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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 12.06.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-06-12
- Sprache
- Deutsch
- Vorlage
- SLUB Dresden
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960612024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896061202
- OAI
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896061202
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Saxonica
- Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
-
Zeitung
Leipziger Tageblatt und Anzeiger
-
Jahr
1896
-
Monat
1896-06
- Tag 1896-06-12
-
Monat
1896-06
-
Jahr
1896
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BeMgO,PretA M dir Hauptixprdttioa oder den im Stadt. d«irk und den Vororten errichteten AuS- aabestellen ob geholt: vierteljährlich ^l4.öO, bei »wetmaltgrr täglicher Zustellung in« Hau« 5 ü0. Durch dir Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich 0.—. Directe tägliche Kreuzbandienduog ist Ausland: monatlich 7.50. Die Morgen-AuSgabe erscheint um '/,7 Uhr. di» Abeud-AuSgabe Wochentag- um 5 Uhr. Redaktion and Expedition: JohanneSgaffe 8. Dielxyrottiou ist Wochentag- ununterbrochen »öfiuet vou früh 8 bis Abend- 7 Uhr. Filialen: Dtt* Klemm'- Lortim. (Alfrrd Hahn). Uoiversitätsstraße 3 (Paulinum), Lonts Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und Köniq-^lad 7. Abend - Ausgabe. MiMerTagtblalt Anzeiger. Amtsblatt des königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Polizei-Amtes der Stadt Leipzig. AuzetgenPrei» die e gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem Strdactio»»strich (4ae- spalten) 50vor den Familienuachrichlen (K gespalten) 40^. Vröhere Schriften laut unserem Preis, verzrichnib- Tabellarischer und Zissernjatz auch höherem Tarif. Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Mornen - Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Annahmeschlnii für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag- 10 Uhu Morgen-AuSgabe: Nachmittags SUHL Del den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- a» die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 295. Freitag den 12. Juni 1896. 99. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 12. Juni. Eine volle fünfstündige Sitzung hat gestern der Reichstag auf die Berathung dcS Art. 8 der Gewerbeordnungs novelle, der das Tetailreisen betrifft, verwendet. Freilick lag zu diesem Artikel eine solche Fülle von Abänverungsanträgen vor, wie wohl noch nie zu einem Artikel eines früheren Gesetzentwurfes. Leider trifft diesmal das alte Wort „Was lange währt, wird gut", nicht zu; denn was nack langer Debatte aus der Fülle der Anträge als das „Beste" aus gewählt wurde, giebt zu erheblichen Bedenken Anlaß. In namentlicher Abstimmung wurde nämlich mit 147 gegen 98 Stimmen beschlossen, dem Artikel folgende Fassung zu geben: „DaS Aufkäufen darf nur bei Kaufleuten oder solchen Personen, welche die Waaren produciren, oder in offenen Verkaufsstellen erfolgen. Jngleichen darf daS Aufsuchen von Bestellungen auf Waaren, mit Ausnahme von Druckschriften, anderen Schriften und Bildwerken und soweit nicht der BundeSrath noch für andere Waaren oder Gegenden oder Gruppen von Gewerbetreibenden Ausnahmen zuläßt, ohne vorgängige ausdrückliche Aufforderung nur bei Kaufleuten in deren Geschäftsräumen oder bei solchen Personen geschehen, in deren Geschäftsbetrieb Waaren der angeführten Art Verwendung finden." Dieser Fassung lagen zu Grunde Anträge der Abgeordneten Hitze (Centr.) und Freiherr von Stumm (Rp.). Die Klausel, welche