter den Linien) die Gränzc der Baßstimmen zu scyii, I> ist schon eine große Scltcn- heit.°°) Während aber alle unsere Sänger sich bemühen, ihre Stimme in die Höhe zu treiben, und jene Pedal-Töne aufopfern, um die neuere Musik singen zu können, find dagegen in Rußland ein paar Contrebaß-Brusttöne ein kleines Kapital. Hat der Besitzer auch ein gutes Gehör, so wird er auf Lebenszeiten der Kapelle°bcs Kaisers angestellt. Allein würde cs unerträglich scpn, diese Stimmen zu hören, aber im Chor mit anderen verschmolzen, find sie von erstaun licher Wirkung, und nie bin ich von einem Orchester so erschüttert worden, wie von dieser Kaiserlichen Vokalmusik. Die Soprane sind kräftig, und cs finden sich einige angenehme Solostimmen unter den Kindern; die Tenore kommen zwar den merkwürdigen Baßstimmen bei weitem nicht gleich, genügen aber auch vollkommen. Jwanoff gehörte zu dieser Kapelle und wurde von Petersburg nach Italien geschickt, um seine musikalische Bildung zu vollenden, aber die uner wartete Ausweichung, mit der cr seine Studien endete, wird wohl so bald keinen anderen Zögling einen gleichen Vortheil genießen lassen.""") Die Musik, welche von jenen Sängern ausgcsührt wird, steht freilich nicht auf derselben Stufe, wie die Ausführung. Sie stammt fast insgesammt aus dem vorigen Jahrhundert von einem gewissen Bcrtienskp her, dem es zwar nicht an Talent und tech nischen Kenntnissen, wohl aber an origineller Erfindungskraft fehlte. Die Leitung der Kapelle ist in den Händen des Oberst Lwoff, eines trefflichen Komponisten und ausgezeichneten Violinspielers, f) Die dramatische Musik blüht weniger als irgend ei» anderer Zweig dieser Kunst in St. Petersburg, und es. ist schwer zu erklären, wie cS kömmt, daß das Theater ein so armseliges Orchester und weder Chöre noch Solo-Sänger hat, da doch die Kirche so herrliche Stimmen und die Armee so ausgezeichnete Blase-Instrumente auf- ') Wir geben in Obigem einen Auszug au« zwei Briesen, welche der Kom ponist des „Postillon von vonjumeau" über die Musikzussande der Russischen Hauptstadt an den Rcdactcur der brauce um-l-ule geschrieben hat. Adam brachte bekanntlich den Winter von tSM —4» in St. Petersburg zu, wohin er eine Einladung erhalten hatte, um die Mußt zu einem Ballet für Dlle. Tag. Uom zu schreiben. Auf der Rückreise verweilte cr auch einige Zeit in Perlin und verterilgte snr die Königliche Oper jene» wunderliche, aber doch anziehende Mixtum,Eomvontum von Gesang, Tanz, Pantomime und Declamatiow „die Hamadroaden - genannt ein choregraphisch-musikalisches Intermezzo. Per- inurhllch w rd Htlr Adam nicht unterlassen, auch über die Musik in Perlin leinen bßlchuguudigen Bericht abzustattcn- Vage uns ein solcher schon vor, so wurden Wit aus der Peraleichung mit der Wirklichkeit einen Sluck schlug au, tue Treue de> obigen Schilderungen machen können . "Z ^ss-Deutschla d sind„ ,„a„ bas große U und selbst 6 noch häutig bei Le» Panstimmeu, auch Kontra-» u„b st kommen noch vor, jedoch selten- . . l Jwanoff desertilte zu der Jtalianlschen Oper in Paris, wo cr lange Zeit als cm Stern erster Grone glanzte. Er hat kürzlich noch am Hose von St. JameS mit der Konigm Pictoria gesungen. . iN Wo man big jetzt Gelegenheit gehabt hat, in Musik,irkcln daß Spiel de« Oberst Lwon zu Horen, >N Berlin, Leimig und vor kurzem auch in London, Überall ist man einig darüber, dan derselbe als -in Meister auf der Violine, nicht als ein bloßer Dilettant zu betrachten se», und man bedauert- nur, daß t-mc Hohe gesellschaftliche Stellung eS ihm nicht erlaubt, seine Virtuosität on-ntlich zu vroduziren. In St»l, schönem Ton und vollendeter Beherrschung Instruments wird er gewiß von wenig Virtuosen < a übcr- ^ne interessante Schilderung von semem Spiel hat der Nedacteur k'vjig ericheincndcii „Neuen Zeitschritt für Musik", Robert Schumann, FZf-.Ass in diesem Blatte gegeben- Auch die Cvmpositioneu des Oberst Lwoff werden sehr geschäht. weiscu kann. Es sind drei Theater in Petersburg: das große Theater, welches dem Ballet, der Russischen und der Deutschen Oper gewidmet ist; das Michaels-Theater, wo die kleineren Deutschen Over» und Komödien, Französische Lustspiele und Vaudevilles gespielt werden; und das Alexandra-Theater, wo man nur Russische Stücke giebt. Alle drei erhalten einen sehr bedeutenden Zuschuß vom Kaiser, aber nur bas Alexandra-Theater deckt seine Kosten. Das große Theater ist cmcs der schönsten Gebäude dieser Art in Europa; dcr Zuschauer- raum ist größer als in der großen Oper zu Paris. Seit der An kunft dcr Taglioni hat aber die Oper in Petersburg alle Bedeutung verloren, und das mit Kaiserlicher Magnifizenz ausgestattcte Ballet