den BundeSrath ermächtigt, weitere Ausnahmen zu gestatten, hatte mit Unterstützung der Nationalliberalrn der Abg. Placke beantragt. In der zweiten Lesung war auch noch der Leinen- und Wäschefabrikation gesetzlich die Ausnahmestellung einge räumt, die künftig nur noch für den Vertrieb von Druck schriften und Bildwerken bestehen soll. Mit 144 gegen 113 Stimmen wurde der Antrag, diesen Beschluß aufrecht ru erhalten, abgelehnt. Der Vertrieb der Leinen- und Wäschefabrikate durch Detailreisende wird also ebenso wie der der anderen in dem obigen Beschluß nicht besonders er wähnten Gegenstände von dem Votum des BundeSratbS abhängig sein. Heute wird die dritte Lesung der Gewerbe ordnungsnovelle fortgesetzt. DaS Compromiß über das Bürgerliche Gesetzbuch stellt sich noch günstiger, als wir bei unserer Beurtheilung desselben rm Leitartikel deS gestrigen Morgenblattes annehmen durften. Der Erwerb der juristischen Personen, also insbesondere der todten Hand, bleibt in der Hauptsache den bisherigen landesgesetzlichen Beschränkungen unterworfen. Ebenso ändert das Gesetzbuch die Vorschrift nicht, daß Mitglieder religiöser Orden oder ordensähnlicher Congregationen nur mit staatlicher Genehmigung von Todes wegen erwerben dürfen. Nur — und das ist das einzige Zu- geständniß auf diesem Gebiet — bedarf es der Genehmigung nicht für Mitglieder solcher Orden oder Eongregationen, bei denen keine Gelübde auf Lebenszeit abgelegt werden. ES bleibt also als wesentliche Concession an das Centrum nur die Zulassung der Scheidung von Tisch und Bett. Diese ist aber nur als erreichbarer Behelf, nicht als zwingende Vor schrift ausgenommen. Es bleibt auch katholischen Paaren, die sich trennen wollen und das sonst können, unbenommen, ihre Ehe völlig aufheben zu lasten. WaS nun die Ausscheidung des unheilbaren Wahnsinns aus den Scheidungsgründen an langt, so ist diese nicht Gegenstand des Compromisses. Ob sie beschlossen wird oder nicht, hängt von den Conservativen ab. In jedem Falle ist der AuSgang für daS Schicksal deS Bürgerlichen Gesetzbuches gleichgiltig. In einem Berliner Blatte lesen wir: „Zu einem höflichen Benehmen gegen städtische Lehrer mahnen mehrere gerichtliche Verurtheilungen. Eine hiesige Einwohnerin ist durch Erkenntniß des königl. Schöffengerichts I wegen Beleidigung eines Schulrectors zu einer Woche Gefäng- niß verurtheilt worden; durch Urtheil der 6. Strafkammer des königl. Landgerichts I hier ist ein hiesiger Einwohner wegen öffent licher Beleidigung eines Gemeindeschullehrers mit einem Monat Gefängniß bestraft worden. In letzter Zeit ist es auch oft vorgekommen, daß Fortbildungsschüler sich gegen ihre Lehrer wenig respektvoll benommen haben. In Nordhauscn wurde deshalb ein Lehrling mit einem Monat Gefängniß bestraft, während der Amtsanwalt zwei Monate beantragt hatte. In den Urtheilsgründen ist ausgesührt, daß der Lehrer als Beamter anzusehen sei." So streng vermögen die preußischen Gerichte Beleidigungen von Lehrern zu ahnden, wenn der Beleidiger nicht zufällig ein polnischer Geistlicher ist. Dann kommen die Gerichte überhaupt nicht in die Lage, sich mit der Sache zu beschäf tigen. Ist er ein englischer Zeitungsbericht erstatler, so braucht er nicht einmal „nur" einen Lehrer an seiner Ehre gekränkt zu haben, um unbehelligt zu bleiben. Die „Hamb. Nachr." acceptiren die Angabe des GrafenGoluchowSki im Budgetausschuß der österreichischen Reichsraths-Delegation, „die Hervorhebung des festen, ziel bewußten Auftretens des Dreibundes in der Thronrede dürfe nicht dahin gedeutet werden, daß mit den Ver bündeten Österreich-Ungarns ein specifisches Programm betreffs der österreichisch-ungarischen Orient politik vereinbart fei", fahren dann aber fort: „Graf Goluchowski hat an die Constatirung der Nichtver- pflichtung der Dreibundtheilnehmer aus die österreichische Balkan politik die Bemerkung gcknüpst, Laß, wenn diese Verpflichtung auch nicht bestände, jo doch jeder Theiinehmer nicht nur betreffs der Erhaltung des Friedens, sondern auch überhaupt in Bezug auf seine Politik auf die Freundschaft und „Unterstützung" seiner Bundesgenossen zu zählen berechtigt sei. Diese Bemerkung dürfte doch mehr dekorativer Natur sein. Wenn die Annahme des Ministers zu träfe, jo wären z. B- Deutschland und Italien, wenn auch nicht äs jure, jo Loch äe facto oder wenigstens moralilch genöthigt, außerhalb ihrer Dreibundverpflichtung die chterreichijche Orientpolitik zu „unter stützen". Darin läge eine Umgehung des rein defensiven Charakters der Dreibundverträge, welche das übrige Eu ropa mit Mißtrauen erfüllen und den friedlichen Zweck Les Dreibundes gefährden würde. In der Praxis gestalten sich die Dinge auch regelmäßig anders, als nach solchen unverbindlichen Redewendungen zu vermuthen ist. Wenn z. B. Oesterreich. Ungarn wegen seiner speciellen Interessen auf dem Balkan es sich angelegen sein lassen will, zu verhindern, daß Rußland in Bulgarien oder sonstwo „prädomi- nirenden Einfluß" gewinnt, so würde es hoffentlich unbegründet sein, wenn die Wiener Politiker sich Labei Rechnung auf die guten Dienste Deutschlands aus reiner Freundschaft für Oesterreich machten; es ist von der Berliner Regierung doch nicht wohl anzunehmen, daß sie dergleichen österreichisch-ungarische» Erwartungen aus Kosten ihrer Beziehungen zu Rußland entspricht. Wir haben nichts dagegen einzuwenden, wenn sich Oesterreich die „Erstarkung und die freie Entwickelung der einzelnen Balkanstaaten, sowie den Ausschluß des prädominirenden Emslusjes irgend einer Großmacht zum Nachtheil der übrigen" angelegen jein lassen will, aber Oesterreich muß Labei aus eigene Rechnung verfahren und die Beihilfe Deutschlands nicht erwarten ... . Ob die Aufklärungen des Grasen Goluchowski hinreichen werden, die Wirkung der österreichischen Preß äußerungen in Rußland z» paralysiren, muß sich zeigen. Tie russische Presse wird, trotz aller Anerkennung, die der österreichische Minister für Rußland gehabt hat, vielleicht in dem Tone, in welchem er den Entschluß Ocsterreich-Ungarns avisirt, der Präponderanz irgendeiner Großmacht in den Baltänsiaaten entgegenzutreten, ei» Anzeichen dafür erblicken, daß Oesterreich-Ungar» in dieser Sache trotz aller Ableugnung Rückhalt hat. Wir sind zwar vom Gegentheil überzeugt, befürchten aber doch nachtbeilige Folgen von der Festsetzung der gegentheiligen Fiction in Rußland. W:r legen deshalb um jo mehr Gewicht daraus, daß von deutscher Seite Alles geschieht, was vernünftiger Weise geschehen kann, um auch den bloßen Anschein zu vermeiden, als ob Deutschland sich berufen fühlte, über das defensive Bündniß mit Oesterreich Linaus dessen specielle Orientinteressen irgendwie gegen Rußland, zu decken." Wir haben in Uebereinstimmung mit anderen deutschen Blättern die betreffende Aeußerung des Grafen Goluchowski nicht dahin ausfasten zu dürfen geglaubt, daß derselbe von Deutschland verlange, eS solle sich irgendwie für Oesterreich- Ungarn im Orient engagircn oder dessen „Interessen decken", und wir halten an der Interpretation fest, daß in Oester reich lediglich auf die moralische Unterstützung Deutsch lands, soweit dieselbe uns nicht in Gegensatz zu Rußland oder einer