ist die einzige Unterhaltung, die noch ein volles Haus macht. DaS Corps de Ballet ist sehr zahlreich, da sich bei dem Theater eine Schule für Tänzer befindet, aus welcher einige tüchtige cinhcimische Virtuosen dieser Kunst hcrvorgcgangeu sind. Ich nenne nur die Dame» Smirnowna und Andrianowna. Leider jedoch zeichnet fich das andere Geschlecht in St. Petersburg nicht eben durch Schönheit aus, und wenn die Herren Taglioni und Titus auch gute Tänze rinnen bilden könne», so sind sic doch nicht im Stande, die unschönen Phpsiognomiccn ihrer Zöglinge umzuformen. Das Orchester ist stark besetzt, aber nicht von besonderer Qualität und nur der Aus führung von Balletmusik gewachsen; doch hat eS eine vortreffliche Flöte und eine sehr gute Oboe aufzuwciscn, beides Russische Virtuosen. Das der Deutschen Oper ist im Ganze» besser, indeß läßt eS im Einzelnen ebenfalls noch viel zu wünschen übrig. Das Sängerpersonal der letzteren ist schwach ; nur Breiting, der erste Tenor, und Verfing, der Bassist, dessen herrliches Orga» cine bessere Ucbung verdiente, sind des Nennens wcrth. Das Rcpertoir besieht, wie in ganz Deutschland ebenfalls"), aus übertragenen Französischen und Jtaliänischcn Oper» und aus einem halben Dutzend Deutscher Werke, worunter zwei von Weber und vier von Mozart. Die Russi sche Oper wirkt eben so wenig auf den öffentlichen Geschmack, da sie dasselbe Repcrtoir hat, nur mit anderem Tert und anderen Sängern. Lconoff, der erste Tenor, ist zwar in Rußland geboren, aber kein eigentlicher Russe, denn sein Balcr war dcr Pianist Field, und seine Studien hat cr in Frankrcich gemacht; cr besitzt viel Musik, abcr nicht eben so viel Stimme. Die Primadonna war ebenfalls in Paris und bei dcr komischcn Oper als Dlle. Vertcuil bekannt; hier ln Petersburg hat sie, da auch sie in Rußland geboren ist, den Slawen Solowiowna angenommen, dcr im Russischen mit Nachtigall zu- sammeuhängt; sie hat cine angenehme Stimme und große Leichtigkeit, aber wenig Musik und singt daher schr ungleich. Dlle. Stepanowna, eine junge Schülerin der Akademie, würde cine tüchtige Sängerin geworden seyn, wenn sie bessere Vorbilder studirt hätte. Pctroff, der erste Bassist, hat eine schöne Stimme, aber wenig Methode: seine Gatti», die Petrowna, ist zwar nur im Besitz eines schr beschränkten Contra-Alts, sic weiß aber höchst ausdrucksvoll und energisch damit zu wirken. Da die Russische Operngescllschaft nur einen cinzigcn Bassisten hat, so muß diese Sängerin solche Partiecn, wie die Ru- bini's in den „Puritanern", ausführen und dann natürlich die cine Stimme in dem ergreifenden Unisono des großen Duetts cine Oltav höher nehmen. Das Orchester der Russischen Oper ist nicht besser als das Deutsche. Herr Kawos, der es dirigirt, ist ein talentvoller Komponist und dcr älteste Sohn des ausgezeichneten Architekten, dcr das große Theater neu ausgebaut hat. Man spielt hier nur cine einzige Russische National-Opcr, „Alles für den Czarcn", die sich '1 Inwiefern diese Behauptung des Herrn Adam mit Rücksicht auf andere Deutsche Buhnen richtig iss, können wir nicht wissen, da uns keine UeberssNit ihres RepertoirS zur Hand liegt. Auf dcr Königlichen Bühne zu Berlin kömmt die Zahl der Deutschen Werke wenigstens der Zahl der fremden aleich- ES ssnd seit Oktober vorigen Jahres bis jetzt aus di-tcr Bühn: iv Deutsche Opern, worunter 4 kleinere Singspiele, iS ältere und neuere Franzölische Opern, worunter r kleine Singspiele, und 7 Jkallämsche Over» gegeben wor den. Dabei habe» wir noch Spontini'S „Vcssalln ' und „Fernand Eorte;" so wie Meverbeer'S „Robert" den Französischen Opern bcigezahlt, obwohl, wenn auch alle drei aut Französische Texte komponirt sind, doch Spontmi eigentlich eine Gattung sür sich bildet, indem er Jtalianifche, Französische und Deutsch- Elemente in sich verschmolzen hat, Meuerbcer aber .wenngleich er Französische und Jtalianifche Art und Weise in seine Comvosttionen ausgenommen, doch in dem Grundcharakter derselben sich als Deutscher bekundet. Wenn wir also diese drei Werke noch von den Französischen Opern abrechncn wollten, so würde die Zahl dieser und dcr Ilaliänischen zusammen die der Deutschen noch nicht erreichen. Indeß könnte allerdings immer »och manche treffliche Deutsche Over aus das Reverroir gebracht oder neu cinssudirt werden, sowohl von alteren wie von neueren Komponissen. So vermißt man auf dcr Königlichen Buhne Berlin'« jcyt vier Svcrn von Mozart und die beiden früher auch hier aufgeführten Werke Glucke „Jphjg-uic in Aulis" und „OrpheuS"; nicht minder möchte man gewiß so manche Ovcr von Spohr, Marschner, RieS, Rcissiger und Anderen gern kennen lernen oder wieder hören-