anderen Macht bringt, spcciell aus die ausgleichende und vermittelnde Hilfe der deutschen Diplomatie bei etwaigen zwischen Rußland und Oesterreich- Ungarn sich ergebenden Differenzen gerechnet wird. Sollten — was wir nicht fürchten, etwa zu erwartende weitere Er klärungen der leitenden Stellen in Oesterreich-Ungarn unsere Auslegung desavouiren und mehr von Deutschland ver langen, so würden wir allerdings ein derartiges Ansinnen als dem Wortlaute und dem Geiste des Dreibundvertrages direkt zuwiderlaufend mit gleicker Entschiedenheit zurückweisen müssen. Während über die Rechtmäßigkeit der Erhebung der Geld mittel für den anglo-cgypttschcu Tudanscldzug noch hin und her gestritten wird, macht die vorzüglich vorbereitete und geleitete Action gegen dieMahdisten bcachlenswcrlhe Fortschritte. Der Sieg, den Kitchener Pascha soeben erfochten hat, wird den Muth und das Selbstgefühl der egyptischen Armee bedeutend heben und in umgekehrtem Sinne auf die Mahdisten einwirken. Das Gefecht bei Ferkeh giebt Anlaß zu einem Vergleiche mit den Schlachten bei Agordat im Dccember 1893 und bei Kassala im Juli 1894, in denen die Mahdisten von den viel schwächeren Italienern geschlagen wurden und große Verluste erlitten. Wenn man bedenkt, daß sie 10 bis 12 Jahre vorher die Egypter wie die Engländer fast regel mäßig im ersten stürmischen Anlauf überwältigten und dann geradezu vernichteten, so ergiebt sich, daß die europäischen wie die egyptischen Truppen in den langen Kämpjen mit den Mahdisten sichtlich moralisch erstarkt sind und Manches gelernt haben. Sie lasten sich nicht mehr von den wildver wegenen Sturmangriffen der Derwische übermannen und besiegen schließlich mit ihren besseren Waffen, mit Ruhe und Standhaftigkeit den ungestümen, zügellosen Feind. Auf ter anderen Seite scheinen die Derwische der veränderten Haltung der unter europäischer Leitung stehenden Truppen gegenüber in der Schlackt bei Ferkeh bereits ihre frühere Taktik geändert zu haben. In keinemäfrühcren Kampf haben sie so ausgiebig und so lange von der Feuer waffe Gebrauch gemacht und erst als sie die Partie ver loren sahen, machten sie einen ihrer bekannten wilden Sturmläufe, obwohl sie deren Hoffnungslosigkeit schon längst eingesehen hatten. Allein sie zeigten sich als sehr schlechte Schützen, zumal da ihre Reminglongewehre mit in Omburaman angcsertigten kupfernen Patronenhülsen sie vielfach im Stich ließen. Die Wirkung der englischen Maxim- geschosse auf die Feinde soll eine furchtbare gewesen sein. — Das angriffsweise Vorgehen Kitchener Paschas bis nach Ferkeh, also Uber Akascheh südwärts hinaus, könnte den An schein erwecken, als ob der Feldzug in den inneren Sudan hinein schon jetzt eröffnet werden sollte. Wenn man sich aber daran erinnert, daß der General Sir RedverS Buller den Sudan - Feldzug leiten soll, da der Sildär in der Zwischenzeit auf seinem Posten in Egypten erhalten werden soll, und daß seine Ankunft in Egypten erst für August angekündigt ist, so kann es als wahr scheinlich gelten, baß der Vorstoß Kitchener Paschas nur einem vorgeschobenen Posten der Mahdisten galt und wobl hauptsächlich der Sicherung der Eisenbahn von Wadi Aalfa aus nach dem Süden bienen sollte. Die Engländer können überhaupt aus zwei Gründen mit dem Hauptfeldzuge noch nicht beginnen: zunächst biloet die jetzige heiße Witterung ein Hinderniß, bann aber sind die Abmachungen mit dem Congo- staate, der die Mahdisten gleichzeitig vom Süden aus an greifen will, binvend. Da die Eongoregierung aber erst vom 1. Juli ab über die gemiethelen Dampfer auf dem oberen Congo verfügt, so vermag sie nicht vor der zweiten Hälfte des August auf dem Kampfplatze am oberen Nil zu er scheinen. Nunmehr sind, wie gemeldet wurde, auch die vier Hauptführer des Transvaaler Reformausschusses, Oberst Rhodes, Lionel Phillips, Farrar und Hammond, endgiltia aus der Haft entlassen worden. Der Ameri kaner Hammond befand sich bereits seit einigen Tagen vorläufig in Freiheit auf Ehrenwort, um seine in Johannesburg erkrankte Frau zu pflegen. Nachdem be kanntlich die gegen die Vier verhängte Todesstrafe in fünfzehnjähriges Gefängniß umgewandelt worden war, unter dem Vorbehalt weiterer Begnadigung, ist ihnen wie den anderen Verunbcilten jede Freiheitsstrafe erlassen, nur haben sie 25 000 L. Geldstrafe zu erlegen. Die über sie verhängte Landesverweisung wird ihnen, wie den klebrigen bedingungsweise erlassen werden; sie müssen sich verpflichten, nie mehr in Transvaal Politik zu treiben. Man kann über die Milde der zuständigen Stellen getheilter Meinung sein, aber jedenfalls entspricht sie den gegenwärtigen Verhältnissen besser, als die stricte Durchführung der ersten strengen, wenn auch durchaus gerechten Urtheile. Die langjährige Gefangenschaft oder gar die Hinrichtung der Verbrecher würde ja überall, wo man dem Boercnstaate aufrichtige Sympathie entgegrnbringt, mit Genuglhuung über das kraftvolle Auftreten der Trans vaaler Regierung und die Unabhängigkeit der Gerichte aus genommen worden sein, allein an Ort und Stelle mußten zwei Erwägungen maßgebend sein. Einmal war zu bedenken, daß die völlige Vernichtung gerade der einflußreichsten Persönlichkeiten am Cap, in deren Händen sich der größte Theil der Industrie und des Handels auch von Transvaal befindet, lähmend auf die weitere gedeihliche Entwickelung deS Landes hätte wirken, zahllose Existenzen brodlos macken und so eine Erbitterung gegen die Regierung heraufbeschwören müssen, die Eng land den erwünschten Anlaß gegeben haben würde, ihr Ziel leichter, rascher und gefahrloser als durch den Einfall Jameson's zu erreichen, andererseits aber mußte es unklug erscheinen, England durch die rigorose Ausführung der gerichtlichen Urtheile Judas. 3j Roman von Claus Zehren. Nachdruck verlöten. Am Abend desselben TageS kam Kurt zu ihm. „So, da wäre daS erste Druckheft unserer Broschüre", sggte RaßmuS, mit einem bescheidenen Lächeln auf den Tisch deutend. „Ich habe eS noch einmal durchgelesen und bin stolz darauf, danke Dir auch für Deine Mitarbeiterschaft, Kurt." „Keine Ursache", meint dieser und sieht etwas zerstreut zu den anatomischen Präparaten auf dem Wandbret hinüber. „O doch, mehr als Du glaubst, Kurt. Ohne Dich, ohne Dein juristisches Können Ware das eine Unmöglichkeit für mich gewesen. Da« Recht der Armen. Sollte auch diese Arbeit ein Baustein sein an dem großen Bauwerk, für welches schon viele Menschenfreunde gearbeitet? Bausteine giebt eS genug, aber der Baumeister feylt, der sie zusammen fügt." Er schwieg eine Weile, um dann fortzusahren: „Und doch ärgert e« mich, daß Dein Name nicht mit darauf steht, Kurl, wo Du fast dasselbe hinein gabst wie ich." „Aber RaßmuS, Dein war der schöpferische Gedanke, und nun, ganz offen, — wenn ich als unbekannter junger Jurist meinen Namen darunter setzte, eS könnte dem Merkchen nur schaden. Der Grünschnabel, der Feuerkopf, würde eS beißen und gerade die anderen Juristen würden über den Verfasser nur spotten. Nein, nein, eS nebme frei seinen Lauf! WaS bat der Name mit der Sache zu thun?" Ich weiß nicht recht, Kurt, zwar mein Gewissen ist be ruhigt durch die Worte: Unter Mitwirkung eines Juristen, aber dennoch, eS sind auch Deine Grundsätze und da sollte der Name und die Person nicht fehlen." „Nein. RaßmuS, glaube mir, eS ist besser obne die« Schließlich hast Du d,r ganze Idee in mir geweckt, mir würde die Broschüre nur in meinem Berufe vielleicht den HalS brechen!" „Und wenn auch", sagt nun RaßmuS und seine Augen haften scharf auf de- Freundes klugem Antlitz, „wa- würde daS schaden/" „Ich wäre ein Bettler!" „Pah, WaS weiter? Ein Mann mit Deinen Gaben kommt nicht unter die Räder!" „Aber ich denke, gerade Jemand, der im Amt ist, kann diese Ideen besser fördern, als Jemand, der fortgejagt wurde. Uebrigens die Gesetzesreform, an welcker ich mit dem Prä sidenten Karchhusen arbeite, enthält manche unserer Gedanken, wenn auch nickt mit derselben Consequenz durchgeführt." „Also Halbheiten!" fährt nun RaßmuS heftig aus in seiner schroffen Art. „Nein, nicht so ganz! Nur die ersten Schritte, während dort in jenem Heft die letzten stehen." „Hm, ja, — mag sein. Uebrigens — Karchhusen? Warte einmal, ist die Frau krank? Ich soll morgen dorthin kommen mit Koschrodt zusammen." „Ja, die Frau Präsidentin ist leidend. Du wirst dort auch die Tochter sehen, Harald." Kurt Hansen betrachtet nachdenklich die Weiße Asche seiner Cigarre. Ein unbehag liches Gefühl will ihn beschleichen, unerklärlich, räthselhast. „Du bist dort wohl Hausfreund, Kurt?" „Wie man es nimmt! Meine Mitarbeiterschaft hat mich auch der Familie näher gebracht. Wann wirst Du dorthin gehen?" „Morgen Nachmittag." „So, — vielleicht treffen wir uns dann. Gute Nacht RaßmuS!" „Gute Nacht, Kurt! Ich bin gespannt, was man in der Welt zu jenen Blättern sagen wird." Der Präsident von Karchhusen hatte sein Mittagsschläfchen beendet und blinzelte, die Arme leicht dehnend, zu der ihm gegenüber sitzenden Tochter hinüber, deren Augen ihm freundlich zugewandt waren, mit dem gewissen, halb spöttischen, bald mitleidigen Lächeln, mit welchem man, selbst ganz frisch, einen erwachenden Schläfer zu begrüßen pflegt. „AuSgeschlafcn?" sagt sie langsam, die Hand mit dem Buche, in welchem sie gelesen, auf den Schoß sinken lassend. „Ich habe nur etwas genickt, mein Kind." DaS ist seine stereotype Redensart. Er schlief jeden Tag wenigstens anderthalb Stunden nach dem Essen, sogar schnarchend, und hatte dock immer nur ein Viertelstündchen genickt. „Ah, ich habe mir ja beute Nachmittag Herrn Hansen herbestellt und bin noch nicht dazu gekommen, daß Werk durchzulesen." Er steht auf und nimmt «inen Folianten vom Schreibtisch. „Für wa« hältst Du den Assefsor, Vater?" „Für einen grundgescheuten Juristen!" „Wird er Carriöre machen?" „Sicher, er bat das Zeug dazu und auch die Charakter eigenschaften." „So", — und nach einer Weile sagt Eva, sich erhebend: „Ich will zur Mutter gehen. Heute Nachmittag wird der Hofrath mit dem andern Herrn kommen. Wie mar sein Name?" „Doctor RaßmuS." „Richtig, — ein guter Freund Deines Prolegös?" „Ick glaube fast." Dann geht Eva zur Tbür hinaus mit der ihr eigen- thümlichen Art, den Oberkörper beim Gehen fast unbeweglich zu halten. Der Präsident bewohnte mit Frau und Tochter eine sehr hübsche Villa im Thiergartenviertel. Seine Gattin, Tockter eines großen Bergwerkbesitzers, batte ihm ein ansehnliches Vermögen mit in die Ehe gebracht. Er selbst, der Präsident, welcher in ungewöhnlich rascher Weise als Jurist sich hinauf geschwungen batte, ist eine vornehme Erscheinung, ein geist reicher Gesellschafter, ein Mensch, der nie obne Zerstreuung drei Tage nach seiner Arbeit ruhig sitzen kann. An dieser Unstätheit halte seine stille, gute Frau oft schwer zu tragen gehabt bei ihrer zarten Gesundheit. Den Gatten hatte sie stets mehr bewundert wie geliebt. Seine geistige Begabung, welche von ihr bedingungslos anerkannt wurde, hatte ihr imponirt. Sie fühlte sich gesichert und geborgen, wenn er sie als junge Frau fast jeden Abend während der Saison in eine andere Gesellschaft führte, obgleich dieses Leben keines wegs ihren stillen Neigungen bebagte. DaS Lesen guter Bücher, leichte Hausarbeit und die Beschäftigung mit ihrem einzigen Kinde Eva, daS Alles liebte sie. Aber mit fremden, gleichgiltigen Menschen über noch gleichgiltigere Dinge rede» oder Bekanntschaften anknüpfen, war ihr immer eine Last gewesen. Sie war eine von jenen Frauen, welche wenig Platz im Herzen haben. Die Wenigen, welche ihr verwandtschaftlich nahe standen, nahmen den ganzen Raum ein und für alle Anderen blieb nicht viel übrig. Ihre Tochter, welche nunmehr zur Dame brrangewacksen war, vereinigte schon von Jugend auf dir verschiedenen Tem peramente der Eitern. Aufgeweckt, stolz, nickt gern in zweiter Linie zu sieben, ver band sie auf der anderen Seite eine Zartheit de« Empfinden«, welches der Einfluß der Mutter früh in dem Kinde geweckt halt«. Är älter -va wurde, je mehr sich dis Mutter kränkelnd zurückzog, desto mehr traten die ersteren Eigen schaften in den Vordergrund. Der Vater, stolz, glücklich, eine solche Tockter zu haben, gestattete seiner Frau nun gern, sich zurückzuzieben; konnte er doch Eva, seine stolze, schöne Eva, in die Welt führen. So hatte sie schon als Neunzehnjährige das Wesen ener vollendeten Dame, welche voll und ganz im Hause die Stelle der kranken Herrin vertrat, wenn sie, an der Seite ihres Vaters stehend, mit gewandter Sicherheit Excellenzen und Gebeimräthe, Jung und Alt, mit gewinnendem Lächeln begrüßte. Heute schlick die Dienerschaft still und vorsichtig über die teppichbelegten Treppen und durch die Zimmer. Der Präsident ging unruhig in seinem ArbeitScabinet auf und ab, ver suchte noch hin und wieder an einem Schriftstück zu arbeiten, doch vergeblich. Diese Ruhe im Hause, diese gewisse Trüb seligkeit, welche ihm aus jeder Ecke deS Hauses herauSzukriecheu fchien, machte ibn nervös. Diese abscheulichen traurigen Gesichter! Auch Eva war seit zwei Stunden nicht bei ihm gewesen. Die Aerzte wollten um 5 Uhr kommen. Zum ersten Male steigt in ihm der Gedanke auf: „Herr Gott, wenn die Frau mir ge nommen würde!" Mit ihr war damals das Glück zu ihm gekommen, das heißt dasjenige, WaS er sein Glück nannte: Reichtbum, Zerstreuung, jein schnelle- Aufsteiger», ein- durch da- Andere bedingt und unterstützt durch seine große Arbeitsfähigkeit wie seine juristischen Kenntnisse, außerdem durch die Persönlich keit seiner lieblichen und freundlichen jungen Frau, die an- genehme Geselligkeit seine- Hauses, in dessen Räumen der harmonische, ruhige Sinn der Hausfrau waltet. Alle« dies batte ibm die Wege gebahnt. Und nun —? Sie war ja srit 10 Jahren leidend. Er blickt melancholisch durch das Fenster hinaus in di« «ntlaubten Bäume. WaS dann, wenn sie stirbt? Nun fliblte er, wa« ihm fehlen würde. Der einzige Freund, welchem er rückhaltlos seine Seele erschließen konnte, war sie doch stet« gewesen. Merkwürdig, er hatte gar keine Freunde, nur immer gute Bekannte, lind dann — Eva? Ja, Eva, die stolze, schöne Tochter, stolz und schön, aber sonst — gehört« ihr Hrrz nicht allein der Mutter? Warum denn? — Nun siel «S ihm «in: Ihr Herz, daran hatte rr ja noch nie gedacht. Und nun «rareift ihn eine Beklemmung. Für sie bin ich doch nur d«r Präsidrnt, d«r Prä—st—d«at
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